Depression und Manie bei Ärzten

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Depression und Manie bei Ärzten (Aus MMW 6, 2001, 4-9)
von Bernhard Mäulen

Being a physician does not provide any specific immunity against depression.
M. Gautam

 

V E R L O R E N   (Gedicht eines depressiven Oberarztes)

Verloren lauf ich vor mich hin.
Was soll ich nur? Das frag ich mich.
Mir fehlt die Ruhe das ist klar,
doch nehm ich noch ‘was anderes wahr.

Es ist als ob ein Schleier grau
sich über alle Dinge zieht,
so daß ich alles hör und seh
und doch wie fremd bin in der Welt.

Wohl hab’ ich große Lust zu fliehn,
mir Ferhsehkrimis reinzuziehen,
doch wirklich frei macht mich das kaum.

Das Leben ist mir wie ein Traum
vertraut- doch eigenartig fern,
und was mir fehlt, das weiß ich nicht.

39 jähriger Oberarzt

 

I Einleitung

Wer als Arzt an einer Depression oder Manie erkrankt, wird in den Grundfesten seines Mensch und seines Arzt Seins erschüttert: die Kraft, Konzentrationsfähigkeit, Stimmung und Leidenschaft mit der er seinen ärztlichen Beruf ausübt werden durch die affektiven Störungen nachhaltig beeinflußt und (meist) beeinträchtigt. Hat man als Arzt im Alltag der Patientenversorgung sowieso schon ein hohes Maß an Last zu tragen (Patientenschicksale, Sterben und Tod) kommt durch eine Depression/Manie eine große weitere Belastung hinzu. Manchem gelingt es damit irgendwie fertig zu werden, zu viele aber schaffen es nicht und brechen ein: beruflich, beziehungsmäßig und zu oft auch in ihrem Lebenswillen mit tragischen Ausgang.
Es mutet wie ein Irrwitz an, ist aber tägliche Versorgungsmisere, daß trotz eindeutiger Fortschritte in der Behandlung depressiver und manischer Zustände, nach wie vor viele ÄrztInnen mit affektiven Störungen zu lange leiden, zu einem erheblichen Teil keine adäquate Behandlung aufsuchen /bekommen und mit unzureichender Selbstmedikation die Krankheit verschleppen. Dies ist nicht nur individuelles Versäumnis, es spiegelt eine überholte Doktrin ärztlicher Unverwundbarkeit in der Ärzteschaft, es zeigt Mängel in der medizinischen Sozialisation sowie universitären Ausbildung und es dokumentiert -zumindest im internationalen Vergleich- auch eine Rückständigkeit deutscher Ärzteorganisationen sich um die Thematik affektiv erkrankter KollegInnen zu kümmern.
In kurzem Überblick werde deshalb nachfolgend Form, Auftreten und Behandlung affektiver Störungen bei Ärzten dargestellt.

II Depression bei Ärzten

Depressionen gehören zu den gefürchtetsten Krankheiten, und dies zu recht. Während einer Depression kann man das Leben nicht mehr so weiter führen wie bisher, alle Lebensbereiche sind beeinträchtigt (Faust 1999). Offenbar scheint die Inzidenz von Depressionen zuzunehmen. Die WHO schätzt, daß Depressionen demnächst weltweit die zweithäufigste Ursache von Arbeitsunfähigkeit sein werden (Klare 2000). Der Arzt Beruf gibt uns keine Immunität gegen eine Depression; im Gegenteil, die Summe der Belastungen in der Medizin macht uns wohl eher vulnerabler (Gautam 2000). In Deutschland sollen zwischen 5-10% der Menschen eine depressive Erkrankung haben. Sicher ist, daß eine ganze Reihe davon Ärzte sind, unsicher jedoch, ob die Prävalenz depressiver Störungen bei Ärzten grundsätzlich erhöht ist. Die englische Depressionsforscherin J. Firth-Cozens konnte durch mehrere longitudinale Studien nachweisen, daß zumindest im 1. Jahr der Facharztausbildung fast 30% der Ärzte deutlich depressiv sind (Firth-Cozen 1997). In den nachfolgenden Jahren sinkt die Rate, bleibt aber immer noch über der der Allgemeinbevölkerung. Für die USA wird im “Handbuch der Ärztegesundheit” der American Medical Association die Gefährdung durch Depression für Ärzte insgesamt am oder leicht über der Prävalenz der Allgemeinheit (Gautam 2000) gesehen. Bei den Gründen für eine stationäre Behandlung von Ärzten stehen affektive Störungen (Angst, Depression) neben solchen der Substanzabhängigkeit (Mäulen 2000c) an der Spitze. Ärztinnen sind häufiger von depressiven Syndromen betroffen als Ärzte, eine familiäre Vorbelastung bezüglich Depression erhöht das eigene Risiko. Überdies gilt für beide Geschlechter Schlafmangel als möglicher Auslöser.
Fazit: Depressive Störungen bei Ärzten/innen kommen häufig vor, sie betreffen alle Berufsabschnitte ( Caplan 1994), insbesondere das erste Jahr der Facharztausbildung.

Wie drückt sich die Depression bei Ärzten aus?

Zunächst einmal gilt die Unterteilung der ICD 10 in Hauptsymptome : gedrückte/traurige Stimmung; Interessenverlust und/oder Freudlosigkeit; Verminderter Antrieb oder gesteigerte Ermüdbarkeit und
Zusatzsymptome : Verlust des Selbstvertrauens; Selbstvorwürfe oder unangemessene Schuldgefühle;
Vermindertes Denk- oder Konzentrationsvermögen; Psychomotorische Hemmung oder Unruhe;
Schlafstörungen; Verminderter Appetit (selten gesteigerter A.); Suizidgedanken oder Suizidhandlungen.
Jedoch läßt sich eine Depression nicht immer leicht erkennen. Am Anfang steht durchaus nicht immer eine deutliche Schwermut, sondern viele depressive Ärzte schleppen sich erst einmal mit Leistungsabfall und körperlichen Beschwerden dahin, meist viel zu lange (Faust 1999). Der kanadische Ärztespezialist Dr. Michael Myers beobachtete immer wieder, daß bei Kollegen hinter vielen Fällen von Überarbeitung, genereller Ermüdung, diversen somatischen Beschwerden letztlich eine unerkannte Depression steckte (Myers 1994) . Die Symptome der Mattigkeit und des Elendsgefühles können subjektiv ähnlich erlebt werden wie bei einer schweren Grippe. Meist ist auch ein erhöhter Angstlevel zu beobachten. Zu einem erheblichen Prozentsatz findet sich darüber hinaus ein Alkoholmißbrauch, vielleicht als Versuch so Abstand von der bedrückenden Stimmung zu bekommen (Firth Cozen 1997). Häufige Äußerungen depressiver ÄrztInnen zeigt die Tabelle I

Tabelle I Äußerungen von depressiven Ärzten

· Auf einmal hatte ich Angst vor dem nächsten Patienten
· Immer mehr habe ich das Gefühl der Überforderung
· Ich bin mir zunehmend unsicher, ob ich meinen Patienten noch helfen kann
· Meine Hände zittern, wenn die Helferin mich auffordert, den nächsten Patienten
zu untersuchen
· Ich habe Angst Fehler zu machen, etwas bei der Behandlung zu übersehen
· Ich habe 20 Jahre als Arzt gut gearbeitet, jetzt fällt mir in der Sprechstunde
nichts mehr ein, als ob alles weg ist
· Ich will mich nur noch hinlegen und nicht mehr aufstehen müssen
· Ich war mitten im Gespräch, da kamen die Tränen und hörten nicht mehr auf
· Manchmal befestigte ich einfach ein Schild an der Tür “Bitte nicht stören”

Depressionen bei Ärzten hat es auch schon in früheren Jahrhunderten gegeben. So berichtet Huber von seinem Urgroßvater Dr. Zais, der um 1880 als Landarzt tätig war: morgendliches Zögern vor Krankenbesuchen, angeschlagenes Selbstvertrauen, massive Selbstvorwürfe, Unfähigkeit bei Notfällen zu handeln (Huber 1999). Niemand ist geschützt, weder Anfänger(in) noch wohlbestallter Universitätsprofessor. Es gibt außerordentlich bewegende Selbstbeobachtungen depressiver Ärzte wie die des holländischen Psychiatrieprofessors Piet Kuiper (1998). Er schildert schonungslos die tiefen Abgründe seiner wahnhaften Depression, die absolute Notwendigkeit einer Behandlung, die er -obwohl selbst renommierter Fachkollege- eben nicht selbst durchführen konnte. In ähnliche Tiefen jedoch mit zahlreichen Hineinnahmen von Zitaten aus der Literatur und Poesie führt die Autobiographie von Dr. Kay Redfield Jamieson (1999) Auch der Altmeister der Psychotherapie Sigmund Freud wurde nicht verschont; im Jahre 1923 mußte er vor sich einräumen er arbeite rein mechanisch, im Grunde sei ihm alles entwertet. In einem Brief an Ferenczi schrieb Freud damals “Ich habe noch nie eine Depression gehabt, aber das muß jetzt eine sein” (Gay 1989)
Nicht immer sind es die schwersten Formen der Depression, an der die Ärzte erkranken. Häufiger als die endogenen sind sicher die reaktiven Formen der Depression, die heutzutage unter den Anpassungsstörungen klassifiziert werden. In Praxis und Klinik habe ich zahlreiche ÄrztInnen mit reaktiven Depressionen erlebt, meist waren es Schwierigkeiten in nahen Beziehungen, Trennungen, die als Auslöser im Vordergrund standen. Auch ich selber habe im Zusammenhang mit meiner Scheidung eine depressive Phase durchgemacht. Daneben wurden mir aber auch berufliche Rückschläge, Konflikte mit leitenden Ärzten, Bedrohung durch ein Kunstfehlerverfahren, plötzliche finanzielle Schräglage der Praxis (Regreß, Steuerforderung u.a.) häufiger als Auslöser beschrieben. Betroffen sind grundsätzlich alle Facharztgruppen, klinisch tätige Ärzte wie auch Niedergelassene. Eine besondere Gefährdung für Psychiater wurde mehrfach beschrieben (Firth Cozen 1997; Margison 1987). Aber auch die Allgemeinärzte /Hausärzte sind deutlich depressionsgefährdet (Baldwin 1995). In dieser Reihe der MMW bereits beschrieben haben wir depressive Störungen bei Ärztinnen und bei Ärzten im Alter (Mäulen 1999 u. 2000 a).

Gibt es Besonderheiten in der Behandlung depressiver ÄrztInnen ?

Zunächst einmal sollte man an einer Depression erkrankte Kollegen/innen so weit unterstützen ggf. auch konfrontieren, daß sie eine Behandlung annehmen. Dies ist eine große Herausforderung, denn es sind gleich mehrere Gründe, aus denen heraus depressive Ärzte eine Behandlung vermeiden. Da ist einmal die Angst daß davor “daß etwas bekannt wird”, dann bei vielen Kollegen eine Scheu, ja nachgerade Ablehnung des Psychiaters, und schließlich auch die krankheitsimmanente Blockade. Viele Depressive sehen sich als schlecht oder nutzlos; die negativistische Zukunftserwartung hält eine Behandlung von vornherein für aussichtslos. Auch in der Allgemeinbevölkerung wird schließlich nur etwa jeder Fünfte rechtzeitig als depressiv erkannt und konsequent behandelt (Faust 1999), dies scheint bei Ärzten nicht anders zu sein. Außerdem sind viele Kollegen auch heute noch erstaunlich wenig informiert über die Wirkrate neuer Antidepressiva. All zu viele ängstigen sich grundlos davor, pharmakologisch sediert und abhängig gemacht zu werden, obwohl Antidepressiva eindeutig keine Dependenz bedingen.
CAVE Selbstbehandlung ! Ausdrücklich warnen will ich vor dem Versuch der Eigenbehandlung, insbesondere der mit Psychopharmaka. Dies ist ein Kunstfehler, meistens wird in der Selbstmedikation zu gering dosiert, manchmal die verkehrte Substanzgruppe gewählt, in Einzelfällen geht das bis zum Auslösen einer Manie ( Gautam 2000, Myers 1994) . Ich selber lege in der Behandlung meiner Arztpatienten bei aller Offenheit im Gespräch und Information über das individuell beste Antidepressivum einen großen Wert darauf, daß sich die Ärzte mir auch anvertrauen, daß sie sich an die Anordnungen halten und nicht dauernd selbst daran “herumbasteln”. Anschauliche Berichte über die entsprechenden Folgen der Selbstmedikation finden sich bei Kay Jamison, die mehrfach ihr Lithium absetzte und dafür büßte (Jamison 1999) und auch bei Louise Redmond, einer amerikanischen Kinderärztin, die die Grenze der Selbstmedikation so ausdrückte ” Wir verändern meine Medikation mehr oder weniger zusammen, er (behandelnder Psychiater) klopft mir kräftig auf die Finger, wenn ich die Rollenkonfusion jenseits seiner Toleranzgrenze mißbrauche ” (Redmond 1987).
Die Behandlung der verschiedenen Formen der Depression kann heute erfolgreich mit einer Kombination aus dem psychotherapeutischen Gespräch und Pharmakotherapie erfolgen. Zusätzlich erweisen sich Soziotherapie (Einbeziehung der Angehörigen), Physiotherapie ( Bewegung!) und Fototherapie (speziell bei der saisonalen Depression im Herbst) als nützlich. Da die meisten Ärzte mit Depression sich lange um eine Behandlung drücken, sollte sie dann, wenn sie möglich wird, schnell d.h. ohne lange Wartezeit beginnen. Im Gespräch gilt es Hoffnung zu vermitteln, dem Arzt-Patienten geduldig zuzuhören, ihm immer wieder zu zeigen, daß er nicht schlecht, nicht faul nicht verloren ist, sondern daß Depressionen kommen und gewiß auch wieder gehen. Deutliche Überzeugungsarbeit ist oft nötig, wenn es um Krankschreibung oder stationäre Behandlung gilt; zum Teil führen die Kollegen hier durchaus zutreffende Argumente für ihre Ablehnung an: zusätzliche Belastung des Praxispartners oder der Klinikkollegen, die für ihn/sie einspringen; Wartezeiten; Schwierigkeiten und Kosten für Praxisstellvertreter. Dagegen muß man halten die erhebliche Beeinträchtigung durch die Depression, die mögliche Minderung der ärztlichen Arbeit im depressiven Zustand, die hohe Alltagsbelastung im Arztberuf, die von einem stark Depressiven Arzt nicht gefordert werden kann und darf; die unnötige Verlängerung der Belastung für den erkrankten Arzt und die (zu oft übersehenen) Angehörigen; schlußendlich aber die deutliche Gefahr einer depressiv-suizidalen Krise. Ich habe viele Kollegen gesehen und behandelt, die nach fachgerechter Therapie der Depression erfolgreich und befriedigend als Ärzte/innen weiter arbeiten konnten. Ein erheblicher Teil davon hat im Rückblick selber geurteilt “Warum habe ich mich so lange ohne Hilfe herumgequält statt gleich effektiv an das Problem heran zu gehen.
Es gibt heute hoch qualifizierte Depressionsstationen, es gibt überregional aufnehmende psychosomatische Privatkliniken mit hervorragender Ausstattung, in der Kollegen auch sehr kurzfristig aufgenommen werden.
Pharmakotherapie – eine sehr wichtige Säule der Behandlung. Die modernen Antidepressiva, spezielle die SSRI haben eine hohe Wirkung bei mäßiger Nebenwirkungsrate. Von vornherein wichtig ist die Aufklärung, daß diese Mittel längere Zeit einzunehmen sind (meist Monate) und daß bis zum Eintritt der Hauptwirkung oft 2-3 Wochen vergehen. Ansonsten sind sowohl die älteren Antidepressiva (Amitriptylin, Doxepin), wie auch die neueren selektiven Serotonin Reuptake Hemmer ( SSRI z.B. Citalopram, Paroxetin, Mirtazepin, Sertralin) in fachgerechter Dosierung gut wirksam. Ich persönlich ziehe die SSRI in meiner Praxis vor, weil das Ausmaß der Nebenwirkungen geringer ist. Letztlich sind es überwiegend Kostengründe (Budget), die dazu beitragen, daß sich die SSRI in der BRD noch nicht wie in den USA als Mittel der 1. Wahl durchgesetzt haben ( MWI 2000). Die Spezifika der antidepressiven Pharamakotherapie sind hinreichend und oft beschrieben, in der MMW erst kürzlich durch Neumeister (2000), so daß sie hier nicht weiter dargestellt werden. Auch das Thema Suizidalität bei Ärzten wird an dieser Stelle ausgeklammert. Eine separate Darstellung dazu wird demnächst vom Autor in dieser Reihe der MMW erscheinen.
Tabelle II Säulen der antidepressiven Therapie bei Ärzten

· Genaue Aufklärung über die Krankheit und die Wirksamkeit
der heutigen Behandlungsmöglichkeiten
· Psychotherapeutisches Gespräch
· Behandlung mit modernen Antidepressiva,
ohne Selbstmedikation
· Herausnahme aus einem überlastenden Umfeld
· Möglichst intensive Behandlung,
z.Bsp. kurzfristig stationär in einer psychosomatischen Klinik
· Einbeziehung der Angehörigen /Partner
· Ausreichender Schutz bei vorliegender Suizidalität


III Manien bei Ärzten

Die Manie ist im wesentlichen ein Verstimmungszustand, bei dem alles gesteigert, intensiviert, ins heiter, optimistisch -ja strahlende gehoben ist. Der Antrieb ist gesteigert, die Gefühle und Gedanken intensiviert und gehoben, hemmende Aspekte wie weggefallen. Menschen in manischen Phasen können das Leben wie im Rausch erfahren, begeistern sich an der scheinbaren Vervielfachung ihrer Möglichkeiten und schauen manchmal mitleidig auf die Normalmenschen herab, die so langweilig und ängstlich-dumpf ihr Leben führen. Was eine Manie ist lernt man nicht aus dem Lehrbuch. Während die meisten Ärzte depressive Gefühle aus eigenem Erleben in Ansätzen kennen, ist die manische Stimmung für viele primär weniger nachempfindbar. Poesie, Erzählung und Film (z.Bsp. Mr. Jones) können eindrücklicher vermitteln, was es mit der Manie auf sich hat. Das Leben wird zu einem Fest, alles ist überschäumend, und genau darin liegt dann auch die Gefahr. Im frühen Stadium der Manie imponiert diese durch Tatendrang, oft auch im beruflichen Umfeld ( Steigerung der Arbeitszeit, der Patientenzahl, rege wissenschaftliche Aktivität, die aber wegen mangelnder Geduld oft nicht zum Abschluß gebracht wird). Es kann zu risikoträchtiger Arbeitsweise kommen, etwa wenn ein Pathologe nur oberflächlich durch die histologischen Schnitte schaut und Diagnosen ohne die erforderliche Sorgfalt abgibt (Donaldson 1994). Mit zunehmender manischer Erregung mehren sich Konflikte mit Praxispersonal, Angehörigen und manchmal Patienten. Schlußendlich kann es zur “überkochenden” Manie kommen, hier ereignen sich dramatische Ereignisse, die niemanden unberührt lassen (Affären auch in der Klinik; überzogene Anschaffungen) , oft die Polizei oder den Staatsanwalt auf den Plan rufen (gewalttätige Eskalationen, direkte sexuelle Enthemmung, grobe Störungen der öffentlichen Ordnung) und meist der ärztlichen Karriere abträglich sind. In diesem Stadium treten psychotische Symptome oft hinzu.
Die Häufigkeit manischer Zustände variiert und wird auf 0,6-3% geschätzt (Faust 1999). Meist tritt die Manie im Wechsel mit Depressionen auf als bipolare affektive Störung. Gemessen an der zerstörerischen Kraft der Manie wird sie vergleichsweise wenig erforscht, mit positiven Ausnahmen auch im dt. Raum (Faust Manie). Zahlen über die Inzidenz manischer Zustände bei Ärzten liegen nicht vor. Auch Kliniker, die oft Ärzte behandeln, sehen in ihrem Leben selten mehr als ein Dutzend betroffener Kollegen/innen. Zugleich vergißt man die wenigen Fälle, die man persönlich erlebt hat wohl nie. So wurde mir ein Kollege zugewiesen, der im hochmanischen Zustand seine frühere Offiziersuniform anzog, wohl auch eine Waffe dabei hatte und am Wochenende auf der Straße vor seiner Praxis den Vorsitzenden der Kreisärzteschaft sowie einen Funktionär der KV bedrohte.
Selbstberichte :Es gibt einige wenige z.T. unter Pseudonym geschriebene Berichte von Ärzten über ihre Manie. So berichtet Dr Rose, ein englischer Hämatologe, von seiner schweren Manie mit verschiedenen Aufenthalten in Psychiatrischen Kliniken und quälend langsamen Wegen zurück zur Normalität und zur Wiederaufnahme seiner beruflichen Tätigkeit (Rose 1987). Noch detaillierter zeichnet Kay Redfield Jamison, Professorin für Psychiatrie an der John Hopkins Universität in Washington die verschiedenen manischen und depressiven Phasen ihres Lebens auf. Sie konnte in den manischen Zeiten ungeheuer produktiv arbeiten, u.a. solide wissenschaftliche Artikel an einem Tag schreiben, sie hatte intensive Zugänge zu Poesie, tiefe Gespräche und leidenschaftliche sexuelle Begegnungen, Zugleich berichtet sie aber auch über die Abstürze, die Gewalt, den Preis an zerbrochener Ehe und verlorenen Freunden mit mutiger Offenheit (Jamison 1999).

BEHANDLUNG

Was oben über die Depression geschrieben wurde gilt in noch höherem Maß für die Manie: Die schwierigste Hürde ist die den (Arzt) Patienten zu einer Behandlung zu bringen. Manischen Menschen, und da bilden Ärzte keine Ausnahme, erleben sich nicht als krank, eher als super gesund, von daher kommen sie freiwillig nur in seltenen Fällen zum Arzt. Manchmal gelingt es ein Gespräch als Kennenlerngespräch bzw. als Austausch unter Kollegen zu beginnen, aber spätestens wenn es um die Notwendigkeit einer medikamentösen Behandlung geht, wird man mit dem klaren Widerstand eines manischen Kollegen/in rechnen müssen. Dabei wäre die Behandlung an und für sich recht erfolgreich möglich. In der Akutphase geht es nicht ohne Medikamente, d.h. meist Neuroleptika. Die Wirksamkeit der klassischen Neuroleptika (etwa Haloperidol oder Chlorpromazin) in der Therapie der Manie gilt als gut gesichert (Grunze 2000). Dazu kommt in der Nachbehandlung oft eine Phasenprophylaxe mit Lithium, Carbamazepin oder Valproat. Die Wirkung der Medikamente ist prompt und klar, für die Betroffenen überwiegend eine Erlebnis des “künstlich blockiert werdens”. Deswegen ist es für die Patienten extrem wichtig, daß man mit ihnen spricht. Dabei bleibt zunächst offen, ob es zu einem wirklichen psychotherapeutischen Gespräch kommt, oder ob der Arzt primär die große Redeflut erträgt. In dieser manischen Verfassung lernt man viel über die Nöte, Wünsche, Widersprüchlichkeiten des Patienten: ” So ist die Manie ein Fenster, durch das man wertvolle Einblicke erhält in die Persönlichkeit des Betroffenen” (Faust 1999). Klingt die Manie ab kann man über die gewonnenen Eindrücke sprechen, die tieferen Beweggründe verstehen. Immer wieder herausfordernd bleibt die Begleitung und ständige Diskussion um die zur Phasenprophylaxe notwendige Medikation. Selbst Ärzte, die sich mit ihrer affektiven Störung und der Maniebehandlung bestens kognitiv auskennen sind doch immer wieder geneigt, ohne Absprache die Medikation abzusetzen (Jamison 1999) .

Literatur:
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2. Baldwin, D.; Rudge, S. (1995) Depression and suicide in doctors. In: Lichtfield P. (Hrsg.)
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4. Donaldson Liam (1994) Sick doctors – a responsibility to act. BMJ 309, 557-558
5. Faust, Volker (1997) Manie. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag
6. Faust, Volker (1999) Seelische Störungen heute – Wie sie sich zeigen und was
man tun kann. München: Beck Verlag
7. Firth-Cozens, Jenny (1997) Depression in doctors. In: Robertson M.M. (Hrsg.)
Depression and physical illness. London, John Wiley &Sons Ltd.
8. Gautam, Mamta (2000) Depression and anxiety. In: L.S. Goldman (Hrsg.)
The Handbook of Physician Health. Chicago: American Medical Association
9. Gay, Peter (1989) Freud- eine Biografie für unsere Zeit. Frankfurt: Fischer Verlag
10. Grunze, H.; Schlösser, S. (2000) Medikamentöse Behandlung bipolarer Störungen.
Psycho 26, 488-490
11. Huber, Hans d. (1999) Bloß a Stupferle. Tamm: Wegra Verlag
12. Jamieson, Kay R. (1999) Meine ruhelose Seele- Geschichte einer manischen Depression.
München: Wilhelm Goldmann Verlag
13. Klahre, A.S. (2000) Depressionen bleiben häufig unerkannt. Med-online 6, 14-15
14. Kuiper, Piet (1995) Seelenfinsternis- Die Depression eines Psychiaters.
Frankfurt: Fischer Verlag
15. Mäulen, B. (1999): Beruf Ärztin- Nicht ohne Nebenwirkungen. MMW-Fortschr. Med. 141, 4-7
16. Mäulen, B. (2000): Schwerer Abschied vom weißen Kittel. MMW-Fortschr. Med. 142, 4-10
17. Mäulen, B. (2000). Wenn Kollegen trinken- Nicht die Augen verschließen. MMW-Fortschr. Med. , 142, 4-10
18. MWI (2000) Depressionen- Amerika behandelt anders. MMW-Fortschr. Med. 143, 56
19. Myers, Michael (1994) Doctors` marriages. New York: Plenum Publishing Corporation
20. Neumeister, A.; Stastny, J. (2000) Die neuen Antidepressiva im Überblick. MMW-Fortschr. Med. 49, 28-32
21. Redmond, L. (1987) Depression. In: Mandell, H.; Spiro, H. (Hrsg.): When Doctors get sick. New York: Plenum Publishing Corp
22. Rose M. (1987) Manic-Depressive Psychosis. In: Mandell, H.;Spiro, H. (Hrsg.): When Doctors get sick. NY: Plenum Publishing

Beispiele für Depression bei Ärzten

1.) Ein 47 jähriger Internist, niedergelassen, kommt und beschreibt, er sei seit 6 Monaten fast dauernd müde, seit 3 Monaten leide er unter Schlafstörungen, zudem unter nachlassendem Interesse am Sex. Die Arbeit mache ihm keine Freude mehr. Im Erstgespräch räumt er auf Nachfrage ein, in den letzten Monaten mehrfach Suizidgedanken gehabt zu haben. Deutlich wird überdies eine weitgehendes Gefühl von Sinnleere. Unter antidepressiver Medikation und stützenden Gesprächen ergibt sich in einigen Wochen eine zügige Besserung.

2.) Eine 52 jährige Allgemeinmedizinerin, verheiratet, 2 Kinder, halbtags in einer Gemeinschaftspraxis tätig, berichtet, nichts mehr fühlen zu können. Außerdem komme Sie morgends kaum noch aus dem Bett, nachmittags gehe es ihr etwas besser. So etwas habe sie früher auch schon mal gehabt. Sie habe auch von sich aus das Medikament aus der letzten Behandlung genommen, nur helfe es jetzt wohl nicht. So könne es nicht weiter gehen. Schnell wird deutlich, daß die Selbstmedikation d. Antidepressivums deutlich unterdosiert war. Nach Dosiserhöhung und mit engmaschiger ambulanter Psychotherapie kommen die Gefühle wieder, allerdings zeigt sich dann auch ein schwelender Paarkonflikt, den die Pat. erstmals anspricht. Durch eine Paartherapie und bei Weiterführung der Pharmakotherapie, kommt es zu einem Abklingen der depressiven Symptomatik.