Selbstversuche

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Selbstversuche von Ärzten inclusive Literatur (langer Text)
von Dr. Bernhard Mäulen

Like all acts of courage, self experimentation straddles the fine line
between heroism and foolishness. Dr. Lawrence K. Altmann

I Einleitung

Ich muß gestehen, meine eigene Bereitschaft der Wissenschaft meinen Körper zur Verfügung zu stellen war bisher begrenzt. Im Studium habe ich für ein Experiment mal einen -damals noch sehr dicken- Gastroskopieschlauch geschluckt. Es war unangenehm, aber mehr auch nicht. Liest man jedoch zu welch gefährlichen, schmerzhaften, ekelerregenden Experimenten sich Ärzte zur Verfügung gestellt haben und auch noch stellen- ist der Leser unzweifelhaft beeindruckt. Nicht immer nur durch den Mut der Kollegen, ihren radikalen Ehrgeiz, ihre “heroische Medizin”*, manchmal auch durch die an Dummheit grenzende Kurzsichtigkeit . Alle Medizinergruppen sind beteiligt vom Medizinstudenten wie dem peruanischen Carrion, über Universitätsärzte wie Prof. Simpson, vom unbekannten Arzt. Dr. Morton bis zum Leiter nationaler Forschungseinrichtungen Prof. Salk. Manch ein Arzt riskierte nicht nur sich selbst und seine Gesundheit sondern auch die der Ehepartner, ein in mehrfacher Hinsicht gewagter Schritt!
Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die diversen Formen des ärztlichen Selbstversuchs, beschreibt Versuche, die Geschichte machten- und Nobelpreise einbrachten, nennt aber auch die Namen einiger Kollegen, denen ihr Versuch das Leben kostete. Sehr viele medizinische Fachgebiete sind beteiligt, es geht um die Aufklärung von Infektionswegen z.B. durch Selbstinfektionen mit Polio, um Wirkung und Dosierung von Pharmaka zB. Digitalis ; um die Sicherheit von Impfstoffen etwa bei Kinderlähmung, die Testung von Schmerz- und Narkosemitteln wie Lachgas, Äther, Kokain und neuen synthetischen “Drogen” wie LSD; auch um diagnostische Verfahren wie z.B. den Herzkatheter oder Möglichkeiten zur Lumbalpunktion; die Auswirkungen von erheblichen Beschleunigungen und Abbremsungen auf die Körperorgane. Oder über die Auswirkungen massiver Lichtdosen auf die menschliche Haut. Selbst Experimente im Umkreis von HIV- haben Ärzte an sich vorgenommen. Schließlich geht es auch um medizinethische Fragen- welche Bedingungen für einen Selbstversuch eines Arztes /Medizinstudenten gegeben sein sollten.
Ärztliche Selbstversuche sind auch ein Thema im Film. In Flatliners spielt Julia Roberts eine Medizinstudentin, die sich mit Kommilitonen in einen klinischen Tod versetzen läßt um Nah Todes Erlebnisse zu erfahren. Wie im wirklichen Leben geht bei diesen Versuchen auch einiges schief, immerhin muß jedes Mal am Ende auch reanimiert werden. Auch zeigt sich das Erlebnisse im Selbstversuch z.T. dauerhafte Nachwirkungen haben und die Selbstwahrnehmung des Mediziners verändern können.

II Formen der Selbstversuche von Ärzten

Fast unüberschaubar sind Zahl und Form der Selbstversuche. Einige sind vergleichsweise harmlos, wie das Stechen der Fingerbeere mit einer Lanzette zur Blutgewinnung, andere sind nachgerade lebensgefährlich, wie etwa die Einbringung gefährlicher Erreger ins Gewebe oder die Blutbahn, ohne vorhandenes Gegenmittel wie bei der Gelbsucht, AIDS, Cholera. Bei wieder anderen ist der Ausgang völlig offen wie etwas bei Experimenten mit Narkose- oder Muskelrelaxantien sowie bewusstseinsverändernden Substanzen wie den Halluzinogenen. Die häufigsten Formen sind sicherlich:

  • Untersuchung eigener Körperteile u./o. -substanzen,
  • Einnahme unbekannter oder bekannter Substanzen/ Gifte; Radionuklide,
  • Einnahme von Hypnotika, Analgetika, sonstigen Narkosemitteln
  • Einnahme von bewusstseinsverändernden Substanzen
  • Selbstinfektionen (oral, cutan, subcutan, intravenös),
  • Nahrungsveränderung in z.T extremer Form
  • Veränderungen physikalischer Umgebungsvariablen wie Temperatur, Lichteinstrahlung, Radioaktivität, Be-/ Entschleunigung, Luftdruck,
  • Luftzusammensetzung, Geschwindigkeit im Raum; Einbringen von Instrumenten/Gegenständen in den Körper oder an seiner Oberfläche
  • Veränderung physiologischer Zyklen wie Schlaf, Nahrung und Ausscheidung,

Selbst einfache Verfahren wie Eigen-Untersuchung des Blutes können sehr belastend sein, wie etwa bei dem Mitentdecker der Typhusimpfung Sir Almroth Wright, der sich fast zwanzigtausend Mal in den Finger stach, um einige Tropfen Blut zu gewinnen. Mit sehr viel weniger Blutentnahme gelang dem Wiener Karl Landsteiner die Entdeckung der Blutgruppen. Er entnahm sich selbst sowie fünf weiteren Kollegen Blut und untersuchte die Agglutination. Zunächst fand er die Blutgruppen A, B und O, u.a. weil jeweils zwei seiner kleinen Untersuchungsgruppe, diesen Typ hatten. Etwas später entdeckte er noch eine vierte, die Blutgruppe AB. Für diese Entdeckungen erhielt er den Nobelpreis.
Hierzulande mit am bekanntesten ist sicher der preisgekrönte Selbstversuch von Werner Forßmann. Er führte in einer Mittagspause des Jahres 1929 einen Blasenkatheter in seine li. Armvene ein und schob ihn bis zum re. Herzen weiter vor. Ein Kollege fertigte ein Röntgenbild an, das die Lage des Katheters im rechten Vorhof dokumentierte. Das war eine Sensation! Zunächst allerdings wurde er zu seinem damaligen Chef, Dr. Schneider, zitiert, der ihm eine heftige Standpauke hielt, denn er hatte diesen Selbstversuch rundheraus verboten. Noch schlimmer ging es ihm wenige Monate später als Assistent bei Prof. Sauerbruch. Der schimpfte über die Selbstversuche ( insgesamt waren es 8 Selbstkatheterisierungen (Dilling)) und bezeichnete sie als “Zirkusnummern, die eines Arztes unwürdig seien”. Jahrzehnte später erhielt Forßmann für seine bahnbrechende Arbeit den Nobelpreis für Medizin.

, Die Einnahme unbekannter oder bekannter Substanzen inclusive Gifte haben eine grosse Zahl von Medizinern vollzogen. Teils ging es darum die Wirkung überhaupt zu untersuchen und medizinisch akkurat zu beschreiben etwa beim Digitalis Experiment von
Purkinje. Um 1800 nahm er in Prag , als Student im dritten Ausbildungsjahr, eine sehr hohe Digitalis Dosis oral ein. Bald setzten diverse optische Verzerrungen und schwere Sehstörungen ein. Sein Herzschlag verlangsamte sich und wurde unregelmäßig (AV-Block). All dies beschrieb P. in großer Genauigkeit. Purkinje machte noch viele weitere Experimente, und entdeckte Bahnbrechendes zum Nystagmus, Drehschwindel etc.
Eine lange Tradition hat die experimentelle Aufnahme von Hypnotika, Analgetika und Narkotika. Die Versuche den Schmerz zu bekämpfen sind uralt. Zahllose Selbstversuche wären zu nennen, aus Platzgründen folgt jedoch nur eine kleine Auswahl: 1846 erzeugt der Zahnarzt William Morton eine kurze Analgesie an sich mittels Ätherinhalationen. Kurz darauf führte er die erste schmerzlose Zahnextraktion in Boston aus und wird berühmt als Entdecker der Äthernarkose.1847 entdeckte Prof. James Simpson, nach längeren Selbstexperimenten die auch seine Familie einbezogen, die positive Wirkung von Chloroform. Der gynäkologische Professor der Universität Edinburgh, ermöglichte damit seinen Patientinnen die schmerzfreie Geburt. (Karger-Selbstversuche).1898 experimentierten August Bier, damals noch Oberarzt, zusammen mit einem Assistenten, in Kiel mit Kokain. Nach einer Serie von Selbstversuchen mit Lumbalpunktionen, mit z.T. unerträgliche Kopfschmerzen in den Tagen danach entwickelten sie die Rückenmarksbetäubung mit Kokain. In Wien entwickelte Karl Koller 1884 nach Vorstudien am eigenen Auge die Kokain Lokalanästhesie am Auge (Engelhard Enzyklopädie) . Zahlreiche weitere Kollegen machten Selbstexperimente mit Kokain, nicht wenige davon wurden süchtig, wie z.B. William Halsted. Neben der Analgesie war auch eine gute Relaxation für das Gelingen von Operationen wichtig. 1944 führte Dr. Frederick Prescott, Arzt einer pharmazeutischen Firma in England, einen kontrollierten Selbstversuch mit d-tubocurarin durch. Zwar gelang das Experiment, die muskelrelaxierende Wirkung des Curare konnte überzeugend nachgewiesen werden, aber Prescott selber, der ja über die ganze Zeitdauer bei Bewußtsein blieb, stand Todesängste aus. Er konnte keinen Muskel bewegen, hatte das Gefühl zu ersticken, in seinem Rachen sammelte sich Speichel und er konnte niemanden eine Mitteilung machen (Altmann).
Die Einnahme von bewusstseinsverändernden Substanzen ist wichtig, weil die Schilderung veränderten Erlebens und subjektiver Eindrücke beim Tierexperiment ausscheidet und nur vom Menschen sinnvoll beschrieben wird. So gibt es interessante Selbstversuche für Opium, Pilzextrakte, Cannabis, Heroin, Kokain oder LSD. Teilweise waren es Chemiker wie Hofmann, der Entdecker des LSD, Apotheker wie Friedrich Sertürner, der erstmals Morphium aus dem Opiumsaft gewann. Seitens der Ärzteschaft Ernst Freiherr von Bebra, der um 1850 seine Erfahrungen mit experimentellem Haschisch machte. Der psychiatrische Oberarzt Kurt Beringer, unternahm in den zwanziger Jahren Studien mit Mesakalin an der Universität Heidelberg. Insgesamt nahmen neben Behringer über dreißig Ärzte daran teil. ( Kurt Beringer: Der Mescalinrausch. Seine Geschichte und Erscheinungsweise. Berlin 1927). Der damalige Assistenzarzt Bürger-Prinz, später Hamburg, schreibt: Nachdem mir das Mesaklin injiziert worden war passierte zunächst gar nichts. Also erledigte ich wie jeden Tag noch die Morgenvisite. Wir kamen in den Wachsaal und da setzte die Wirkung schlagartig ein… die uns begleitende Schwester sah plötzlich wie skelettiert aus … die Patienten waren in ihren Betten zu riesigen Würmern angeschwollen, die sich in ihren Betten fortgesetzt spiralig drehten und wanden” (Bürger Prinz. Ein Psychiater berichtet)
Mit Kokain experimentierte Sigmund Freud, um 1884 in Wien. Er beschrieb die Wirkung sehr positiv, vielleicht zu positiv. So schickte er seiner Verlobten Martha Bernays Kokain in einer kleinen Menge Gay- Freud). LSD wurde von zahlreichen Psychiatern eingenommen, einmal um quasi an sich selber psychoseähnliche Symptome zu studieren und im eigenen Bewusstsein Wahrnehmungsverzerrungen sowie Halluzinationen zu erleben. Stanislav Grof gehörte zu den Pionieren aber auch Prof. Günther Hole, der die Tatsache seiner Selbstversuche (Lsd 25 sowie Psylocybin), aber nicht ausdrücklich in seinen Publikationen darstellte. (Hole- persönliche Mitteilung).
Veränderungen physikalischer Umgebungsvariablen haben viele Kollegen untersucht. Experimente in Hitzekammern, Kältekammern, großen Höhen oder Unterdruckkammern haben viel zu unserem Wissen beigetragen. Bahnbrechend waren hier die Arbeiten von John Haldane, Oxford, um 1900. Er ließ sich in luftdichten Kammern einschließen, atmete bis der Sauerstoff fast verbraucht war und eine signifikante Co2 Anreicherung resultierte. Aus seinen Studien ergab sich, dass unsere Atmung primär vom Co2 Gehalt im arteriellen Blut gesteuert wird, ein noch heute gültiges Gesetz. Um die seinerzeit häufigen Grubenunglücke in England aufzuklären, ging Haldane zu gefährlichen Kohlenstoff Monoxid Experimenten über. Manchmal entkam er nur um Haaresbreite der inneren Vergiftung und dem Tod. Für viele Arbeiter lebensrettend war seine Beobachtung, dass kleine Tiere wie Mäuse oder Vögel noch vor den Menschen bewusstlos werden. Daraufhin führten Grubenarbeiter unter Tage Käfige mit kleinen Vögeln herum.
Einige Jahre früher, um 1878, hatte der französische Arzt und Physiologe Paul Bert, zahlreiche Selbstexperimente in der Überdruckkammer gemacht. Er hatte erste noch ungenaue Dekompressionsschemata entworfen, dabei selbst sehr schmerzhafte Phasen der Caissonkrankehit mit durch den freigesetzte gasförmigen Stickstoff erlebt. Manche späteren Forscher wie Haldane, Jr. erlitten lebenslange Schäden durch zu schnelle Dekompression Verletzungen des Rückenmarks.
Um die Auswirkungen großer Beschleunigungen zu testen, führte der Luftfahrt Mediziner John Stapp zahlreiche Selbstversuche auf dem Raketenschlitten durch. Im Dezember 1954 erreichte er dabei immerhin kurzzeitig eine Geschwindigkeit von 632 Milen/stunde Immer wieder ließ er sich mit bis zu 30g beschleunigen, und hart abbremsen. Er erlitt massive retinale Blutungen, beschädigte seinen Gleichgewichtssinn permanent, dazu kamen während der 29 noch diverse Frakturen. Immer wieder perfektionierte er die Sicherheitsgurte und andere Schutzvorrichtungen.
Mit zahlreichen schmerzhaften Selbstversuchen konnte in Kopenhagen Niels Finsen die Heilwirkung von Licht nachweisen. In immer höheren Intensitäten bestrahlte er seine eigene und die Haut ausgewählter Patienten. Es kam mehrfach zu schlimmen Verbrennungen. Schließlich hatte er seine Methode der Kohlenbogenlicht-Behandlung so perfektioniert, dass er Patienten mit Hauttuberkulose, die bis dato von der Gesellschaft fast ausgestoßen waren, heilen konnte. 1903 wurde Finsen der Nobelpreis zugesprochen. (eckart)
Selbstinfektionen von Ärzten dienten über Jahrhunderte dazu, unbekannte Erreger aufzuspüren, die Infektionswege herauszufinden, und auch um die Wirksamkeit von Impfungen zu testen. Aus heutiger Sicht fahrlässig und unintelligent, aber auch wagemutig ist die Selbstinfektion von John Hunter, dem Begründer wissenschaftlichen Chirurgie (Eckart Ärztelexikon). Dieser war damals schon königlicher Chirurg, wollte die Gonorrhoe studieren. Er inokulierte im 39.LJ Eiter eines Patienten an zwei Stellen seines eigenen Penis. Wie erwartet zeigten sich die typischen Symptome der Gonorrhoe nach einer Woche. Was Hunter nicht wusste, sein Patient war auch Träger der Syphilis und auch diese hatte er durch sein Experiment ebenfalls akquiriert. Nach einigen Wochen kam es zum Primäraffekt am Penis. Die damaligen Behandlungen mit Quecksilber halfen nur wenig.
1885 infizierte sich der peruanische Medizinstudent Daniel Carron vorsätzlich an einer endemischen Krankheit, dem Oroya Fieber. Schon bald entwickelte er Fieber, starke Gelenk- Schmerzen, eine progrediente Anämie und Erbrechen. Er starb nach 39 Tagen. Ein Kollege, der ihm bei dem Experiment geholfen hatte, wurde des Mordes angeklagt, die Anklage später fallen gelassen.
1892 wollte der damals 73jährige Geheimrat Prof. Max Pettenkofer, der Begründer des Faches Hygiene, einen wissenschaftlichen Streit klären. Robert Koch hatte kurz zuvor die Choleravibrionen als Ursache der Krankheit nachgewiesen. Pettenkofer hielt dagegen, seine Theorie eines Bodenfaktors, und es ging ihm um seine Reputation. So schluckte er eine mit Choleraerregern hochangereicherte Bouillon. Bis auf einen leichten Durchfall passierte ihm nichts, und auch nicht den Menschen in der Umgebung. Da P. keine speziellen Vorsichtsmaßnahmen durchführte, hätte er über seine Ausscheidung leicht zu einer Epidemie in München auslösen können!
In den USA am bekanntesten ist die Infektion mit Gelbfieber, die Walter Reed und sein Ärzteteam in Cuba um 1900 durchführten. Durch eine Reihe klug organisierter Experimente konnten sie beweisen, dass nicht die Ausscheidungen der Erkrankten, sondern der Stich eines Moskito Stegomyia fasciatus , den Erreger verbreitete. Dies rettete tausenden Menschen das Leben. Allerdings starb bei den Experimenten der Arzt Dr. Jesse Lazear. W. Reed selber hatte keinen Selbstversuch durchgeführt, erhielt aber später fast sämtliche akademische Ehrungen. So ungerecht kann es in der Forschung eben zugehen.

Tabelle I Selbstversuche von Ärzten
FORMEN DER SELBSTVERSUCHE VON ÄRZTEN

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A) Selbstinfektion / Selbstinjektion
Arzt Ort Ziel des Versuches Ausgang
Aufklärung über:
1767 John Hunter London Gonnorhoe und Syphilis massive Infektion
Königl. Chirurg
1821 Enoch Hale Boston Verträglichkeit einer i.v. positiv Arzt Injektion beim Menschen
1885 Daniel Carrion, Peru d. Oroya Fieber tödlich
Medizinstudent
1892 Max Pettenkofer München Cholera Infektion
Med. Professor
1899 A. Wright Netley Brucellosis Infektion schwere
Armeearzt zur Impfstoff Testung Infektion
1900 Lazear, Carroll Cuba Gelbfieber Infektion teils
(Reed) tödlich
1944 C. Barlow Ägypten Bilharziose Verlauf schwere
dokumentieren Bilharziose
1974 David Clyde Baltimore Malaria Impfung schwere
Malaria Inf.
1977 Jean Borel Basel Cyclosporin- Aufnahme gute orale
Firma Sandoz Resorption
1986 Daniel Zagury Paris AIDS Impfstoff Impfung
ohne Komplikat.

B) Untersuchung des eigenen Körpers / eigener Körperbestandteile
Arzt Ort Ziel des Versuches Ausgang
Aufklärung über:
1900 K. Landsteiner Wien Arten von Blutgruppen positiv
………..
1929 W. Forssmann Eberswalde Herzkatheter positiv
Assistenzarzt
1981 Jack Goldstein New York sichere Transfusion von positiv
Blutbank NY chemisch veränderten Blutkörperchen

C) Untersuchung der Wirkung von Narkosemitteln / Analgetika
Arzt Ort Ziel des Versuches Ausgang
Aufklärung über:
1846 W. Morton Boston d. Äthers positiv
Zahnarzt
1847 J. Simpson Edinburgh d. Chloroforms positiv
Gynäkologe
1859 P. Mantegazza Italien d. Kokains positiv
Neurologe
1883 S. Freud Wien d. Kokains positiv
Assistenzarzt
18.. K. Koller Wien Kokainanwendung im Auge positiv
…….
18.. W. Halsted New York Kokainleitungsanästhesie gemischt
Chirurg wurde abhängig
1944 F. Prescott London d. Curare gemischt
Arzt, Forscher fast erstickt

D) Untersuchung der Wirkung von Rauschmitteln / Psychedelika
Arzt Ort Ziel des Versuches Ausgang
Aufklärung über:
E) Sonstige
Arzt Ort Ziel des Versuches Ausgang
Aufklärung über
… E. Purkinje Prag Überdosierung von Digitalis positiv
Med. Student
… P. Touéry Paris Adsorptivkohle + 1 gr Strychnin überlebt;
Chemiker
1945?? E. Jacobsen Kopenhagen Wirkung von Disulfiram +C2 gemischt
fast tödlich
III Lauter Helden und keine Egoisten?
Motive des ärztlichen Selbstversuchs

Gemeinhin bewertet man den ärztliche Selbstversuch als Ausdruck hoher ethischer Gesinnung und unterstellt nur die edelsten Motive: das Wohl der Menschheit, die Verringerung des Leides der Patienten etc.(Heroische Med) Bei genauerem Hinsehen entdeckt man jedoch auch weniger “heroische” Motive. Recht häufig geht es um wissenschaftliche Neugier und erheblichen Ehrgeiz, darum sich einen Namen zu machen, seine eigene Theorie zu beweisen, eine Habilitation durchzuführen etc. Manchmal möchte ein Forschungsteam schneller sein als konkurrierende Wissenschaftler wie z.B. bei Walter Reed, der seine Gelbfieberforschung zeitgleich mit englischen Forschern vorantrieb. Nicht selten um einen Erstlingsanspruch und Ruhm wie bei Dr. Morton, dem Entdecker der Äthernarkose. Das Motiv “finanzielle Unabhängigkeit”, die ihm eine Heirat ermöglichen sollte, bestand bei den Kokainexperimenten von Sigmund Freud. Oft geht es auch darum die Gültigkeit einer Idee zu beweisen, um den eigenen Triumph und die Überwindung der Kränkung, wenn das medizinische Establishment einer neuen Theorie skeptisch gegenübersteht. Dies erlebten in neuerer Zeit Marshall&Warren. Nur mit extremer Hartnäckigkeit und einem Selbstversuch gelang es “das festgefahrene Dogma, gastroduodenale Ulzera seien eine Folge von Streß, Rauchen und ungesunder Lebensführung, ins Wanken zu bringen” (Ärztezeitung). Sie erhielten 2005 schließlich den Medizin-Nobelpreis. (Leiß, Ärztebl).
Manchmal ist der Selbstversuch sozusagen auch “das Normale und Erwartete”, zum Beispiel für Homöopathen. Bereits 1790 hatte S. Hahnemann seinen klassischen Selbstversuch mit Chinarinde durchgeführt: “Ich nahm des Versuchs halber etliche Tage zweimahl täglich jedesmahl 4 Quentchen gute China ein; die Füße, die Fingerspitzen usw. wurden mir erst kalt, ich ward matt und schläfrig, dann fing mir das Herz an zu klopfen, mein Puls ward hart und geschwind; eine unleidliche Ängstlichkeit, ein Zittern (aber ohne Schauder), eine Abgeschlagenheit durch alle Glieder; dann ein Klopfen im Kopf, Röthe der Wangen, Durst…” (Ärztezeitung) Bis heute stellt in der Homöopathie die Arzneimittelprüfung per Selbstversuch den Regelfall dar und viele Homöopathen beteiligen sich daran (Hahnemann).
Im Bereich der Forschung mit bewusstseinsverändernden Stoffen, ging es primär um die Aufklärung über Fragen des Bewußtseins, Psychosen etc. Für manchen Forscher spielte aber auch die Suche nach Erlebnissen der Bewußtseins Erweiterung motivationell durchaus mit(Grof, Die Welt der Psyche).
Unübersichtlich wird es, wenn nachgeordnete Assistenzärzte zu einem Selbstversuch eingeladen werden- wissenschaftliches Interesse und Karrieresicherung überschneiden sich hier erheblich. Der Nationale Forschungsrat Kanadas hatte deswegen Forschungsvorhaben abgelehnt, aus der konkreten Befürchtungen, ältere akademische Ärzte würden jüngere Kollegen zu solchen Selbstexperimenten nötigen (Altman). Noch fragwürdiger wird es, wenn Ärzte einer Pharmafirma immer wieder an Selbstversuchen teilnehmen (sollen): Bei der Firma Medicinalco in Dänemark gab es eine ganze Gruppe, sie wurden das Todes Batallion genannt. Als hier 1947 die Entdeckung des Disulfirams (Antabus) gelang, führten mehrere Ärzte der Gruppe um Dr.Jacobsen Selbstversuche durch, indem sie unter laufender Disulfiram Einnahme Alkohol tranken. Diese Versuche waren nicht ungefährlich. Finanzielle Abhängigkeit, Angst um sowie Sicherung des Arbeitsplatzes sind hier vermischt mit anderen Motiven.
Analysiert man die Motive von Kollegen, die sich immer wieder über Jahre schmerzlichen und gefährlichen Selbstversuchen unterzogen, Haldane, Stapp u.a. so sind neben masochistischen auch latent suizidale Motivanteile erkennbar. Als ob durch das Aufs Spiel Setzen des eigenen Lebens, durch das Zurückkehren aus der Todeszone eine Bestätigung des eigenen Lebenswillens erfolgt und nötig ist. Noch offener erscheint das Suizidmotiv bei dem Münchener Hygieniker Prof. Pettenkofer, der seinen Choleraversuch angeblich so begründete: “Man muß den Versuch an einem wertlosen Körper durchführen (Karger-Decker)” und sich einige Jahre später tatsächlich erschoß.
IV Selbstversuche und die Arztfamilie

Arztangehörige haben immer schon Ängste aushalten müssen, ob sich der Arzt im Dienst gefährdet, ansteckt, verletzt oder zu Tode kommt. Und selbstverständlich betreffen Selbstversuche von Ärzten direkt oder indirekt die ganze Familie. Umso erstaunlicher ist, wie wenig Hinweise es gibt, dass Angehörige in die Entscheidung zu einem Selbstversuch mit einbezogen wurden. Alle Ärzte im Team von Walter Reed hatten Angehörige, einige auch Kinder. So hinterließ Dr. Lazear, der an dem Gelbfieberexperiment starb ein Frau und zwei kleine Kinder. Was haben diese von seiner Entscheidung gehalten?
Justinus Kerner heiratete 1813 und führte 4 J später seinen Selbstversuch mit vergifteter Wurst durch. Nach vorbereitenden Tierexperimenten wollte Kerner an sich selbst die Vergiftungserscheinungen ausprobieren. In der Tat gelang ihm die Erstbeschreibung der Botlinusvergiftung, wie leicht hätte er am hochgiftigen Botulinustoxin versterben können.
Noch bedenklicher erscheint es, dass Ärzte ihre eigenen Familienangehörigen mit in den Selbstversuch einbanden. So führte Simpson, die Experimente mit Chloroform in seinem Haus in Edinburg an sich und seinen Angehörigen durch. Haldane nahm seinen Sohn zu vielen Experimenten hinzu, Dr. Jonas Salk, der 1955 die Polio Impfung in den USA einführte, testete die Ungefährlichkeit erst an sich, dann an seiner Frau und schließlich an den beiden kleinen Söhnen. Freud experimentierte nicht nur selbst mit Kokain sondern gab es auch seiner Verlobten. Niels Finsen, Kopenhagen, führte die ersten Lichtexperimente an sich und auch an seiner Frau durch. Er bekam für die Entwicklung der Licht-Behandlung1903 den Nobelpreis für Medizin. Nicht bekannt ist ob J. Hunter, der sich mit Gonorrhoe und Syphilis infiziert hatte, seiner späteren Frau vor der Hochzeit eine entsprechende Mitteilung machte.
Natürlich gibt es auch andere Beispiele. So unterließ W. Forßmann nachdem er mehrfach die Herzkatheterisierung an sich vorgenommen hatte, nach der Heirat auf energische Vorhaltungen seiner Frau Else, die ebenfalls Ärztin war, weitere Selbstversuche. (Forßmann Selbstversuch)


V Ärztegesundheit und Selbstversuche von Medizinern

Zunächst sind Selbstversuche quasi die Antithese zur Ärztegesundheit, wird doch je nach Versuchsaufbau die ärztliche Gesundheit gefährdet, manchmal gestört, nicht selten zerstört.
Immerhin bestehen erhebliche Unterschiede: Manche Kollegen nahmen ohne Wissen anderer Substanzen ein, andere befolgten ein ausgeklügeltes wissenschaftliches Experimentierschema, hatten multiple Vorsorge getroffen, sich zumindest bestmöglichst abgesichert. Ausmaß und Intensität des Selbstschutzes sind für mich auch Prüfstein von Verantwortung des Arztes für die eigene Gesundheit. Beeindruckend ist hier der Fliegerarzt Dr. Stapp- er experimentierte u.a. nie am Freitag, weil er wusste, am Freitag denken Mitarbeiter schon ans Wochenende, sind evtl. nicht ganz bei der Sache; er bereitete alles genauestens vor, am Raketenstuhl stand immer ein Rettungswagen. Ärzte sollten bei Selbstversuchen also die gleiche Vorsicht walten lassen, wie bei Tests mit anderen Probanden- der Versuch sollte durchgesprochen und möglichst der Ethik-Kommission vorgelegt sein, er sollte Sinn machen ( d.h. das Ergebnis für die Medizin in vernünftigem Verhältnis zum eingegangenen Risiko stehen); es sollten immer Kollegen eingeweiht sein und Hilfen vorbereitet. Während und nach den Experimenten sollte man nie ohne Überwachung stehen. Selbst geübte Experimentatoren wie McCane, der ein Leben lang Selbstversuche durchführte, haben diese Regel gelegentlich missachtet und sind fast gestorben u.a. als er sich Strontium i.v. verabreichte und es zu einem ernsten Zwischenfall kam.

VI Fazit

Durch Selbstversuche von Ärzten sind in beinahe allen Bereichen der Medizin bedeutende Durchbrüche und Erkenntnisse erzielt worden. Viele hundert Ärzte und Ärztinnen haben dadurch zum Fortschritt der Medizin und zur Rettung von Leben beigetragen – zu unser aller Wohl. Sie verdienen Anerkennung und Wertschätzung für diesen Einsatz. Zugleich aber sollten heute vor dem ärztlichen Selbstversuch kritische Überprüfung der Fragestellung, der Methodik, der zugrunde liegenden Motivation (Selbstüberschätzung?, bloßer Ehrgeiz?)eine Risikoabwägung und pingelige Vorbereitung sowie Durchführung des Versuchs erfolgen. In jedem Falle sollte ein Selbstschutz sowie eine Begleitung durch Kollegen sicher gestellt sein.
Vergessen Sie nicht Kollege / Kollegin: Jedes Leben zählt, auch das Ihre!

 

Film zum Thema:
Flatliners- Heute ist ein schöner Tag
zum sterben. USA 1990

Literatur zu Selbstversuche bei Ärzten:

1. Altman, Lawrence (1998) Who goes first?
Univ. of CA Press, Berkeley
2. Beringer, Kurt (1927) Der Mescalinrausch.
Berlin
3. Bürger-Prinz, Hans (1971) Ein Psychiater berichtet.
Hoffman&Campe, Hamburg
4. Eckart W. (2001) Ärztelexikon
5. Engelhardt, Dietrich (2002) Biografische
Enzyklopädie deutschsprachiger Mediziner
Saur Verlag, München
6. Gay, Peter (1989) Freud- eine Biografie
Fischer Verlag Frankfurt
7. Karger-Decker, Bernt (1981) Ärzte im Selbstversuch
Kohler&Amelang, Leipzig
8. Mäulen, B.: Docktor Courage
Münchener Medizinische Wochenschrift, 145, Nr. 10 (2003) 8
9. Schott Heinz (2005) Ärztlicher Selbstversuch-Meskalinrausch
Dt. Ärzteblatt 38, A2564
10. Schott, Heinz (ohne Jahr) Selbstbeobachtung, Selbstversuch-
Selbsttherapie aus http://www.der-kranke-arzt.de/schott.htm.