Fasten, Abnehmen, Genießen für Ärzte – Interview

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Fasten – ein Weg auch für dicke Ärzte/ Ärztinnen
Interview mit Dr. med. Francoise Wilhelmi de Toledo, Klinik Buchinger, Bodensee

von Bernhard Mäulen
BM: Frau Wilhelmi, sie leiten die Klinik Buchinger. Wie kam der Gründer dieser Klinik Otto Buchinger überhaupt zum Fasten?
Dr. Wilhelmi de Toledo: Durch das Erlebnis eigener Erkrankung im ersten Weltkrieg: Damals war O. Buchinger bereits 16 Jahre Marinearzt und bekam ein rheumatisches Fieber. In der Ära vor den Antibiotika befiel dies seine Gelenke, so dass er praktisch zum Krüppel wurde und als kriegsuntauglich entlassen wurde. Ein Kollege erzählte ihm vom Fasten und mit dem Mut des Verzweifelten hat er dann tatsächlich streng gefastet. Zu seiner totalen Überraschung war die Wirkung enorm. Buchinger sagte am Ende des 3 wöchigen Fastens: “ich war abgemagert und schwach aber konnte alle meine Gelenke wieder bewegen wie ein gesunder Rekrut. Dieses Fasten bei Dr. Riedlin rettete mir wahrlich Existenz und Leben.”

BM: Haben Sie auch Ärzte, die hierher zum Fasten kommen?
Dr. Wilhelmi de Toledo: In der Tat kommen viele Kollegen, oft wegen einem metabolischen Syndrom, d.h. die Krankheit des zu Viel des Menschen an Essen, Trinken, Arbeit und meist zu wenig an Bewegung. Hier sehen wir Ärzte/innen mit deutlichem Übergewicht und diversen somatischen Risikofaktoren. Diese fasten mit großem Erfolg, am Ende können sie oft mehrere Medikamente absetzen und der Körper zeigt z.T überraschende Normalisierung von vorher pathologischen Laborwerten.

BM: Beeinflußt das Übergewicht die ärztliche Tätigkeit?
Dr. Wilhelmi de Toledo: Unsere Arztpatienten berichten, dass ihr Übergewicht sie im Alltag stark belastet; manche habe Schmerzen des Bewegungsapparates, die sie bei Untersuchung und Diagnostik behindern; andere spüren einfach, dass sie körperlich nicht genügend leistungsfähig sind für den Arztberuf,

BM: Sind die Erfolge durch das Fasten für die Ärzte denn von Dauer?
Dr. Wilhelmi de Toledo: Dies gelingt, wenn am Lebensstil Veränderungen vorgenommen werden, insbesondere in den Bereichen Ernährung, Bewegung und emotionales Gleichgewicht. Das ist für Ärzte oft sehr schwer. Sie wissen das natürlich alles, aber die Umsetzung im eigenen Leben braucht Anstrengung- Veränderung in der Praxis, mehr körperliche Bewegung am Wochenende, weniger Alkohol, gesündere Fette etc.
Immer wieder erstaunt mich, wie glücklich Ärzte hier oft sind, im Gegensatz zum Alltag. Bei ihrem Fasten hier sind sie ausgeglichen, zufrieden, erleben eine Harmonisierung ihres Gemütes. Das überrascht auch die Ärzte selbst.

BM: Hinter dem zu viel Essen stehen also bei Ärzten auch psychische Gründe?
Dr. Wilhelmi de Toledo: Ja! Viele Kollegen kommen müde, überarbeitet hierher, Essen ist z.T. ihre Hauptgenussquelle, auch weil für anderes nicht genügend Aufmerksamkeit besteht.
Man muß zugeben, der Genuß am Essen, insbesondere dem wahllosen Essen ist ein Riesengenuß. Wenn sie daran gehen, das zu ändern, müssen sie andere Genussquellen erschließen, sonst stimmt die Gesamtbilanz nicht mehr. Ärzte merken oft nicht, wie wenig Zeit sie sich zu Hause für sich selbst nehmen und erst wenn sie hier wirklich Ruhe haben, entdecken sie wieder mehr von ihrer Genussfähigkeit. Wir müssen einfach den Ärzten beibringen, dass sie die Freudeim Leben wieder entdecken. Es geht um Genussquellen, die nicht dick machen.
BM: Es heißt oft, Ärzte seien schwierige Patienten. Stellen Sie das a auch fest?
Dr. Wilhelmi de Toledo: Überhaupt nicht! Ganz im Gegenteil. Selbst wenn viele Kollegen anfangs eher skeptisch sind, ob das Fasten überhaupt etwas bringt, gewinnen sie durch ihr eigenes Erlebnis einen völlig neuen Zugang, einen neuen Horizont. Für manche ist es zudem das erste Mal, daß sie quasi im Selbstversuch die Effektivität einer ihnen unbekannten Behandlungsmethode – des Fastens- erproben. Außerdem genießen viele Ärzte es, selber mal verwöhnt zu werden, weil sie sonst immer in der anderen Rolle des Gebenden sind.

BM: Welche Veränderungen empfehlen Sie den Kollegen, um längerfristig gesund zu bleiben?
Dr. Wilhelmi de Toledo: Ärzte sind in ihrem Beruf extrem viel an Druck unterworfen. Drum ist es zunächst mal allgemein wichtig ausreichend Urlaub zu machen, und dies konsequent einzuplanen d.h. im Bestellbuch einen roten Strich zu machen. Dann auch bewusst (wieder) zu entdecken, was liebe ich? Was sind die Sachen die mich wahnsinnig fröhlich machen? durchaus auch im Physischen – Sport, Sex, im Emotional Beziehungen pflegen, oder musizieren. Ärzte können so mehr an Genuß in ihr Leben einbauen, das ist wichtig, genauso wie Essen und Trinken. Die praktizierte Erkenntnis für den Helfer: um anderen beistehen zu können muß ich selbst ein gewisses Quantum an Genuß und Freude in meinem Leben haben.
Insofern ist die Fastenkur nicht nur ein Weglassen, sondern auch eine Lebensschule. Dabei geht es um ein inneres Entdecken – was brauche ich wirklich? Was macht mich glücklich und dafür im Alltag Zeit einzuräumen. Dies wird dann die Grundlage für Langzeiterfolge auch nach dem Fasten.
Das andere ist die dauerhafte Änderung der Ernährungsgewohnheiten. Wie dies geht, habe ich in meinem Buch (s.u.) detailliert erklärt.

BM: Nicht alle, die bei Ihnen fasten werden dauerhaft schlank bleiben.
Was verursacht den Rückfall ins alte Muster?
Dr. Wilhelmi de Toledo: Nun wir alle unterliegen einem ständigen Überangebot und einem unbewussten Druck der Werbung, mittlerweile schon unsere Kinder. Dies ist einfach ein hoher kollektiver Druck, dem sich das Individuum nicht so einfach entziehen kann. Das muß festgestellt werden ohne Urteil. Ganz wichtig, wir dürfen Fastern, die später wieder deutlich zunehmen nicht den Stempel des Versagers aufdrücken. Für manche ist es ein Erfolg, ihr Gewicht auf Dauer zu halten, und nicht einfach ungebremst immer mehr und mehr zuzunehmen. Gleichermaßen können Ärzte heute ja nicht nur an ihre Gesundheit denken, viele sind auch wirtschaftlich stark herausgefordert, müssen mehr arbeiten, als sie wollen. Ich befürchte, wenn diese Entwicklung so weiter geht, wird es irgendwann nicht genügend Ärzte geben, die diese Arbeitsweise aushalten und zugleich gesund leben können.

BM: Haben sich die Ärzte, die zu Ihnen kommen, im Laufe der Jahrzehnte verändert?
Dr. Wilhelmi de Toledo: Ja eindeutig. Das betrifft zunächst die einweisenden Ärzte. Früher bestand da sehr viel Skepsis, heute eine viel größere Offenheit Fasten als Teil eines ganzheitlichen Behandlungsansatzes zu verordnen. Ganz verschwunden ist die frühere Haltung einzelner Hausärzte, ihren Patienten das Fasten regelrecht zu verbieten. Hier ist der Trend umgekehrt, Ärzte verschreiben Fasten. Zweitens besteht ein stärkeres Interesse von Kollegen, z.T. von Universitätskliniken forschend mit uns zusammen zu arbeiten um Einzelfragen wissenschaftlich zu klären. Drittens haben die Ärzte, die hier arbeiten, zunehmend ökologische und ethische Ansätze. Solche hat es auch früher gegeben, aber mehr als Ausnahme, während wir das heute häufiger sehen und natürlich sehr schätzen.

BM Wie entwickelt sich das Gewicht der Ärzte, die bei Ihnen fasten, nach der Kur?
Dr. Wilhelmi de Toledo: Grob ein Drittel schafft es, ein niedrigeres Gewicht zu halten. Ein weiteres Drittel stoppt eine vorher aszendierende Gewichtsentwicklung dauerhaft , wenngleich auf einem Niveau oberhalb des Normalgewichts. Manche müssen dafür wiederholt und etappenweise fasten, denn wir leben nun mal von der Seite des Nahrungsangebotes her im Schlaraffenland.

BM: Vielen Dank für das Interview.
Buchtipp:
Buchinger Heilfasten
- ein Erlebnis für Körper und Geist.

von Dr. med. Francoise Wilhelmi de Toledo:
Trias Verlag, Stuttgart, 2003

weitere Informationen zum Fasten: www.buchinger.com.

Dr. med. Bernhard Mäulen