Hochstapler in Weiss

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Hochstapler in Weiß
 

von Dr. Bernhard Mäulen
I Einleitung

Der Arztberuf ist sei jeher attraktiv für Hochstapler: der Nimbus des Halbgotts in Weiß befriedigt narzisstische Motive, der zu erwartende Gewinn an Staus und Ansehen ist erheblich.
So haben sich in Vergangenheit und Gegenwart immer wieder Männer und Frauen gefunden, die mit geringer oder nonexistenter medizinischer Vorbildung gepaart mit frechem Wagemut, Patienten und Kollegen etwas vorgemacht haben. Einige sind in der Öffentlichkeit sehr bekannt geworden, andere haben stillere “Formen des Abgangs” vorgezogen. Fast immer hatten Hochstapler ein Medienecho, bei dem Staunen, Neid, Bewunderung überwog und das Rechtsgefühl “hier muß hart durchgegriffen werden” einen kleineren Anteil hatte, z.T. unter erheblicher Missachtung angerichteten Schadens für Dritte.
Sehr beachtenswert sind die Auswirkungen von Hochstaplern auf uns Ärzte. Sie stellen manches in Frage, was wir als selbstverständlich anzunehmen geneigt sind. Sie demaskieren die mit ihnen befassten Vorgesetzten und teilweise auch Kollegen schmerzlich, noch schlimmer- sie halten den ehrlich approbierten Medizinern einen Spiegel vor, in den hinein zu schauen sich der “aufrechte Medicus” wehrt. Insbesondere die bei Patienten besonders erfolgreichen Hochstapler-Ärzte werfen ja die Frage auf, ob soziale Geschicklichkeit am Ende gar wichtiger für eine Medizinerkarriere ist, als solides medizinisches Wissen und Können.
Interessant sind Aspekte aus der Behandlung von solchen approbierten Ärzten, die sich subjektiv als “Hochstapler fühlen”. Ein klinisches Phänomen, das immerhin so häufig ist, dass es als Teil der Ärztegesundheit einen eigene diagnostische Einordnung und Benennung bekam.
Nicht zuletzt gibt es Hochstapelei ja auch in patientenfernen Bereichen der Medizin. Wir werden ausführen, inwiefern die Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre deutliche Züge von Hochstapelei trägt- ein ebenso faszinierender wie erschreckender Gedanke.
Schlußendlich wird es um die Frage gehen, wie sich Ärzte, Krankenhäuser und Politiker vor Hochstaplern schützen können, und was dazu in verschiedenen Ländern unternommen wird.

 

II Von Karl May bis Gert Postel – Formen der Hochstapelei

So vielfältig wie die beteiligten Personen, so abwechslungsreich sind auch die Formen der Hochstapelei. Manche bedienen sich nur gelegentlich ihres ärztlichen “Alias” etwa zur Überbrückung finanzieller Unpässlichkeit, so etwa der später berühmte Karl May. Der Schöpfer von Winnetou gab sich im Sommer 1864 mit 22 Jahren als Augenarzt mit dem ausgefallenen Namen Dr. Heilig aus und ließ sich obwohl völlig mittellos vom Schneider standesgemäß einkleiden. Später wurde er für diese und drei weitere Taten zu vier Jahren und einem Monat Arbeitshaus verurteilt.(Roxin)
Für viele Hochstapler ist der Arztberuf nur einer von mehreren falschen Berufen und Titeln, mit denen sie sich schmücken: so etwa für den falschen “Fürst zu Sayn-Wittgenstein zu Berleburg”, der im Jahre 2005 monatelang die feine Düsseldorfer Gesellschaft narrte. Der verurteilte Urkundenfälscher hatte sich mal als Polizist, mal als Arzt ausgegeben, letztlich aber als falsche “Hoheit” in Nobelhotels residiert.
Ganz anders dagegen der 59 jährige Friseur, der fast 20 Jahre als falscher Arzt in Oberbayern praktizierte. Nachdem er sich mit gefälschten Dokumenten eine Approbation erschlichen hatte, war er Assistenzarzt, Kassenarzt, Badearzt, später Chefarzt einer Kinder-Rehaklinik tätig. (Psychotherapie vom 8.10.2001). Nachdem sein Schwindel aufflog – immerhin nach 20 Jahren quasi ärztlicher Tätigkeit!) wurde er vom LG Traunstein zu drei Jahren Haft verurteilt.
Mehrjähriges praktizieren falscher Ärzte ist keine Seltenheit, nimmt doch die Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden, im Laufe der Zeit immer mehr ab, weil alle einen für den akzeptieren, den sie schon so lange als den Dr. kennen. In einer Analyse von 47 Hochstaplern hatten mindestens 22 ihre Praxis für mehr als ein Jahr ausgeübt. ( Derbyshire, Robert (1980) the Health Robbers). Ein besonders hartnäckiger Betrüger hatte sich in den USA trotz mehrfacher Verurteilung immer wieder in einem anderen Bundesstaat niedergelassen, und so fast 30 Jahr diverse Arztpositionen inne gehabt.
Auch in der Geschichte gibt es mehrere Fälle von Hochstapelei- so leitete der Hochstapler Fickel 1836 als leitender Arzt das erste homöopathische Krankenhaus zu Dresden, auch um die Homöopathie ad absurdum zu führen (Heinz Eppich: Geschichte der deutschen Homöopathischen Krankenhäuser. Haug Verlag 1995).
Hierzulande besonders bekannt wurde Gert Postel, der ebenfalls mehrer falsche Identitäten hatte ( ua.a falscher Seminarist, Jurist etc) aber mit gefälschten Papieren jahrelang als Oberarzt in Sachsen praktizierte. Nach seiner Enttarnung stellte sich heraus, dass man ihn sogar nachdrücklich aufgefordert hatte, sich als Chefarzt zu bewerben. ( Postel, Doktorspiele).
Während es bei Postel vermutlich Geltungsdrang und finanzielle Motive waren, lagen bei anderen Fällen sexuelle Motive vor. Mal hatte sich ein 60 jähriger pensionierter Lehrer als Gynäkologe ausgegeben, führte intime Untersuchungen durch und filmte das ganze noch mit versteckter Kamera, mal ein vorbestrafter Sexualstraftäter in 2005 als angeblicher Arzt im Landkreis Anhalt/Herbst sexuell getönte Einstellungsuntersuchungen bei Jugendlichen unternommen. ( Recherchieren Diez-Rudolf K)
Durch den Film Catch me if you can besonders bekannt wurde die Biografie des Hochstaplers Frank Abagnale. Ohne irgend ein medizinisches Vorwissen wurde er Oberarzt einer Abteilung für Kinderheilkunde an einem Krankenhaus in Georgia und behielt diese Position ganze 11 Monate lang. Später nahm er andere falsche Identitäten an etwa als College Dozent oder als Anwalt.
Nicht nur Stellen in Krankhäusern oder in Praxen nehmen Hochstapler an, auch in staatlichen Posten und im medizinischen Dienst der Armee können sie mit Bluff und Dreistigkeit bestehen. Eine der bekanntesten wahren Begebenheiten hierzu ist die Geschichte von Ferdidand Waldo Demara. Nachdem er mehrere andere falsche Rollen angenommen hatte, konnte er schließlich auf einem Zerstörer der Canadian Navy während des Koreakrieges arbeiten. Als solcher führte er zahlreiche Operationen durch, ohne entdeckt zu werden. Wie bei den meisten Hochstaplern ereignete sich die Enttarnung durch einen Zufall. Der falsche “Dr. Joseph Cyr” wurde in einer kanadischen Zeitung lobend von einem Kriegsberichterstatter erwähnt. Als man daraufhin dem Kapitän des Zerstörers die Botschaft vom “falschen Schiffschirurgen” kabelte, weigerte sich dieser, ihr zu glauben, zu überzeugt war er von der Identität des angeblichen Dr. Cyr. Auch diese Ereignisse wurden verfilmt (The great imposter, 1961, mit Toni Curtis.)
In den von mir genannten Fällen, haben ausschließlich Männer als falsche Ärzte gearbeitet.
Gibt ea auch Fälle von weiblicher Hochstapelei in der Medizin?
Weitere Beispiele und Formen der Hochstapelei finden sich unter
Tabelle I Fälle von Hochstapelei in der Medizin.

 
Tabelle I Fälle von Hochstapelei in der Medizin

2005 ein sexueller Straftäter untersucht als falscher Arzt Jugendliche
in Sachsen- Anhalt/Zerbst intim
2004 ein 46j, vorbestrafter Mann gibt sich in Riedlingen als
Dr. Pawlik aus, und gibt vor ein Haus u. ein Flugzeug kaufen
zu wollen. Am Ende stürzte er mit dem Flieger ab; Suizid?
2004 ein 34j Deutscher wird in Belgien verurteilt, er hatte ein
Jahr lang in einer Hausarztpraxis gearbeitet; 5 J
2003 ein 45j Mann flog als falscher Chirurg in Rom auf; dort hatte
er seit 1985 umfangreich operiert und war als Experte im TV
2003 ein 54j Mann narrte als falscher “Herr Professor Colmar”
Patienten im UKE Hamburg und betrog diese um Geldbeträge
2003 ein 37j Mann hatte über Jahre in Baseler als Suchtspezialist
mit Drogenpatienten gearbeitet und an einer großen Studie mitgewirkt
2002 ein 37j Mann hatte sich als Mediziner der UNI Göttingen
ausgegeben und 23.000€ erschwindelt, 2,5 J
2002 ein 35j Rettungsassistent arbeitete zwei Jahre als falscher
Notarzt in Erftstadt, er nahm auch Prüfungen ab 2,5 J
2001 ein Friseur aus Traunstein wird verurteilt, nachdem er 20 Jahre als
falscher Arzt/ Internist praktiziert hat;
der Schaden wird auf über 400.000 € geschätzt 3J
2001 ein abgebrochener Medizinstudent arbeitete 7,5 Jahre als
Assistenz- und Oberarzt d. Gynäkologie an der TU München
2001 ein Krankenpfleger aus Göttingen stellt sich als
Prof. Dr. Dr. hc irreführend in der Öffentlichkeit dar
2000 ein 19 jähriger Mann aus Mittelfranken gibt sich vor laufender
Kamera als Bundeswehrarzt aus und behandelt einen Mann
1999 ein 52j Schweizer belästigt als falscher Arzt bei vermeintlichen
Hausbesuchen Frauen monatelang im Bereich Basel
1997 Ex Postbote Postel arbeitete von 95 bis 97 als Oberarzt
in der Psychiatrie in Sachsen, vorher war er als Amtsarzt
Dr. Dr. Bartholdy in Flensburg tätig 4 J
1997 Als Prof. Dr. Dr. Rose hatte ein vermeintlicher Krebsspezialist
Patienten in Baden Baden um über 30.000 € betrogen

 

III Motive der Hochstapler -
oder warum gehen Menschen solche Risiken ein?

Liest man die Berichte von Menschen, die sich als Mediziner ausgaben,
ohne eine entsprechende Qualifikation zu haben, finden sich interessante Motive. An erster Stelle stehen nicht die finanziellen Motive, obgleich sie auch eine Rolle spielen. Vielmehr geht es zahlreichen Hochstaplern um die Erfüllung eines u.U. seit der Jugend gehegten Traumes, wie etwa Karl May. Die Größe und Macht, die dem Arzt eigen war ( und meines Erachtens heute nur noch in geringerem Umfang besteht) faszinierte manche Menschen schon lange: im OP stehen, Herr über Leben und Tod sein, das Vertrauen der Menschen in sehr einzigartiger Weise haben, ja genießen, das kann ein mächtiges Glücksgefühl, etwas einzigartig Befriedigendes haben, was wir von Zeit zu Zeit ja auch als reguläre Ärzte erleben dürfen. Freilich, während der normale Arzt sich dafür lange Jahre abplagen, mühen (und auf dem Weg dorthin so manches an Verzicht, Ausbeutung zT auch Demütigung ertragen) muß (Lisson), wollen Hochstapler diese Mühe nicht auf sich nehmen. Frei nach dem Motto- lieber gleich an die Spitze- geben sie vor jemand zu sein, der sie nicht sind. Die narzisstische Belohnung soll möglichst kurzfristig erreichbar sein! Für manche Hochstapler, reicht die Befriedigung Arzt zu sein nicht aus, sie müssen sich als solche noch hervortun. Mehrere falsche Ärzte hatten Fortbildungen für Kollegen angeboten, Prüfungen abgenommen, waren im Fernsehen als Experten aufgetreten, oder als Spezialisten auf Kongressen. Für den Hochstapler, der in einer Baseler Schwerpunkt Drogenpraxis jahrelang mitgearbeitet hatte, wurde seine Fortbildungstätigkeit zum Verhängnis, weil ihn jemand aus dem Ärztepublikum erkannte. Offensichtlich muß die Spannung immer wieder mal gesteigert werden. Für manche ist zudem das Spiel der Täuschung, das so tun als ob ein erheblicher Reiz. Wird das Spiel zu mühsam oder anstrengend, wird es dann auch schnell wieder verändert.
Bei einigen Hochstaplern dürfte auch eine Motivation bestehen, das System von innen bloß zu stellen -also die Titelgläubigkeit, die Beschränktheit der Menschenkenntnis bei Leitenden Direktoren, die Inkompetenz von Behörden möglichst öffentlich bloß zu stellen. Keine Frage, dass dies auch eine innere Befriedigung gibt, hiervon nährt sich ua. der Enthüllungsjournalismus, nur ist der Hochstapler eben kein Weltverbesserer oder Humanist von Herzen. Insofern haben solche pseudoaufklärerischen Selbstdarstellungen wie die von G. Postel auch etwas im nach hinein Erfundenes und Aufgesetztes.
Bei mehreren Männern ging es zentral auch um sexuelle Motive, also um den geplanten Mißbrauch von Patientinnen und auch Patienten. Diese fallen i.d. R. aber sehr schnell auf und werden dann angezeigt. So etwa ein 56 j Franzose, der als falscher Arzt mehrere Männer belästigte und vom Gericht in Nevers/Burgund 2003 zu 4 J Haft verurteilt wurde.
Finanzielle Motive bestehen natürlich auch, und in Einzelfällen haben die Hochstapler Ärzte über Jahre erhebliche Summen verdient, die sie nach der Enttarnung und Verurteilung dann zurückzahlen müssen. Bezeichnend für die Dreistigkeit, die Hochstapler aufweisen, ist die Tatsache, dass sie diese Rückzahlung der immerhin unter Falschangaben zustande gekommenen Lohnzahlungen per Rechtsweg noch zu verhindern versuchen!! Statt Ruhe zu geben und zu akzeptieren, dass ihre Gaunerei aufgeflogen ist. In einem Fall, klagte ein angeblicher Gynäkologe, der in München viele Jahre in der Uniklinik der TU München gearbeitet hatte, bis zum Bundesarbeitsgericht. Sein Argumentation dafür sein Gehalt behalten zu dürfen es sei auf Grund langjähriger Beschäftigung eine sog. Faktisches Arbeitsverhältnis entstanden, ungeachtet der arglistigen Täuschung des Arbeitgebers. Das BAG verurteilte ihn trotzdem zur Rückzahlung der Arbeitsvergütung(BAG 5 AZR 592/03).

IV Eigenschaften der Hochstapler

Die psychische Grundausstattung eines Hochstaplers ist gekennzeichnet durch: Dreistigkeit gepaart mit Schlagfertigkeit, soziales Geschick insbesondere beim Lügen, sowie überdurchschnittliche Fähigkeiten in der Manipulation von Menschen. Der im Film “Catch me if you can” portraitierte Frank Abagnale antwortete auf die Frage- wie er es fünf Jahre geschafft hatte als Pan Am Pilot, Oberarzt und Anwalt durchzukommen, ohne die nötigen Qualifikationen: ” Dreistigkeit- pure Dreistigkeit.” Diese ist so unglaublich, dass normale Menschen eher glauben, die Person vor ihnen sei im Recht und sie selbst hätten sich geirrt, als so tolldreiste Lügen für möglich zu halten. Als ein FBI Beamter eine “Gemeinschaftspraxis” von drei Personen nach 5 jährigem Bestehen in Washington schließen wollte – die angeblichen Ärzte waren lediglich Mechaniker – erwirkten diese eine richterliche Verfügung, die ihnen gestattete bis zum endgültigen Urteil in der Hauptverhandlung weiter zu praktizieren. (Lit). Auf so etwas muß man erst mal kommen!
Lügen und Fälschen gehört dazu, denn ohne eine “getürkte Approbation” bekäme ja niemand eine Stelle. Die Methoden dabei sind teilweise geschickt, so dass Original und Fälschung schwer auseinander zuhalten sind. In einem Falle in den USA schickte ein Hochstapler, der in die Identität eines Arztes schlüpfen wollte, eine falsche eidesstattliche Erklärung an die medizinische Universität, und bekam eine echte Kopie der Abgangsurkunde zugeschickt. Natürlich kann ein geschickter Fälscher diese auch von Hand kopieren, wie zB. Dr. Wilbur in dem oskarprämierten Film “Gottes Werk und Teufels Beitrag”. Im realen Leben hatte der Friseur, der als Dr. über 20 Jahre in Bayern praktizierte, seine Urkunden gefälscht und damit die bayrische Ministerialbürokratie düpiert.
Ein mehrfach vorbestrafter Betrüger, Robert Barnes, bewarb sich 1995 in Los Angeles als Arzt. Er wurde mit einem hohen Gehalt eingestellt und untersuchte ca. 1 Jahr lang viele FBI Beamten und beurteilte ihre Arbeitsfähigkeit! Die entsprechende Klinik hatte gegenüber ihren Patienten geworben mit: “dem hocherfahrenen ärztlichen Mitarbeiterstab”. (Fernandez)
Soziales Geschick haben zwar nicht alle Ärzte aber sehr viele Hochstapler. Intuitiv erkennen sie, wie der Patient, wie der Kollege oder Vorgesetzte am Geschicktesten zu manipulieren ist, ob durch Drohung /Einschüchterung, durch Servilität, anbiedern oder irgendeine andere Maske. Ich habe mit einem Kollegen gesprochen, der mit einem damals noch nicht entdeckten Hochstapler beruflich zu tun hatte. Seine Aussage “der war so überzeugend, im Traum wäre ich nicht auf die Idee gekommen, den für falsch zu halten”. G. Postel macht in seinem Buch “Doktorspiele” detaillierte Aussagen dazu, wie er sich auf Vorstellungsgespräche vorbereitete, wie er Farbskala, Kleidung, Auto, Stimme, Selbstaussagen auf maximale Wirkung hin optimierte. Diese Stimmigkeit bis in die Nuancen hinzukriegen ist Teil der erfolgreichen Maskierung, die ja ähnlich auch im Theater oder bei V- Männern der Polizei bzw. im Geheimdienst gebraucht wird.
V Wenn der Schein zerbricht- Folgen für Hochstapler und Betroffene

Ob nun nach wenigen Tagen oder erst nach zwanzig Jahren, irgendwann reißt das Netz der Täuschung und der vermeintliche Herr Dr. wird als Hochstapler enttarnt. Es ist spannend, wie vielfältig das Leben hier spielt. Da verliert der eine sein Portemonnaie, in dem ein Ausweis auf den anderen Namen liegt. Beim anderen beschwert sich ein Patient und fragt bei der Ärztekammer nach, wie bei dem Mann der in Rom 20 J lang operiert hatte. Beim Dritten taucht zufällig ein Bekannter aus einer anderen Lebensphase auf und ist irritiert über den Rollenwandel. Beim vierten erkennt eine Richterin den angeblichen leitenden Arzt erkennt.
Was passiert dann? Manche Hochstapler tauchen ab, bevor die Polizei kommt, wie etwa Gerd Postel. Bei anderen steht plötzlich und unerwartet die Polizei in der Praxis und verhaftet den Doktor, wie bei dem Friseur in Traunstein. Nicht selten gelingt es Hochstaplern durch Drohung, gespielte Empörung o.ä noch etwas Zeit zu bekommen, um einen Abgang zu inszenieren, etwa bei den 3 Automechanikern, die eine einstweilige Verfügung erwirkten. Andere werden verhaftet, bestraft, ziehen um, legen sich einen anderen Namen zu und beginnen die Scheinexistenz erneut. Nur in einem Fall wurde berichtet, dass sich ein falscher Arzt selbst richtete, in Form eines erweiterten Suizides mit dem Flugzeug. (Burger) In einem Weiteren aber nicht vollständig belegten Geschehen gab sich ein französischer Mann jahrelang als Arzt der WHO aus und tötete seine gesamte Familie und sich, als alles herauszukommen drohte (Carrere).
Die juristischen Folgen der Hochstapelei sind teilweise gering, es gibt oft Fälle einfacher Verwarnung, Bewährungsstrafen, z.T. kurze Haftstrafen. Im Falle von Surgeon Lieutnant Joseph Cyr, dem falschen Marinearzt an Bord eines Zerstörers verzichtete die Royal Canadian Navy auf eine Anklage, die ganze Sache war ihr zu peinlich. Bei Wiederholungs- tätern und größerem Schaden sprechen Richter auch schon mal Urteile über 3 Jahre Haft aus. (vgl Tabelle I, rote Zahlen ). In einem amerikanischen Fall hatte ein Hochstapler mehrere Jahre in einer Kleinstadt gearbeitet. Er wurde verhaftet und vor ein Geschworenen – Gericht am Praxisort gestellt. Viele Geschworenen waren seine ehemaligen Patienten. Sie sprachen ihn trotz eindeutiger Faktenlage frei. Daraufhin verlegte der Staatsanwalt die Berufungsverhandlung in einen anderen Bezirk. Diesmal reisten so viele ehemalige Patienten an, dass der Hochstapler erneut frei gesprochen wurde.
In der Öffentlichkeit liegen die Sympathien oft auf Seiten des Täters, die betroffenen Opfer, müssen zu dem Schaden auch noch den Spott ertragen. Die Verantwortlichen sehen sich schweren Vorwürfen ausgesetzt, der Name einer Klinik, eines Chefarztes geht unrühmlich durch die Medien, das ist wahrlich eine doppelte Bestrafung. Es können weitere Folgen kommen. Die Baseler Schwerpunktpraxis, in der Hochstapler arbeitete, war auserkoren, eine umfangreiche Stufe 3 Pharmastudie zur Therapie mit Heroin in Tablettenform durchzuführen. Der schon Studienvertrag war praktisch unterschriftsreif. Nachdem bekannt wurde, dass in der Praxis ein falscher Arzt tätig war, wurde umgeplant, es kam zu gewaltigen Verzögerungen. Bei nachfolgenden Bewerbungen um weitere Forschungsmittel, wurde die Praxis nicht mehr berücksichtigt. Ärzte, deren Namen von einem Hochstapler fälschlicherweise benutzt werden, verlieren ihren guten Ruf, müssen sich gegen falsche Haftung wehren etwa für teure Anschaffungen, bestellt vom Hochstapler, der ihre Identität “geklaut” hatte. Ihre Versicherungsprämien steigen, ihre Kredite werden von der Bank gekündigt, kurz eine Menge an juristischer Scherereien. Beim falschen Notarzt aus Erftstadt mussten seine ehemalige Prüflinge alle wieder antreten und die Prüfung wiederholen, subjektiv sicher auch eine Härte.
Und Patienten/innen- werden die auch geschädigt? Erstaunlicherweise viel seltener als man denkt. Bei Frank Abagnale, dem falschen Oberarzt der Pädiatrie, starb fast ein Baby gestorben, weil er mit dem Ausdruck ” blue Baby” also “hypoxisches Baby” nichts anzufangen wusste. Auch all die Patienten und Patientinnen, die von Hochstaplern sexuell ausgenutzt bzw. belästigt werden, nehmen Schaden. Nicht bekannt ist mir, wie die Begutachteten in den Sozialgerichtsverfahren von Gerd Postel gelitten haben. Es gibt Behauptungen, dass keine einzige der falschen Expertisen zurückgewiesen oder angefochten wurden. (Luchmann) Wurden diese Prozesse neu aufgerollt? Mußten sie die ganzen Gutachtenprozeduren erneut über sich ergehen lassen?
Ein gewisser Trost mag darin liegen, dass zumindest in Deutschland die erschwindelten Finanzen von Hochstaplern zurückgezahlt werden müssen- soweit ihnen das möglich ist, etwa aus den Tantiemen für Bücher, die sie geschrieben haben zB. G. Postel, mit ca. 120.000€ Rückforderung. Dies schafft wenigstens eine gewisse Gerechtigkeit. Von weiteren Täter Opfer Ausgleichen ist mir nichts bekannt geworden.
VI Stellen Hochstapler die Medizin in Frage?

Erschleicht sich ein Hochstapler Dienstleistungen im Hotel, entsteht meist nur finanzieller Schaden. Arbeitet er aber jahrelang unerkannt als Arzt, wird in den Medien gleich die ganze Zunft in Frage gestellt.
Die beiden am häufigsten geäußerten Gedanken sind dann:
a) wenn ein medizinisch unerfahrener Mensch einfach so den Doktor
mimt ohne aufzufallen, dann ist die Medizin womöglich kein so
hoch qualifizierter Beruf, wie immer behauptet wird.
b) wer als Mediziner einen Hochstapler nicht von einem approbierten
Arzt unterscheiden kann, ist selber punktuell inkompetent.
So pointiert formuliert sind beide Behauptungen zunächst falsch; und zugleich liegt auch ein Kern von Wahrheit darin. Schauen wir im einzelnen hin.
ad a) Die meisten Menschen, also Ärzte wie Patienten nehmen bei einem Menschen primär die soziale Rolle und die Kommunikation auf. Sind diese stimmig, so begegnen wir unserem Gegenüber nicht mit Misstrauen. Hochstapler sind nun Menschen mit besonderer Begabung darin, diese soziale Rolle oder Maske zu manipulieren. Täuschend echt können sie erscheinen und machen uns dabei doch etwas vor. Insofern ist die erste Erklärung für den Erfolg der Hochstapler ihr Geschick im Ausnutzen der unbewussten Vertrauenshaltung vieler Menschen.
Die zweite Ebene ist die der innerärztlichen Kommunikation. Bemerken wir bei einem Kollegen mangelnde Fertigkeiten oder Sachkenntnis denken wir eher ” Na der weiß auch nicht alles” als ” der kann auch gar nichts”, d.h. wir nehmen an hier handele es sich um eine punktuelle Schwäche, wie sie keineswegs ungewöhnlich ist. Wollten wir jeden in Frage stellen, bei dem wir Lücken erkennen, könnte die Medizin -wie jeder andere qualifizierte Beruf- schwerlich bestehen. Jeder der Prüfungen abgenommen und Assistenten ausgebildet hat weiß: Es gibt im Beruf nicht nur Einser Kandidaten, nein die Mehrzahl ist leistungsmäßig im Durchschnitt, und eine nicht geringe Zahl von Bewerbern hinterlässt gewisse Bedenken bezüglich der Eignung. Dies ist bei Medizinern so, aber auch bei Juristen, Ingenieuren, Bankern, Lehrern, Handwerkern, kurzum überall.Wollten wir es jedes Mal als Grund für eine Sicherheitsüberprüfung nehmen, bliebe alles stehen. Die zweite Erklärung für den Erfolg der Hochstapler ist also die Gewöhnung Vorgesetzter und Kollegen daran, dass berufstätige Menschen Schwächen auch größeren Ausmaßes haben. Meine Devise als leitender Arzt einer Klinik war: man bekommt nicht immer die Mitarbeiter, von denen man träumt, sondern muß die nehmen, die verfügbar sind.
Drittens arbeiten Hochstapler meist in einem Team- d.h. sie profitieren von den Kenntnissen der Fachleute um sie herum, oder benutzen Vorlagen die von wirklichen Ärzten angefertigt wurden, wie Postel. Die dritte Erklärung für den Erfolg von Hochstaplern ist die Kompetenz des Teams, das viele Fehler erkennt und beseitigt, die der Hochstapler sonst beginge.
Die Tatsache, dass manche Menschen etwas schnell lernen, bedeutet nicht, dass eine qualifizierte Ausbildung überflüssig ist. In jedem Beruf gibt es Menschen, die schnell begreifen, aus Erfahrung lernen und nach und nach immer besser werden. Es mag für den einen oder anderen kränkend sein es zuzugeben, aber eine erfahrene Pflegekraft kann einem unerfahrenen Doktor sicher etwas vormachen. Trotzdem ist die logische Konsequenz eben nicht, die Aussage zu generalisieren: alle Krankenschwestern machen Ärzten etwas vor. Für die meisten von uns gilt: komplexe Sachverhalte, Fertigkeiten Wissensgebiete zu lernen braucht Zeit, Mühe und Geduld. Einige wenige Überflieger und Multitalente ändern daran nichts.
Auch wenn – und davon bin ich überzeugt- die vorgenannten Erklärungen richtig sind, bleibt ein nicht erklärbarer Rest. So ganz will es eben doch nicht einleuchten, dass ein Ungelernter 20 Jahre lang als Arzt Erfolg hat. Vielleicht gibt es eine narzisstische Überhöhung des Berufsbildes Arzt, vielleicht sind wir nicht so schlau, so fähig, so potent als Medicus, wie wir gerne glauben wollen. Vielleicht heilt die Natur den Patienten mit und ohne Begleitung durch einen Arzt -und trotzdem bleibe ich überzeugt von meinem Beruf. Ich glaube eine Prise Selbstironie ist hilfreich, um diese Widersprüche auszuhalten.

ad b) Einen Hochstapler zu enttarnen ist schwierig. Jeder kann getäuscht werden, unabhängig von Rang, Ausbildung und akademischer Qualifikation, in allen Bereichen. In 2003 gab es in den Kreiskliniken Sigmaringen einen falschen Klinik Direktor, er hatte sich zu Unrecht als Diplomingenieur ausgegeben. In Italien vermochte ein selbsternannter Priester 17 Jahre lang Dienst in der Gemeinde Alliste in Apulien tun. Bis zum Jahr 2000 hatte er Messen gehalten, Ehen geschlossen, Beerdigungen durchgeführt etc. Er fiel letztlich auf, weil sein Lebenswandel doch etwas locker war. Nach dem zweiten Weltkrieg hatte sich am Amtsgericht Berlin Mitte ein falscher Richter eingeschmuggelt. Er sprach in seiner langen Hochstapler Karriere über 3000 Urteile (Gaserow). Zahllose weitere Belege ließen sich anführen. Man blättere nur einmal im Personen Lexikon der Hochstapler von Sponsel.

VII Hochstapler Phenomen- eine Erkrankung bei Ärzten
Erstmals 1978 wurde das Hochstapler Phänomen von Clance und Imes beschrieben (Clance). Erkrankte Ärztinnen und Ärzte glauben, dass sie ihre guten Leistungsbeurteilungen nur durch Täuschung anderer erlangt haben und früher oder später als Schwindler enttarnt werden. Im Kontrast dazu steht die Fremdeinschätzung durch andere. Die ständige Angst und Selbstunsicherheit ist eine erhebliche Belastung für die betroffenen Kollegen/innen. Darüber hinaus besteht eine hohe Korrelation zu Depression und Angstsymptome ( Oriel). Während gelegentliche Gefühle von Überforderung bei den meisten Ärzten anzutreffen sind, handelt es sich hier um ein zeitlich fortdauerndes, stark angstbesetztes Gefühl. Die Behandlung besteht in antidepressiver Pharmako- und Psychotherapie.
Insbesondere bei schwer depressiven Ärzten habe ich diese Angst, als Schwindler enttarnt zu werden, die Gewissheit alle Prüfungen unverdient bestanden zu haben mehrfach gesehen. Hier sollte unbedingt ein psychiatrisch erfahrene/r Behandler/in aufgesucht werden.
VIII Hochstapelei und die Gesundheitspolitik

Je mehr ich die Gesundheitspolitik verfolge, umso häufiger sehe ich Parallelen zur Hochstapelei, zu Täuschung der anderen. Folgt man den politischen Parolen, so werden die Gesundheitsleistungen immer besser, tatsächlich aber wird seit Jahren intensiv abgebaut und rationiert. Überall wird von Qualitätssicherung gesprochen, gleichzeitig werden fast überall unausgeschlafene und überarbeitete Ärzte wissentlich eingesetzt. Täten dies die deutschen Spediteure, hagelte es empfindliche Strafen. Chronikerprogramme zB. für Diabetes-Kranke werden als Innovation hoch gelobt, tatsächlich arten sie in so umfangreicher Verwaltungsarbeit aus, dass wichtige Ressourcen an Zeit und Kraft vernichtet werden. Skeptisch bin ich auch bezüglich der versprochenen Verbesserung durch die e-Card. Nicht nur, dass die angekündigte vollständige Datensicherheit reine Hochstapelei ist, auch die in Aussicht gestellten Effizienzgewinne sehe ich nicht. Stattdessen befürchte ich Mehrkosten für die EDV und höhere zeitliche Belastungen für das ganze Praxisteam. Die politische Vorgabe innerhalb des jetzigen Systems der gesetzlichen Krankenversicherung eine stabile Finanzsituation zu schaffen- reine Utopie. Hat jemand den Mut und die Belege, dies aufzudecken, unterstellt man ihm E er entwerfe ein “Horrorszenario”. Was ich Hochstapelei der Gesundheitspolitik nenne, beschreibt Prof. Beske diplomatischer “eine Wahrnehmung in der Politik, die kaum nachvollziehbar ist” (Beske).
Ich bin sicher, ob in der Politik oder am Patientenbett wir werden auch in Zukunft noch einige Hochstapeleien erleben. Für die Leser gilt passen Sie gut auf und wappnen sie sich mit Humor.

Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Bernhard Mäulen
Institut für Ärztegesundheit
Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie
78050 Villingen Schwenningen
Weitere Infos www.aerztegesundheit.de

Filme zum Thema:
Catch me if you can
Eine Couch in New York
Gottes Werk und Teufels Beitrag
Wer ist Mr. Cutty?

Literatur zu Hochstapler in Weiss:

1. Abagnale, Frank ( 2000) Catch me if you can. Broadway Books
2. Beske, Fritz (2006) Wegschauen hilft nicht. Ärztezeitung 26.1.2006
3. Burger, Jörg (2004) Gestatten, Dr. Pawlik. Die Zeit 30/2004
4. Derbyshire, Robert (1980): The Make- Believe Doctors.
In The Health Robbers
5. Carrere, Emmanuel ( 2001) Amok. S. Fischer Verlag
6. Clance, P; Ines, S. (1978) The impostor phenomenon in high achieving
women. Psychotherapy 15, 241-247
7. Fernandez, Elisbeth (2001) Bizarre Medicale Masquerade- Con man steals
Stockton doctor’s identity for 20 years. Sfgate.com
8. Gaserow, Vera (1998) Früher war alles besser? Die Zeit, Nr. 22
9. Lisson, Marion (2006) Junge Ärzte brauchen starke Nerven und
viel Geduld. Ärztezeitung 23.1.2006
10. Luchmann, Dieter (2001) Buchrezension “Doktorspiele”, in
Psychotherapie vom 10.09.
11. Oriel, Kathy (2004) Family Medicine residents and the
Impostor Phenomenon. Family Medicine 36, 248-252
12. Postel, Gert (2001) Doktorspiele- Geständnisse eines Hochstaplers.
13. Roxin,Claus (1977) Karl May, das Strafrecht und die Literatur.
Vortrag vor der juristischen Fakultät der Universität Bern
14. Seelen, Gottlieb (2001) Psychologie der Selbsttäuschung: Hochstapler
und Betrüger als Ärzte. 8.10.2001 www.psychotherapie.de
15. Sponsel, Rudolf ( ohne Jahr) Personenlexikon der Hochstapler,
Schwindler- und BetrügerInnen, Erlangen

 

Bernhard Mäulen