Ärztegesundheit – eine kurze Einführung

Was ist Ärztegesundheit? | Sucht | Stress | Ehen | Depression-Suizid | Behandlung | Start | Arztpersönlichkeit und Arztideal | Sexuelle Übergriffe | Der kranke Arzt | Lebensqualität | Alter | Tod und Sterben | Ärzte unter Anklage | Ärztinnen | Trauma und Gewalt | Finanzen | Selbstversuche | Fitness |

ÄRZTEGESUNDHEIT

“Ich dachte, daß Ärzte besonders gesund leben müßten, … die Helfer aber verstummten, wenn es um die Anwendung ihrer eigenen Aussagen auf sie selbst ging” -Wolfgang Schmidbauer

 

I Allgemeine Aspekte

Die Gesundheit oder Krankheit von Ärzten galt lange als Privatangelegenheit, und die Ärzteschaft insgesamt zeigte wenig Interesse dafür. Mit zunehmender Ärztezahl und angesichts einer kritischen Patientenschaft sowie Presse, erhöhte sich die Aufmerksamkeit für Krankheiten von Ärzten. Befürchtungen für dadurch bedingte Fehler oder Mängel in der medizinischen Versorgung wurden laut. Eine veränderte Rechtsprechung sah plötzlich z.B. einen alkoholabhängigen Arzt als mögliches Risiko. Krankenhäuser und Ärzteorganisationen sollten Maßnahmen nachweisen, daß solche Ärzte nicht einfach unbehelligt weiter arbeiten durften. Auch die Gefahr, die Ärzten in ihrem Beruf droht (Tätlichkeiten), die 36 Stunden Schichten u.a. wurden mit immer mehr Sorge beobachtet, und kürzlich vom EU- Gerichtshof eingegrenzt.
Wie bedrohlich es sein kann, wenn Ärzte krank werden und keine geeignete Hilfe finden wurde deutlich, als die US- Ärztin Jerri Nielsen am Südpol bei sich einen Brustkrebs feststellte. In einer dramatischen Rettungsaktion, die viele Menschen in der ganzen Welt verfolgten, wurde sie schließlich gerettet.
Ärztegesundheit ist ein neues Fach, das sich aus dem amerikanischen Physician Health herleitet. Ärztegesundheit erfaßt:

  • wissenschaftliche Erkenntnisse des gesundheitlichen Verhaltens von Ärzten,
  • berufsspezifische Belastungsfaktoren wie z.B. Stress, Behandlungsfehler, Nähe zu Tod,   eigene Gefährdung durch gewalttätige Patienten und ihre Auswirkung auf die Gesundheit   und Arbeitsfähigkeit von Ärzten,
  • · Erkenntnisse über Auswirkungen eigener Krankheit auf die Person des Arztes,
    seine Berufsrolle sowie seine Leistungsfähigkeit in der direkten Tätigkeit am   Patienten.
  • Ärztespezifische Behandlungen, Interventionen und Nachsorge,
  • Identifikation, Behandlung und verantwortbare Rehabilitation von Ärzten mit   Suchterkrankung,
  • sexuelle Übergriffe von Ärzten und ihre Behandlung
  • Burn out, Stress und Suizidalität von Ärzten/innen
  • Besonderheiten in der Belastung und Gesundheitsgefährdung von Ärztinnen
  • Erkenntnisse möglicher Gesundheitsschädigung durch die medizinische Ausbildung
  • Möglichkeiten eines gesünderen Modellverhaltens von in der Lehre tätigen Ärzten  und Ärztinnen an den medizinischen Hochschulen und Lehrkrankenhäusern
  • Kontakt zu und Aufbau von Selbsthilfegruppen für Ärzte
  • Fragen der Lebensqualität, Ärztliche Sinnkrisen, Perspektivlosigkeit und Wiedergewinnung einer beruflichen Motivation angesichts rapider Verschlechterung der  Rahmenbedingungen in Klinik und Praxis .

Diese Fragestellungen sind interdisziplinär; sie betreffen in Forschung und Behandlungsalltag besonders die Psychiatrie, die Arbeitsmedizin und Präventive Medizin. Die organisierten ärztlichen Körperschaften wie Landes- und Bundesärztekammer, Fachgesellschaften etc. sind in der Fürsorge und manchmal disziplinarischen Aktion mit der “praktischen Seite” der Ärztegesundheit häufiger beschäftigt, als ihnen lieb ist. Letztlich sind Tausende von Ärztinnen und Ärzten als Betroffene daran interessiert, bei eigener Erkrankung Hilfestellung zu erfahren. Ihre Not, ihre Hilflosigkeit angesichts eigener körperlicher oder seelischer Erkrankung ist immens. Kollegen, die kranke Ärzte behandeln, hören zu oft die Verzweiflung, die oft berechtigten Klagen über unprofessionelle Behandlung von Ärzten und das lückenhafte Wissen in Fragen der Ärztegesundheit. Aufgabe dieses Lehrbuchkapitels ist es, wichtige Informationen zu vermitteln und daran mitzuwirken, daß Ärzte , wenn sie denn selber erkranken, eine optimale und auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene ärztliche Behandlung bekommen.

Den wesentlichen Anstoß zum Fach Ärztegesundheit gab die AMA (American Medical Association, Chicago) mit einem Artikel “der kranke Arzt” (The sick physician, JAMA,1972). Damals wurde seitens der amerikanischen Ärzteschaft festgestellt, daß es die Gesamtverantwortung und das Gesamtinteresse aller Ärzte sei, kranken Ärztinnen und Ärzte zu helfen, im Interesse der öffentlichen Gesundheit -sprich der Patienten, aber auch aus Fürsorge für die erkrankten Kollegen. Hauptsächlich hatte man damals Ärzte mit Suchterkrankungen gemeint, die nachfolgend auch das Gros der Arzt-Patienten ausmachten. Viel später wurden jedoch auch Kollegen mit affektiven Erkrankungen, Suizidalität, und in den 90 Jahren solche mit Verletzungen der Arzt-Patient Schranke angesprochen und erhielten therapeutische Hilfen sowie Auflagen durch die US- Ärztekammern. Mit der massiven Verschlechterung der organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen ärztlichen Handelns sind darüber hinaus so viele Ärzte in eine gesundheitliche und /oder berufliche Krise geraten, daß in den USA durch Coaching, Berufs- und Karriereberatung, Seminare zur Erneuerung der Motivation zum Arztberuf etc. präventive Maßnahmen in das Fach der Ärztegesundheit mit einbezogen werden. In den deutschsprachigen Ländern sind Fragen der Ärztegesundheit spät aufgegriffen worden, hier stehen bisher die Themen Sucht, Stress und Lebensqualität im Vordergrund wissenschaftlichen Interesses (Fengler, Gottschaldt, Mäulen , Reimer&Jurkat). Eine breite konzertierte Aktion, die Ärzteorganisationen, Forschung und Behandlung erkrankter Ärzte verbindet, Therapierichtlinen erarbeitet und die Forschung koordiniert existiert noch nicht. Immerhin gibt es mittlerweile ein gut ausgebautes Hilfssystem für abhängige Ärzte/innen, die Landesärztekammern bemühen sich um gezielte Hilfestellungen für die Kollegen. Die wachsende Bedeutung zeigt sich in einer gestiegenen Zahl von Veröffentlichungen zu Themen der Ärztegesundheit. Trotzdem liegt die BRD bezüglich des Themas Ärztegesundheit hinter den USA aber auch europäischen Ländern wie Groß- Britannien oder Finnland zurück. Nicht alle Aspekte der Ärztegesundheit können hier abgehandelt werden. Im Vordergrund stehen: Sucht, affektive Störung, Suizidalität, Gewalt gegen Ärzte, Gesundheitsverhalten, Hinweise auf die Besonderheiten in der Diagnostik und Therapie.

von Bernhard Mäulen