Junge Ärzte im Spannungsfeld

Was ist Ärztegesundheit? | Sucht | Stress | Ehen | Depression-Suizid | Behandlung | Start | Arztpersönlichkeit und Arztideal | Sexuelle Übergriffe | Der kranke Arzt | Lebensqualität | Alter | Tod und Sterben | Ärzte unter Anklage | Ärztinnen | Trauma und Gewalt | Finanzen | Selbstversuche | Fitness |

Junge Ärzte: Im Spannungsfeld von Gesundheitspolitik und Weiterbildung
An dieser Stelle soll von den sogenannten Jungärzten, den Ärzten im Praktikum und den Assistenzärzten gesprochen werden. Wir werden sehen, dass deren Situation nicht ohne der anderer ärztlicher Kollegen gedacht werden kann, auch nicht ohne politische, insbesondere gesundheitspolitische Zustände, die gleichfalls Anforderungen an ärztliche Tätigkeit entscheidend beeinflussen. Diese wiederum umschließt ärztliches Selbstverständnis, einschließlich ethischer Fragen. Deswegen kann ich zumuten, dass ich zunächst politische und gesundheitspolitische Fragen skizziere, dann deren Auswirkungen auf ethische Probleme anklingen lasse, jeweils Forderungen versuche abzuleiten. Anschließend komme ich auf die soziale und Weiterbildungssituation der Ärzte im Praktikum und in Weiterbildung zu sprechen. Alles geschieht durch die Brille eines Betroffenen, der Anregungen aus Diskussionen mit Kollegen, bei der Weiterbildung, insbesondere derer der Arbeitsgruppe Junge Ärzte der Sächsischen Landesärztekammer, einbezieht. Und schließlich verlange ich vom Leser so manchen Sprung im Text und hoffe auf dessen Verständnis.

Gesundheit und umfassende Gesundheitsversorgung

Ärztliche Aufgabe ist es, Gesundheit zu erhalten und wiederherzustellen oder Krankheiten vorzubeugen und zu behandeln. Wir könnten auch über Prophylaxe, Kuration und Rehabilitation reden. Stehen Gesundheit und Krankheit im Mittelpunkt, so müssen diese definiert werden. Aus meiner Betrachtungsweise der beiden Begriffe kann auch der Zugang meiner weiteren Gedankengänge erleichtert werden, ohne dass sie zwangsläufig geteilt werden müssen.

Was bedeutet Gesundheit? Die WHO definiert Gesundheit als Wohlbefinden auf physischer, psyschischer und sozialer Ebene. Gesundheit ist mehr als Abwesenheit von Krankheit. Die Regierungen sind verpflichtet, für eine umfassende Gesundheitsversorgung sowie für Lebensverhältnisse Sorge zu tragen, die nicht krank machen. Freilich: Diese Beschreibung von Gesundheit als internationale Vereinbarung trägt appellativen Charakter. Die Vorstellung von Gesundheit und Krankheit kann am besten eingelöst werden in einem Gesundheitswesen, das wie folgt charakterisiert werden kann: Ein soziales Gesundheitswesen muß eine umfassende Gesundheitsversorgung aller absichern, unabhängig von Geschlecht, Alter, sozialer Stellung, Religion, Nationalität…

Um das zugewährleisten, benötigen wir ein solidarisches Versicherungssystem (ohne Pflicht- und Bemessungsgrenzen sondern der Teilnahme aller) – Solidarprinzip. Eine Schuld an Krankheit oder ein Verdienst von Gesundheit darf nicht formuliert werden – Finalprinzip. Die Leistungen werden als Sachleistungen erbracht, da die Versicherten mit ihrem Beitrag ihr Recht auf Leistung erwerben, was Selbstbeteiligungen und Zuzahlungen ausschließt – Sachleistungsprinzip. Eine Sicherstellung einer umfassenden Gesundheitsversorgung bedeutet auch, dass Gesundheit und Krankheit nicht zur Ware gemacht werden dürfen. Eine Gesundheitsversorgung als Dienstleistung in dem Sinne, dass sie uneigennützig, ohne Bevorteilung erbracht wird, kann nur von der öffentlichen Hand erbracht werden. Deswegen sollte die Gesundheitsversorgung in öffentliche Hände gehören. So wird auch eine demokratische Kontrolle und Beteiligung an der Gesundheitsversorgung sichergestellt

Eine umfassende Gesundheitsversorgung stellt also eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar und umfaßt mehr als die Strukturen des Gesundheitswesens im oben dargestellten Sinne. Die aktuelle Entwicklung ist jedoch eine andere.


Gesundheitspolitische Entwicklung in Deutschland

Die Gesundheitsgesetzgebung Seehofers, aber auch schon Blüms führte v. a. in die Privatisierung: Privatisierung des Risikos Krankheit durch Zuzahlungen, Begünstigung „sich lohnender“ Leistungen durch eine Kombination von Mittelverknappung (Budgetierung) und die „lohnenden“ Leistungen begünstigende Entgeltsysteme (Fallpauschalen). Mit den Neuordnungsgesetzen 1996/97 verfolgte die Regierung ein neues Ziel, die Senkung der Lohnnebenkosten. Das ist jedoch nur mit einer weiteren Verknappung in der Gesundheitsversorgung mit dem Ziel der Beitragssenkung unabhängig notwendiger Gesundheitsleistung und Kapazitäten umsetzbar. Neben der indirekten Streichung mittels der Budgetierung setzte die Regierung direkte Leistungskürzungen, wie beispielsweise die Verkürzung von Rehabilitationsmaßnahmen von vier auf drei Wochen, sowie die Erhöhung von Zuzahlungen durch. Dadurch brachen große Teile des Reha-Bereiches zusammen.

In den neuen Ländern kam es zu einer Parallelentwicklung von notwendiger Modernisierung der Ausstattung im stationären und ambulanten Bereich auf der einen und Privatisierung und erheblichem Strukturabbau andererseits. Versorgungslücken in lukrativen Bereichen wie der Herzchirurgie wurden mit der Gründung privater Herzzentren geschlossen. Die sächsische Staatsregierung ließ beispielsweise seit Beginn der 90er Jahre die Hälfte aller Krankenhausbetten abbauen. Notwendige Kapazitäten bspw. in der Psychiatrie wurden erst gar nicht aufgebaut. Die neue Bundesregierung verfolgt diesen Weg weiter. dass die zartbemessenen Rücknahmen von Zuzahlungen nicht ausreichen, Feigenblattfunktion zu übernehmen, ist nach den Protesten v. a. der ambulant tätigen Ärzte gegen die Verabschiedung des Vorschaltgesetzes nicht mehr verschweigbar.

Werfen wir also auch einen Blick auf die Pläne der neuen Koalitionsregierung, die sie als Gesundheitsreform 2000 zusammenfaßt: Die Budgetierung wird fortgesetzt, verschärft und von der sektoralen in eine regionale Globalbudgetierung gewandelt. Mußten sich bisher Glieder einer Gruppe der Leistungserbringer, beispielsweise die Niedergelassenen, untereinander auseinandersetzen, wie die schrumpfenden Gelder verteilt würden, werden nun alle Leistungserbringer einer Region – Niedergelassene, Krankenhäuser usw. – gegeneinander ausgespielt. Die Bemessungen für die Budgetierung sollen zurückgefahren werden. Das bedeutet in noch größeren Maße als bisher, die Budgets als Mittel der Rationierung zu benutzen. Gleichzeitig bestehen Pläne, dass die Budgets in ihrer Entwicklung z. T. von der Entwicklung der Gehälter der Beschäftigten entkoppelt werden. Damit wird die verfassungsmäßig zugesicherte Tariffreiheit außer Kraft gesetzt. Die Krankenhäuser werden künftig monistisch finanziert. Kamen bisher für Bau- und Sanierungsmaßnahmen die Länder auf, tragen nun die Kassen die Kosten allein. Gleichzeitig übernehmen diese wie in Nordrhein-Westfalen bereits durchgesetzt, entscheidende Positionen bei der Krankenhausplanung. Unter dem sich verschärfenden Kostendruck werden die Kassen unabhängig des Bedarfs auf enorme Bettenreduktionen und Krankenhausschließungen hinwirken.

Die Auswirkungen enormen Bettenabbaus beispielsweise in Großbritannien zeigten sich während der Grippeepidemie 1998/99, während derer keine Kapazitäten mehr für eine sachgerechte Behandlung zur Verfügung standen. Wird wie in Nordrhein-Westfalen mit der monistischen Finanzierung die Kompetenz der Krankenhausplanung an die Kassen und regionale Gesundheitskonferenzen frei eines politischen Mandats übergeben, so ist die demokratische Beteiligung und Kontrolle der Krankenhausplanung als Grundlage stationärer Behandlung für die Bevölkerung außer Kraft gesetzt. Medizinisch fragliche Arzneimittel und Leistungen sollen aus den Katalogen der Krankenkassen gestrichen und eine Arzneimittelpositivliste geschaffen werden. Nicht medizinische Indikationen sondern politische Entscheidungen bestimmen diesen Prozeß, der in die Rationierung führt. Probleme bestehen dann v. a. bei mehrfach und chronisch Erkrankten sowie bei Medikamentenunverträglichkeiten und -wechselwirkungen.

Das zeigt beispielsweise die Positivliste der Berliner Landesärztekammer.Das Hausarztprinzip soll gestärkt werden. Dabei steht nicht im Vordergrund, koordinative Aufgaben zugunsten des Patienten zu stärken und unnötige Mehrfachuntersuchungen zu vermeiden, sondern entsprechend den Vorschlägen der OECD für das Gesundheitswesen in Deutschland die Hausärzte gatekeeper- Funktionen wahrnehmen zu lassen. So „schützen“ sie, belohnt durch Bonussysteme, das Gesundheitswesen vor Kranken. Gleichzeitig wird ärztliche Arbeit zulasten der Patienten dequalifiziert. Es besteht keine freie Arztwahl mehr. Die Patienten verlieren ihr Selbstbestimmungsrecht, werden also entmündigt. In Summe stehen wir einem Abbauprogramm noch nicht gekannten Ausmaßes gegenüber, das auf der einen Seite zur Verschlechterung des Gesundheitszustands der Bevölkerung und zur Absenkung der Lebenserwartung auf der anderen Seite zu massivem Arbeitsplatzverlusten führen wird.


Auswirkungen der Rationierung auf den Behandlungsauftrag

Der Weg ist für die Rationierung geebnet, der gleichfalls Diskussionen zur Eugenik aufleben läßt. Eugenik setzt jedoch schon dort an, wo durch Rationierung Leistungen der Allgemeinheit entzogen und nur noch durch den Einzelnen bei entsprechender finanzieller Ausstattung erworben werden kann, ob durch private Zusatzversicherungen oder Direktzahlung. Das Leben jener, die das nicht können, ist jedoch nicht weniger wert. Die Menschenwürde und darauf basierend das Recht auf Leben und körperliche Unantastbarkeit verlangen eine umfassende Gesundheitsversorgung. Sie müssen gegen eine Rationierung verteidigt werden. Das für die Behandlung unabdingbare Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Ärzten erfährt im Verein mit Plänen zu einem Ärzte-TÜV eine grundlegende Schädigung. Patienten müssen künftig prüfen, ob behandelnde Ärzte tatsächlich dem Wohl des Patienten oder betriebswirtschäftlichen Erwägungen folgen.

Ärztlicher Auftrag und Sozialstaat

Wie sollte jedoch in diesem Rahmen weiterhin ärztliche Aufgabe beschrieben werden? Da steht als erstes der Eid des Hippocrates. Zum Zweiten gilt trotz alledem die Berufsordnung für Ärzte, die in Rahmen des § 1 sich deutlich an dieWHO anlehnt: „Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes. Der ärztliche Beruf ist kein Gewerbe. (…) Aufgabe des Arztes ist es, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken. Der Arzt übt seinen Beruf nach den Geboten der Menschlichkeit aus. Er darf keine Grundsätze anerkennen und keine Vorschriften oder Anweisungen beachten, die mit seiner Aufgabe nicht vereinbar sind oder deren Befolgung er nicht verantworten kann.“

Diese Aufgabe kann nur mit den anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen erfüllt werden. Ärzte können ohne die „anderen“ Berufsgruppen im Gesundheitswesen nicht existieren. Die zitierte Definition ärztlicher Aufgaben ist geprägt durch gesellschaftliche Bedingtheiten, die prägend auf die Arbeitswelt der Ärzte einwirken: ein solidarisch organisiertes Gesundheitswesen im Rahmen einer solidarisch strukturierten Sozialversicherung. Sie entwickelten sich beginnend mit den Bismarck’schen Reformen zu Zeiten des Sozialistengesetzes vor über 100 Jahren v. a. mithilfe von in der Sozialdemokratie repräsentiertem Gedankengut. Mit dem Zugang breiter Teile der Bevölkerung zur Gesundheitsversorgung konstituierten sich die Formen der Tätigkeiten, die heute bestimmend sind für die soziale Stellung der ÄrztInnen: die Niedergelassenen, die Ärzte im Krankenhausbereich und in den Gesundheitsdiensten der öffentlichen Hand.

Ärzte selbst sind im Rahmen des Gesundheitswesens Dienstleistende, die durch ihre Tätigkeit dazu beitragen, das Recht auf umfassende Gesundheitsversorgung konkret wahrnehmen zu können. So wird auch sichtbar, dass sie in Abhängigkeit zur Entwicklung des Sozialstaats, insbesondere des Gesundheitswesens stehen. Werden Verbesserungen erkämpf, entstehen neue Arbeitsplätze, verbessern sich die Tarif- und Arbeitsbedingungen auch für Ärzte. Werden soziale Errungenschaften ausgehöhlt, erfahren die Ärzte Verschlechterungen. Sie stehen in direkter Abhängigkeit zu den Errungenschaften der Arbeitnehmer (die in Niederlassung Arbeitenden) oder sind zu meisten Teilen selbst Arbeitnehmer.

Andererseits werden wir als Ärzte hinzugezogen, um Verschlechterungen direkt an den Patienten zu sanktionieren. Wir stehen am Ende der Kette, wo den Patienten gesagt werden muß, wieviel zugezahlt werden muß, ihnen die Sparentscheidungen durch unsere Arbeit und Entscheidungen zu Diagnostik und Therapie (Risikoselektion) sowie die durch Arbeitsbelastung verursachte mangelhafte Zuwendung zu den Patienten weitergeben. Ärzte müssen also in alle Schritte der Aushöhlung des Gesundheitsbegriffs einbezogen werden, um so ihr Bewußtsein zu beeinflussen, damit alle Schritte sanktioniert werden können. Ärzte stehen mitten drin in Entscheidungen und Umsetzungen im Sozialstaat: als Erfüllende von Sanktionen und als Teilhabende am Sozialstaat. Es muß also auch im Interesse von Ärzten liegen, als Bestandteil des Sozialstaats sich für dessen Erhalt und Weiterentwicklung einzusetzen. Der Auftrag zur umfassenden Gesundheitsversorgung in der Ärzteordnung gibt keinen anderen Weg. Unsere Aufgabe bleibt auch, Änderungen dieses Auftrags zu widerstehen.

Tarif- und Arbeitsbedingungen angestellter, junger Ärzte

Befassen wir uns in Folge mit den sozialen Bedingungen, so wird deutlich, dass AiP und Assistenzärzte wie andere Beschäftigte normale Arbeitnehmer sind. Jedoch werden wir dazu gedrängt, den Status des Besonderen einzunehmen, der sich als Status der Abhängigkeit entpuppt: der Abhängigkeit von Kliniksleitungen, von Chefärzten usw. Den Status des Besonderen untermauern diese mit einer Ethik, die uns sagt, dass wir uneigennützig für die Patienten als Ärzte arbeiten und so – wie als Automatismus – unbezahlte Mehrarbeit nach offiziellem Dienstschluß, Unterbezahlung o. ä. hinnehmen sollen.

Diese Ethik ist eine der Kliniksleitungen und Chefärzte, die sich gegen uns und mittelbar gegen die Patienten richtet. Sie ist deren Reaktion auf die Budgetierung der Gelder für die Krankenhäuser. In fast allen Fachgebieten wurde die Verweildauer der Patienten im Krankenhaus halbiert und nahm die Zahl der behandelten Patienten erheblich zu. Das so angestiegene Arbeitspensum wirkte sich jedoch nicht auf die Stellenpläne aus. Statt neue Stellen zu schaffen, muß die gleiche Zahl von Ärzten das Mehr an Arbeit bewältigen. Diese Ethik der „Uneigennützigkeit“ soll uns aberauch zu Einzelkämpfern machen, die sich gegeneinander ausspielen lassen und Arbeitslosigkeit als persönliches Versagen und Verschulden erfahren sollen. Als soziale Bedingungen sollen folgend die Tarif-, Arbeitsbedingungen und Laufzeiten der Arbeitsverträge gefaßt werden.

Werden diese Bedingungen unter der Maßgabe der Forderung zur Entsicherung sozialer Systeme betrachtet, so fällt auf, dass junge Ärzte in gleicher Weise wie andere Beschäftigtengruppen betroffen, ja teilweise zu Vorreitern wider Willen gemacht worden sind: AiP als Billigtarif für Berufseinsteiger, die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse durch befristete Arbeitsverträge, die damit verbundene erzwungene Mobilität der Arbeitnehmer Ärzte, Zwang zu unbezahlter Mehrarbeit usw. Die öffentlichen Tarifverträge – BAT und der Tarifvertrag für AiP – sind die besten vorhandenen Tarifverträge. Sie werden nur gesichert, wenn Privatisierungsbestrebungen entgegengetreten wird. Kommt es doch gegen das Interesse der Beschäftigten, also auch der Ärzte, zu Privatisierungen, so steht die Forderung, dass die öffentlichen Tarifverträge erhalten bleiben. An diese angelehnte Tarifverträge reichen nicht, da auch sie so angelegt sind, dass sie zu Verlusten führen.

Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass Arbeitszeitverkürzungen, meist ohne Lohnausgleich, nicht zu neuen Arbeitsplätzen sondern zur Verdichtung der Arbeit führen. Tarifliche und betriebliche Vereinbarungen zur Arbeitszeitverkürzung, die heutzutage auch unter Jobsharing laufen, müssen abgelehnt werden. Die ausgelösten Einkommensverluste können nicht hingenommen werden. Gleichzeitig muß darauf hingewiesen werden, dass diese Position nicht unsolidarisch mit arbeitslosen Kollegen ist. Eine Absenkung der bestehenden Bedingungen läßt gleichzeitig die Meßlatte der Bedingungen nach unten rutschen, zu denen diese auf der Suche nach Arbeit erpreßt werden. Beí Einführung des Arbeitszeitgesetzes bestanden Hoffnungen, die allesamt enttäuscht wurden. Diese bezogen sich darauf, dass durch die Nutzung einiger Regelungen, v. a. die zu den Diensten und Ruhezeiten, Arbeitsplätze entstünden. Stattdessen kam es nur zu einer Verdichtung der zu erledigenden Arbeit. Da jedoch der Verdichtung längst Grenzen gesetzt waren, hieß die Ausweiche weiterhin kostenlose Mehrarbeit. Durch die Regelungen zurUmlage von Mehrarbeit besteht die Möglichkeit, saisonal unterschiedlich anfallende Arbeitsmengen mit weniger Personal zu erledigen.

Folgende Möglichkeiten des Arbeitszeitgesetzes dürfen nicht angewendet werden:

  • Anwendung der 60-Stundenwoche
  • Arbeit über 10 Stunden an 60 Tagen im Jahr ohne Ausgleich. Das umfaßt in der Summe ein Viertel der Jahresarbeitszeit.
  • Nur 15 Sonntage im Jahr müssen arbeitsfrei sein, im Gesundheitswesen nur 10. So bliebe nur jeder 5. Sonntag. • Anerkennung der Bereitschaftsdienste als Ruhezeit, sofern diese eingehalten werden.

Diese Maßnahmen führen nicht zur Schaffung sondern zur Einsparung von Stellen.

Stattdessen gilt es:

  • Keine Kompensation des Freizeitausgleiches durch Arbeitsverdichtung.
  • Abschaffung von Überstunden und Mehrarbeit, die (fast) immer kostenlos erbracht werden.

Beiden Punkten wohnt ein immenses Arbeitsplatzpotential inne, das nicht nur die Ärztearbeitslosigkeit beseitigen, sondern gar zum Ärztemangel führen würde. Der Marburger Bund spricht von einem Potential von etwa 33.000 Stellen bie etwa 10.000 arbeitslosen Ärzten. Vor der Einrichtung neuer Stellen weichen jedoch die Träger der Gesundheitseinrichtungen zurück. Um Geld zu sparen, diskutieren sie nur Modelle, die auf unseren Schultern finanziert werden. Das Problem der befristeten Verträge, die tendenziell über immer kürzere Laufzeiten ausgestaltet werden, erhöht die Abhängigkeit der Betroffenen vom Arbeitgeber, aber auch in personam vom Chefarzt. Vom Arbeitgeber, da Familienplanung, Wohnraumwahl, aber auch die Freizeitgestaltung undReproduktion der eigenen Arbeitskraft, hier u. a. durch den Druck zur Mehrarbeit, dessen Interessen unterworfen werden.

Vom Chefarzt, der die Personalentscheidung über künftig angestrebte Verträge fällt. Aus dieser Gemengelage entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis, das die Betroffenen nicht allein durchbrechen können. Auch aus diesem Grunde ergibt sich die Notwendigkeit, sich zusammenzuschließen: für die Tarif- und Arbeitsbedingungen in Gewerkschaften, in Fragen der Weiterbildung Mitarbeit zu eigenen Gunsten in den Ärztekammern. Zu Arbeits- und Tarifbedingungen bestehen auch in der Berufsordnung der Ärzte Aussagen, die jedoch meist appelativen Charakter tragen. Sie beziehen sich v. a. auf die ärztliche Kollegialität. Nach der Berufsordnung „ist es unwürdig, einen Kollegen in unlauterer Weise unterhalb der üblichen Vergütung oder unentgeltlich zu beschäftigen oder ihm eine solche Beschäftigung anzutragen.“

Weiterbildung

Die Weiterbildung sollte folgendem Selbstverständnis unterliegen. Assistenzärzte arbeiten als angestellte Ärzte, um neben tariflichem Lohn mit der Weiterbildung entlohnt zu werden. Ein solches Selbstverständnis ist u. a. notwendig, weil eine Weiterbildung die Anleitung und das Sammeln von Erfahrungen im Arbeitsprozeß erfordert. Auch deshalb, weil sich die Ärzteschaft nur durch Weitergabe ihres Wissens durch sich selbst erhalten kann, um den Aufgaben gegenüber den Patienten nachzukommen. Jedoch sehen wir uns in folgender Situation: Assistenzärzte müssen oft nur Routineaufgaben wahrnehmen und sehen sich erheblichen Arbeitsbelastungen ausgesetzt.

Das betrifft zum einen das enorme Pensum an Überstunden. Zum zweiten stehen zuwenig Fachärzte oder „alte“ Assistenzärzte zur Anleitung zur Verfügung, weil sie „zu teuer“ sind. Diese klagen oft selbst über Mehrarbeit und können so fast keine Motivation zur Weiterbildung einbringen. So erledigen AiP und „junge“ Assistenten oft Aufgaben, die nicht ihrem Ausbildungsstand entsprechen. Dieser Weg eines „trial and error“ programmiert jedoch, dass mangels Erfahrung schon von Anbeginn Fehler eingeübt werden, die einmal Gewohnheit, schlecht abzulegen sind. Die Weiterbildungskataloge stellen in manchen Fächern Forderungen, die nicht erfüllbar sind.

Als Folge rangeln Assistenten um beispielsweise bestimmte Operationen, die am liebsten von den zuständigen Oberärzten selbst durchgeführt werden, ein Boden für mobbing. Für die Weiterbildung bestehen keine persönlichen Verantwortlichkeiten. Die Weiterbildung wird immer weiter privatisiert. Statt Anleitung und der praktischen Tätigkeit sehen sich Assistenzärzte immer öfter gezwungen, entsprechende Zertifikate außerhalb der Arbeitszeit mittels überteuerter Kurse zu erwerben. Stattdessen möchte ich einige Vorschläge unterbreiten, die wie erwähnt v. a. auf der Diskussion mit Kollegen, insbesondere innerhalb der Arbeitsgruppe Junger Ärzte bei der Sächsischen Landesärztekammer fußen. Die Assistenzärzte sollten grundsätzlich Weiterbildungsverträge erhalten, die beide Seiten an die Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern binden.

So erhalten die Weiterbildungsassistenten ein Regelwerk an die Hand, das sie zugunsten der Weiterbildung notfalls einklagen können. Die Weiterbildungsordnungen selbst bedürfen einiger Novellierungen. So sollten sie neben erfüllbaren und einforderbaren Katalogen zeitliche Strukturen festschreiben. Das verhindert, dass die Betroffenen länger als für die Weiterbildung notwendig in einer speziellen Abteilung verbleiben. Kann die jeweils weiterbildende Einrichtung bestimmte Weiterbildungsinhalte nicht selbst anbieten, so sollen sie im Weiterbildungsvertrag verpflichtet werden, die Betroffenen im Rahmen der regulären Arbeitszeit an andere Einrichtungen für die nötigen Zeiträume zu delegieren. Das privatisierte Kursunwesen gehört abgeschafft. Stattdessen erlernen die Weiterbildungsassistenten nötige Fähigkeiten und Fertigkeiten während der Arbeitszeit, ggf. mithilfe einer Delegierung.

Theoretische Anteile sollten möglichst mittels hausinterner Weiterbildungsveranstaltungen während der Arbeitszeit vermittelt werden. Das höbe oder begründete gleichfalls wieder die Kultur der beständigen Weiter- und Fortbildung entsprechend neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse. So könnten beispielsweise bestehende Mängel der Weiterbildung behoben werden. Ein weiteres Bestehen der Mängel hätte eine Verschlechterung der Standards ärztlicher Arbeit zufolge. Gleichfalls darf nicht verschwiegen werden, dass diese Standards erheblich von dem Wissen und Können der Weiterbilder abhängt. Sinkt nun das Weiterbildungsniveau, also der Standard der künftigen Weiterbilder, wie sollen diese bessere Ärzte als sie selbst durchWeiterbildung gebären? Eine gute Weiterbildung ist ein Garant vonseiten der Ärzte für eine umfassende Gesundheitsversorgung.

Wer also die Weiterbildungsbedingungen und die Weiterbildung selbst vernachlässigt und verschlechtert, gefährdet die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Ärztlicher Auftrag ist, sich an einer umfassenden Gesundheitsversorgung zu beteiligen ohne Ansehen der Person und frei wirtschaftlicher Interessen. Mit den Gesundheitsreformen der letzten Jahre und den geplanten stellten und stellen die jeweiligen Regierungen eine umfassende Gesundheitsversorgung mittels einer Rationierung für eine Lohnnebenkostensenkung zugunsten der Einzelinteressen Privater zur Disposition. Um eine umfassende Gesundheitsversorgung und die dadurch erzeugte Position der Ärzte zu verteidigen, ist nicht nur Behandlung, sondern Zusammenarbeit mit allen Betroffenen Aufgabe. Virchow, der sein politisches Engagement als Bestandteil ärztlicher Arbeit verstanden wissen wollte, schrieb, Krankheit ist ohne Politik nicht heilbar.

Dr. Gero Bühler

Bezugsadresse:

Merz Verlag
Thomas Merz
Heiligkreuzweg 96
D-55130 Mainz

Fon (0 61 31) 98 57 11
Fax (0 61 31) 98 57 12
E-Mail: info@merz-verlag.de
http://www.merz-verlag.de