Ärzte und Besitz – wieviel ist genug ?

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Ärzte und Besitz – wieviel ist genug ? (Leseprobe u. Rezension) Ressel, Hildegard: Was ich wirklich brauche.
Scherz Verlag, Bern,
München, Wien, Neunte Auflage 1999 .
Die Bilanz
Manuel hatte es geschafft. Er hatte sich vor einige Jahren in eine hochspezialisierte Praxis eingekauft und konnte mittlerweile ansehnliche Erfolge vorweisen. Im Rausch der ersten erfolgreichen Jahre hatte er sich mit allen luxuriösen Attributen ausgestattet, von denen er in seiner Jugend geträumt hatte: Er fuhr einen schnellen, teuren Sportwagen, besaß ein eigenes Haus, konnte seiner Frau und seiner Tochte eine angenehmes Leben bieten, jeden seiner Wünsche ohne Verzögerung erfüllen und brauchte sich zumindest in materieller Hinsicht keine Sorgen mehr um seine Zukunft zu machen.
Merkwürdigerweise empfand er in letzter Zeit nur noch Stolz auf seine Leistung, wenn er sie anderen vorführen konnte. Nicht daß er es bereut hätte, daß er sich von seinem Vater zum Medizinstudium hatte überreden lassen, obwohl er lieber Geschichte oder Philosophie studiert hätte, nicht daß er nicht das hohe Ansehen und Einkommen geschätzt hätte, aber, mit sich selbst allein gelassen, quälten ihn zunehmend Zweifel an seinem Weg. Was nützten ihm das schönste Haus, seine Geschichtsbücher, seine Tennisausrüstung, wenn er 14 Stunden pro Tag, sechs Tage die Woche arbeiten mußte. Er verlor immer mehr den Kontakt zu seiner Familie und zu seinen Freunden, und seine knappe Freizeit wurde zunehmend von der Pflege und Verwaltung seines Vermögens aufgesogen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt einfach dagesessen und ein Buch gelesen oder auch nur einen Sonnenuntergang beobachtet hätte. Meistens war er sich weder der Tages- noch der Jahreszeit bewußt.
Er veruschte sich damit zu trösten, daß er höchstens noch zehn Jahre arbeiten müsse, aber auch dieser Gedanke stimmte ihn nicht fröhlicher. War dann nicht, mit Mitte Fünzig, womöglich die wichtigste Zeit seines Lebens vorbei, seine Tochter aus dem Haus, seine Jugendlichkeit und vielleicht sogar seine Gesundheit dahin?
In dieser Stimmung fuhr er zu einem Klassentreffen, mit dem das 25jährige Schulabschluß- Jubiläum gefeiert werden sollte. Nach dem ersten großen Hallo, bei dem jeder den anderen mit Erzählungen und Fotografien zu übertreffen suchte, stellte er fest, daß die meisten seiner ehemaligen Klassenkameraden ihren Tribut an unsere Leistungs- und Konsumgesellschaft bezahlt hatten. Obwohl es vielen anscheinend gelungen war, ihre ursprünglichen Pläne mehr oder weniger zu realisieren, erschien ihr Leben nicht in erster Linie erfüllter, sondern komplizierter geworden zu sein.
Ob seiner glänzenden Karriere bewundert, antwortete er schließlich zu seiner eigenen Überraschung: ”Wißt ihr, wenn ich ganz ehrlich bin, fühle ich mich eigentlich wie ein Hamster im Laufrad. Mein Vorrat wird zwar immer größer, aber ich muß immer schneller laufen, um alles zu erhalten. Ich frage mich langsam,ob es das wert ist und wozu ich mich so anstrenge? Ob der Preis dafür, daß ich lauter Dinge anschaffen kann, die ich nicht wirklich brauche, nicht viel zu hoch ist. Genaugenommen belastet mich mein Lebensstil mehr, als er mich erfreut. Heute denke ich, daß mir persönlich ein einfacheres Leben eher entsprochen hätte. Aber hat man wirklich eine Wahl?”

soweit die Leseprobe aus:
 Ressel, Hildegard: Was ich wirklich brauche.