Sexsucht- Therapie

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Süchtiges sexuelles Verhalten                        Schriftenreihe der DGDS e.V. Band 3
Suchtmedizin – aktuell ISBN 3-86135-112-9
IV. Was sind die Grundzüge der Therapie der Sexsucht?

Die erste Entscheidung vor Therapiebeginn ist oft, welche der nebeneinander vorkommenden Abhängigkeiten zuerst zu behandeln ist. Aus der klinischen Erfahrung heraus sollte dies in der Regel die stoffgebundene Suchtform sein. Erst danach macht die Behandlung der süchtigen sexuellen Verhaltensweisen Sinn. Der häufigste Fehler, den leider auch Suchtfachleute begehen, ist die Annahme, mit einer gründlichen Suchtbehandlung alle Formen der Sucht therapiert zu haben. Die Praxis zeigt aber das Gegenteil: Viele Abhängige intensivieren nach einer Alkoholentwöhnungstherapie das süchtige sexuelle Verhalten. Dies führt oft, aber nicht immer, zu einem Rückfall auch in die ,,nasse Phase” des Trinkens. Viele Sex-Süchtige erkennen ihre sexuelle Verwundung auch erst in einer Suchttherapie z.B. wegen Alkohol oder Medikamenten.

Ob eine Behandlung nun ambulant oder stationär stattfindet, entscheidet sich an den Behandlungsmöglichkeiten. Jedenfalls ist derzeit das Netz ausgebildeter und erfahrener Ärzte/Therapeuten für Sex-Süchtige noch recht dünn. Vollstationäre Behandlung ist erforderlich, wenn der/die Betroffene selbstdestruktiv ist, Therapiekontrakte im ambulanten Setting nicht einhalten kann, wenn eine ambulante Behandlung fehlgeschlagen ist oder auch wenn sonstige psychische Krankheiten vorliegen. Alle Behandler von Sexabhängigen stimmen überein, dass die erfolgreiche Behandlung Sexabhängiger mehrjährig sein soll und intensive Psychotherapie beinhaltet.

In Deutschland haben wir in der Regel längere stationäre Behandlungsmöglichkeiten im stationären psychosomatischen Bereich, hier scheint eine stationäre Psychotherapie von Anfang an sinnvoll. Themen sind die allgemeine und spezielle sexuelle Lebensgeschichte und Familiengeschichte, das sich Herantasten an den evtl. eigenen Missbrauch, die Erarbeitung der Funktionalität des Suchtmittels Sex, das Aushalten und Annehmen von Gefühlen, das Gewinnen positiver Selbsterfahrung und Selbstwertgefühle. Es geht also darum wieder eine Beziehung zu sich zu finden und aus dieser gesünderen Beziehung zum eigenen Ich dann auch ein bessere, gesündere Beziehung zu anderen leben zu können. Emotional offene therapeutische Gemeinschaften und Gruppen begünstigen solch eine Entwicklung.

Schwierig und nur individuell zu lösen ist die Frage, wie sexuell abhängige Patienten/innen mit anderen zusammen zu behandeln sind, wo dies eventuell auch an den Reaktionen der Mitpatienten/innen scheitert. Wenn die sexuelle Aktivität zu ausgefallen oder angstauslösend ist, kann dies Thema ausreichend in Einzeltherapie bearbeitet werden, vorausgesetzt, diese ist genügend frequent vorhanden. Bezüglich der Mitarbeiter/innen wird man als Leitende/r sehr genau schauen müssen, wer einem solchen Patienten gewachsen ist. Der Referent hat in Deutschland mehr als einmal erlebt, dass insbesondere jüngere Therapeutinnen vor den nach und nach beim Patienten auftauchenden Aggressionen solche Angst bekamen, dass die Einzeltherapie gewechselt werden musste. Auch das persönliche Einbezogen-Werden in eine Atmosphäre der Verführung kenne ich aus eigener Erfahrung und empfehle dringend eine engmaschige Supervision.

In den USA folgen die meisten stationären Programme einem kognitiv-behavioralen Ansatz. Psychotherapie im engeren Sinne einer längeren Gesprächstherapie ist weniger verbreitet. Einzelne Behandlungsbausteine sind: Viel Information über die Krankheit, u.a. auch mit Filmen, Besprechung familiärer Hintergründe, Selbsteinstufung auf diversen sexuellen Fragebögen, detaillierte Beschreibung des Ablaufes der sexuellen problematischer Verhaltensweisen, Männergruppe, Frauengruppe, intensive Einbindung in die diversen Selbsthilfegruppen, Vorbereitung von Familiengesprächen, Abgrenzung gesunder versus auf Scham basierender Sexualität, Entspannungsverfahren. Vieles davon ist SuchttherapeutInnen bekannt.

Was ist nun spezifisch für die Therapie der Sexsucht?

Zunächst steht bei allen mir bekannten Programmen die vollständige Abstinenz aller sexuellen Handlungen mit sich oder anderen für 90 Tage. Dies ist für die Betroffenen außerordentlich stressreich, massive psychische Entzugserscheinungen sind zu erwarten. Durch das Fasten von jeglichem Sex wird das aktive sexuelle Ausagieren gestoppt, eine Chance gewonnen, Intimität ohne Sexualität zu erleben, jede Menge unterdrückter Gefühle an die Oberfläche gebracht und insbesondere das Erleben von Schmerz und Schuld für den Sexabhängigen ermöglicht. Durch die Zusammenfassung gleichsinnig Betroffener in einer Gruppe wird ein schnelleres Öffnen, Verminderung der Scham, schnellere Überwindung der Verleugnung erreicht. Für die meisten Patienten entsteht initial hoher Druck durch das Zölibat (keine sexuellen Handlungen mit anderen oder mit sich). In der ersten Woche ist man fast nie allein, die Türen bleiben stets offen, Unterbringung häufig in Mehrbettzimmer, Männer und Frauen in getrennten Zimmern, man hat vor dem Duschen Bescheid zu sagen; Auftauchende sexuelle Gedanken und Impulse sollen spontan und mehrfach täglich gegenüber Mitpatienten/innen, Pflegeteam, Therapeut/in mitgeteilt werden. Spezifische Kontrakte bezüglich Kleidung, Parfüm, Utensilien, Telefonerlaubnis etc. werden individuell geschlossen. Immer wieder gibt es Ermutigung, mit dem Lügen aufzuhören und die Wahrheit schneller zu sagen. Breiten Raum nimmt das Wieder-Erlernen von Nähe, von Vertrautheit ohne Sexualität ein. Dies ist für die Betroffenen häufig zunächst kaum vorstellbar, weil sie es in der Vergangenheit selten oder nie erlebten. Als Grundsatz gilt hier, erst brauche ich eine gesunde Beziehung zu mir selbst, dann zum Du und erst danach wird die Schwelle zur Sexualität überschritten.

Sehr kontrovers diskutiert wird, wie weit die ehrliche Offenlegung der Vergangenheit gegenüber dem Partner/in gehen soll. Die meisten Betroffenen und viele Therapeuten empfehlen hier (anders als etwa beim Alkoholiker) zunächst abzuwarten und nichts zu sagen! Keine Beichte über Verhältnisse, Clubs, Sauna, Massagen, Prostituierte etc. Hintergrund ist, dass ansonsten wohl die extrem belasteten Partnerschaften auseinandergehen.

Sehr genau wird die sexuelle Entwicklung und die diversen Botschaften positiver wie negativer Vorbilder im Elternhaus angeschaut. Spezifisch und wiederholt werden alle möglichen Formen eigener Missbrauchserfahrungen angesprochen (Vernachlässigung, Art und Ausmaß von Bestrafung, körperliche Gewalt, verbale Gewalt/Drohungen und sexuelle Missbrauchserfahrung). Während Missbrauchserlebnisse insbesondere bei Männern extrem verleugnet werden, können Sexabhängige das erste sexuelle Erlebnis als Jugendliche genau erinnern. Es ist oft sehr früh mit 9, 10 oder 11 Jahren und von einer überwältigenden Intensität. Ähnlich positive Ersterfahrungen haben mir in Deutschland sonst am ehesten Drogenabhängige von ihrem ersten ,,Kick” berichtet. Wichtiges Merkmal für die Entstehung sexueller Abhängigkeit ist auch, wie diese Ersterfahrung dann immer wieder gesucht wird um Stress, unangenehme Gefühle verschiedenster Art, Angst, Einsamkeit, Depression zu betäuben, vergessen zu machen. In der Rückschau wird ferner festgestellt, ab wann eine Gewöhnung einsetzte, die Dosis gesteigert wurde oder der Nervenkitzel z.B. durch multiple Partner, Sex in der Öffentlichkeit oder Aufsuchen des Rot-Licht Milieus erhöht wurde.

Grob kann die stationäre Behandlung unterteilt werden in vier Phasen:

  1. Evaluation (psychologische Teste, Erstinterview, Lebenslauf, gegebenenfalls Medikation),
  2. Phase der Offenlegung und Rechenschaftsbericht (Übernahme von Verantwortung dessen, was Patient/in getan hat; Beschreibung von exzessiven, süchtigen sexuellen Verhaltensweisen, wenn gegeben Beschreibung der sexuellen Delikte, Schilderung des Verhaltenskette (z.Bsp.: Ein Patient fühlt sich zu Hause einsam, geht erst in erotische Phantasien/Erinnerungen, sucht dann eine geeignete Stelle etwa ein Einkaufszentrum, begibt sich an eine besonders enge, vielfrequentierte Stelle, berührt über Minuten bis Stunden gezielt im Gedränge Frauen /Männer an Brust, Gesäß, Genitalien, erweckt dabei den Eindruck von Zufall, spürt innerlich zunehmende sexuelle Erregung, masturbiert auf nah gelegenem WC oder im Auto bis zum Höhepunkt, fährt nach Hause und erlebt dort in Gedanken noch einmal die gerade abgelaufene Szene nach und masturbiert dabei erneut) eines Erregungskreislaufes),
  3. Phase der Rückfallprävention (Rückfallpräventions Fragebogen ausfüllen, Verhaltenskette auflisten, diesmal mit Verhinderungs- und Vermeidungsstrategien, Zusammenhang herstellen zwischen Verhaltenskette und negativen Denkmustern/Einstellungen.
  4. Phase der Empathie für das/die Opfer (obligat für sexuelle Straftäter/sex offenders). Psychodramatische Darstellung der sexuell strafbaren Handlung/Situation, Identifizierung der Opfer, Ihrer Gedanken, Gefühle, Auswirkungen der Tat unmittelbar und später, Vertiefung durch Bücher und Filme über Opferschicksale. Gegebenenfalls Briefe der Entschuldigung/Wiedergutmachung an das Opfer.

Die medikamentöse Behandlung hat einen klaren Platz in der Behandlung der Sex-Sucht. Einige Abhängige geben an, dass die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Fluoxetin oder Paroxetin die Intensität ihrer sexuellen Obsession positiv beeinflußt, so dass sie besser am Therapieprogramm teilnehmen können. Für andere ist die orgasmusverzögernde Nebenwirkung der SSRI von Nutzen. Außerdem helfen diese Substanzen in der Therapie einer oft vorliegenden (primären oder sekundären) Depression. Auch Antiandrogene wie z.B. Cyproteron (Androcur) werden insbesondere bei sexuellen Straftätern eingesetzt.

In der Vorbereitung der Entlassung haben sich individuelle Verträge bestens bewährt. Durch zunehmendes Erkennen der ritualisierten, stufenweise verlaufenden inneren und äußeren Prozesse (Auslöser- und Verhaltensketten) wird es den Sex-Süchtigen möglich, bestimmte gefährliche “Kreuzungen” erst gar nicht anzusteuern, d.h. bestimmte Situationen, Verhaltensweisen aus ihrem Leben fernzuhalten. Dies geschieht u.a. in Form eines Vertrages, der spezifisch und im Einzelnen diese rückfallbahnenden Situationen/Verhaltensweisen benennt und die künftige Vermeidung festlegt. Tritt dann dieses Verhalten später auf, wird es je nach Situation als einmaliger Ausrutscher, Rückfall oder fortgesetzter Rückfall aufgefasst mit entsprechenden Konsequenzen für die Therapie. Utilisiert werden auch weitere Techniken der Verhaltensmodifikation z.B. die drei Sekunden Regel, eine Begrenzung der Zeit, die auf einen Reiz oder ein Objekt focussiert wird, das sexuell stimulierend ist.

BERNHARD MÄULEN

Schriftenreihe der DGDS e.V. Band 3
Suchtmedizin – aktuell
ISBN 3-86135-112-9