Traumatische Erfahrungen: Schweigen oder sprechen?

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Einführung

Gewalt gegen Menschen hinterläßt häufig nicht nur körperliche, sondern auch seelische Spuren. Diese Spuren werden unter dem Begriff Psychotrauma zusammengefaßt. Im Trauma sind Menschen in ihrer psychischen Integrität gefährdet. Es führt zu massivem negativem Stress (Kleber, 1992), unerträglichen Gefühlen und verändertem Verhalten, d. h. zu biologischen, psychologischen und sozialen Folgen. Solche Erfahrungen können aber Menschen auch weiser werden lassen und unerhörte Solidarität auf die Bühne rufen (Perren-Klingler, 1995). Sehr häufig werden bei traumatischen Erfahrungen Menschenrechte verletzt: Sei es, dass durch kriminelle Einzelne, Staaten (Folter, Krieg und Verfolgung), oder in Familien Individuen oder Gruppen angegriffen werden, sei es, dass nach Katastrophen die Hilfe nicht den Opfern zukommt (Teter, 1995) oder durch verantwortliche staatliche Strukturen nicht geleistet werden kann, in jedem Fall sind Recht auf Unversehrtheit, aber vernachlässigt.

Menschliche Reaktionen auf traumatischen Stress

Ein Trauma ist eine Erfahrung außerhalb der Norm, bei welcher die eigene physische und/oder psychische Integrität bedroht ist oder bei welcher man Zeuge von Bedrohung anderer Menschen wird (amerikanische Definition, APA, 1987).

Typ I Trauma (Terr, 1990) sind einmalige, unvorhergesehene traumatische Erfahrungen, die einen klaren Anfang und ein klares Ende haben. Unfälle jeglicher Art, kriminelle Aggressionen gewisse Naturkatastrophen gehören darunter.

Typ II Trauma nennt man traumatische Erfahrungen, die sich wiederholen, voraussehbar werden und trotzdem nicht verhindert werden können. In diese Gruppe gehören sexueller Mißbrauch (Madanes, 1990), familiäre Gewalt und Sekundärtraumatisierung, d. h. Traumatisierung von Helfern (Figley, 1995).

Die akute Stress Reaktion (Selye, 1980, Cannon, 1932) ermöglicht es Opfern zu überleben und Helfern zu funktionieren und ist in traumatischen Situationen absolut normal und natürlich. Sie findet während der traumatischen Exposition, d. h. während des Geschehens statt: Der Mensch reagiert transkulturell überall fast gleich (Perren-Klingler, 1998), mit einer spezifischen Stress Reaktion. Sie tritt automatisch ein, bevor man bewußt die Bedrohung wahrgenommen hat. Diese un- oder vorbewusste Wahrnehmung wird von der Hirnrinde an das Mittelhirn und die Hypophyse weitergegeben, welche wiederum die Nebennierenrinde mobilisiert. Plötzlich werden verschiedene Körpersubstanzen in erhöhtem Masse produziert: Von der Nebennierenrinde werden die Stress Hormone Adrenalin und Noradrenalin, im Hirn selbst Serotonine und Endorphine ausgeschüttet. Sie beeinflussen das Funktionieren des Menschen:

A: Auf körperlicher Ebene :

wird die quergestreifte und glatte Muskulatur und die Schmerzwahrnehmung beeinflußt:

  • Atmung und Kraft in den willentlichen Muskeln werden erhöht (Kampf/ Flucht)
  • Herzfrequenz und Blutdruck steigen
  • Darmmotilität und Oberflächen- und Tiefensensibilität nehmen ab, und es tritt eine teilweise Gefühllosigkeit ein

B: Auf psychischer Ebene:

wird die Aufmerksamkeit fokussiert,

  • entweder nach Außen im sog. Monitoring (man konzentriert seine Wahrnehmung auf alles, was nötig sein könnte, um zu funktionieren oder zu überleben, Miller, 1980)
  • oder nach Innen im sog. Blunting (Abstumpfen, man zieht sich in sich selbst zurück und meint, sicher zu sein, von außen nicht mehr angreifbar)

wird die Emotionalität „dissoziiert“ (man steht wie neben sich selber und spürt weder Angst noch Horror oder irgendwelche andern Emotionen, Janet, 1889). Akute traumatische Reaktion (acute Stress disorder, DSM IV, bei Helfern: „acute compassion reaction“) Nach Abklingen der akuten Gefahr kehrt nun kaum ein Mensch wieder zum normalen Erregungsniveau zurück, sondern er funktioniert noch während einiger Zeit, als ob der traumatische Stress weiter ginge.

  • Die körperliche Übererregung geht weiter, in Form von Hyperaktivität, Aggressivität, Hypervigilanz und Schreckreaktionen, Schlafstörungen usw.
  • Die Fokussierung der Aufmerksamkeit wird abgelöst durch „fokussierte “Erinnerungen, in Form von wiederkehrenden, eindringenden Erinnerungen, tags als Flash Backs, nachts als Alpträume und bei Kindern im traumatischen Spiel.
  • Die Gefühllosigkeit von Körper und Seele geht weiter in innerem (emotionalem) und äußerem Vermeidungsverhalten, das bis hinzu Phobien gehen kann.

Alle diese Anteile der akuten traumatischen Reaktion sind normal und natürlich, solange sie mit der Zeit langsam abklingen, es sind normale Reaktionen auf abnormale Ereignisse (Keilsson1970).

Posttraumatische Belastungsstörung (DSM III R, bei Helfern „compassion Fatigue“, Figley, 1995)

Sie entsteht bei einem gewissen Prozentsatz von Primär- und Sekundäropfern, ist phänomenologisch gleich wie die oben genannte akute traumatische Reaktion, mit dem Unterschied, dass die Symtome sich jetzt immer stärker fixieren ist und immer weniger von selbst verschwinden. Nicht nur diese Reaktionen, die auf eine traumatische Erfahrung folgen, werden in verschiedenen Kulturen verschieden interpretiert, sondern auch die Wahrnehmung, welche Ereignisse als bedrohlich- und damit potentiell traumatisierend- bezeichnet werden. Doch nach für die jeweilige Kultur bedrohlichen Erfahrungen finden sich immer wieder ähnliche Reaktionen wie oben beschrieben und treten ähnliche Bedürfnisse auf. Neben diesen spezifischen Reaktionen auf Trauma gibt es auch unspezifische Reaktionen (Mollica, 1990): Verlust von Urvertrauen (Erikson, 1950), Selbstkohärenz (Antonovsky, 1988), oder „shattered assumptions“ (Horoviz, 1976), Verlusterlebnisse mit Trauer und Depression, oder auch psychosomatische Reaktionen (van der Kolk, 1996), wo nur noch der Körper sich „erinnert“ ohne dass mental Erinnerungen vorhanden wären.

Umgang mit traumatischen Erfahrungen

 

  • Auf der somatischen Ebene gibt es eine wohl genetisch bedingte persönliche Widerstandsfähigkeit. Sie ist wesentlich bei der automatischen Stress Reaktion und wird auch den ganzen weiteren Verlauf der Reaktionen beeinflussen. Daneben spielt aber auch das
  • „Coping“, d. h. die psychologische Bewältigungsfähigkeit bei der Aufrechterhaltung oder Wiedererlangung von Gesundheit eine wesentliche Rolle. Coping findet auf kognitiver, emotionaler und verhaltensmässiger Ebene statt und ist teilweise kulturgebunden. Verschiedene Anteile des Coping seien hier aufgeführt:
  • Konfrontatives versus vermeidendes Umgehen mit dem Geschehenen: Die im Trauma entstehende fast unauflösliche chaotische Vermischung von Kognition und Emotion muss durch konfrontative „Aufarbeitung“ der Geschehnisse auf kognitiver Ebene geordnet werden. Erst dann können die Emotionen ertragen und aufgearbeitet werden. Man kann aber auch mit allen Mitteln versuchen, sich nicht mit der Erfahrung auseinanderzusetzen und jegliche negative damit verbundene Emotion abzuwehren (zu dissoziieren) und äußere Situationen, die daran erinnern könnten, zu vermeiden. Diese Haltung schränkt immer mehr ein, sowohl im inneren, emotionalen, wie auch im sozialen Leben.
  • Die Vorbereitetheit auf das Ereignis gehört auch zur Konfrontativität, sie ist weiter eine nützliche Voraussetzung, weil dann der Überraschungseffekt weniger groß wird (Basoglu, 1995).
  • Zuordnung des Locus of Control (Lazarus, 1974) nach Innen oder Außen: In der Interpretation und damit auch der Sinngebung von Geschehen ist das Konzept wichtig, wieviel Betroffene dazu beitragen und kontrollieren können. In Kulturen, in denen für uns magische Vorstellungen eine Rolle spielen, wird der Locus of control eher außen wahr genommen, während in individualisierten Kulturen die Autonomie und Verantwortlichkeit des Individuums zentral sind.
  • Das Gefühl der Selbstkohärenz, das erlaubt die eigene Identität auch durch traumatische Erfahrungen hindurch zu retten, beeinflußt die Zuordnung des Locus of Control.
  • Gesellschaftliche Reaktionen sind wesentlich, im Sinne von gegenseitiger Unterstützung, Hilfe und Solidarität oder eben das Verweigern Unterstützung mit Verschweigen, Bagatellisieren oder sogar das Opfer für das Geschehene verantwortlich machen. Zusätzlich sind sie wichtig bei Anklage, Verurteilung, Wiedergutmachung und Versöhnung zwischen Tätern und Opfern, besonders wenn es sich um Gewalt in einem bestimmten politischen Kontext handelt (Straker, 1995).

Kurz nach der traumatischen Erfahrung haben die meisten Opfer das Bedürfnis darüber zu reden (Becerra, 1995, Pennebaker, 1997). Doch viele Mitmenschen halten die Erzählungen nicht aus und deuten dies durch verbale oder averbale Mitteilungen an (Elie Wiesel, Jorge Semprun). Dann verstummen die Opfer, um lange Zeit nicht mehr zu reden. Dies ist bekannt vom Holocaust, neuer auch von Bosniern, die als Flüchtlinge nach Mitteleuropa gekommen sind (Perren-Klingler, 1998). Die akute traumatische Reaktion und die posttraumatische Belastungsstörung werden in unseren Breitengraden sowohl von den Betroffenen selbst, wie auch von der Umgebung als „Verrücktheit“ wahrgenommen. Wenn jemand plötzlich von traumatischen Erinnerungen eingeholt wird und sich benimmt, wie wenn er wieder in einer seit einiger Zeit vergangenen Situation wäre, wird das von allen als verrückt erlebt. Wenn jemand durch die Dissoziation geistesabwesend und unkonzentriert, emotional flach ist und gewisse Situationen vermeidet, wird auch dies als verrückt bezeichnet. Betroffene versuchen dann, das Ganze zu verheimlichen und bleiben mit ihren Ängsten und Erinnerungen allein. Häufig denken sie dann, dass sie neben der Zeichnung durch das schwere traumatische Erlebnis nun auch noch ihre psychische Gesundheit verloren haben. In den Kambodschanischen Flüchtlingslagern Thailands wurden die gleichen Symptome als von den Ahnen geschickte Zeichen interpretiert: Die Ahnen waren böse über das Verlassen von Haus und Herd und das Aufhören der Ahnenopfer am Hausaltar. Erst eine Zusammenarbeit von Psychiatern mit Buddhistischen Mönchen erlaubten, eine Lösung für die Beruhigung der Symptome zu finden – andere Riten für die Ahnen, und dann eventuelle psychosoziale Interventionen (Mollica,1990)

1. Interventionsmöglichkeiten: während der traumatischen Exposition

Sowohl Opfer wie Helfer können schon während der traumatischen Exposition Hilfe gebrauchen. Kurze Kriseninterventionen, sei es durch Samariter oder Geistliche sind wohl die sinnvollsten Aktivitäten. Präsenz, ein warmes Getränk oder ein tröstendes Wort können hier wesentlich sein, um die Verlassenheit des Opfers zu dämpfen. Sobald eine Hilfsaktion längere Zeit dauert, wird es wichtig, Opfer und Helfer nicht nur auf der technischen Ebene zu unterstützen. Da die Helfer meistens durch die weiter oben erwähnte körperliche Anästhesie nicht spüren, wann sie Hunger oder Durst haben, dass es kalt oder heiß ist, muss die Einsatzleitung für die Erfüllung primärer Körperbedürfnisse von Helfern vorgesehen haben. Es ist Aufgabe der Einsatzleitung, während des Einsatzes eine genügende Versorgung mit Flüssigkeit und leicht verdaulicher Nahrung zu ermöglichen und besorgt zu sein, dass die Helfer dies benützen. Arbeitszeiten müssen rigoros eingehalten werden, und bei schweren Einsätzen, wie z. B. Bergungen nach Erdbeben oder Bombenattentaten, muss die aktuelle Zeit, in der körperlich und psychisch schwierige Arbeit geleistet wird, angepaßt werden.

Am Ende der Schicht sollte jede Gruppe vom Einsatzleiter zu einem Defusing zusammengenommen werden, in welchem das Getane kurz besprochen (eventuell mit dem ablösenden Team) und die psychische Befindlichkeit jedes Einzelnen kurz angesprochen wird. Hier sollte auch Unterstützung gegeben werden, wenn ein Teammitglied aus irgend einem Grund von Emotionen überwältigt wird. Es sollte auch klar sein, dass es jedem Mitglied zusteht, seine Grenzen mitzuteilen und auch einmal einen Tag nicht zur Arbeit erscheinen zu müssen. Alle diese Massnahmen tragen dazu bei, dass Helfer die minimale Sicherheit erhalten, die sie benötigen, um in schwierigen und länger dauernden Einsätzen optimal zu funktionieren und so wenig wie möglich traumatisiert daraus hervorzugehen. Schon in dieser Phase muss also Prävention betrieben werden. Dass auch Einsatzleiter Menschen sind und genau gleiche Bedürfnisse haben, sollte nicht vergessen und ihre Ablösung bei der Katastrophenplanung vorbereitet werden. Auch Einsatzleiter werden müde und funktionieren besser, wenn diese Leitlinien eingehalten werden.

2. Interventionsmöglichkeiten für die akute traumatische Reaktion

In dieser Phase der normalen und natürlichen Reaktion können keine therapeutischen Interventionen geplant oder angebracht werden, da man Gesundheit nicht behandeln sollte. Hingegen kann man sekundär präventiv die Fixierung dieser Reaktionen zu vermeiden helfen. Opfer haben in dieser Phase fast immer das Bedürfnis über das Erlebte zu reden. Doch können sie dies nur tun, wenn es ein Gegenüber gibt, welches bereit ist zuzuhören. Heilsames Reden hilft, das Erlebte zu ordnen in einer Geschichte, es durch Sprache mitteilen zu können an andere Menschen und so Solidarität, Trost und Unterstützung zu erhalten. Man weiss aus Untersuchungen, (Pennebaker, 1995) dass mit fortschreitender Beruhigung eines Traumatisierten auch seine Sprache sich mehr strukturiert und geordneter wird. Logischerweise sollte also auch Strukturierung der Sprache durch Mitteilen zu Beruhigung und Integration des Erlebten führen (Meichenbaum, 1993). Ein chilenischer Gewerkschaftskämpfer beschreibt genau diesen Vorgang in seinem Bericht, wie er und seine Genossen nach der Folter miteinander umgegangen sind (Becerra, 1995). Sprechen in dieser Phase verhindert das pathogene Schweigen, das leider nur zu gut aus dem zweiten Weltkrieg, sowohl von den Holocaust Opfern (Klein,1974), wie auch den Deutschen Zivilisten bekannt ist und auch die nächste Generation kontaminieren kann. Psychologisches Debriefing (für Einzelne oder für Gruppen) ist eine strukturierte Intervention, die in dieser Phase hilfreich sein kann (Perren-Klingler, 2000). Wie alle Präventivmaßnahmen kann auch das Debriefing keine Wunder wirken: Es wird nie bei allen Traumaexponierten eine Verschlimmerung der Reaktion verhindern können, genauso, wie auch trotzdem eine Prägung durch den erfahrenen Schrecken ihre Spuren in den Persönlichkeiten hinterläßt. Im besten Fall hilft das Debriefing bei einer reizlosen Vernarbung der traumatischen Spuren. Es muss selbstverständlich in einem systemisch vernetzten Rahmen geschehen, Sicherheit der Primär- oder Sekundäropfer ist eine wesentliche Voraussetzung.

Interventionsmöglichkeiten für PTBS: Professionelle psychotherapeutisch Geschulte

Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sollte (mindestens in unseren Breiten) therapeutisch angegangen werden, da sie eine Störung ist, und meistens ohne Behandlung die Rückkehr zur Norm nicht mehr erlaubt. Das hat schwerwiegende Folgen für die Person selber und für ihre Umgebung, bis hin zu Invalidisierung. Bei Menschen mit einer PTBS ist es wichtig, klar das Ziel der Intervention zu formulieren: Die Überwindung der traumatischen Trias, Übererregung, rekurrente intrusive Erinnerungen und Dissoziation. Neben hypnotischen, kognitivbehavioralen Techniken (Perren-Klingler, 1998) kann hier die Anwendung von EMDR (Eye Movement Desensitization Reprocessing, Shapiro, 1995), TFT (Thought Field Therapy, Callaghan, 1990) oder andern „Power Techniken“ indiziert sein. Ebenso können medikamentöse Interventionen den Prozess unterstützen (Baettig +Velardi, 1998). Immer aber muss daran gedacht werden, dass auch die beste Technik nichts nützt, wenn sie nicht in einem therapeutischen Rahmen geschieht, in welchem Menschen zur Verfügung stehen, zuhören und instruieren. Besonders bei Trauma, das ja durch Defizite in einer Gesellschaft, die nicht hat genügend schützen können (eine der Aufgaben eines demokratischen Staates), bedingt ist, ist es wesentlich die psychosozialen Aspekte zu berücksichtigen. Ressourcenorientierung (Antonovsky, 1979 , Haley, 1973, Perren-Klingler, 1998) ist ebenfalls zentral. Wer diesen therapeutischen Optimismus nicht aufbringen kann vor lauter Betroffenheit, darf nicht mit Traumatisierten arbeiten. Technisch sollten Therapeuten speziell für Kurzzeit-Therapien mit Traumatisierten geschult sein. Nicht jede Technik hilft effizient bei der Überwindung von Flash Backs und andern rekurrenten Erinnerungen. Zur Zeit wird an Europäisch allgemein anerkannten Ausbildungsrichtlinien für Intervenierende bei traumatischen Ereignissen gearbeitet. Was sollten Laienhelfer wissen und können, was psychologisch Geschulte und was für Traumabehandlungen speziell Ausgebildtete?

Grundlagen von Interventionen bei Opfern traumatischer Erfahrungen:

Seit der Zeit der Bibel ist schriftlich festgehalten, wie der Mensch traumatischen Erfahrungen ausgesetzt ist. Schon damals musste er mit den biologischen, psychologischen und sozialen Folgen solcher Grenzerfahrungen fertig werden. Religiöse Vorstellungen haben früher eher geholfen, Sinnhaftigkeit im Geschehenen zu finden. Das Abgeben des Locus of Control an einen Vatergott oder Erlöser konnte die erlebte Hilflosigkeit in einen andern Rahmen stellen und Sinn in Trauer und Leiden bringen. Heute ist dieser religiöse Zugang häufig versperrt und so werden der Staat oder bestimmte Gruppen von Menschen herbeigezogen, um die Erfahrung zu integrieren. Doch seit alters her ist dem Beschreiben des Geschehenen grosser Wert beigemessen worden, sei es in Form einer Hymne auf den rettenden Gott (Jünglinge im Feuerofen, Daniel 3), sei es durch Teilen der Erfahrung mit Gleichgesinnten (Gefolterte in Lateinamerika, Becerra, 1995), sei es in der Friedens- und Wahrheitskommission Südafrikas, sei es im psychologischen Debriefing oder der Testimonial Therapie (Agger, 1990). Die Aufgabe des Mitmenschen, der Opfer von traumatischen Erfahrungen trifft, ist ruhig zuzuhören, ohne sich von der Geschichte terrorisieren zu lassen. Das aufmerksame Zuhören und die entsprechende Betroffenheit ist uns während der Anhörungen der Friedens- und Versöhnungskommission in Südafrika durch Bischof Tutu via Fernseher immer wieder gezeigt worden. Es ist Aufgabe der Gesellschaft, die Traumatisierungen nicht zu verhindern vermag, Opfern die Möglichkeit zu geben, sich wieder in diese Gesellschaft zu integrieren.

Dazu ist das Wort zentral. Ob es als Anklage benutzt wird, wie in Südafrika oder auch in Chile, (besonders im Augenblick, wo der Spanische Staatsanwalt die Auslieferung Pinochets fordert), ob es als Mitteilen des Schreckens ist, wie es häufig bei Gewalttaten nötig ist, oder das vollständige Bekannt-Machen in Familien mit sexuellem Mißbrauch ist (Madanes, 1990), immer muss eine geordnete Geschichte erstellt werden. Kein Mensch sollte allein bleiben mit seiner traumatischen Geschichte. Durch das Mitteilen kann die Gruppe der Betroffenen, sei es die Familie, sei es die Gesellschaft auf nationaler oder internationaler Ebene, mobilisiert werden, um Opfern Hilfe und Recht angedeihen zu lassen. Dies sollte das Mindeste sein, wenn es vorher unmöglich war, Traumatisierung zu verhindern. Die Sprache, das Benennen der Horrorerfahrungen, sind zentral, das Hören und eine damit verbundene Solidarität ebenso. Konfrontation mit dem Geschehen, Wahrnehmung der Leiden und Hilfe bei Überwindung und Sinngebung ist Aufgabe der Mitmenschen. Ob dies auf religiöser, juristischer oder gesellschaftlicher Ebene geschieht, ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass das Schweigen aufgehoben wird und damit die Verlassenheit und Scham der Opfer sich aufzulösen beginnen können und Opfer damit von der Gesellschaft anerkannt werden und in sie zurückkehren können. Opfer haben das Recht, zu wahrhaft Überlebenden zu werden und dazu braucht es Sprache.

Dr. med. Gisela Perren-Klingler

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