Das Krankenhaus im Umbruch

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Von der sozialen Einrichtung zum Dienstleistungsunternehmen besonderer Art
In Deutschland gibt es keine Einrichtung, die Jahr für Jahr so viele Menschen aus akuter Lebensgefahr rettet und so viele Menschen vor schweren bleibenden Gesundheitsschäden bewahrt, wie dies in den Krankenhäusern geschieht. Parallel zu einem seit den 70er Jahren gewaltigen Abbau an Häusern und Betten (allein von 1990 bis 1998 wurden 184 Krankenhäuser geschlossen und 114.347 Betten stillgelegt; die Zahlen sanken dadurch von 2.447 auf 2.263 Krankenhäuser und von 685.976 auf 571.629 Betten) nimmt die Leistungsintensität der Krankenhäuser immer mehr zu. Von 1990 bis 1998 ist die Zahl ihrer stationär behandelten Patienten (ohne Stundenfälle, ohne interne Verlegungen, ohne vor- und nachstationäre Behandlungen, ohne ambulantes Operieren) von 13,78 auf 15,95 Mio. gestiegen, das sind 15,7 %. Die durchschnittliche Verweildauer hat sich von 15,3 Tagen aus 1990 auf 10,7 Tage in 1998 verkürzt, also um 30,1 %. In den Allgemeinen Krankenhäusern, d. h. ohne die Krankenhäuser mit ausschließlich psychiatrischen oder psychiatrischen und neurologischen Betten, liegt sie sogar nur bei 10,2 Tagen.

Beträchtliche Leistungsintensivierung

Hatte die Zahl der Pflegetage noch 1972 allein im damaligen Bundesgebiet bei fast 225 Millionen gelegen, so betrug sie 1990 im wiedervereinigten Deutschland 210 Millionen und 1998 171 Millionen. Über einen besonders starken Anstieg berichten die Krankenhäuser für die Patienten über 65 Jahre. Immer mehr Patienten werden in immer kürzerer Zeit mit gestiegenem Personal- und beträchtlich gesunkenem Bettenbedarf vesorgt. Weil die ersten Behandlungstage eines stationären Patienten in aller Regel die Tage mit der stärksten Leistungsdichte in Diagnostik und Therapie sind, steht hinter dieser Entwicklung eine noch wesentlich stärkere Leistungsintensivierung als die bloßen Zahlen erwarten lassen. Quicker and sicker – die offenbar unter dieser Devise stehende Leistungsintensivierung wäre unmöglich ohne die Arbeit zahlloser hochmotivierter und hochqualifizierter Ärzte, Pflegekräfte und Angehöriger vieler weiterer Fachberufe im Gesundheitswesen. Insgesamt arbeiten in den Krankenhäusern rund 1,1 Millionen Menschen. Sie erfüllen unter zum Teil schwierigen Bedingungen eine oft äußerst belastende und – wie Untersuchungen über das burnout-Syndrom zeigen – geradezu auszehrende Aufgabe. Ihre Arbeit hat dazu beigetragen, daß die Lebenserwartung in Deutschland seit Beginn des Jahrhunderts von knapp 45 Jahren für Männer auf inzwischen über 73 Jahre und von etwas mehr als 48 Jahren für Frauen auf inzwischen über 80 Jahre gestiegen ist.

Große Innovation der modernen Zeit

Die Krankenhäuser heutiger Prägung gibt es erst seit gut 200 Jahren. Sie gehören zu den großen Innovationen unserer modernen Zeit. Die rasche Entwicklung der wissenschaftlichen Medizin ab dem Ende des 18. Jahrhunderts und dem Beginn des 19. Jahrhunderts weckte den Bedarf, Kranke nicht nur unterzubringen und zu pflegen, sondern ihnen auch Diagnostik und Therapie zu eröffnen und deren Fortschritt durch Forschung und Lehre vor allem in neu entstehenden universitären Häusern – voranzutreiben. So sind der wissenschaftliche Fortschritt der Medizin und die medizinisch-technische Entwicklung mit ihren wachsenden Möglichkeiten zur Diagnose und immer besseren Formen der Therapie zum Fluch und Segen der Krankenhäuser zugleich geworden.

Sie sind die entscheidenden Quellen der in den Krankenhäusern möglich gewordenen Erfolge und damit zur Grundlage des von den Menschen in die Krankenhäuser, ihre Ärzte und Pflegekräfte gesetzten Vertrauens geworden, zugleich sind sie mit ihrer Kostendynamik und Personalintensität auch die entscheidenden Gründe für den selbst unberechtigt wirksamen Vorwurf an die Krankenhäuser, als Kostentreiber Nr. 1 im Gesundheitswesen die solidarisch aufgebrachten Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung über Gebühr zu strapazieren. Der aus der Entwicklung der Medizin ermöglichte Erfolg der Krankenhäuser als den in Diagnostik und Therapie innovativsten Einrichtungen des Gesundheitswesens ist damit zugleich zum Anlaß für eine immer intensivere politische Durchdringung des Krankenhaus-Geschehens geworden. Vergleichbare Probleme kannten die als Gästehäuser entstandenen Hospize oder Hospitäler, auf die sich die Geschichte der heutigen Krankenhäuser zurückführen läßt, nicht. In diesen Hospizen oder Hospitälern fanden alte, gebrechliche oder unheilbar kranke Menschen ebenso Schutz wie Obdachlose, und Pflegebedürftige, die sich aus finanziellen oder familiären Gründen nicht zu Hause pflegen lassen konnten. Außerdem fanden dort Pilger Herberge.

Seit dem Mittelalter zuerst Barmherzigkeit

Die Häuser entstanden in Europa im frühen und hohen Mittelalter und deckten ihre Kosten hauptsächlich aus Stiftungen, mildtätigen Zuwendungen und Erträgen aus eigener Wirtschaft zum Beispiel im Ackerbau oder Weinbau. Besonders die religiösen Orden wie die Benediktiner, die Brüder vom Heiligen Geist, die Barmherzigen Brüder, die Alexianer, die Barmherzigen Schwestern, die Cellitinnen und Elisabetherinnen schufen diese Hilfe für Kranke und sozial Schwache. Erst ab Beginn der Neuzeit kamen Gründungen durch Bürger, Bürgervereinigungen und Städte hinzu. Seit dem 15. Jahrhundert behandelten Stadtärzte zwar auch kranke Insassen von Hospitälern, eine regelmäßige ärztliche Betreuung dort entstand aber erst ab dem 17. Jahrhundert. Bis dahin ließ man sich, wenn man konnte, im Kreise der Familie pflegen und auch ärztlich behandeln, selbst die damals möglichen Operationen führten ein umfassend kompetenter Hausarzt oder der hinzugezogene Spezialist im Haus des Kranken durch.

Die Medizin treibt die Entwicklung der Krankenhäuser

Die wachsenden Möglichkeiten der Medizin und ihre stärkere Differenzierung und Spezialisierung wurde im 19. Jahrhundert zur wichtigsten Triebfeder für die Entwicklung der Krankenhäuser. 1822 sollen in Preußen 155 Krankenhäuser bestanden haben, bis 1882 war ihre Zahl auf 567 gestiegen. Im Deutschen Reich gab es 1876 ca. 3000 Krankenhäuser mit 150.900 Betten, 1900 waren diese Zahlen mit 6.300 Häusern und 370.000 Betten mehr als verdoppelt. 1938 waren die Häuser auf 4.673 gesunken und die Betten auf 637.000 gestiegen. 1996 zählte man im wiedervereinigten Deutschland 2.269 Krankenhäuser mit 594.000 Betten (ohne Kur- und Reha-Kliniken). Noch höher war das Bettenangebot in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts gewesen. Hatte ein Krankenhaus 1876 im Durchschnitt 47 Betten, so waren dies 1900 58, 1938 136 und 1994 265. Entfielen 1882 auf 10.000 Einwohner 17 Betten, 1938 93, so war der Höchststand 1975 mit 118,4 Betten auf 10.000 Einwohner erreicht, er reduzierte sich bis 1994 auf 75,9 Betten. Bereits im Lauf des 19. Jahrhunderts wurden immer mehr Patienten über die finanziell schwachen Schichten hinaus aufgenommen. Mit der Krankenpflege als wichtigstem Beispiel entstand eine Reihe eigenständiger Krankenhausberufe, und immer mehr Ärzte wurden hauptberuflich im Krankenhaus tätig. Von 1910 bis heute hat sich ihr Anteil an den berufstätigen Ärzten von ca. 10 auf zuletzt 56,6 % (1996) erhöht.

Nachholbedarf und rasanter Fortschritt

Im Zweiten Weltkrieg wurden viele Krankenhäuser zerstört oder schwer beschädigt. Aus einem Bericht des Sozialministeriums in Nordrhein-Westfalen geht für dieses Land hervor, daß von den bei Kriegsende vorhandenen 828 Krankenhäusern 13 total zerstört waren, 166 schwerbeschädigt und 272 mittelschwer und leichter beschädigt. Allein in Nordrhein-Westfalens größter Stadt Köln waren von 7.634 Krankenhausbetten nur noch 1.627 betriebsfähig. Man half sich mit Hilfs- und Ausweichkrankenhäusern, wobei die vielen verletzten und kranken Frontsoldaten, Kriegsgefangenen, Evakuierten und Flüchtlinge und nicht zuletzt auch der Mangel an Nahrung, Wohnung und Kleidung einen besonders hohen Bedarf an stationärer Behandlung begründete.

Bereits 1949, nur vier Jahre nach Kriegsende, gab es im alten Bundesgebiet schon wieder 3.233 Krankenhäuser mit 502.843 Betten. Aus der heutigen Sicht ist kaum zu begreifen, wie die Krankenhäuser ihre bis 1972 bestehende chronische finanzielle Unterdeckung überstehen konnten. Hatten sie bis 1936 noch grundsätzlich alle Investitions- und Betriebskosten über die Pflegesätze ausgleichen können, so folgte dann ein allgemeiner Preisstop, der auch die Krankenhausentgelte betraf und bis 1948 galt. Ausnahmen wurden von den Preisbehörden nur sehr restriktiv gehandhabt. Die Pflegesätze lagen in der Größenordnung von 2 bis 3 RM/DM bei kleineren und 5 bis 6 RM/DM bei größeren Krankenhäusern. Zusätzlich konnten in gewissem Umfang “Nebenkosten” zum Beispiel für besonders teure Medikamente und andere medizinische Produkte abgerechnet werden. Als die Pflegesätze nach der Währungsreform im Juni 1948 kurzfristig freigegeben wurden, stiegen sie in wenigen Monaten um 15 Prozent, die Nebenkosten sogar um 20 Prozent, bis der Preisstop wieder eingeführt wurde. In den folgenden Jahren genehmigten die Preisbehörden bis 1953/54 Pflegesätze von ca. 10 DM täglich. Diese Beträge ermöglichten weder, den gewaltigen Nachholbedarf aus den Zerstörungen des Krieges und gegenüber der raschen medizinischen Entwicklung zu decken, noch enthielten sie Abschreibungen, Kreditverzinsungen oder gar Mittel für Neuinvestitionen. Das Überleben der Krankenhäuser hing von außerordentlichen Zuwendungen der Länder und hohen Zuschüssen ihrer Träger, also vor allem der Kommunen und der Kirchen, ab. Rechtlich verbürgte Ansprüche darauf gab es nicht.

500 Millionen Unterdeckung

Warnungen der Ärzteschaft vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch der Krankenhäuser und Forderungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft nach Beseitigung des Preisstops, geregelten staatlichen Zuschüssen an die Krankenkassen und direkten Staatszuschüssen zur Finanzierung des Nachholbedarfs, zum Wiederaufbau kriegszerstörter Anlagen und notwendiger Erweiterungs- und Neubauten führten 1954 zu einer erleichterten Erhöhung der Pflegesätze, wobei nun unter anderem Abschreibungen teilweise berücksichtigt werden durften. Die Beseitigung von Kriegsschäden, die Deckung des Nachholbedarfs sowie Zinsen für Eigenkapital blieben jedoch weiterhin nicht pflegesatzfähig. Politisch gewollt zahlten die Krankenkassen weiterhin keine kostendeckenden Entgelte. Noch 1964 lag der tägliche Pflegesatz zwischen 20 und 25 DM. Im gleichen Jahr gab die Deutsche Krankenhausgesellschaft die Unterdeckung für alle Krankenhäuser im Bundesgebiet mit etwa 500 Millionen DM an; für 1966 errechnete die Bundesregierung 1,94 Milliarden DM, die nicht durch Pflegesätze gedeckt waren. Die Verhältnisse mochten einer volkswirtschaftlichen Logik entsprechen, die Betriebswirte in der Leitung der Krankenhäuser näherten sich mehr und mehr der schieren Verzweiflung, und Verfassungsjuristen sprachen von einer rechtswidrigen staatlichen Enteignung der Krankenhausträger. Die Krankenhausenquête von 1969 votierte für eine rechtlich gesicherte Ordnung der Krankenhausfinanzierung. Mit dem 22. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 12. Mai 1969 übertrug der Verfassungsgesetzgeber dem Bund die konkurrierende Gesetzgebung für die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze.

KHG 1972: Jahrhundertgesetz für 20 Jahre?

Diesem Auftrag entsprechend kam es nach 1970 beginnenden Diskussionen 1972 zu einem von allen politischen Kräften und Verbänden getragenen Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG). Sein bis heute im Kern unveränderter Zweck wurde „die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser, um eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen, eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern zu gewährleisten und zu sozial tragbaren Pflegesetzen beizutragen”. Bund und Länder verpflichteten sich, bei allen bedarfsgerechten Krankenhäusern gemeinsam die näher definierten Investitionskosten zu übernehmen; die Patienten beziehungsweise ihre Versicherungen hatten die Betriebskosten über voll pauschalierte tagesgleiche Pflegesätze (unter Wegfall der Nebenkosten) aufzubringen. Beide Finanzierungsarten dieser „dualen Finanzierung” zusammen hatten die nachgewiesen Unkosten eines sparsam wirtschaftenden leistungsfähigen Krankenhauses zu decken (Kostendeckungprinzip). Die bis dahin ausdrücklich in Kauf genommene Unterdeckung der Kosten wurde so beendet, und das Krankenhaus konnte prinzipiell keine Verluste mehr machen, durfte allerdings auch keine reinvestierbaren Gewinne erzielen.Das Krankenhausfinanzierungsgesetz – zunächst euphorisch als Jahrhundertgesetz gefeiert – und die auf ihm basierende Bundespflegesatzverordnung wurden Ausgangspunkt einer in immer kürzeren Wellen über die Krankenhäuser spülenden Flut von ergänzenden Ausführungsgesetzen, Ausführungsverordnungen und Ausführungerlassen der Länder, Novellierungen des Gesetzes und der Pflegesatzverordnung bewirkten neue Ausführungsgesetze, Ausführungsverordnungen und Ausführungserlasse der Länder, weitere Gesetzes- und Verordnungsänderungen hatten wieder neue Ausführungsgesetze, -verordnungen und -erlasse der Länder zur Folge, und Träger, Betriebsleitungen und Mitarbeiter der Krankenhäuser fragten sich immer häufiger, wie sie der raschen Abfolge gesetzlicher Neuerungen gerecht werden sollten, ohne ihre eigentlichen Aufgaben zu vernachlässigen.

Gesetzesänderungen in Hülle und Fülle für die Kostendämpfung

Unter den inzwischen reichlich in die 50 gehenden Gesetzen, die seit 1972 dem Gesundheitswesen galten, findet sich kaum eines, das nicht auch das Krankenhaus berührt. Zumindest der Bürokratie haben die Krankenhäuser auf diese Weise als fruchtbares Betätigungsfeld dienen dürfen. Zugleich hat das Management der bürokratischen Prozesse einen wachsenden Teil der von den Akteuren in den Kliniken eingesetzten Arbeitskraft mit Beschlag belegt und somit ihrem eigentlichen beruflichen Auftrag entfremdet. Der gemeinsame Nenner aller gesetzlichen Mühen war die Begrenzung der in den Krankenhäusern aufgewendeten Mittel, die Begrenzung und Konzentration der Bettenkapazitäten und ein verstärkter Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern um die erforderlichen Investitionsmittel und Pflegesätze. Das neue Recht von 1972 führte zwar zu einer besseren wirtschaftlichen Absicherung der Krankenhäuser, so daß eine zuvor kaum für möglich gehaltene Leistungssteigerung resultierte – zugleich wuchsen aber auch die Leistungsausgaben für Krankenhausbehandlung von sechs Milliarden DM im Jahr 1970 auf heute über 80 Milliarden DM an.

Das war zwar nicht schwer zu erklären, wenn man sich die wachsenden medizinischen Möglichkeiten in den Krankenhäusern vergegenwärtigte. Es gab zahlreiche Fortschritte der Medizin, an die zum Beispiel 1960 noch in keiner Weise zu denken gewesen war. Dazu zählen die weitere Ausdehnung der Altersgrenze zur Operation sowohl in den ersten Lebenstagen als auchin den höheren und höchsten Lebensjahren durch die Weiterentwicklung der Operations-, Narkose- und Nachbehandlungsverfahren, die Weiterentwicklung und verstärkte Anwendung mikrochirurgischer Techniken in der Neuro-, Replantations-, Kiefer-, Gefäß-, Augen-, Ohren- und gynäkologischen Rekonstruktionschirurgie, die Entwicklung neuer Implantate und Ersatzmaterialien für die Knochen-, Gelenk-, Sehnen-, Gefäß- und Hautchirurgie, die Einführung neuer, z. T. elektronisch gesteuerter Prothesen, Entwicklung der bildgebenden Verfahren, Endoskopie, moderne Osteosynthese-Verfahren bei Knochenbrüchen, Verbesserung der Immunsuppression mit steigender Zahl von Organtransplantationen, Einsatz von Lithotriptern, sensationelle Erfolge in der Behandlung krebskranker Kinder.

Nicht Kosten- sondern Leistungsexplosion

Wie andere Bereiche des Gesundheitswesens konnten die Krankenhäuser darauf verweisen, daß ihre finanzielle Entwicklung nicht Ausdruck einer Kosten- sondern einer Leistungsexplosion war. Jeder Einwohner könne auf diese Hilfen jederzeit bitter angewiesen sein. Davon zu schweigen, wenn man von den Kosten spreche, sei eine gefährliche und unverantwortliche Augenwischerei. Bis auf den heutigen Tag konnten sie internationale Vergleiche glänzend bestehen. Dazu zählt etwa die Tatsache, daß ihr relativer Anteil an den Gesundheitsausgaben der Nation nach Berechnungen der OECD z. B. Mitte der neunziger Jahren nur noch von der Türkei unterschritten wurde. Dazu zählt auch, daß die deutschen Krankenhauskosten je Einwohner weit niedriger lagen als in Australien, Belgien, Dänemark, Frankreich, Island, Italien, Kanada, den Niederlanden oder Österreich, ganz zu schweigen von den je Einwohner beim dreifachen liegenden Krankenhauskosten in den USA. Ob das alles gehört oder überhört wurde – der pure Anstieg der absoluten Werte rief immer wieder Gewerkschaften wie Arbeitgeber auf den Plan, die im Interesse niedriger Beiträge für gesunde Versicherte und mit dem Ziel niedriger Arbeitskosten auf Kostendämpfung in den Krankenhäusern drängten und in der Politik auf Gehör stießen.

GSG 1993 bringt strikten Sparkurs

Einen besonders markanten Gipfelpunkt des in diese Richtung gehenden staatlichen Einflusses stellte das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) von 1993 dar. Nach einer bis dahin in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einmalig kurzen gesetzgeberischen Phase verordnete es für die Jahre 1993 bis 1995 einen strikten Sparkurs. Im gesamten Gesundheitsbereich sollten jährlich 10,7 Milliarden DM, davon allein 3,3 Milliarden DM im Krankenhausbereich eingespart werden. Daneben enthielt das GSG weitreichende strukturelle Veränderungen. Das GSG nahm Abschied von der wirtschaftlichen Sicherung für die Krankenhäuser, die ihnen das Reformkonzept von 1972 auch in all seinen Modifikationen für zwanzig Jahre gewährt hatte. Das in einer Art großen Koalition von CDU/CSU, SPD und FDP auf der Basis des sogenannten Kompromisses von Lahnstein gestaltete Gesetz hob den Anspruch des Krankenhauses auf Festsetzung eines prospektiv kalkulierten, seine wirtschaftlichen Betriebskosten deckenden Budgets auf. An seine Stelle trat der Anspruch des Krankenhauses auf medizinisch leistungsgerechte Pflegesätze, die einem Krankenhaus die Erfüllung des Versorgungsauftrages ermöglichen. Die Beachtung des Grundsatzes der Beitragstabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung wurde für die Ermittlung der Pflegesätze vorgegeben. Pflegesätze und Leistungen vergleichbarer Krankenhäuser sollten bei der Pflegesatzermittlung angemessen berücksichtigt werden.

An die Stelle der bis dahin gültigen tagesgleichen pauschalierten Pflegesätze trat ein differenziertes Entgeltsystem aus Fallpauschalen, Sonderentgelten, Abteilungs- und Basispflegesätzen. Die Bewertungsrelationen für Fallpauschalen und Sonderentgelte wurden bundeseinheitlich vorgegeben, die Höhe dieser Entgelte sollte in auf Landesebene zu schließenden Kollektivvereinbarungen geregelt werden. In begrenztem Umfang wurden die Einbeziehung privaten Kapitals in die Investitionsfinanzierung und seine Amortisation über die Pflegesätze eingeführt. Strukturell wurden die Funktionen und der Standort des Krankenhauses im gesundheitlichen Versorgungssystem neu gewichtet: die Krankenhäuser erhielten die Möglichkeit, im Rahmen zeitlich begrenzter vor- und nachstationärer Behandlung die zur Krankenhausbehandlung eingewiesenen Patienten auch ambulant behandeln zu lassen; außerdem wurden sie institutionell zum ambulanten Operieren zugelassen.

Selbstkostendeckung ade!

All dies sowie die erweiterte Planungsbefugnis und erleichterte Kündigungmöglichkeit der Kassen stellte die Krankenhäuser vor gewaltige neue Herausforderungen. 20 Jahre lang hatte unter den ökonomischen Bedingungen des Selbstkostendeckungsprinzips im Zentrum der Herausforderungen der Krankenhäuser der Anschluß an die internationale medizinische Entwicklung gestanden. Die Antworten auf diese Herausforderungen kamen von den Ärzten und richteten sich nach deren fachlichen Kategorien. Eine inhaltliche Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Berufsgruppen fand in aller Regel nicht statt, weil der Anlaß fehlte, die Ärzte mit nichtmedizinischen Kriterien zu konfrontieren. Weder erwartete man von den Ärzten wirtschaftlichen Sachverstand noch hatte man sich in dieser Beziehung -etwa im Medizinstudium – um ihre Kompetenz gekümmert. Mit einem Mal sollte nun eine völlig andere Philosophie gelten. Nach einer seit dem Mittelalter währenden jahrhundertelangen Alimentierung der Krankenhäuser aus Ordens- und anderen karitativen Zuwendungen und nach der als Jahrhundertgesetz angekündigten Überwindung ihres nach dem zweiten Weltkrieg und in den sechziger Jahren drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs mit Hilfe des im KHG 1972 verankerten Selbstkostendeckungsprinzips verkündete eine in dieser Form bis dahin nie existente große politische Koalition aus allen Regierungsparteien in Bund und Ländern die “neue Denke”, die sich in bewußter Zuspitzung zu folgender Botschaft zusammenfassen läßt:

Aus sozialen Einrichtungen werden Dienstleistungsunternehmen

Krankenhäuser sind keine sozialen Einrichtungen mehr, Krankenhäuser sind Dienstleistungsunternehmen. Sie müssen wie normale Wirtschaftsbetriebe geführt werden. Das heißt: über Gewinn und Verlust entscheiden die Qualität des Managements, die Motivation und die Kompetenz der Mitarbeiter und der Zuspruch der “Kunden”. Tagesgleiche pauschalierte Pflegesätze und Selbstkostendeckungsprinzip sind Instrumente der Vergangenheit, an ihre Stelle tritt eine Vielzahl unterschiedlicher Vergütungsformen für unterschiedliche Leistungsbestandteile. Bis diese Vergütungsformen greifen, gelten erst einmal gedeckelte Budgets. Über die Existenz eines Krankenhauses und sein Leistungsspektrum entscheiden mittelfristig möglicherweise nicht mehr die Politik und der öffentlich verantwortete Krankenhausplan sondern Soll und Haben in seiner Bilanz und die als Einkäufer von Krankenhausleistungen auftretenden und ihrerseits im Wettbewerb zueinander stehenden Krankenkassen.

Die volle Etablierung des neuen Abrechnungssystems aus Fallpauschalen, Sonderentgelten, Abteilungspflegesätzen und Basispflegesatz ist zwar bis heute nicht abgeschlossen und weist auch bereits die ersten Inkonsistenzen auf, aber dieses neue Vergütungssystem bildete plötzlich zumindest kalkulatorisch Preise für bestimmte Leistungskomplexe, und der Budgetdeckel entkoppelte die Einnahmenentwicklung des Krankenhauses von den fachlichen Maßstäben ärztlichen Handelns. Plötzlich entwickelte sich als neue Herausforderung die Notwendigkeit, die fachlichen Desiderate mit a priori limitierten finanziellen Möglichkeiten in Einklang zu bringen, ohne daß die fachliche Logik automatisch zu entsprechend angepaßten Mitteln führte. Seitdem haben sich die Krankenhäuser differenziert entwickelt. Die Unterschiede in dem inneren Miteinander in den Krankenhäusern haben zumindest teilweise damit zu tun, ob im Krankenhaus der Wandel vom sozialen Betrieb zum Dienste leistenden Unternehmen wahrgenommen wurde und wer im Krankenhaus an dieser Wahrnehmung teilnimmt bzw. teil hatte.

Von der Kostenerfassung zum Kosten-Controlling

An die Stelle früherer Kostenerfassungen und ihrer Legitimation in den Pflegesatzverhandlungen sind jetzt Leistungs-, Kosten- und Erlöspläne sowie die controlling-Instrumente zur Überprüfung ihrer Einhaltung bzw. ihres Anpassungsbedarfs getreten. Spätestens an den Grenzen der Pläne, an den Grenzen der Budgets hat der im Krankenhaus handelnde Arzt sich nicht nur fachlich in der Weise zu legitimieren, daß sein Handeln dem Stand der Wissenschaft und ärztlichen Erfahrung entspricht, sondern ökonomisch auch in dem Sinne, daß die aufgewendeten personellen und materiellen Ressourcen nicht für entbehrliche Zwecke eingesetzt werden. Zur medizinischen tritt also eine ökonomische Dimension hinzu. Die Integration wird teils von den Ärzten erwartet, teils durch einen mehr oder weniger abgestimmten Dialog zwischen Ärzten und Verwaltung geleistet, stellenweise erwarten Verwaltungen allerdings auch einfach, daß ihre ökonomischen Vorgaben gewissermaßen diskussionslos akzeptiert und zur Grundlage genommen werden. Die Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten, damit umzugehen, erklärt, warum sich eine Vielzahl unterschiedlicher Wege findet, auf denen die Krankenhäuser und die in ihnen Tätigen sich voranzukommen bemühen.

Die stärkere wirtschaftliche Durchdringung des Krankenhauses erstreckt sich auf praktisch alle möglichen Handlungsfelder. Überall werden die Handlungsspielräume im Sinne der Kostenminimierung ausgelotet. Bei einem Verhältnis von Personal- zu Sachkosten von annähernd 70 : 30 trifft dies besonders den Personalbereich. Dabei scheint es auch zu Entwicklungen zu kommen, die unmittelbar eine Belastung für die Qualität der Patientenversorgung darstellen. Diese Befürchtung läßt sich sowohl den ersten Ergebnissen der Begleitforschung zur Bundespflegesatzverordnung als auch dem Abschlußbericht entnehmen. Diese Begleitforschung erfolgte von 1996 bis Anfang 1999begonnen, um Entscheidungsgrundlagen für die Weiterentwicklung des neuen Vergütungssystems zu vermitteln, als Frühmeldesystem Auffälligkeiten zu identifizieren und zu prüfen, wie gut das neue Entgeltsystem die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit mit Qualität und Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser in Einklang bringt.

Begleitforschung weckt Skepsis

Hingewiesen sei auf fünf Entwicklungen, die die mit der Untersuchung beauftragte Arbeitsgemeinschaft Begleitforschung für das Beobachtungsjahr 1997 herausgearbeitet hat und – wenn auch mit dem gebotenen Vorbehalt -als mögliche Anzeichen für eine Gefährdung der Versorgungsqualität oder der medizinischen Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser wertet: Jedes achte Krankenhaus hatte 1996 Wartelisten eingeführt oder erweitert, 1997 bereits jedes fünfte, bei steigender Krankenhausgröße mit zunehmender Tendenz. Jedes fünfte Krankenhaus hat seine Verlegungsstrategie mit Blick auf die Rehabilitation geändert: zum einen (11,1 % 1996 bzw. 10,2% 1997) kommt es häufiger zu solchen Verlegungen, zum anderen (22,4 %) früher. Zyniker sprechen in diesem Zusammenhang bereits von der “englischen Verlegung”, wenn der Patient “noch blutig” verlegt wird. Die Analyse der vereinbarten Basispflegesätze läßt deutlich erkennen, daß der in die Kalkulation der Fallpauschalen eingegangene durchschnittliche Basispflegesatz im Blick auf größere Häuser und Universitätskliniken unangemessen niedrig ist: dort liegt der vereinbarte Basispflegesatz nämlich mit 144,81 DM bzw. 175,26 DM deutlich über dem Durchschnitt von 120,30 DM.

Jedes sechste Krankenhaus hat Stellen im ärztlichen Dienst abgebaut, über 40 der Häuser hat offene Ärzte-Stellen zeitweise nicht besetzt, im Pflegedienst baute jedes zweit Haus Stellen ab, jedes zweite ließ Stellen zeitweise unbesetzt. Fast jedes zweite Haus hat unbefristete in befristete Stellen umgewandelt. Im ärztlichen Dienst sind darüber hinaus in jedem viertenn Haus Strukturverschiebungen zugunsten erfahrener Fachärzte registriert worden – gut für die unmittelbare Leistungserbringung, schlecht für die Zugänglichkeit und Absolvierbarkeit der Weiterbildung und in etlichen Jahren dann unter Umständen auch ein Strukturproblem für die ärztliche Versorgung. Alle diese Ergebnisse bedürfen noch einer sehr genauen Analyse hinsichtlich ihrer Ursachen, denn sie müssen keineswegs allein und nicht einmal überwiegend Ergebnis der neuen Bundespflegesatzverordnung sein. Es kann sich auch um Effekte des auf 1996 befristeten Stabilisierungsgesetzes oder einer allgemein veränderten kaufmännischen Strategie handeln. Keiner dieser Punkte darf in Zukunft aber unbeachtet bleiben, weil nur so das Ziel der Begleitforschung erreicht werden kann, tatsächlich handlungsleitender Seismograph zu sein. Leider wurde die Begleitforschung inzwischen vorzeitig beendet. Ihre Ergebnisse wurden offenbar weder von SPD noch Grünen zur Kenntnis genommen, als das Gesundheitsreformgesetz 2000 formuliert wurde. Dieses Gesetz kombiniert jetzt gedeckelte Budgets mit der bis 2003 vorgeschriebenen Einführung eines flächendeckenden Systems. Das Entgeltsystem wird immer komplizierter und aufwendiger, zugleich die Budgetierung immer rigider. Für das Personal der Kliniken wachsen die Aufgaben, während die Mittel sinken.

Die Mitarbeiterzahl sinkt um 3,25 % in 3 Jahren

Aus den bisherigen Erfahrungen ist deutlich geworden, daß die Personalpolitik zu den zentralen Ansatzpunkten für die Kostenminimierung in den Krankenhäusern zählt. Zum dritten Mal in Folge ist 1998 die Mitarbeiterzahl der Krankenhäuser zurückgegangen. Nach Angaben der Fachserie 12 des Statistischen Bundesamtes hat sie sich von 1995 auf 1998 um 36.982 verringert, das sind 3,18 % in drei Jahren. Betroffen ist vor allem das Wirtschafts-und Hauspersonal sowie Personal im technischen Dienst, wo seit 1991 über 40.000 Stellen gestrichen bzw. “ausgesourct” wurden. Setzt die ötv ihre auf Gehaltssteigerungen konzentrierte Tarifpolitik fort, wird dieser Prozeßsich unweigerlich beschleunigen und die am schwächsten Qualifizierten am stärksten treffen.

Aber nicht nur Personalbedarfsermittlung, Vertragsgestaltung und tarifliche Grundlagen geraten ins Visier der Kostenreduzierung, auch die Behandlung der Patienten wird durch Standards bzw. klinikinterne und – externe Leit- und Richtlinien schematisiert und mit Hilfe des Zauberwortes “managed care” von – ich akzentuiere bewußt – kostentreibender Individualität entkleidet. Dem weniger erfahrenen Arzt mag die Routine zu größerer Sicherheit verhelfen, dem Erfahrenen schränkt sie allerdings dann den persönlichen Handlungsraum ein, wenn Abweichungen nicht ausdrücklich erwünscht bleiben. Von der Übertragung definierter Leistungen nach außen (Küche, Reinigung, aber auch medizinische Leistungen wie Diagnostik, Röntgen, Labor, Blutbank etc.) war schon die Rede. Sicher rundweg sinnvoll ist eine Optimierung des Beschaffungswesens, speziell auch im Arzneimittelbereich und bei den übrigen Medikalprodukten.

Was bringt die nächste Strukturreform?

Die Auseinandersetzungen um das nach dem Bonner Regierungswechsel auf den Weg gebrachte Vorschaltgesetz zu der inzwischen in Kraft getretenen rein rot-grünen „Gesundheitsreform 2000“ haben eine Wiederaufnahme und Verschärfung der gedeckelten Budgets geprägten Lahnsteiner Kompromisses gebracht, nachdem das Zwischenspiel der mit den Neuordnungsgesetzen NOG I und NOG II gestärkten Eigenverantwortung und verstärkten finanziellen Eigenbeteiligung der Versicherten ankündigungsgemäß abgeschwächt, wenn auch nicht völlig außer Kraft gesetzt wurde. Erst jetzt macht die neue Bundesgesundheitsministerin Fischer Vorschläge zur Stärkung der Einkommenseite, die SPD läßt aber Zugleich erkennen, daß sie diesen Vorschlägen wenig Chancen gibt. Bei der bundesweit kaum beachteten Verabschiedung des neuen Krankenhausgesetzes Nordrhein-Westfalen am 16.12.98 haben die Krankenkassen verlangt, daß nach einem dort erfolgten Abbau von 8.000 Betten in den Jahren 1996 und 1997 weitere 16.000 Betten entfallen müßten.

Sie haben damit noch einmal bestätigt, wie folgenreich für die Krankenhäuser es wäre, ausgerechnet den Krankenkassen zusätzliche Planungskompetenz zu übertragen, wie dies in Nordrhein-Westfalen mit den nunbundesweit erstmals zwingend vorgeschriebenen regionalen Planungskonzepten geschieht, die von Krankenhäusern und Krankenkassen gemeinsam erarbeitet werden sollen. Das Krankenhaus verliert damit erstmals die Möglichkeit, von sich aus Anträge an die Bezirksregierung zur Aufnahme von Kapazitäten in den Krankenhausplan zu stellen. Ich sage voraus, daß die Krankenkassen das neue Planungsrecht dazu nutzen werden, um für die künftige Anerkennung jedes einzelnen zusätzlichen Bettes im Krankenhausplan die Streichung einer mindestens zwei- bis dreimal so großen Bettenzahl an gleicher oder anderer Stelle durchzusetzen. Viele der ländlichen Krankenhäuser und viele der kleineren Krankenhäuser in Städten sind daher mittelfristig bedroht. Diese Wirkung wird noch wesentlich verstärkt, indem die neue Bonner und inzwischen Berliner Mehrheit sich die beim größeren Koalitionspartner vorhandenen Präferenzen für ein Einkaufsmodell zu eigen gemacht hat.

Der Wettbewerb nimmt zu

In jedem Fall wird der Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern zunehmen, und dies stellt Träger, Betriebsleitungen, die Mitarbeiter der Krankenhäuser und deren Vertretungen vor beträchtliche neue Herausforderungen. Vor allem wegen der steigenden Lebenserwartung und der damit einhergehenden Zunahme von Krankheiten beim gleichen Patienten und wegen des erfreulichen Fortschritts in der Medizin sind zusätzliche Finanzmittel erforderlich. Diese Situation wird uns in den nächsten dreißig Jahren begleiten. Die mit wachsender Perfektionierung vorangetriebene Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitspotentialen reicht nicht aus, die Leistungszusage und die dafür erforderlichen Mittel stabil zu halten. Nach der zunächst auf die Jahre 1993 bis 1995 befristeten und dann noch einmal für 1996 verlängerten strikten Ausgabendeckelung im Gesundheitswesen wissen wir besser als zuvor, daß die durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) von 1992 eingeführten Deckelungsinstrumente das System an die Grenze der Rationierung gesundheitlicher Leistungen manövriert haben. Noch Horst Seehofer hatte daraus die Konsequenz gezogen, mit dem NOG I und NOG II die Einnahmeseite der Krankenkassen zu stärken. Infolge der Neuauflage und Verschärfung der Budgets mit der Gesundheitsreform 2000 ist die Grenze zur Rationierung und Zuteilungsmedizin inzwischen überschritten.

Dies gilt sowohl für die mit dem GSG in § 84 SGB V fortgeschriebene Budgetierung für die vertragsärztlich veranlaßten Leistungen als auch für die in § 85 SGB V normierteAnbindung der Gesamtvergütung an die Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen der Versicherten wie für die Budgetierung der Vergütungen für Krankenhausbehandlung gemäß § 17 Abs. 1 KHG in Verbindung mit §71 SGB V und § 6 BPflVO 1995. Diese Regelungen legen Obergrenzen für die zur Krankenbehandlung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel fest. Damit geraten sie zumindest konzeptionell in Konflikt mit dem grundsätzlich nicht an einer finanziellen Grenze sondern am Bedarf orientierten Anspruch des Versicherten auf Krankenbehandlung und im erforderlichen Fall eben auch auf Krankenhausbehandlung. Dieser Anspruch umfaßt das, was nötig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Er steht zwar unter dem Wirtschaftlichkeitsvorbehalt aus § 12 Abs. 1 SGB V, aber in diesem Rahmen können Kosten nach gültiger gesetzlicher Norm kein Grund sein, einem Patienten eine medizinisch gebotene Leistung zu verweigern. Wenn sie ihm im Sachleistungssystem der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht oder auch nur nicht rechtzeitig erbracht werden kann, hat er nach § 13 Abs. 3 SGB V das Recht, sich die Leistung auf dem privaten Markt (gegebenenfalls auch im Ausland) zu beschaffen und von der Krankenkasse Kostenerstattung zu verlangen.

Anspruch auf alle im Einzelfall notwendigen Leistungen

Der Patient, der die Hilfe eines Krankenhauses braucht, kann nicht wissen, ob das Krankenhaus mit einem zu knappen oder auskömmlichen Budget ausgestattet ist. Er muß sich auf die Geltung des Grundprinzips ärztlichen Handelns verlassen, daß der jeweilige Patient alle im Einzelfall notwendigen Leistungen erhält. Diese Notwendigkeit besteht im Einzelfall stets und ohne Ausnahme, wenn die betreffende Leistung mit der begründeten Erwartung verbunden ist, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Konkretes ärztliches Handeln orientiert sich somit am aktuellen Stand medizinischer Kenntnisse und Fertigkeiten. Sicher ist es geboten, bei medizinisch eindeutig gleichwertigen Versorgungsmöglichkeiten der kostengünstigeren Variante den Vorzug zu geben. Damit entspricht der Arzt dem Gebot der Wirtschaftlichkeit. Er sorgt dafür, daß die eingesetzten Mittel den größtmöglichen Nutzen stiften. Politisch oder ökonomisch gesetzte Grenzen für die Gesamtausgaben des Gesundheitswesens, für einzelne seiner Sektoren oder für einzelne Institutionen führen jedoch zu einer Begrenzung des Leistungsumfangs aus medizinfremden Gesichtspunkten. Damit entsteht die Gefahr impliziter, schleichender bzw. heimlicher Rationierung. Heimlich sind derartige Rationierungen, weil abgesehen von spektakulären Sachverhalten die wenigsten Patienten auch nur eine realistische Chance haben, mit zutreffendem Ergebnis kritisch zu prüfen, welche Behandlung nach den Maßstäben des Sozialgesetzbuches bzw. nach dem Stand ärztlichen Wissens in ihrem Fall geboten sind.

Weniger als optimal nur im “informed consent”

Damit stellt sich die Frage, ob ein Patient, dem notwendige Leistungen gänzlich vorenthalten werden oder bei dem eine Alternative mit geringeren Kosten angewendet wird, obwohl das teurere Verfahren mit vernünftiger Wahrscheinlichkeit einen zusätzlichen Gesundheitsgewinn gebracht hätte, darüber aufgeklärt werden muß, und wenn ja, in welcher Weise. Nur informiert – im “informed consent” – ist der Patient nämlich in der Lage, eine freie Entscheidung darüber zu treffen, ob er eine ihm zugedachte suboptimale Behandlung akzeptieren und fortsetzen oder sich lieber aufgrund eigener Entscheidung in eine andere, dann möglicherweise auch aus privaten Mitteln finanzierte, mitfinanzierte oder zumindest vorfinanzierte Behandlung begeben will. Diese Möglichkeit darf ihm jedenfalls dann nicht verweigert werden, wenn er aufgrund der rechtlichen Gestaltung seines Sachleistungsanspruchs erwarten kann, eine bedarfsgerechte Behandlung zu erhalten. Implizite Rationierung ist vor diesem Hintergrund gefährlicher als offizielle und erklärte Rationierung. Implizite Rationierung, bei der es keine offiziellen Leistungsausschlüsse gibt, sondern bei der der einzelne Behandler zum Beispiel infolge der bereits angesprochenen Budgetierung im Einzelfall die Entscheidung einer Rationierung in Form einer nicht vorgenommenen Verordnung trifft, nimmt dem Patienten nämlich die Möglichkeit, diese Rationierung durch eigene Entscheidungen, zum Beispiel durch die für eine private Zusatzversicherung, aufzufangen.

Mildtätigkeit oder Eigenverantwortung?

Wenn und wo das, was gegenüber dem Patienten eigentlich geleistet werden müßte, nicht mehr finanziert werden kann, geht die Gewißheit des Patienten verloren, daß im Einzelfall alles für ihn sinnvoll Mögliche unternommen wird; er müßte dann befürchten, daß ihm aus medizinfremden Gesichtspunkten im Einzelfall notwendige Leistungen vorenthalten werden. Betrifft dies Maßnahmen, die er aus eigener Kraft nicht finanzieren kann, wäre er bei seinen Helfern wieder auf jene Haltung angewiesen, die seit dem Mittelalter die Hospize und Hospitäler entstehen ließ. Weil die Möglichkeiten der Medizin die Kraft der bloßen Mildtätigkeit überfordern werden, ist es klug, die künftige Entwicklung des Gesundheitswesens so zu gestalten, daß der Zugang zu allen erforderlichen Gesundheitsleistungen auf Basis klarer rechtlicher Ansprüche für jedermann gewährleistet bleibt. Dieses Ziel ist es aus meiner persönlichen Sicht allemal wert, dafür ein Stück mehr Eigenverantwortung in Kauf zu nehmen.

Rudolf Henke

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