Ärzte mit Mut

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Ärzte mit Mut machen uns Mut

von Bernhard Mäulen                  


I Einleitung

Ich erinnere mich als wäre es heute: Im Aufenthaltsraum randalierte ein hocherregter, manischer Patient; in der Hand hielt er ein solides, scharfkantiges Stuhlbein, das er von einem Stuhl abgebrochen hatte. Der junge Mann droht uns Ärzten “der erste, der reinkommt, bekommt das Stuhlbein über den Kopf”. Keiner wollte dieser erste sein. Da ging der Chefarzt an uns vorbei und direkt auf den Patienten zu, er nahm den heftigen Schlag in Kauf und wir Assistenzärzte halfen ihm dann, den Patienten festzuhalten und ihm eine Spritze zu geben. Dieser Vorfall ereignete sich in den 80er Jahren und doch hat mich der Mut meines damaligen Chefarztes bis heute begleitet, und er imponiert mir immer noch.
Auch wenn wir nicht jeden Tag in gefährliche Situationen kommen, gibt es doch genügend Gefahren im Arztberuf und in jeder Generation Ärztinnen und Ärzte, die mit Mut ihren Beruf ausüben. Ihrer soll mit diesem Beitrag gedacht werden, ihre Taten an Beispielen erzählt werden. Zu zeigen ist, dass ärztlicher Mut viele Bereiche abdeckt- vom kalkulierten eingehen körperlicher Risiken, über die Behandlung gefährdeter oder ansteckender Patienten, den Mut eigene Fehler zuzugeben und die von Kollegen nicht zu verdecken, den Mut sich gegen die herrschende Lehre zu stellen bis hin zu Zivilcourage einzelner, die die politischen Kräfte ihrer Zeit offen angehen und potentiell existenzvernichtende Konsequenzen riskieren. ( Tabelle I Formen des Mutes bei Ärzten)

Tabelle I Formen des Mutes bei Ärzten

” Eigene Vitalgefährdung riskieren, um PatientIn zu retten
” Eine neue diagnostische oder therapeutische
Methode an sich auszuprobieren (Selbstversuch)
” Mut eine riskante Operation zu wagen
” Mut sich gegen mobbing zu wehren
” Politischer Mut gegen die Mächtigen anzugehen
” Mut ein wirtschaftliches Risiko einzugehen
” Als Pionier gegen Widerstand Neues zu wagen
” Mut ethische Werte in der Behandlung gegen reines
Ökonomiedenken zu verteidigen -trotz Regress
” Mut eigene Behandlungsfehler einzugestehen
” Mut die Fehler anderer Ärzte nicht zu decken
” Mut sich individuell weiterzuentwickeln und dafür
Sicherheit aufzugeben
” Mut als Arzt/Ärztin weiterzumachen angesichts
eigener schwerer Erkrankung oder Behinderung
” Alltagsmut ( infauste Diagnose eröffnen, Schwerverletzte
oder Verbrannte zu behandeln, erhöhtes Selbstrisiko im
Rettungsdienst in Kauf nehmen)
Es gibt Situationen, die so gefährlich sind, dass Ärzte hier durchaus heldenhaftes wagen und leisten zB. Behandlungen in einsturzgefährdeten Bergwerkstollen, Notarztflüge in gefährlichen Wettersituationen, oder Behandlungen neuer Krankheiten, gegen die es noch keine ausreichenden Schutzmaßnahmen gibt wie z.B. SARS. Neben dem Mut sich äußeren Gefahren und Belastungen zu stellen gibt es auch den – häufigeren- sich schlimmen inneren Belastungen zu stellen etwa als Arzt/ärztin auf einer Verbrennungsstation, in der Arbeit mit traumatisierten Patienten, oder den einer jungen Frau auf einer Krebsstation sagen zu müssen, dass ihr nur noch wenig Zeit bleibt. Es gibt viele Menschen, die dies auch für noch so hohe Belohnungen nicht tun würden.
Sich den Mut einzelner Ärzte/Ärztinnen vor Augen zu stellen führt zu erhöhter Wertschätzung unserer beruflichen Arbeit, es hat Aspekte der professionellen Psychohygiene, es kann uns helfen in der heutigen Zeit nicht aufzugeben und die Kollegen ermutigen, sich weiter trotz aller Schwierigkeiten um die Patienten zu kümmern.

II Helfen unter Einsatz des eigenen Lebens – Ärzte als Helden

Einzelne – wie auch ganze Gruppen von Ärzten/innen nehmen immer wieder eigene Gefahr in Kauf, um ihren Patienten zu helfen oder auch Mitarbeiter zu beschützen. Die meisten dieser mutigen Taten erfährt die Öffentlichkeit nicht, aber einige können hier doch beschrieben werden:

” In Darmstadt überfiel ein mit einem Samuraischwert bewaffneter Mann im Januar 2000 eine Arztpraxis, er bedrohte und verletzte eine Praxishelferin. Der Kollege hörte die Schreie und stellte sich obwohl unbewaffnet vor seine Mitarbeiterin, wobei er massive Schnittwunden an Kopf und Armen erhielt. Sowohl Arzt als auch die Helferin erlitten langwierige Folgeschäden (15).
” In Aschaffenburg bemühte sich 1999 ein Zahnarzt seine Helferin vor einem mit einer Pistole bewaffneten Täter zu schützen. Leider starben dabei sowohl die Helferin als auch der Arzt, der ihr helfen wollte, an den Schußverletzungen.
” Meine Ausbilderin Elisabeth Kübler Ross hatte sich in Virginia ein Therapiezentrum aus eigenen Mitteln aufgebaut. Sie führte dort ihr Workshops mit Sterbenden durch und wollte auch aidskranke Babys aufnehmen. Damals bestanden in der ländlichen Bevölkerung grosse Ängste vor AIDS und EKR bekam zahlreiche Drohanrufe. Als sie nicht nachgab wurde mehrfach auf ihr Haus geschossen, ja ihre Haustiere getötet. Am Ende wurde ihr gesamter Besitz per Brandstiftung vernichtet, während sie sich auf einer Vortragsreise befand. (10)
” Hochgefährlich auch das mutige Handeln von Prof. Hoche, der unbewaffnet und allein ins Zimmer eines erregten, bewaffneten Patienten eindrang. Dieser hatte sich im Zimmer verschanzt und gedroht, jeden mit seinem Revolver umzubringen, der sich ihm näherte. Im Nachherein bewertete Hoche dies dann immerhin doch als “bedenkliche Berufszene”. (8)
” Als Gruppe nehmen die Notärzte/innen ein erhöhtes Risiko auf sich, um den Mitmenschen zu helfen. (Interessant übrigens, dass zB. in den USA nur Rettungshelfer aber keine Notärzte im Rettungswagen oder Hubschrauber sind!).In fast jedem Jahr sterben in der BRD ein oder zwei Notärzte im Einsatz: zB. der Hubschraubernotarzt des Christoph 19, der in 2003 im Elbeseitenkanal ertrank, der Arzt des SAR Hamburg 71 beim Absturz in 2002, der Notarzt des Rettungshaubschraubers ITH Berlin wurde beim Absturz im November 2002 sehr schwer verletzt. Auch im bodengebundenen Rettungsdienst hat es schon mehrfach tödliche Unfälle von Notärzten und Sanitätern gegeben.
” Erhebliche Eigengefahr nehmen auch die Ärzte in Kauf, die bei Expeditionen, humanitären Aktionen oder im Polareis Patienten betreuen. Die US Ärztin Jerry Nielsen arbeitete für 1 Jahr als einzige Ärztin der Forschungsstation am Südpol. Als sie dann selbst krank wurde, bekam sie nur sehr erschwert Hilfe, um dann schließlich in einer extremen Rettungsaktion aus dem Eis zur geborgen zu werden. (20)
” Als weitere Ärztin mit Mut ist die Französin Claudie Haigneré zu nennen. Die 44jährige Rheumatologin war bereits zweimal im All, zunächst 16 Tage auf der Mir und dann später 8 Tage auf der Internationalen Raumstation ISS.
” Es gäbe noch viele Beispiele zu nennen, von Ärzten die ihr Leben eingesetzt haben. Vor kurzem erschien das wichtige Ehrenbuch der Ärzte von Dr. Spieker, in dem zahlreiche Einzelschicksale dokumentiert wurden. (26).
” Unbedingt zu nennen sind auch alle Ärztinnen und Ärzte, die in Kriegs- und Krisengebieten ärztliche Hilfe leisten und dabei – wie die jüngsten Ereignisse etwa im Irak zeigen- selbst immer wieder in Lebensgefahr kommen (19). Fast alle weltlichen oder kirchlichen internationalen Organisationen haben medizinische Helfer mit Todesfällen oder schwersten Verletzungen. Auch bei der Bundeswehr starb ein Truppenarzt bei einem Nato-Einsatz in Albanien 1999.
” Weiterhin zu nennen sind auch die Ärzte, die Patienten mit ansteckenden Krankheiten behandeln; z.B. in 2003 die Kollegen, die sich um die SARS Patienten kümmerten, insbesondere der italienische Arzt Dr. Carlo Urbani. Dieser Experte der WHO hat wesentlich zu dem schnellen Erkennen der Gefahr durch SARS und zum Eindämmen beigetragen. Seinen Einsatz bezahlte der italienische Kollege, der auch Mitglied der italienischen Sektion von Ärzte ohne Grenzen war, mit seinem Leben.
III Selbstversuche von Ärzten

Immer wieder steht die Medizin bei Neuentwicklungen vor der Schwelle, vom gelungenen Tierexperiment zum Versuch am Menschen zu gehen. Jeder weiß, daß dies mit erheblichen Risiken verbunden ist. Nicht wenige Entdecker und Forscher wagten hier ihre eigene Gesundheit. Meist waren es Einzelkämpfer, die eine von der breiten Mehrheit nicht akzeptierte Methode ausprobieren wollten. Von Schott wird dazu bemerkt: Der Arzt, der sich einem Selbstversuch unterzieht gilt als mutiger Helfer der Menschheit. Insofern erscheint seine Tat als Akt der Menschenliebe” (25) Nachfolgend eine kleine Auswahl der Selbstversuche von Ärzten:

” 1929 hat Werner Forßmann erstmals einen Katheterschlauch zu seinem eigenen Herzen vorgeschoben, ja später auch Kontrastmittel durch diesen injiziert, um zu beweisen, daß hierdurch eine verbesserte Herzdiagnostik möglich war. Diese Experimente an sich selbst führte er gegen das strikte Verbot durch seinen Chefarzt durch. Viele Jahre später erhielt er für seine Entdeckung den Nobelpreis (2).
” 1987 verabreichte der französische Arzt Daniel Zagury sich den selbstentwickelten Impfstoff aus AIDS Viren, um die Möglichkeit einer Impfung gegen die Seuche zu testen.
” 1955 wollte der deutsche Arzt Lindemann die Wirksamkeit der Oberstufe des autogenen Trainings beweisen. Nach intensiver Vorbereitung mit den formelhaften Vorsätzen “ich schaffe es- West- Nimm keine Hilfe an” wagte er die Überquerung des Atlantiks alleine in einem 5,2 m langen Serienfaltboot von Klepper. Trotz mehrere Stürme, äußerster Erschöpfung und Kenterung hielt er 72 Tage allein auf See aus und erreichte sein Ziel. Bis heute hat wohl kein survival Extremsportler diese Leistung übertroffen.(12)
” Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, hat immer wieder pharmakologische und toxikologische Selbstversuche an sich und seinen Familienangehörigen durchgeführt (11) Auch der -heute berühmte- Entdecker der Bachblüten Behandlung, Dr. Edward Bach, leistete ähnliches in England.
” In den sechziger und siebziger Jahren unternahmen mehrere Ärzte Selbstversuche mit psychotropen Substanzen (LSD, Psylocibin), teils um die Wirkung auf das Bewußtsein auszuprobieren ( 6), teils um die Eignung für die Psychotherapie zu erforschen (27). Auch diese “Bewußtseinsreisen” konnten sehr belastend sein, und es brauchte selbtst unter kontrollierten Bedingungen Mut, mehrfach diese Substanzen zu nehmen. Jahrzehnte früher hatte Sigmund Freud in Wien umfangreiche Selbstversuche mit Kokain durchgeführt, die er erst stoppte, als ein befreundeter Kollege daran zu Grunde ging. (4)

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IV Ärzte mit Zivilcourage
Im Jahre 2002 legte E. Ruebsam im Dt. Ärzteblatt einen viel beachteten und gelobten Artikel vor, indem er die mangelnde Zivilcourage des Ärztestandes feststellte, ja diese als ein wesentliches Charakteristikum von uns Ärzten einschätzte (24). Auch wenn es sicher große Gruppen von Ärzten gab und gibt, die sich zurückhalten und weder die Mächtigen im Lande, noch die öffentliche Meinung angehen, kennen wir auch zahlreiche Beispiele öffentlichen Widerstandes. Sei es der Hinweis auf einzelne Missstände in Kliniken, auf öffentliche Gefahren etwa durch Atomwaffen, sei es die mutige Blockade unsinniger, menschenverachtender Praktiken, seien es Hilfen gegen die Vernichtung von Juden. Aus Platzgründen können nur einige ausgewählte Beispiele couragierter Ärzte und Ärztinnen genannt werden.
” Kein geringer als Hippokrates wurde ca. 430 v. Christus vom Perserkönig Artaxerxes I. um ärztliche Hilfe gebeten. Für den Fall seines Erscheinens verhieß ihm der mächtige Herrscher viel Gold, käme er nicht, ließe er ihn umbringen! Pythagoras antwortete kurz, dass er nicht käme um “Barbaren zu heilen, die Feinde der Griechen sind”. Zum Glück für Pythagoras starb der Perserkönig bald darauf. (28)
” Die ersten Ärztinnen, die in Deutschland praktizierten, hatten ebenfalls erstaunliche Zivilcourage, nahmen sie doch in der Regel die erhebliche Kritik an ihrem ganz und gar “unweiblichen Weg” in Kauf. Viele, wie etwa Franziska Tiburtius oder Hermine Heulser-Edenhuizen, gingen zum Studium ins Ausland -meist die Schweiz. Zurückgekommen standen sie einer geschlossenen Phalanx abwertender Urteile der (bis dato ausschließlich männlichen) Ärzteschaft gegenüber. Völlig unkollegial verweigerten diese längere Zeit den ersten Ärztinnen jegliche Kassenzulassung mit fadenscheinigen Gründen. (1,7)
” Zu Beginn des 1. Weltkrieges ging die öffentliche Meinung noch von einem schnellen Sieg ausging und jeder andere Gedanke war ein öffentliches Sakrileg. Mit grosser Zivilcourage veröffentlichte der Herzspezialist Prof. G. Nicolai im Herbst 1914 einen Aufruf gegen den Krieg. Er tat dies obwohl er selbst Generalarzt sowie Chef in einem Militärlazarett war und nahm in Kauf, dass seine Karriere damit zu Ende war.
” In den 50er Jahren als die USA oberirdische Atomtests durchführten erhob der Nobelpreisträger Albert Schweitzer seine Stimme und setzte deren beachtliches Gewicht für einen Stopp dieser Tests ein. Die USA führten eine regelrechte Medienkampagne gegen ihn, unterstellten ihm Senilität, Freundschaft zu Kommunisten und Übleres- konnten aber den weltbekannten Humanisten und Arzt nicht zum Schweigen bringen. Schlußendlich kam es zur Einstellung der oberirdischen Atomtests (21).
” In ähnlicher Richtung führte auch die Arbeit der Gründer von Ärzte gegen den Atomkrieg Bernard Lown und Evgueni Chazov . Sie gingen gegen die Falken in den eignen Regierungen für mehr Frieden. Für ihren Mut erhielten beide 1985 den Friedennobelpreis. (13)
” Großen Mut und Zivilcourage zeichnet auch die Aktionen des Arztes Patch Adams aus. Als er während seiner Ausbildung in einer Blutbank arbeitete, kam es immer wieder zu Engpässen bei den Blutkonserven für weiße Patienten, während es mehr als genug Blutkonserven für Schwarze gab. Patch Adams “frisierte” die Etiketten jeweils so um, dass auch weiße Patienten wieder ausreichend Blutkonserven hatten. Als dies herauskam, hatte der US Arzt und Clown eine Menge an Problemen. (22) Überdies hatte er schon als Student immer wieder kranken Kindern Hoffnung gebracht, wofür man ihn um ein Haar von der Universität relegierte.
” Eine leider nur wenig bekannte Aktion kollektiven Widerstandes haben die Dänen 1943 geleistet. Im von den Deutschen besetzten Dänemark sollte die Deportation aller dänischen Juden erfolgen. Unter maßgeblicher Beteiligung von Ärzten und Krankenhauspersonal gelang es Tausende von Juden aus dem Land zu bringen und vor dem sicheren Tod zu retten. Viele wurden über Tage in Hospitälern versteckt, ernährt und beschützt, bis eine sichere Fluchtmöglichkeit nach Schweden bereit stand. (23)

V Ärztlicher Mut im Alltag

Die meisten von uns werden vermutlich nicht in der Praxis aufgerufen, ihr Leben auf`s Spiel zu setzen. Trotzdem gibt es im Arztberuf vieles scheinbar Alltägliche, was uns Mut abverlangt. Nach vielen Berufsjahren merken wird dies jedoch kaum noch oder haben es -stillschweigend- als unser Los akzeptiert. Indem diese Aspekte hier genannt werden will ich – auch im Sinne einer besseren Psychohygiene- dazu einladen, diesen ärztlichen Mut im Alltag bei anderen und bei uns wertzuschätzen. Wie geht es Ihnen, wenn Sie bei einem Patienten mit Hepatitis oder HIV Blut abnehmen? Wie ist es immer wieder Nachtdienste zu machen, für eine oder mehrere Stationen die alleinige Verantwortung zu übernehmen, speziell am Anfang der Assistenzzeit? Sehen Sie den Mut bei den Kollegen, die täglich mit Schwerstverletzten oder auf einer Verbrennungsstation arbeiten, die dort anfassen und hinschauen, wo die meisten sich schnell abwenden. Einerseits soll das für einen Arzt/eine Ärztin selbstverständlich sein, aber leicht ist dies gewiß nicht. Was ist mit der Arbeit auf einer Krebsstation? Wie geht es dem Hausarzt, der immer wieder auch den Patienten , die vielleicht nichtsahnend zu ihm kommen, eröffnen muß, dass sie Krebs haben? Manche Kollegen arbeiten im Gefängnis, andere auf forensischen Stationen und wissen um ein erhöhtes Berufsrisiko. Auch Ärzte bei der Polizei kommen im Rahmen ihres Dienstes in brenzlige Situationen insbesondere bei Großdemonstrationen, wo sie Polizeibeamten ebenso helfen müssen wie Demonstranten. In den operativen Fächern gibt es immer wieder schwierige Operationen, kniffelige Entscheidungen, ob man lieber abwartet oder einen Eingriff wagt- einerseits gehört dies zum Alltag, andererseits ist dies unstrittig eine Situation, wo der / die Verantwortliche Mut braucht. Die nicht seltene Situation als Arzt im Straßenverkehr an einen Unfall zu kommen, auszusteigen und zu helfen; einerseits selbstverständlich, andererseits Ursache für den Tod von mehr als einem Kollegen, weil nachfolgende Autofahrer dann auch den helfenden Arzt erfassten und töteten. (26)
Auch im Fach der Ärztegesundheit braucht es Mut, z.B. den einen massiv verleugnenden Arzt auf sein massives Alkoholproblem anzusprechen, und sich nicht durch Klagedrohung oder Schmeichelei von einer konsequenten Suchttherapie abbringen zu lassen (5,16). Viel Mut beweisen auch all die Ärztinnen und Ärzte, die sich mit Ihrer Krankheit offen geoutet haben, etwa auf den Tagungen “der kranke Arzt”, die der kürzlich verstorbene Thomas Ripke initiierte. Angesichts einer bezüglich der eigenen Gesundheitsfürsorge trägen Ärzteschaft ist es wichtig, dass Ärzte mit Suchterkrankungen, Depressionen, Suizidalität etc. zeigen, wie wir Ärzte uns positiv behandeln lassen und dann besser praktizieren. Dies hilft auch anderen Kollegen und macht ihnen Mut, endlich Hilfe aufzusuchen und anzunehmen.
Die für viele Fachärzte/innen fällige Abwägung Laufbahn in der Klinik oder Niederlassung mit Aufnahme hoher Schulden ist auch ein Mutsprung. Sicher, auch andere Selbständige und Unternehmer, stehen vor dem gleichen Risiko. War in früheren Jahrzehnten das finanzielle Risiko eher gering, ist es heute erheblich und angesichts politischer Veränderungen eigentlich unkalkulierbar. Ähnliches gilt für die Ärzte, die eine Klinik betreiben. Nur wer – wie ich- längere Zeit aus der Nähe den Druck eines Klinikbetreibers mitbekommen hat, kann ahnen, wie viel Mut dies Jahr für Jahr braucht.
Behandlungsfehler kommen im Alltag vor, jedoch unterscheiden sich die Reaktionen der Ärzte ganz erheblich. (18) Es braucht Mut, eigene Fehler einzugestehen. Ein besonderes Beispiel solchen Mutes berichtet B. Lown über seinen klinischen Lehrer, den berühmten Samuel Levine. Nach einem Irrtum in der Diagnose schrieb dieser auf das Krankenblatt: Meine Diagnose ist falsch. Dabei hätte Levine seinen Fehler ganz leicht verstecken können. In einem anderen Fall hier in Deutschland hatte der Arzt des Notarztwagens ein junges Mädchen falsch intubiert, der Tubus lag im Ösophagus und es kam zu einer schweren Asphyxie. Der später hinzugekommene Hubschrauber Notarzt bemerkte diesen Irrtum und hatte den Mut, den Fehler des Vorbehandlers auf dem Notarztprotokoll zu dokumentieren- sicher keine leichte Entscheidung . Noch schwieriger ist es wohl, aus der Assistenz- oder Oberarztposition heraus, Behandlungsfehler des Chefs nicht zu decken, mit unmittelbarer Gefährdung des eigenen Vorwärtskommens, aber auch hierfür hatten wir in der BRD schon einige Beispiele.
Als Arzt/Ärztin sind wir für unsere berufliche Ausbildung, für unsere Karriere verantwortlich. Jeder weiß das, und doch gibt es häufiger als man denkt berufliche Patt – Situationen, Sackgassen etc. Aus der Betreuung zahlreicher Kollegen weiß ich, dass es den meisten schwer fällt, den Mut aufzubringen und eine fehlerhafte Karriereentscheidung zu korrigieren. Lieber hält man sich Jahr für Jahr in einer gespannten Situation fest, kämpft gegen wer weiß wen, als zu riskieren, das Verkorkste loszulassen. Das Ergebnis gefrustete Kollegen, gelähmte Teams, Magengeschwüre, etc. Vor Jahren war ich persönlich in einer solchen Situation: lange habe ich gezögert und dann schließlich meine gut dotierte, sichere Chefarztposition gekündigt. Ja es braucht Mut den eigenen individuellen Weg zu gehen und dafür Sicherheit loszulassen, aber für die meisten ist dies besser, als sich endlosen Konflikten auszusetzen.
VI Das Entscheidende- der Mut als Arzt/Ärztin authentisch zu bleiben

Es mag sein, dass E. Ruebsam Recht hat mit seiner Ansicht, die ärztliche Sozialisation ziele auf Anpassung und Einordnung in das bestehende System. Ziemlich sicher ist, dass darüber hinaus unser Gesundheitssystem immer mehr fesselt, dirigiert, vorschreibt bestraft- so dass die Freiheit des Niedergelassenen weitgehend ausgehöhlt erscheint. Um so mehr halte ich es für erforderlich, sich als Arzt/Ärztin seinen Mut zu bewahren. Ansonsten weiß ich nicht, wie man dem Schicksal entgeht, als gesichtsloser Techniker der Medizin immer entfremdeter seine Arbeit zu tun und freudlos auf ein frühes burn-out hinzusteuern. Auch wenn scheinbar alles den jungen und mittelalten Ärzten suggeriert, sich umfassend abzusichern, sich beim Kranken korrekt aber auf Abstand zu halten, keine Experimente zu wagen- glaube ich, dass dies der Arzt-Patient Beziehung und dem Arzt schadet. Die Ärztinnen und Ärzte, die mein Denken und Handeln befruchtet, mit denen ich gerne zusammen gearbeitet habe, zeichneten sich aus durch Originalität, Persönlichkeit, Mut auf ihre Intuition zu hören und auch mal Unorthodoxes zu wagen – sei es E. Kübler Ross, M. Gottschaldt, G. Hole und viele weitere.
Machen Sie eine Standortbestimmung, reflektieren Sie über Ihren eigenen Mut, vielleicht mit Hilfe der Fragen von Tabelle II: Selbsteinschätzung: Wie mutig bin ich als Arzt/Ärztin?

Tabelle II Selbsteinschätzung: wie mutig bin ich als Arzt/Ärztin?

” Was hat mich in meiner bisherigen Laufbahn als
Arzt Mut gekostet?
” Mache ich den Mund auf, wenn etwas schief läuft?
” Konfrontiere ich Patienten, wo es Not tut ?
(Suchtpatienten, non-compliance, etc)
” Kann ich eigene Fehler zugeben?
” Kann ich aushalten, etwas nicht zu wissen und
einen Patienten zu einem Kollegen überweisen?
” Kann ich “Nein” sagen, wenn Patienten mich
ausnutzen wollen?
” Wehre ich mich gegen verbale, tatsächliche Übergriffe?
” Wehre ich mich gegen Ausbeutung, gegen mobbing?
” Zeige ich meine persönlichen Überzeugungen?
” Bin ich bereit einen Konflikt zu wagen mit Chef,
Praxispartner, Patient?
” Wie hat es mein Arbeiten oder Leben verändert,
wenn ich bisher eine Auseinandersetzung riskierte?
” Wieweit kann ich mich als Person auf meine Patienten
einlassen und nicht nur in der Arztrolle “verstecken” ?

In der Regel lohnt es sich – beruflich wie privat- aufgeschobene Schritte des Lernens, des sich Veränderns, des Risikos zu gehen: sei es der, die Ausbildung fertig zu machen und sich der Prüfung zu stellen, sei es der das eigene Suchtverhalten zu überwinden, sei es die Befreiung aus einer unglücklichen oder destruktiven Partnerschaft.
In der psychotherapeutischen Begleitung von Ärzten und Ärztinnen erlebe ich oft, wie die Arbeit am eigenen Helfer ICH, den inneren Abgründen und Schattenanteilen sich auch auf die Arbeit im Alltag und insbesondere die Arzt-Patienten Beziehung auswirkt (18). Freilich ist es ungewohnt und braucht Mut, die Berufsrolle des “stets bereiten Helfers” zu hinterfragen, zu fühlen wie viel an Aggressionen, ja manchmal auch Haß auf die Patienten sich dahinter verbergen kann ( 3).
Vielleicht kann dieser Beitrag über mutige Ärzte Ihnen helfen, dort wo Sie gerade einen Wachstums oder Veränderungsschritt machen wollen, weiter zu gehen.

Dr. Bernhard Mäulen
Leiter des Instituts für Ärztegesundheit
78048 Villingen Schwenningen
mail: docmaeulen@googlemail.com

BUCHTIP:
Spiecker, Hans: Ein Ehrenbuch der Ärzte. Fahner Verlag, Lauf, 2003

 

Literatur

1. Bleker, Johanna (2000) Ärztinnen aus dem Kaiserreich. Dt. Studien Verlag,     Weinheim
2. Forßmann, Werner (1972) Selbstversuch- Erinnerungen eines Chirurgen. Droste     Verlag
3. Gabbard (2000) Love and hate in the analytical setting
4. Gay, Peter (1989) Freud- eine Biografie für unsere Zeit. Fischer Verlag,     Frankfurt
5. Gottschaldt, Matthias. (1997): Alkohol und Medikamente- Wege aus der     Abhängigkeit, Trias Verlag, Stuttgart,
6. Grof, Stan (1993) Die Welt der Psyche. Kösel Verlag, München
7. Heusler-Edenhuizen, Hermine (1999) Du musst es wagen! Lebenserinnerungen     der ersten Deutschen Frauenärztin; Rowohlt Verlag, Hamburg
8. Hoche, Alfred (1934) Jahresringe . J.F. Lehmanns Verlag, München
9. Kast, Verena (2000) Der Schatten in uns – die subversive Lebenskraft. Walter     Verlag
10. Kübler-Ross, Elisabeth (1982) Verstehen was Sterbende sagen wollen. Kreuz      Verlag
11. Leibbrand, Werner ( 1956) S. Hahnemann. In: Genius der Deutschen. Ullstein,      Berlin
12. Lindemann, Hannes (2000) Allein über den Ozean -
Ein Arzt in Einbaum und Faltboot. Delius Klasing, Bielefeld
13. Lown, Bernard (2002) Die verlorene Kust des Heilens. Schattauer Verlag      Stuttgart
14. Mäulen, Bernhard (2000a) Alternde Ärzte – Schwerer Abschied vom weißen      Kittel. Münchener Medizinische Wochenschrift, 142, Nr. 14, 4-10
15. Mäulen, Bernhard (2000b): Gewalt gegen Ärzte- Jeder sechste Kollege      verprügelt, Münchener Medizinische Wochenschrift, 142, Nr. 43, 4-6
16. Mäulen, B. (2000c). Wenn Kollegen trinken- Nicht die Augen verschließen.      MMW, 142, 4-10
17. Mäulen, B. (1999): Beruf Ärztin- Nicht ohne Nebenwirkungen. MMW-Fortschr.      Med. 141, 4-7
18. Mäulen B. (1999a): Ärzte unter Anlage- Jeder kann betroffen sein. Dt. Ärztebl;      96: A 3091-3092
19. Missbleck, Angela (2003) Im Irak stehen ausländische Ärzte plötzlich mitten im      Schussfeld. Ärztezeitung vom 1. Dez. 2003
20. Nielsen, Jerry (2000) Ich werde Leben
21. Nossik, Boris (1991) Albert Schweitzer. S. Hirzel Verlag Leipzig
22. Patch Adams ((1997) Gesundheit, 12 & 12 Verlag, Oberursel
23. Pundik,Herbert (1995) Die flucht der dänischen Juden nach Schweden. Husum      Verlag
24. Ruebsam-Simon, Ekkehard (2002) Arztberuf in der Krise. Dt. Ärzteblatt 99,      A2840-2844
25. Schott Heinz (ohne Jahr) Selbstbeobachtung, Selbstversuch – Selbsttherapie –      Selbstanalyse: Ärzte als Patienten aus

http://www.der-kranke-arzt.de/schott.htm.

26. Spiecker, Hans (2003) Ein Ehrenbuch der Ärzte. Fahner Verlag, Lauf
27. Thomas, Klaus (1970) Die künstlich gesteuerte Seele. Enke Verlag, Stuttgart
28. Toellner, Richard (1986) Illustrierte Geschichte der Medizin, Band I,
Dieser Beitrag wurde in gekürzter Form veröffentlicht in der

MMW-Fortschritte der Medizin, Heft 51/52, 2003 Titel “Doktor Courage”