Ärzte und ihr Glück- Fachartikel

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ÄRZTE UND DAS GLÜCK

von Bernhard Mäulen


“Don’t work for a living then have no time left to live” -Bernie Siegel

 

I Einleitung
Es ist seltsam, dass wir Ärzte heute mehr können, mehr an lebensrettender Technik beherrschen als je zuvor und doch immer wieder auch in unserem Beruf unglücklich sind. Wie kommt das, und steht es in unserer Macht das zu ändern? Offenbar wird Glück oder Glücklich Sein von uns Ärzten zu selten wahr genommen. In der Ausbildung spielt es keine Rolle, im Leben dagegen eine große- ob man eine glückliche Hand hat z.B. mit Patienten oder auch bei den Mitarbeitern. Das amerikanische Handbuch der Ärztegesundheit(LIT Goldman) verzeichnet happiness überhaupt nicht und Humor nur als schwarzer Humor, als ob das alles sei.
Lesen Sie nachfolgend, was Kollegen in der Medizin glücklich macht oder gemacht hat. Entwerfen Sie ihre eigene berufliche Glücksbilanz, setzen Sie sich mit den individuellen Hindernissen zum Glück auseinander. Es werden Beispiele von Kollegen und Kolleginnen beschrieben, die Glück hatten und etwas daraus machten. Daneben nehme ich mir die Freiheit, auch eigene Glücksmomente mit einfließen zu lassen.
II Glück für Ärzte

a) Das Studium

Auf dem Weg zum fertigen Arzt gibt es viele Punkte, an denen Mann/Frau glücklich sein könnte: Zunächst einmal über den Studienplatz, den ja viele erstreben aber den nicht jede/r erringt. Ich kann mich erinnern, daß ein Teil von mir seinerzeit fast ungläubig reagierte- Wie? Bin ich jetzt wirklich ein Medizinstudent? Ich war glücklich darüber, auch wenn ich es nicht gleich fassen konnte. Mancher brauchte erst ein Semester, um sein Glück ernsthaft zu nutzen, so etwa J. H. Schulz, der Vater des Autogenen Trainings: Er benannte als Thema des ersten Semesters ” See, Wein, Mädchen”: (Lit. Schultz). Glück war auch endlich das Physikum geschafft zu haben, einerseits wegen der bestandenen Prüfung, andererseits weil ich nun endlich mit Patienten in Kontakt kam. Gute Professoren zu haben, die einem halfen komplizierte Zusammenhänge zu verstehen oder -noch wichtiger- bei denen man lernen konnte kompetent und menschlich mit Patienten umzugehen, das war Glück. Die Gemeinschaft mit Kommilitonen / innen zu erleben und gemeinsam in einer Prüfungsgruppe zu arbeiten und zu bestehen -echte Freude. Für viele später berühmte Ärzte war das sang- und trinkfreudige Zusammensein in einer Verbindung Glück, wie etwa für den Erfinder der Leitungsanästhesie Carl Ludwig Schleich (LIT Schleich). Und dann irgendwann war man – mit Glück- fertig, Arzt Dr. med., damals wie heute eine Freude, die durchaus einige Wochen anhalten konnte.

b) erste Schritte im Beruf- reines Glück

In vielen Ärztebiografien wird die erste Zeit als junger Arzt / Ärztin glücklich und in leuchtenden Farben geschildert, obwohl sie – objektiv betrachtet- oft materiell armselig und von vielen Kenntnislücken und Erfahrungsmängeln begleitet war. Meine erste Ausbilderin, Elisabeth Kübler Ross, hatte direkt nach dem bestandenen Examen eine Vertretung in einer Landarztpraxis angenommen, arbeitete von früh bis spät, musste zu teils entlegenen Almhöfen auf Hausbesuch und doch ” war dies meine glücklichste Zeit als Ärztin”. Sie habe sich später, als sie berühmt und erfolgreich war oft nach dieser Zeit zurück gesehnt. (Lit. Kübler Ross) . Was macht diese Zeit in unserem Empfinden so glücklich? In Gesprächen höre ich oft “das war eine so intensive Zeit, alles war neu für mich, ich wollte mich bewähren”. Manche “frisch Niedergelassene” haben Glück im Äußeren, so etwa der russische Kollege W. Weressajew: “Ich kam in einem ausnahmsweise günstigen Moment: kurz vorher war ein am Ende der Stadt wohnhafter Arzt gestorben, der eine ziemlich große Praxis hatte. Ich mietete mir eine Wohnung in derselben Gegend, ließ an der Tür eine Tafel mit meinem Namen anbringen und wartete auf meine Patienten.” (LIT Weressajew)
In dieser ersten Berufsphase wird der intensive Kontakt zu leidenden Menschen, der ja für viele Ärzte der Grund der Berufswahl ist, mit besonderer Intensität erlebt. Wohlgemerkt, nicht etwa die besondere Zahl von Erfolgserlebnissen spielt die entscheidende Rolle. Im Gegenteil, manche haben intensive Erlebnisse auch da, wo sie einen Patienten/in mit unheilbarer Krankheit begleiten. So etwa Carossa, der in den ersten Wochen seiner Niederlassung in Passau, ein “sehr schönes Mädchen” als Patientin annahm, die von fortgeschrittener TB gezeichnet war. In seinem literarischen Stil bemerkt er hierzu: “Wie vollkommen hatte ich die magischen Anziehungskräfte des Leidens verkannt!”(LIT Carossa).
Auch Ärzte, die schon in anderen Berufen Tüchtiges geleistet hatten, können das “Anfängerglück” erleben, wie etwa Albert Schweitzer 1913 nach der Ankunft in Lambarene, seinem später berühmten Urwaldhospital. An einen Freund schrieb er: “Wirklich, ich bin glücklich. Ich fühle, dass ich recht daran getan habe, hierher zu kommen, denn das Elend ist größer als man es beschreiben kann.” (LIT Schweitzer)

c) die mittleren Jahre – auf der Suche nach dem “verlorenen” Glück

Es scheint in den Jahren der Mitte, dann also wenn Wissen, Können und Erfahrung dem Arzt zur Verfügung stehen, wenige Äußerungen von Glück zu geben, weder in den Arztbiografien noch auch in den Arztgesprächen, die ich führe. Fast als ob nach dem Verfliegen des ersten Zaubers im Erleben des Arztes mehr die Mühe, das nicht enden wollende “Alltagsgeschäft” und die Sorgen dominieren, und weniger ein Rest an Glück und Dankbarkeit. Immer und immer wieder habe ich das beobachtet, freilich nicht nur bei Ärzten, ähnliches ließe sich z.B. auch sagen über Anwälte oder Priester. Wir lassen offensichtlich kollektiv und individuell zu, dass uns die Routine “auffrisst”. So finden sich in dieser Phase zwar Beispiele von Glück, aber sie sind nicht so ungetrübt, wie die früheren Erfahrungen.
Unverhofftes Glück (allerdings nicht unverdient) hatte der damals 52j Werner Forßmann, als ihn mitten in seiner kleinen Landpraxis die Ehrung aus Stockholm erreichte und er den Nobelpreis für Medizin erhielt. Praktisch ohne Vorbereitung wurde er ins öffentliche Rampenlicht katapultiert, wurde habilitiert und einige Zeit später Klinikchef.(LIT Forßmann)
Glück fernab der Medizin erlebte der Schweizer Kollege, Bertrand Picard. Neben seiner Tätigkeit als Arzt in Lausanne hatte er wiederholt versucht, mit einem Ballon die Erde zu umfliegen- nur um wie alle seine Mitbewerber durch einen technischen Defekt oder eine Wetterkapriole am Erfolg gehindert zu werden. Im dritten und letzten Anlauf hatten er und sein Copilot Brian Jones zwei Drittel der Strecke geschafft, bevor er in den USA wegen Brennstoffmangel und widrigen Winden beinahe zum Abbruch gezwungen wurde. Erst im allerletzten Moment drehte der Wind und trug seinen Ballon Orbiter III mit Spitzengeschwindigkeit über den Atlantik, der Weltrekord wurde erreicht, Ehrungen aus aller Welt waren die Folge ( LIT Picard)
Ich persönlich hatte Glück als mich Prof. Matthias Gottschaldt mit knapp 40 Jahren von der Assistenzarztstelle an der Universität auf die Chefarztstelle der Oberbergklinik abwarb. Die Chance eine psychosomatische Privatklinik wieder zu eröffnen, ein eigenes Team auszusuchen und zusammen zu schweißen, mitzuhelfen ein Hilfsprogramm speziell für abhängige Kollegen/innen zu etablieren habe ich genutzt und genossen. Es war mit die arbeits- und stressreichste Zeit meines Lebens, aber davon habe ich – vor lauter erlebtem Glück- in den ersten Monaten kaum etwas gemerkt; Der Ehrlichkeit halber muß ich hinzufügen, dass ich den hohen Druck später dafür um so mehr spürte. (LIT Mäulen)
Einige Kollegen in den mittleren Jahren entscheiden sich mutig, ihr Glück mit etwas ganz Neuem zu wagen: so der Tübinger Allgemeinarzt Axel Braig, der seine Praxis zumachte und Philosophie studierte; Der Schweizer Herzchirurg Markus Studer, der seinen Traum verwirklichte und heute als Trucker mit eigenem 40 Tonner durch Europa fährt.
d) Blick zurück im Glück- die späteren Jahre

Kaum zu überblicken sind die ärztlichen Biografien und Selbstbiografien, die retrograd viel Sonne und Dankbarkeit erkennen lassen- wie es so schön heißt “für eine intensive und reiche Praxistätigkeit”. Oft wird eben erst im nachherein, wenn der Beruf weggefallen ist, erlebt wie viele wichtige und auch sinnstiftende Impulse die Tätigkeit als Arzt mit sich brachte, im Unterschied zu vielen anderen Berufen. Die Vielzahl an Begegnungen, die Freude am Helfen, nicht selten scheint dies alles idealisiert oder um mit Carl Ludwig Schleich zu sprechen eben “besonnte Vergangenheit”. Gustav von Bergmann, einer der großen deutschen Internisten, mag hierfür ein Beispiel sein,: “Wer das Glück hat .. 75 Jahre seines Lebens zu überschauen in einem Beruf, in dem er vielen etwas geben konnte, in dem er Ärzte und Ärztinnen zu einem Teil so ausbildete, dass sie glücklich weiter wirken konnten, in dem Kranke zur Gesundheit zurückgeführt wurden…Es war eine große, schöne Zeit trotz allem Schrecklichen und Grauenhaften, was erlebt wurde. (LIT Bergmann)

III Glück für Ärzte in Krankheit und Not

Daß Ärzte von Krankheiten nicht verschont werden, diese an sich selber besonders erleben, haben wir schon mehrfach beschrieben (LIT Mäulen 2006). Nicht selten aber ist Krankheit auch ein Glück, freilich eines das in einer Verkleidung einher kommt, die sich niemand wünscht. Adolf Kussmaul war in der hausärztlichen “Fron” schwer erkrankt, konnte kaum überleben, wusste ohne berufliche Veränderung wird er sterben. Ohne Beziehungen, ohne Protektion riskierte er eine akademische Laufbahn und wurde ein bedeutender klinischer Lehrer der inneren Medizin. Er selber schrieb im Rückblick:”Ich vermochte erst später ganz zu ermessen, welch ein Wagnis ich unternommen hatte, als ich mitten aus der Landarztpraxis heraus mich entschloß, mit noch siechem Körper und beschränkten äußeren Mitteln die akademische Laufbahn einzuschlagen. Der Versuch ist über Erwarten gelungen und die Krankheit hat mir statt Verderben Glück gebracht. (LIT Kussmaul)
Ähnliches berichtete Otto Buchinger, seinerzeit Marinearzt der kaiserlichen Flotte. Mit 40 Jahren erkrankte er schwer an Gelenkrheumatismus, musste deswegen in Kriegszeiten aus dem Dienst scheiden: “ein hinkender, invalider Militärarzt bringt keinen guten Kredit mit” schrieb er “meine Lage war so verzweifelt, dass ich jede Eisenbart Kur auch die tollste unternommen hätte”. Sein Glück: Er wurde durch eine Fastenkur schlagartig gesund, führte das Fasten in die moderne Medizin ein, machte wissenschaftliche Studien, schrieb -unglaublich aber wahr- im direkten Auftrag des Reichsärzteführers das erste medizinische Lehrbuch des Fastens (LIT Buchinger). Noch weiter abgestiegen war Rudolf Gehring, ein deutschstämmiger US Amerikaner, niedergelassener Gynäkologe mit Belegbetten. Durch seine Drogensucht hatte er die Familie verloren, seine Praxis stand vor der Schließung, sein Status als Belegarzt sollte aberkannt werden- kurz er stand vor dem Ruin. Um einen Schlussstrich zu ziehen fuhr er ins Krankenhaus, entwendete Thiopental aus der Anästhesie und injizierte es sich in den Oberschenkel. Aus Versehen traf er zunächst die Arterie, zog die Nadel zurück, es kam zu einer starken Blutung und dann injizierte er das Kurzzeitnarkotikum in die Vene- aus Schluß fertig. Er wachte auf in den Armen des Chefarztes dieses Krankenhauses, der ihn erstversorgte, sich nachfolgend um ihn kümmerte, zu Selbsthilfegruppen brachte und half, dass er all das wider bekam, was er durch die Sucht verloren hatte- Gesundheit, Familie, eine volle Praxis (LIT Gehring).
Sehr viele Mediziner und Medizinerinnen wurden durch das dritte Reich bedroht und vernichtet. Einige hatten das Glück dem zu entkommen z.B. Rudolf Nissen, früher Oberarzt von Ferdinand Sauerbruch, der 1933 ein Ordinariat in Istanbul bekam. In seinen Erinnerungen schreibt er: “Es war ein Glücksfall, dass ich in der Vorwegnahme späterer Entwicklung, kurz nach dem Beginn der Herrschaft dieser Gescheiterten, meine Stellung und mein Heimatland verließ” (LIT Nissen); oder Michael Trede, dem dies erst Jahre später gelang: kurz vor Kriegsausbruch floh er mit seiner jüdischen Mutter aus Nazideutschland nach England, studierte in Cambridge und machte als “Rückkehrer” eine große akademische Karriere als chirurgischer Chefarzt der Uni-Klinik Mannheim. (LIT Trede). Selbst inmitten der größten Kriegs Greuel, dem Abwurf der ersten Atombombe am 6. August 1945 in Hiroshima gab es Ärzte, die Glück hatten: Dr. Shuntaro Hida, der am Abend nach außerhalb zu einer kleinen Patientin gerufen wurde. Als frühmorgens die A- Bombe “little boy” explodierte brach das Haus über ihm zusammen. Es gelang dem japanischen Kollegen sich mit der Patientin aus den Trümmern zu befreien, und er blickte fassungslos auf die Pilzwolke über dem wenige Kilometer entfernten Hiroshima. (LIT Walker).

IV Humor als Medizin – Ärzte als Clowns und Kabarettisten ?
Für manche Ärzte ist die herkömmliche Art der Medizin eine so traurige Sache, dass sie nur mit Humor darin überleben können; für andere Kollegen wird ihre Art zu heilen die eines Clowns, eines Kabarettisten, also Lachen als präventive Medizin. Bereits in den 60ern fing Patch Adams als Medizinstudent an in seinem akademischen Krankenhaus als Clown aufzutreten- sehr zum Missfallen seiner Professoren. Diese wollten ihn am Ende relegieren, u.a. wegen “exzessiven Glücklichseins.” Da fragt man sich “Wie ernst und unglücklich muß man sein, um für den Stand des Arztes würdig erachtet zu werden?” Immerhin zeigte sich, dass mit Humor bessere Heilungsverläufe, höhere Lebensqualität zu erreichen waren- und das machte Schule. Jeder Mediziner/in sollte von daher den Film “Patch Adams” einmal gesehen haben. Hierzulande ist der Wort-Witz, die intelligente Art des Humors für einige Ärzte ihr Weg um Menschen gesünder zu machen- sozusagen Gesundheitskabarett. Der Bottroper Allgemeinmediziner Ludger Stratmann versteht es bestens, einen zum Lachen zu bringen, sei es durch die Klage eines alten Zeiten nachtrauernden Arztes, sei es durch die humorvolle Thematisierung von Diät und Abnehmwahn- “Hauptsache nich fettich” (LIT Kaden). Mit gekonnten Pointen verwirklicht Eckart von Hirschhausen seinen Traum “das Komische in der Medizin” zu fördern (LIT Hirschhausen). Im Interview sagt er ” ich finde ganz ernsthaft, dass ich im weiteren Sinn ärztlich tätig bin. Die Menschen gehen entspannt und mit ein paar ungewöhnlichen Ideen mehr über ihren Körper und ihr Leben nach der Show nach Hause.” (Lit Merten) Die meisten Kollegen/innen werden sich persönlich nicht als Kabarettist sehen können. Trotzdem kann man hier viel lernen: nötige Distanzierung zu einem manchmal erniedrigenden Alltag, Ausbruch aus der eigenen depressiven Abwärtsspirale, in Frage stellen der eigenen Interpretation der ärztlichen Berufsrolle, einnehmen einer heitereren Sichtweise auf’s Arztsein, all das könnte helfen sich nicht zu verbeißen oder im burn out zu enden. Mit gutem Grund werden daher von Ärztekongressen Kollegen aus der “Facharztgruppe Humor” eingeladen, manchmal als Hauptredner- sie verändern die Stimmung eines Kongresses oft für Tage- Humor wirkt!

 

V “Lacht darüber! Dann tut es nicht so weh”
E. von Hirschhausen
oder Glück in Zeiten der Gesundheitsreformen

Eine provozierende Überschrift- scheint es doch als ob die deutschen Ärzte in den letzten Jahren im Wesentlichen nur Unglück hatten- Arbeitsverdichtung, Budgetierung, Bürokratisierung, Kontrolle, Regress, etc. objektiv wenige Gründe zum Lachen. Erfreulicherweise haben zahlreiche Ärzte protestiert und dabei kam enorm viel Witz, Kreativität, Gemeinschaftsgefühl zu Tage. Es war ein seltenes Glück, so viele Medizinerinnen und Mediziner endlich mal einig zu sehen. Wir haben auch das Glück, dass zahlreiche Mediziner nicht nur sprechen sondern handeln, und sei es durch die Verlagerung ihres Wirkungsortes ins Ausland. Was wir bisher noch nicht haben ist das Glück, entsprechend von den politischen Entscheidungsträgern gehört zu werden. So unbefriedigend vieles von uns Ärzten wahrgenommen wird- es könnte sein, dass wir in zehn Jahren sagen, die heutigen Zeiten waren noch glückliche- weil das System eben noch nicht zusammen gebrochen ist, weil es- wenngleich rationierend- das Gros der Mitbürger vernünftig medizinisch versorgt, weil die KVen eben noch einen zentralen Dienst versehen. Es ist denkbar- dass dies in naher Zukunft nicht mehr so sein wird. Insofern kann es uns helfen, auf das zu schauen, was wir noch haben -glücklicherweise. Da ich viele Ärzte behandle, auch ältere, höre ich aus deren Lebensgeschichten wie z.B. in den Anfangszeiten der BRD Ärzte noch wesentlich härtere Bedingungen ertragen mussten, als wir heute. Diese sehen uns heutige Ärzte als die mit Glück, freilich mit etwas weniger als die vor 20 Jahren.
Für einige Ärzte kann es richtig sein, ihr Glück erhöhen, wenn Sie immer wieder protestieren, statt ohnmächtig mit den Zähnen zu knirschen, aktiv sind, Leserbriefe schreiben, in der Praxis für bessere Arbeitsbedingungen werben, auch an die Öffentlichkeit gehen. Es liegt auch eine Lust im Protestieren, je gekonnter desto besser- das wichtigste dabei ist jedoch nicht zu verbissen zu werden, sonst verkämpft man sich.
VI Der Arzt und seine Glücksbilanz

Jede Ärztin, jeder Arzt kann sein Glück beeinflussen, machen- und sei es durch Kleinigkeiten. Voraussetzung ist, dass Sie sich für wert halten, “ernsthaft” an ihr eigenes Glück zu denken, daran daß Leben, Beziehung und Arbeit auch Freude bringen soll. Wenn ich viele Jahre Tätigkeit in der “Ärztegesundheit” überblicke, dann fallen mir viel mehr unglückliche als glückliche Ärzte ein, da viele Kollegen ihrem eigenen Glück keinerlei Wichtigkeit gegeben hatten. Das Resultat? Viele kamen zu müde, zu erschöpft und gleichgültig und oft bedrückt von Krankheit in die Praxis.
Mehr Spaß- Weniger Status Insofern ist mein erster Rat für Ärzte, die glücklich leben wollen: Achte bewusst auf Dein Glück. Hierbei meine ich mehr Erlebnisqualität und nicht teure Objekte mit Statuserhöhung. Frage Dich: was macht mir eigentlich Freude im Leben, in der Arbeit? Schreibe vielleicht mal Deine eigene Glücksbilanz – vom Kindergarten bis heute. Wie ich am Anfang des Artikels zeigte, scheinen besonders die mittleren Jahre zwischen 40 und 60 einen Mangel an Freude und Spaß zu bringen. Verändern Sie ihre Gewohnheiten, experimentieren Sie, tun sie mehr von dem was Freude bringt, halten Sie sich in Landschaften auf, die ihrem Inneren gut tun- das Meer, die Berge, südliche Landschaften.
Mache die Medizin nicht nur um Geld zu verdienen- auf Dauer tötet das die Seele und jegliche Freude am Beruf. Überhaupt scheint Geld weniger wichtig für’s Glück zu sein als wir denken- die meisten Lottomillionäre sind nach dem Gewinn unglücklicher als vorher ( LIT Lau). Innerhalb der Ärzteschaft kenne ich positive Beispiele glücklicher Ärzte, die im Ausland z.T im Urlaub umsonst armen Menschen helfen und viel Glück und Befriedigung daraus gewinnen.
Auch wenn Sie es hundertmal gelesen haben und täglich Ihren Patienten raten; ganz wichtig für Ärzte, die glücklich leben wollen: Kümmere Dich um Deine Gesundheit. Ist man einmal müde, ausgebrannt, kaputt dauert es Wochen, ja Monate bis Leben wieder Freude macht.
Der nächste Rat ist: arbeite weniger. Die Arbeitszeiten von niedergelassenen Ärzten liegen nach wie vor bei deutlich über 10 Stunden täglich (LIT Brendan Schmittmann Stiftung). Auch wenn Du etwas weniger Einkommen hast, gönne Dir mehr Pausen, Nichts Tun, Zeit für Dich. Ebenfalls oft von Ärzten vernachlässigt: Nimm Dir Zeit für Deine Beziehung. Wir alle könnten mehr Liebe, Nähe und Glück erfahren, wenn wir uns mehr um unseren Partner/in kümmern, mehr Gespräche haben, mehr Zärtlichkeit, mehr an Auszeit nur zu zweit. Nur einige nutzen diese Chance. Um das Sex Leben von Ärzten ist es nicht gut gestellt, dabei wirkt guter Sex vitalisierend und beglückend und verdient es in unserem beschäftigten Tag mehr an Priorität zu bekommen. In den letzten Jahren sehen meine Frau und ich auf unseren Beziehungstherapie Kursen auch Arztehepaare, die mit unser fachlichen Hilfe Blockaden überwinden und die dadurch aufblühen und sich wieder annähern.
Suchen Sie sich etwas, was kreativ ist, was sie gerne tun- bei mir ist es z.B. das Schreiben, was mir wirklich intensives Glück bringt- umsomehr wenn es meinen Lesern/innen gefällt. Glück spüren und erleben ist zu erheblichen Teilen auch eine Einstellungssache. Der US Kollege Bernie Siegel erzählt folgende Geschichte einer Arztsekretärin: “Ich unterschrieb den Arbeitsvertrag, erschien zum Job, war sofort umgehen von schlechtgelaunten Leuten. Ich meine die Ärzte und die Schwestern, die Patienten waren kein Problem. In der Mittagspause ging ich zur Verwaltung um zu kündigen. Man sagte mir, ich müsste die Kündigungsfrist einhalten.. so musste ich noch 2 Wochen aushalten; jeden Tag ging ich unglücklich zur Arbeit. Am letzten Tag war ich glücklich, dass endlich Schluß war und ging deswegen glücklich zur Arbeit und am Ende dieses Arbeitstages stellte ich fest, dass die Menschen um mich glücklich waren. So habe ich dann doch weitergemacht, nicht gekündigt und stattdessen beschlossen, jeden Tag glücklich zur Arbeit zu erscheinen. (LIT Siegel)
Daher mein Rat: Nehmen Sie sich vor glücklich zu sein und tun sie etwas für ihr Glück!

Dr. med. Bernhard Mäulen
Leiter des Instituts für Ärztegesundheit
78050 Villingen Schwenningen
mail: docmaeulen@googlemail.com

BUCHTIP:
Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück
von Lelord, Francois, Piper Verlag 2004

FILMTIP:
Patch Adams
1)  Bergmann, Gustav von (1953) Rückschau,
Kindler

2)   Brendan Schmittmann Stiftung (2007)
www.nav-virchowbund.de/images/data/78-
83_Brendan-Schmittmann-Stiftungr.pdf.

3)   Buchinger, Otto (1955) Vom Marinearzt zum
Fastenarzt.Hyperion

4)   Carossa, Hans (1980) Führung und Geleit,
Suhrkamp

5)   Forßmann, Werner (1972): Selbstversuch.
Droste

6)   Gehring, Robert (1987) Suchtrezept.
Blaukreuz

7)   Goldman (2000) Handbook of physician health.
AMA, Chicago

8)   Hirschhausen,Eckart von ( 2008) Die Leber
wächst mit ihren Aufgaben rororo

9)   Kaden, Marion (2002) Vorhang auf- die Praxis
bleibt zu. MMW 3.6.02

10)  Kübler Ross, E.(1984): Persönliche Mitteilung

11)  Kussmaul, Adolf (1906) Jugenderinnerungen
eines alten Arztes,

12)  Lau, Christoph (2005) Die Relativitätstheorie
des Glücks. Über das Leben von Lottomillionären
Centaurus

13)   Mäulen, B. (1994) Die Oberberg-Kliniken für        psychosomatische Medizin.
Krankenhauspsychiatrie 5, 46-47

14)   Mäulen, Bernhard (2006) Ärztegesundheit,
Urban & Vogel, München

15)   Merten, Martina ( 2003) Sprechstunde beim
“Ex-Arzt” DÄ 100, Heft 7, A421

16)   Nissen, Rudolf (1969)Helle Blätter, dunkle
Blätter, dva

17)   Picard; Bertrand (2001) Mit dem Wind um die
Welt

18)   Schleich, Carl Ludwig (1922) Besonnte
Vergangenheit. Rowohlt Verlag

19)   Schultz, Johannes Heinrich (1964)
Lebensbilderbuch eines Nervenarztes

20)    Schweitzer, Albert(1987): Leben, Werk und
Denken , Hrsg Bähr, Hans Walter Verlag

21)   Siegel, Bernie ( 1993) What to do between
office visits; Harper

22)    Trede, Michael (2001): Der Rückkehrer,
ecomed

23)    Walker, Stefan (2005) Hiroshima, Bertelsmann

24)    Weressajew, Wikentij (1915) Bekenntnisse
eines Arztes