Sexsucht- Selbsttest und Diagnose

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Süchtiges sexuelles Verhalten                        Schriftenreihe der DGDS e.V. Band 3
Suchtmedizin – aktuell ISBN 3-86135-112-9
III. Woran kann man Sexsucht erkennen?

Als orientierende Testuntersuchung kann der Screeningtest nach Carnes herangezogen werden, der als positiv gilt, wenn mehr als 13 Fragen mit ja beantwortet werden. Der Test ersetzt selbstverständlich n i c h t eine gründliche ärztliche Diagnostik, sondern kann nur
grobe Hinweise geben.

Screening Test für sexuelle Abhängigkeit/Sucht Nach Carnes

  1. Sind Sie als Kind oder Jugendlicher sexuell missbraucht worden?
  2. Haben Sie bislang einmal ausgesprochene Sex-Magazine abonniert oder regelmäßig gekauft?
  3. Hatten Eltern sexuelle Probleme?
  4. Haben Sie bei sich selbst festgestellt, dass Gedanken sexuellen Inhalts im Vordergrund stehen?
  5. Haben Sie das Gefühl, Ihr sexuelles Verhalten ist nicht normal?
  6. Macht Ihr/ Ihre Partner/in (oder sonstige nahestehende Person) sich Sorgen oder beklagt sich über Ihr Sexualverhalten?
  7. Haben Sie Schwierigkeiten, Ihr sexuelles Verhalten abzubrechen, wenn Sie wissen, dass es unpassend ist?
  8. Fühlen Sie sich jemals schlecht wegen ihres Sexualverhaltens?
  9. Hat ihr Sexualverhalten jemals Ihnen oder Ihrer Familie Probleme bereitet?
  10. Haben Sie jemals Hilfe gesucht wegen eines Sexualverhaltens, das Ihnen unangenehm war?
  11. Sind Sie jemals besorgt gewesen, andere Menschen könnten über ihr Sexualverhalten Kenntnis erlangen?
  12. Ist einmal jemand durch Ihr Sexualverhalten emotional verletzt worden?
  13. Sind irgendwelche Ihrer sexuellen Vorlieben im Konflikt mit geltendem Gesetz?
  14. Haben Sie sich selbst vorgenommen, einige Aspekte Ihres Sexualverhaltens aufzugeben ?
  15. Haben Sie sich bemüht, eine Art Ihres sexuellen Verhaltens aufzugeben und sind dabei gescheitert?
  16. Müssen Sie einige Aspekte Ihres Sexuallebens vor anderen verbergen?
  17. Haben Sie versucht, einige Teile Ihrer sexuellen Aktivitäten aufzugeben?
  18. Haben Sie sich irgendwann einmal minderwertig (degradiert) gefühlt wegen Ihres Sexualverhaltens?
  19. Ist Sex für Sie eine Möglichkeit gewesen, Problemen zu entfliehen?
  20. Wenn Sie Sex haben, fühlen Sie sich dann nachher niedergeschlagen/deprimiert?
  21. Haben Sie bisher einmal die Notwendigkeit gespürt mit einer bestimmten Form von Sexualität aufzuhören?
  22. Sind Ihre sexuellen Aktivitäten einmal mit Ihrem Familienleben kollidiert?
  23. Sind Sie einmal Minderjährigen sexuell nahe gewesen?
  24. Fühlen Sie sich durch Ihr sexuelles Verlangen bestimmt oder kontrolliert?
  25. Haben Sie jemals den Gedanken gehabt, dass Ihr sexuelles Verlangen stärker als Sie ist?

Die sexuelle Abhängigkeit wird in Analogie zu anderen Süchten definiert mit den Leitsymptomen:

  • Die sexuelle Aktivität wird zunehmend wichtig, überwertig, verdrängt nach und nach alle anderen Interessen;
  • Kontrollverlust tritt auf – Durchbrechen aller Vorsätze, Schwanken zwischen Über-Kontrolle und dem Verlust von Kontrolle über die sexuellen Handlungen;
  • Fortsetzung dieses Verhaltens trotz negativer Konsequenzen ja erheblicher Eigengefährdung;
  • Progressiver Verlauf Wie kann das süchtige sexuelle Verhalten nun konkret aussehen? Einige der Fälle, die nur in meiner Zeit als Chefarzt der Oberbergklinik Homberg begegnet sind, und einige Beispiele von P. Carnes seien kurz skizziert:
  • Ein jung verheirateter Kollege mit zwei kleinen Kindern, diversen außerehelichen Affären und enormen Schulden versucht innerhalb der Therapie, die ihm einen Ausweg aus einer verzweifelten Situation weisen soll, auch noch die Arztsekretärin ,,anzumachen”.
  • Ein polytoxikomaner Selbständiger, der sich ganze Nachmittage in sein Wohmnobil zurückzieht, stundenlang Pornographie anschaut und excessiv onaniert während sein Geschäft in den Ruin steuert.
  • Eine sehr attraktive alkoholabhängige Hausfrau, aufwendiger Lebensstil trotz Arbeitslosengeld, als Kind wiederholt vom Vater sexuell missbraucht, in der Vergangenheit mehrere Beziehungen oft zu älteren sehr vermögenden Männern, fast ständig von einem hoch erotischen Fluidum umgeben, das die Einzeltherapie erschwert, es kommt wiederholt zu einem Pairing mit Mitpatienten in der Klinik. – Eine Frau befriedigt sich selbst so heftig mit dem Vibrator, dass sie sich verletzt und den Notarzt rufen muss.
  • Ein 36jähriger Mann wird zum dritten Male festgenommen, weil er Damenunterwäsche stiehlt.
  • Ein Pfarrer wird von seinem Bischof zur Rede gestellt, weil er mit verschiedenen Frauen der Gemeinde erotische Beziehungen unterhält.

In der ärztlichen Praxis als Niedergelassener werden Sie Sexsüchtige vermutlich selten als solche diagnostizieren. Mehr Entdeckungschancen haben wohl klinisch tätige Kollegen, insbesondere im Bereich der Suchttherapie. Wann sollten Sie als Kliniker besonders auf Hinweise auf Sexsucht achten?

Bei alkohol- oder medikamentenabhängigen Menschen und bei sexuellem Missbrauch; bei Durchbrechen der Hausordnung einer Klinik im Zusammenhang mit Sex und abgebrochenen stationären Therapien (Rausschmiss!),; bei einer Sexualisierung jeglichen Kontaktes, akute Partnerschaftskrisen, AIDS, Hinweise von Angehörigen. Sexsucht per se ist gegenwärtig weder im DSM IV noch im ICD 10 als eigene Krankheit verschlüsselt.

Als diagnostische Kategorien kommen daher verschiedene Möglichkeiten in Betracht:

  • Sexuelle Störung (ICD 10 F 66-9)
  • Paraphilien (ICD 10 F 65-9)
  • Störung der Impulskontrolle, (ICD 10 F63-9) oft im Zusammenhang mit
  • Posttraumatischer Belastungsstörung (ICD 1 0 F 43. 1)
  • Störung durch psychotrope Substanzen (ca. 60% der SA)
  • Anpassungsstörung (ICD 10 F 43.8) (mit Beeinträchtigung der beruflichen und sozialen Tätigkeiten)

Angaben zur Häufigkeit schwanken, eine umfassende Studie zur Prävalenz steht derzeit noch aus. Schwierig ist die genaue Definition des Begriffs. Nennen wir nur diejenigen sexsüchtig, die wegen süchtigen sexuellen Verhaltens in extremer Not sind (ähnlich wie etwa ein alkoholkranker Obdachloser) bekommen wir ganz andere Zahlen, als wenn wir auch die im Alltag integrierten Menschen mit hinzunehmen, die sexuell süchtiges Verhalten zeigen. Während P. Carnes in den USA viele verschiedene Bereiche darunter subsummiert und auf 3-6% Prävalenz in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung kommt, sind europäische Autoren sehr viel zurückhaltender. So vermutet der Züricher Psychiatrie Professor C. Buddeberg eine Prävalenz von Sexsucht lediglich im Promillebereich.

Männer und Frauen sind betroffen, jedoch sind wohl deutlich mehr Männer wie Frauen sexsüchtig. Die wenigen zugänglichen Zahlen deuten auf einen ca. 70-80% Männer ~ respektive 20-30% Frauenanteil. Tatsache ist: Eine Vielzahl von Betroffenen bekamen insbesondere durch die Bücher von Pat Carnes und sein Auftreten in den Massenmedien Mut, haben sich geoutet und viele Selbsthilfegruppen gegründet. Derzeit gibt es etwa 5 vollstationäre und 50 Tagesklinikeinrichtungen spezifisch für Sexsüchtige in den USA.

Für den Behandler/in ist neben der Diagnose aber von entscheidender Bedeutung, die genaue Art und vor allem auch das Ausmaß der sexuellen Abhängigkeit zu erkennen. Dies ist zeitaufwendig. Bewährt bat sich aus klinischer Sicht eine Einteilung in drei Stufen:

Stufe I

  • zwanghaftes Masturbieren
  • multiple Partner/innen
  • exzessive sexuelle Phantasien
  • Telefonsex
  • Exzessiver Gebrauch von Pornographie
  • sexuell sadistisches oder masochistisches Verhalten
  • Transvestitischer
  • Fetischismus Urophilie

Stufe II

  • sexuelle Handlungen in der Öffentlichkeit
  • obszöne Anrufe bei Unbekannten
  • Nekrophilie
  • Exhibitionismus
  • Frotteurismus
  • Prostitution ob als Prostituierte oder als Freier
  • Voyeurismus
  • Sexuelle Belästigung z.B. am Arbeitsplatz

Stufe III

  • sexuelle Belästigung/Handlungen mit Kindem oder Minderjährigen
  • Sex mit ,vulnerablen” Erwachsenen (unter Drogen, Minderbegabten)
  • Sex mit Klientinnen, Patientinnen, Gemeindeangehörigen

Wichtig für die diagnostische Erfassung ist auch festzustellen, ob es schon zu einer Anzeige/Verurteilung wegen einer sexuellen Straftat gekommen ist. Jeder Arzt sollte vor einer Überweisung an oder Aufnahme in eine Klinik sorgfältig erfragen, wieweit aggressive Äußerungen und Handlungen Teil(e) der sexuellen Erregungsschleife sind. Sonstige psychopathologische Besonderheiten (Psychose, organische Hirnkrankheit, aktiver Suchtnittelgebrauch z.B. Drogen wie Kokain) sollten erfasst und dokumentiert werden.

 

BERNHARD MÄULEN

Schriftenreihe der DGDS e.V. Band 3
Suchtmedizin – aktuell
ISBN 3-86135-112-9