ärztliches Fehlverhalten – wenn Ärzte Täter werden

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Dr. Jekill and Mr. Hyde- Wenn Ärzte Böses tun

von Bernhard Mäulen

I Einleitung

Ein Beitrag über die “Schattenseiten” von Ärzten ist sicher dazu geeignet, Kontroversen auszulösen. Vielen Ärzten wäre es lieber, wenn über die sogenannten “schwarzen Schafe” nicht geschrieben wird. Ein Schweizer Kollege hier um Mithilfe gebeten erklärte “er wolle nicht über Kollegen herziehen”. Ängste solche Diskussionen würden von anderen aus dem Zusammenhang gerissen und als Pauschalvorwürfe gegen die Ärzteschaft insgesamt mißbraucht, sind nicht völlig von der Hand zu weisen. Andererseits können wir Mediziner aus Fehlern nicht lernen, wenn wir nicht anfangen einen offeneren intraprofessionellen Dialog zu führen. Was für den Bereich der Prävention von Behandlungsfehlern gilt, wird auch für die Schattenseiten der Ärzte anzuwenden sein: verschweigen, wegschauen und die Verweigerung der Überprüfung angeschuldigter Mediziner erhöht zwar das Kohäsionsgefühl untereinander, wird aber in den Augen der Öffentlichkeit als Kooperation mit den Tätern gesehen. In einer Gesellschaft, in der Patienten anspruchsvoller und aufgeklärter, das medico-legale Klima schärfer und die öffentliche Meinung gegenüber Ärzten zunehmend pointierter geäußert wird, ist ein Festhalten am Verdrängen mit einem enormen Verlust an Glaubwürdigkeit verbunden. Dazu kommt noch, daß frühzeitigeres Eingehen auf Beschwerden, konsequentere Konfrontation nicht akzeptabler Verhaltensweisen bei Kollegen/innen mancherlei schlimme Entwicklung früher stoppen könnte.
Es gehört zu den unbewußten Vorgängen, daß jede Berufsgruppe beim Thema “schwarze Schafe” automatisch an Beispiele aus anderen Professionen denkt: den Kripobeamten, der mit konfiszierten Drogen dealt, der Feuerwehrmann, der eigenhändig Feuer legt, den Richter, der sich bestechen läßt, den Priester, der Meßdiener mißbraucht, den Anwalt, der seine Mandaten verrät und und und. Wirksam wird aber eine Auseinandersetzung besonders dann, wenn sie vor der eigenen “Haustür” stattfindet.
So geht es in diesem Beitrag um Ärzte, die betrügen, die Forschungsergebnisse fälschen, die ihren Patienten Schaden zufügen, um sexuell übergriffige, um gewalttätige oder folternde Ärzte.

II Größenordnung des Problems

Vorweg- die bei weitem überwiegende Zahl der Ärzte und Ärztinnen verhält sich korrekt, engagiert und geht in dem gewählten Beruf auf. So sind gemessen an der Vielzahl berufstätiger Mediziner ( derzeit ca. 220.000) die hier behandelten Ereignisse insgesamt selten, d.h. weniger als 0,1 Promille bezogen auf die Gesamtgruppe der Ärzte pro Jahr. In der Wahrnehmung eines Durchschnittsarztes kommen vielleicht ein bis zwei Fälle spontan in Erinnerung. Im Archiv des Instituts für Ärztegesundheit sind die Ordner mit Berichten über Anklagen und Verurteilungen jedoch die mit Abstand größte Sparte von allen. Dies kann auch an einer einseitig überzogenen Berichterstattung in den Medien liegen. Eine Umfrage der Ärztezeitung von 2002 erbrachte, daß im Vorjahr 141 von 120.000 Vertragsärzten die Zulassung entzogen wurde.(LIT Vollmer) Die nachfolgenden Tabellen stellen eine gewisse Auswahl aus den in den letzten 4-5 Jahren vorgekommenen justitiablen Taten von Ärzten und Ärztinnen vor. Selbstverständlich gibt es t unterhalb der Ebene der Offizialdelikte, bei denen der Staatsanwalt immer eine Anklage erheben muß, viele kleinere Ärgernisse, Gemeinheiten, nicht korrekten Taten, die schädlich oder destruktiv sind. So erinnere ich mich an ein Praktikum der Herzchirurgie vor vielen Jahren, bei dem der Chefarzt einen afrikanischen Assistenzarzt mehrfach massivst beleidigte, Ausdrücke “weit unterhalb der Gürtellinie” verwandte und zwar vor dem gesamten OP Team.

III Betrügerische Ärzte

Tabelle I Betrügerische Ärzte
2004 mehr als ein Dutzend Zahnärzte aus NRW verlieren ihre Zulassung wegen
Globudent Skandal
2003 Schweizer Chefarzt verurteilt, er veruntreute Millionen Franken aus einer
Tetraplegiker Stiftung
2003 175 Ärzte in Mailand verurteilt, sie hatten jahrelang unnötige
Untersuchungen angeordnet
2000 UNI Freiburg erkennt zwei Krebsforschern wegen Fälschung Habilitation ab 2000 Prof. der Uni Halle wegen Bestechlichkeit (600.000 Euro) in d. Ambulanz
für Bluterkranke verurteilt
2000 Dortmunder Radiologe wegen Abrechnungsbetruges in 260 Fällen zu
4,5 J Gefängnis verurteilt

Die Versuchung sich im Arztberuf unangemessen zu bereichern hat immer bestanden. Mancher Kollege hat auch vor unlauteren Methoden dabei nicht zurückgeschreckt. Eine Ärztin aus Berlin soll Kinder und Jugendliche auf Schulhöfen angesprochen haben, und ihre Chipkarten in ihr mobiles Lesegerät eingelesen und dann nicht erbrachte Leistungen für 350.000 Euro abgerechnet haben. In den letzten Jahren sind durch Plausibilitäts Überprüfungen und auch durch Sondermaßnahmen der Polizei (SOKO Arzt) vermehrt Kollegen angeklagt und auch verurteilt worden. Unter den Verurteilten sind arglos unwissende, naive (das kommt doch nie raus) und solche, die vorsätzlich und geplant einen Betrug zum Nachteil von Patienten, Krankenkassen etc. durchführten. Nicht selten umfaßt das Betrugssystem mehrere Ärzte oder auch Ärzte und Apotheker im Verbund. Als Motiv werden oft Praxisschulden oder nachlassende Punktwerte, die man versucht hat aufzufangen, angegeben. Manchmal kommen dazu außergewöhnliche Belastungen durch Ehescheidung, Verluste an der Börse oder Spielschulden, die einen Arzt zum Betrug treiben. Oft aber werden diese Abrechnungsmanipulationen auch von Ärzten/ Ärztinnen begangen, denen es wirtschaftlich sehr gut geht, die aber irgendwie noch mehr haben wollen oder sich angesichts der vielen Arbeit berechtigt fühlen, sehr viel zu verdienen, egal ob dies die Gebührenordnung hergibt oder nicht. Zu nennen sind auch mehrere Fälle in Deutschland, wo Kollegen sich zu Erben reicher PatientInnen machen ließen, die sie behandelten. Ist so eine Erbschleicherei unethisch? Ja. Ist sie strafbar? Nicht immer. Noch weiter gehen Ärzte, die (ohne Wissen und Einverständnis des Patienten) hohe Lebensversicherungen auf einen Patienten abschließen.
Um Betrug ging es auch in einigen Fällen, wo operativ tätige Kollegen Millionen aus Unfallversicherungen mit verbesserte Gliedertaxe kassieren wollten, in dem sie selbst sich einen Daumen amputierten und dies als Unfall beim Holzhacken oder mit der Kreissäge tarnten. Sie wurden überführt anhand völlig untypischer Verletzungsmuster und z.T nachweisbaren Restbeständen an Lokalanästhetika in den abgetrennten Fingern.
Nicht Betrug aber immerhin ethisch fragwürdige Ausbeutung ist das Finanzgebahren mancher Psychotherapeuten, wenn PatientInnen ihre Urlaubszeiten nicht denen des Therapeuten anpassen. Obwohl keinerlei Gegenleistung erbracht wird werden diese Stunden den Analysanden voll als Ausfallhonorar in Rechnung gestellt. (LIT Reimer).
Betrug und Fälschung ereignen sich nicht nur in Finanzangelegenheiten, auch in der Forschung kommen sie vor. So wurden von 2000 von der Universität Freiburg zwei medizinische Habilitationen aberkannt, weil die zugrundeliegenden Publikationen an wichtigen Stellen schlichtweg gefälscht waren. International sind hier Fälle bekannt geworden, bei denen falsche Medikation u.ä. auch zur Patientengefährdung geführt haben. Nicht übersehen sollte man Fälschungen von BTM Rezepten durch süchtige Ärzte, die so versuchen ihren eigenen illegalen Opiatgebrauch über Patientenrezepte zu verschleiern.
In meiner psychotherapeutischen Arbeit mit angeklagten oder wegen Betrug verurteilten Ärzten ist auffallend, wie wenig subjektives Schuldbewußtsein vorhanden ist. Meistens wird die Schuld im System, bei pingeligen Kontrolleuren oder übereifrigen Staatsanwälten gesehen ( die es ja im Einzelfall auch geben mag). Selten, ja fast nie kommt die Einsicht, zu viel gewollt, Grenzen mißachtet und dafür folgerichtig bestraft worden zu sein. Die mittlerweile massiven Reaktionen von KV, Staatsanwalt, Presse und Berufsgerichtsbarkeit werden subjektiv von den Ärzten, die betrügen, als völlig unangemessen, traumatisierend erlebt: ” die wollen mich fertig machen”. In der Tat sind solche Prozesse für den Arzt eine schwere Belastung, die in keinem Verhältnis zu dem möglichen zusätzlichen Gewinn stehen. Jeder, der Kollegen unter Anklage begutachtet oder behandelt, kennt hier Situationen, die bis zur Existenzvernichtung oder dem Suizid eskaliert sind ( LIT Mäulen). Bundesweit bekannt geworden ist das Beispiel des Essener Pathologen, Kemnitz, der sich schlußendlich suizidierte.

IV Sexuell übergriffige Ärzte

Tabelle II Sexuell übergriffige Ärzte

2003 Kölner Neurologieprofessor wegen sex. Mißbrauchs an 3 Patientinnen
verurteilt (Stimmgabelprozeß)
2002 Lübecker Notarzt wird wegen Vergewaltigung einer Frau im Notdienst
zu 4,5 J Haft verurteilt
2002 35j. Assistenzarzt in einer Stuttgarter Herzklinik mißbraucht frisch
operierte Pat; Haftstrafe
2000 Heidelberger Gynäkologe wegen Sex mit 15j Praktikantin verurteilt
2000 Thüringer Kinderarzt erhält wegen sex. Mißbrauchs einen taubstummen
Jungen 5 Jahre Haft
1997 Lindauer Arzt wegen Vergewaltigung einer 16 jährigen Patientin unter
Narkose verurteilt

Lange Zeit wurden sexuelle Übergriffe von Ärzten nicht als das erkannt was sie darstellen – Ausnutzung und Verrat einer auf Vertrauen beruhenden Beziehung hier der von Arzt zu Patient. Mittlerweile hat hier ein Umdenken stattgefunden und auch eine Novellierung einschlägiger Gesetze. So ist gegenwärtig sexueller Kontakt zwischen Psychotherapeuten und PatientInnen nach §174c unter Strafe gestellt; ebenso sexuelle Handlungen mit bewußtseinsgetrübten oder nicht einwilligungsfähigen PatientInnen (LIT Venzlaff-Foerster). Bei uns nicht, wohl aber in den USA, wird darüber hinaus jeglicher sexueller Kontakt zu PatienTinnen bestraft. Gleichwohl finden immer wieder Grenzüberschreitungen statt, von denen vermutlich nur ein kleiner Teil zur Anzeige gebracht wird. Noch stärker als bei betrügerischen Ärzten sind die beruflichen Konsequenzen für angeschuldigte Ärzte- i.d.R. desaströs. Angestellte Ärzte werden suspendiert oder gekündigt, sobald eine Anzeige vorliegt. Seitens der Gerichte wird ein teilweises oder vollständiges Berufsverbot verhängt und dazu noch eine mehrjährige Haftstrafe. Die angeschuldigten Ärzte (hierzulande ausschließlich Männer, in den USA jedoch auch zunehmend Ärztinnen!) bewegen sich auf einer immer mehr geneigten abschüssigen Verhaltenskette, die mit harmloseren Gesten, Worten, Berührungen beginnt, nicht selten auch romantische Gefühle einbezieht, schließlich aber für den einen oder anderen bei den in Tabelle II genannten kriminell massiv ausnutzenden Verhaltensweisen enden kann. Manche Ärzte/innen haben im Rahmen einer Partnerschaftskrise sexuelle Kontakte zu PatientInnen, davor und danach aber nicht mehr. Andere hingegen sind Serientäter mit einer Vielzahl von Opfern. Die juristischen Auseinandersetzungen sind dann maximal, alle Rechtsmittel werden ausgeschöpft, Gutachter und Gegengutachter und Sachverständige verschlissen, bis am Ende oft eine Verurteilung stattfindet. Ein solcher Mammutprozeß war 2003 die Verhandlung vor dem Kölner Landgericht: Ein Neurologe der Universität in Köln hatte die Vorwürfe wegen sexuellen Mißbrauchs an drei Patientinnen bis zum Schluß vehement bestritten. Ihm wurden unter anderem medizinisch nicht zu rechtfertigende “Untersuchungen” von Frauen mit einer Stimmgabel im Genitalbereich vorgeworfen. Der Streit ging bis zum Bundesgerichtshof, der letztinstanzlich eine Revision ablehnte.
Kriminell und im höchsten Maße die Arztrolle als Helfer konterkarrierend sind all die sexuellen Übergriffe, die Ärzte unter Narkose durchführen oder wie bei dem Stuttgarter Fall bei einer frisch Operierten. In Einzelfällen haben Ermittler sogar bei den – fast immer stattfindenden Hausdurchsuchungen- Privatvideos von solchen Mißbrauchsszenarien gefunden. In den USA wurde ein Zahnarzt verurteilt, der in Äthernarkose Sex mit einer Patientin hatte, die dann schwanger wurde und nicht wußte, wer der Vater war. Erst nachdem eine FBI Ermittlerin sich als Patientin in die Zahnarztpraxis begeben hatte und ebenfalls eine Narkose bekam, konnte der Arzt durch die Überwachungskamera in flagranti überführt werden. In der Behandlung solcher Kollegen – sofern sie überhaupt zustande kommt- zeigen diese häufig massive Abwehr, Verdrehung der Schuld und Verantwortung “sie wollte es doch auch” sowie Verleugnung der Realität des Vorgefallenen. (LIT Tschan).

V gewalttätige Ärzte

Tabelle III Gewalttätige Ärzte

2004 Kieler Tierarzt sticht Zahnarzt nieder, Grund: längerer Streit unter Nachbarn
2004 Mordanschlag auf Arzt der Charité, Grund: Konkurrenz unter Forschern
2003 spanische Ärztin ersticht 2 Menschen, verletzt 6 weitere in Madrider
Krankenhaus
2003 Arzt plante Mord an Kollegen, der wegen Abrechnungsbetruges gegen
ihn aussagte
2001 Chefarzt (Bundeswehr Hamm) vergiftet d. Ehefrau und tarnt den Tod
als Unfall
2000 Chefarzt tötet in Heiligenhaus Frau und vierjährige Tochter und suizidiert
sich selbst
2000 H. Shipmann, Allgemeinmediziner aus Manchester wegen Mord an ca.
15 Pat. verurteilt
1999 Freiburger Radiologe tötet seine beiden Kinder aus Rache an der
geschiedenen Frau
1996 prakt. Ärztin aus Bayern vergiftet 21.jährigen Pat. mit Selen;
Motiv: Lebensversicherung
1993 der Stuttgarter Arzt Dr. W. filmt Patientinnen nackt, tötet mehrere Frauen

Gewalttaten durch Ärzte oder Ärztinnen sind die extreme Ausnahme. Wie aus Tabelle III ersichtlich sind die Opfer dieser Gewalttaten nahe Angehörige (Beziehungstaten), Kollegen oder Patienten; nur im Ausnahmefall trifft es völlig unbekannte Personen. Die Beziehungstaten ereignen sich häufig im Affekt, zum Teil handelt es sich um erweiterten Suizid. Es gibt aber auch Fälle von vorsätzlicher Tötung also Mord. Als Privatpersonen greifen Ärzte -wie andere Menschen auch- im Rahmen erbitterter destruktiver Beziehungsverstrickungen zum äußersten Mittel. Hier versagt die Affektregulierung, es kommt zum Impulsdurchbruch möglicherweise in Verbindung mit narzisstischer Kränkung. Aus den Paartherapien mit Ärzten und Ärztinnen weiß ich, wie schwierig und verwickelt die Arztehe sein kann, wie mühsam der Weg zu einer Trennung. (LIT Mäulen) Interessant ein Hinweis von Roy Menninger, der bei einer Umfrage unter Ärzten zu Eheproblemen die Antwort erhielt “divorce no- murder yes!” (Scheidung Nein – Mord Ja). (LIT Menninger)

Die allergrößte Erschütterung des Bildes vom Arzt entsteht bei vorsätzlichem Mord an Patienten/innen. Wohl kaum etwas hat hier mehr Entsetzen ausgelöst als die Serienmorde eines Jahrzehnte unauffällig wirkenden Hausarztes aus dem Raum Manchester, England. Harold Shipmann hat vermutlich mehr als 200 seiner PatientInnen mittels Morphium getötet. Weil er als Hausarzt die Totenscheine ausfüllte, fiel dies lange Zeit nicht auf. Es scheint kaum begreiflich, dass niemand einen Verdacht hatte. Mittlerweile sind sechs seiner Kollegen angeklagt, denen der Staatsanwalt fahrlässige Gegenzeichnung von Sterbeurkunden vorwirft. H. Shipman selbst suizidierte sich 2003 in der Haft, bis heute bleiben seine eigentlichen Motive im Dunkeln. Ein weiterer Serientäter war der Pariser Arzt Dr. Petiot, der die Notlage jüdischer Mitbürger ausnutzte. Unter der Vorspiegelung er schleuse sie über die Grenze, tötete er mehrere Dutzend dieser Menschen, von denen einige auch Patienten bei ihm gewesen waren. ; meist injizierte er eine tödliches Gift und zerstückelte die Leichen später eigenhändig. Sein Motiv war klar: Habgier. Unmittelbar nach dem Krieg wurde Dr. Petiot zum Tode verurteilt. (LIT Pfeiffer)
Auch Gewalttaten unter Kollegen ereignen sich, darunter gleich drei in den Jahren 2003 und 04. In Kiel stach ein Tierarzt im Rahmen eines seit längerem schwelenden Streites auf einen Zahnarzt ein, eröffnete die Halsschlagader und sah ohne Hilfe zu leisten zu, wie der Kollege blutend am Boden lag. Der Zahnarzt wurde nur gerettet, weil er selbst per Handy schnell Hilfe holte. Bis heute ist die Täterschaft eines Mordanschlages in der Berliner Charité nicht geklärt. Durch ein nur Fachleuten bekanntes Gift, dass in einer Wasserflasche aufgelöst war, wurde ein junger Arzt lebensgefährlich vergiftet. Vermutetes Motiv hier ist die Konkurrenz unter Forschern.
Im Raum Augsburg wurde ein Arzt kürzlich von einem Anlageberater um 300.000 € gebracht. Um wieder an das Geld zu kommen, lockte der Arzt den Mann in sein Haus, spritzte ihm zwangsweise ein Schlafmittel und erzählte dem Wiedererwachten, er habe ihm eine Sprengkapsel eingepflanzt, die er jederzeit zünden könne. So genötigt gab der Kaufmann seinen Widerstand auf und stellte die geforderten Schecks aus. Der Arzt bekam sein Geld, wurde aber später verurteilt und verlor die Approbation.
Bezüglich der Tötungsmittel ist eine berufsspezifische Wahl und Anwendung auffällig: Oft geht es um Vergiftungen (darunter seltene oder schwer nachweisbare Substanzen) , teilweise um Injektionen, die manchmal übersehen werden. Püschel (Hamburg) fand in einer Rechtsmedizinischen Untersuchung bezüglich der Tötungsmethoden bei 22 analysierten Fällen:

Tabelle IV Tötungsmethoden gewalttätiger Ärzte (Mehrfachnennung möglich) zit.. Püschel 2003

- 9x Medikamentengabe (tödlich oder zur Betäubung vor der Tat)
- 8x Medikamentengabe per Injektion
- 5x Narkotikaverabreichung
- 3x Medikamentengabe vor Gewaltzufügung (2x Narkotika; 1x Muskelrelaxans)
- 3x spurenarmes Ersticken mit weicher Bedeckung
- 2x Zufügung artifizieller Blutungen (1x nach Narkose; 1x nach Ersticken zur Suizidvortäuschung)

Nur am Rande erwähnt sei, dass Ärzte in Laufbahnen außerhalb der Medizin gewalttätig und grausam sein können. Der kubanische-argentinische Freiheitsheld Che Guevara war Arzt, Revolutionär, zugleich aber nach Etablierung des kommunistischen Regierung Castro’ s auch Minister. Er hat eine hohe Zahl von Exekutionen angeordnet, zusätzlich eigenhändig mehrere davon ausgeführt.

VI Ärzte als Helfer einer Medizin ohne Menschlichkeit, Ärzte und Folter

Was eine Medizin ohne Menschlichkeit an menschenverachtenden Experimenten durchführte, beschäftigt uns bis heute: Mengele und seine Helfer. Der Widerspruch zwischen Grausamkeit im Beruf einerseits und einer schöngeistig, liebevollen Privatseite bleibt ungelöst. Die Experimente der Nationalsozialisten sind die bisher schockierendsten, die bekannt geworden sind. Trotzdem haben zahlreiche beteiligte Ärzte auch nach 1945 ihre medizinische Laufbahn fortsetzen können (LIT Klee.)
Auch nach den Nürnberger Ärzteprozessen forschten Ärzte in vielen Ländern inclusive den USA an Gefängnisinsassen, geistig Behinderten oder Heimzöglingen in Studien, die aus heutiger Sicht unethisch waren (LIT Blüchel) In England sorgte die 1000 fache Entnahme von Organen aus Kinderleichen ohne Einverständnis der Eltern für große Empörung. Ausgerechnet im “sozialen” Schweden wurde vor einiger Zeit aufgedeckt, dass bis 1976 über 60 000 Menschen größtenteils gegen ihren Willen von Ärzten sterilisiert wurden. Außerdem hatten Zahnärzte behinderte Kinder mit Süßigkeiten überhäuft, um an Ihnen Kariesauswirkungen zu studieren (LIT afp).
Obwohl es gegen die Berufsethik verstößt waren 20% von 1000 befragten US Ärzten bereit, ein Todesurteil an einem Gefangenen zu vollstrecken und auch selber die tödliche Injektion vorzunehmen. (LIT www)
Hilfen von Ärzten bei Folter waren und sind dokumentiert. Große Empörung erregte kürzlich der gründlich recherchierte Beitrag von Steven Miles: Abu Ghraib -its legacy for military medicine im LANCET. Miles hat darin das Versagen der Militärärzte im Irak in Bezug auf die ethischen Prinzipien der AMA und des Weltärzteverbandes bezüglich medizinischer Versorgung Gefangener nachgewiesen: ihr systematisches Wegschauen, unterlassene Hilfeleistung und teilweise Fälschen von Dokumenten, um Folter zu vertuschen. (LIT Pross). Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die American Medical Association die sonst sehr rigoros gegen unethisches Verhalten von Ärzten vorgeht, in diesen Fällen bisher noch keine Untersuchung gestartet hat.

VII Krank oder Böse? Wege zum Verstehen ärztlichen Fehlverhaltens

Die oben geschilderten Beispiele sind schlimm, kriminell und widersprechen dem Bild, das wir uns vom Arzt machen. Auch wenn der Alltag die Erfahrung vermittelt, daß weder die Patienten, noch die Kollegen, noch wir selbst einfach nur gut sind – liegen doch die kriminellen Handlungen für die meisten LeserInnen weit weg. Allenfalls punktuell haben wir erlebt, wie ein Kollege ausrastet, wie es Streitigkeiten und Geschrei im Krankenhaus, in der Praxis ja und auch vor einem Patienten gab.( LIT Schwarzenberg) Ärzte, die sich einer Selbsterfahrungs- oder einer Balintgruppe unterziehen , kennen schon eher die Vielfalt von Gefühlen in der Gegenübertragung auf Patienten: von Liebe bis zum Haß (LIT Gabbard). Firth Cozen ermittlete unter britischen Ärzten einen Zusammenhang zwischen übermäßigem Streß und Haß auf Patienten (LIT Firth Cozen)Von gleicher Heftigkeit können Gefühle von Neid, Rachsucht zB gegenüber einem unfairen Chef oder auch Eifersucht und Konkurrenz sein. Meine Ausbilderin, die Psychiaterin Elisabeth Kübler Ross, wurde im Foyer des Billings Krankenhauses in Chicago von einem Abteilungschef geohrfeigt. Viele meiner Arztpatienten tragen eine erhebliche ohnmächtige Wut in sich: auf das System, das uns immer weniger Freiheit und Finanzen läßt, auf die Ärztefunktionäre oder Krankenkassen oder auch die lokale Bank, die nach zwanzig Jahren Geschäftsbeziehung den Geldhahn abdreht. Hier kommt es innerhalb des schützenden Rahmens der Psychotherapie zu beachtlichen Gewaltfantasien. Und doch sind 99% der Kollegen eben nicht gewalttätig oder sexuell übergriffig. Bei Ihnen funktioniert die Affektregulierung. Was also liegt bei denen vor, die dann doch straffällig werden? Diagnostisch gehtes bei der Mehrzahl der Fälle um Krisen im privaten Bereich (Verlust und Trennungserlebnisse), affektive Erkrankungen (Depression), Suchterkrankungen sowie Persönlichkeitsstörungen (narzißtisch, antisozial); seltener sind Paraphilien und Psychosen. Hier bestehen Druck, Not, Gefühlsstau, Selbstwertstörung erheblichen Ausmaßes und allzu oft vermag sich ein Kollege/in nicht rechtzeitig Hilfe zu holen.
Für viele niedergelassene Ärzte besteht ein jahrelanges Defizit: an balanciertem Lebensstil, an genügend Zeit für sich, für die Familie, an Entspannung. Dies macht vulnerabel, auch für Grenzüberschreitungen. Das Gefühl der “inneren Mangelversorgung” mag motivationell hinter einigen der betrügerische Aktionen stecken. Neben diesen noch nachvollziehbaren Motiven gibt es aber auch echte Fälle von Dr. Jekyll & Mr. Hyde. Hier ist ein Arzt, der hinter einer sozial gewinnenden oder akzeptablen Fassade ein machtbesessenes, grausames und ausbeutendes Ego hat. Richard Irons, ein forensischer Gutachter in Kansas, der hunderte von angeklagten Kollegen untersuchte, beschreibt solche Ärzte wie folgt: Grandiosität und überlegene Intelligenz mischt sich hier mit narzißtischen, soziopathischen und borderline Persönlichkeitsstörungen größeren Ausmaßes. Auf Grund geschickter psychologischer Abwehr, genauer juristischer Kenntnis und excellenter Fähigkeit Rollen zu spielen, sind diese Kollegen schwer zu erkennen. Zerbricht die schillernde oder berühmte Fassade, werden sie in allen Medien abgebildet. (LIT Irons). Zum Teil verwirren oder täuschen sie auch erfahrene forensische Gutachter. Als Beispiel sei Neurologe Dr. Myrick in dem Film Extrem genannt, ein brillianter Neurochirurg, der Experimente an Obdachlosen macht. Oft gibt erst der Verlauf die entscheidenden Hinweise. Meist sind die anfänglichen Grenzüberschreitungen harmloser. Ähnlich wie im Roman von Stevenson, übernimmt der “Mr. Hyde”, also der Schattenteil immer mehr Raum ein, die Risiken werden größer, die Destruktivität grausamer, bis irgendwann Staatsanwalt und Richter genügend Beweismaterial zusammen bringen.
Im Gegensatz zum Schwarz-weiß Denken “gute Ärzte – böse Ärzte” liegt also ein Kontinuum vom Normalen über das Grenzwertige bis zum Pathologischen vor (LIT Simon). Ärzte können in Krisenzeiten oder durch Krankheiten aus ihren normalen Gefühls- und Verhaltensmustern fallen, bis sie keinen Ausweg mehr sehen. Mit entsprechender Hilfe lassen sich aber in vielen Situationen Krisenbewältigung, Suchtbehandlung, Krankheitsbewältigung erreichen, worüber die Reihe Ärztegesundheit der MMW ja schon berichtete.

VIII Was kann die Ärzteschaft gegen ärztliches Fehlverhalten tun?

Die Einsicht, daß “schwarze Schafe” in jedem Berufsstand auftreten, befreit die Ärzteschaft nicht von der Notwendigkeit, effektive und professionelle Interventionsmaßnahmen zu entwickeln und fortzuschreiben. Insgesamt liegt Deutschland hier nicht an vorderster Stelle, manche Möglichkeit den professionellen Standard zu verbessern bleibt ungenützt oder wird nur sehr lax gehandhabt.
Deutlich strenger wurde in den letzten Jahren die Vorgehensweise bei Abrechnungsbetrug: häufigere und erhöhte Plausibilitätskontrollen, wesentlich offenere und schnellere Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft, ja Weitergabe offensichtlich betrügerischer Fälle und Anzeige bei den Ermittlungsbehörden (zuletzt KV Niedersachsen). Das hat es früher so nicht gegeben. Fehlverhaltensweisen im Rahmen süchtiger Erkrankungen werden noch immer zu wenig konsequent angegangen. Obwohl einige ÄK wie die ÄK Hamburg effektive Systeme zur Konfrontation und Therapie entwickelt haben, hinken viele andere Bezirke nach.
(LIT Damm Hamburg). Im Bereich Aufklärung über Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung von PatienTinnen durch Ärzte bleibt noch vieles zu tun: Vorstellung von “Versuchungssituationen”, den Faktoren, die einen Arzt /eine Ärztin vulnerabel machen, Möglichkeiten angemessen zu reagieren, gestufte Auflagen durch die Kammer oder die KV etc.. Allerdings hat der frühere Justitiar der ÄK Südbaden, Rechtsanwalt Dr. Rosset, die Möglichkeiten zu Auflagen beim Zulassungs- oder Disziplinarverfahren der KV eher skeptisch beurteilt. Hier müsste ggfs. nachgebessert werden. Bezüglich der Möglichkeit gewaltbereite Ärzte durch Auflagen zu stoppen sind die Chancen eher gering. Immerhin haben die Ärztekammern der USA für cholerisch aufbrausende, u.U. im OP unbeherrschte z.B. mit Gegenständen werfende Kollegen Diagnose- und Hilfsprogramme entwickelt. Unter der Bezeichnung “disruptive physician” werden solche Störungen der Impulskontrolle als Problem ggfs, auch als Hilfeschrei von Kollegen aufgefaßt (LIT Goldman). Meistens folgt darauf eine Vorladung zu einem Unterausschuß der Landesärztekammer, die eine differenzierte Begutachtungen anordnet. Solche “Evaluationen” gehen über mehrere Tage, werden von externen, unabhängigen Institutionen durchgeführt. Ich selbst hatte Gelegenheit, bei solchen Begutachtungen als Beobachter teilzunehmen. Ich halte sie für ein gutes Mittel, um Kollegen mit Fehlverhalten fair zu beurteilen und vor allem geeignete Maßnahmen für zugrunde liegende Störungen oder Krankheiten und ggf. auch Auflagen für die Praxistätigkeit zu empfehlen. Diese Maßnahme könnte von den Zulassungs- oder Disziplinarausschüssen der Kammern in Deutschland auch angewandt werden.
Darüber hinaus ist jeder einzelne Kollege verantwortlich, zwischen naiver Kollegialität und grundsätzlichem Mißtrauen einen individuellen Mittelweg zu gehen. Konkret bei einer Häufung von Auffälligkeiten wenigstens daran zu denken, ob es eventuell
a u c h um ärztliches /pflegerisches Fehlverhalten gehen kann. Zu lange dauerte es, bis die Kollegen von Dr. Shipman, die des Essener Pathologen Kemnitz oder auch die Ärzte im Krankenhaus in Bernkastel-Kues, wo 10 Säuglinge schwer mißhandelt wurden, Alarm schlugen. Ist dies verbunden mit einem Verlust von freundschaftlicher Kollegialität? Leider ja, aber nur in dem Bereich unrealistischer und naiver Gutgläubigkeit.
FAZIT Jede Berufsgruppe und ihre Organisationen hat die Verantwortung, für Richtlinien ethisch-professionellen Handelns einzustehen und auch disziplinarische Maßnahmen zu ergreifen. Ein solches System besteht für alle deutschen Ärztekammern, sollte aber deutlich ausgebaut werden. Darüber hinaus erscheint es notwendig eine Mischung aus kontinuierlicher Fortbildung, klar strukturierten Vorgehensweisen bei professionellen Verstrickungen, eine angemessene frühe und häufige Begutachtung sowie Auflagen und Kontrollen zu entwickeln.

 

Literatur

1. afp (1997) Schweden: Zahnexperimente an Behinderten
Deutsches Ärzteblatt 94, A-2792
2. Blüchel, Kurt (1976) Die weißen Magier. Fischer Verlag
3. Firth-Cozen, Jenny (2000) Gestreßte Kollegen hassen Patienten.
Zitiert in Ärztezeitung 2000
4. Damm, Klaus (2001) Die Erfahrungen der ÄK Hamburg mit
suchtkranken Ärzten. In Zerdick (HRSG.): Suchtmedizin im
Dialog. VWB Verlag
5. Gabbard (1996) Love and hate in the analytical setting.
Aronson Publisher
6. Goldman, Larry (2000) the Handbook of Physician Health
American Medical Association Chicago,
7. Irons, Richard (1998) The wounded healer. Aronson Publ.
8. Klee, Ernst ( 2001) Deutsche Medizin im Dritten Reich. Fischer Verlag
9. Mäulen, Bernhard (2000): Ärzte – Versager in der Ehe?.
Münchener Medizinische Wochenschrift, 142 , 4-8
10. Mäulen, B. (2000): Arzt am Pranger- Behandlungsfehler und
die Folgen. MMW, 142, Nr. 22, 4-10
11. Menninger, Roy (1988) Medical Marriages. Amer. Psychiatr. Press
12. Miles, Steven (2004) Abu Ghraib its legacy for military medicine.
Lancet 364, 725-729
13. Pfeiffer, Hans (2001) Der Zwang zur Serie. Ullstein Verlag
14. Pfeiffer, Hans (1997) Der hippokratische Verrat. Militzke Verlag
15. Pross, Christian (2004) US-Militärgefängnisse: Ärzte beteiligten sich
an Folterungen. Deutsches Ärzteblatt 101, Ausgabe 43 , Seite A-2873
16. Püschel, Klaus (2003) Tötungsdelikte durch Ärzte und die Hintergründe.
Dt. Ärzteblatt, Jg.100, A2285-2288
17. Reimer, Christian (1996) Psychotherapie- ein Lehrbuch
Springer Verlag
18. Rosset, Christoph (2005) Anordnung zur Gutachtensbeibringung
im Zulassungs- bzw. Disziplinarausschuß. Persönliche Mitteilung
19. Schwarzenberg, Therese von (1995) Mein Weg zurück ins Leben.
European University Press
20. Simon, Robert (1995) Bad Men do what good man dream- a forensic
psychiatrist illuminates the darker side of human behavior.
American Psychiatric Press, Washington
21. Tschan, Werner (2001) Missbrauchtes Vertrauen – Grenzverletzungen
in professionellen Beziehungen. Karger Verlag
22. Venzlaff-Foerster (2004) Psychiatrische Begutachtung. Urban&Fischer
23. Vollmer, Rainer (2002) Große Keule trifft Ärzte nur selten.
Ärztezeitung vom 11.6.2002
24. www.20min.ch (2001) Hinrichtungen: US Ärzte zur Mithilfe bereit