Ärzte und ihre Ehen

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Ärzte – Versager in der Ehe?
Die besonderen Belastungen unseres Berufes

Ihre Ehe ist glücklich? Das kann nicht jeder Kollege von sich behaupten. Schwere Patientenschicksale, Punktwertabstürze und der Praxisstress setzen manchem so sehr zu, dass er zu Hause sprachlos einsam wird und selbst beim Sex einschläft. Bernhard Mäulen, Arzt und Psychotherapeut, hat die speziellen Probleme der Arztehen untersucht und Strategien gegen den ehelichen Burn-out entwickelt.

Die krassen Unterschiede zwischen einer u. U. glänzenden Außenseite, wie sie so gerne in Arztserien beschrieben wird, und einer verzweifelt einsamen Innenseite der Arztehe sind Grund für viel Leid. Viele Ehefrauen von Ärzten fühlen sieh ein Leben lang ,am Rande des Rampenlichtes”, das den Arzt selber hell bestrahlt. Den beruflich erfolgreichen Ärzten/innen ist das Ausmaß an Einsamkeit der Partner nicht immer bewusst; wenn doch fühlen sich viele ratlos, wie sie denn etwas ändern können. Betrüblich und erstaunlich für den, der häufiger Ärzte behandelt, ist bis heute das hohe Maß an Toleranz für eine emotional verarmte Beziehung unter Medizinern und ihren Angehörigen.

Dennoch gibt es sie: die glücklichen Arztehen! Und sie sind eine Kraftquelle, Inspiration sowie ein protektiver Faktor gegen Burn-out, Sucht und Depression. Die Untersuchungen zur Lebensqualität von Ärzten durch Prof. Reimer und Dr. Jurkat, Gießen, belegen überdies einen engen Zusammenhang zwischen Zufriedenheit in der Partnerschaft und der im Beruf.

“Frauen von Ärzten sind Witwen mit Mann”

Aber die Ehen von Ärzten und Ärztinnen sind zahlreichen Belastungen ausgesetzt. Viele sind spezifisch und haben viel mit dem Medizinberuf zu tun: Zu lange Dienstzeiten, zu häufige Abwesenheit an Wochenenden, sehr lange Ausbildungszeiten, beruflich notwendige Umzüge, um den Facharzt zu komplettieren, nächtliche Anrufe, die auch den Partner aufwecken, eine Dominanz des Themas Praxis/Patienten, hinter dem oft alles andere sekundär ist. Bis heute scheint die Ausbildung der Ärzte einseitig emotionale Kontrolle, Abspaltung persönlicher Bedürfnisse, Verschieben persönlicher Gratifikation sowie intellektuelle Dominanz zu fördern. Genau diese Eigenschaften erschweren dann private Beziehungen, die emotionale Öffnung, Hingabe, Zuhören und Teilen, Spaß haben und Ausgelassensein brauchen.

Auch wenn sich dieses Bild nach meinem Eindruck bei den jüngeren Ärzten heute wandelt, war es lange Zeit so, dass in vielen Arztehen ein ungeschriebener Ehevertrag galt: “Ich kümmere mich um die Medizin und Du um den Rest.”

Die Erfüllung des am Anfang der Arztehe vorhandenen Traums auf eine Beziehung mit Zeit und Austausch wurde dabei je nach Ausbildungsabschnitt immer weiter nach hinten geschoben: “Erst muss das Examen geschafft werden, das verstehst Du doch Liebling.” Dann kam die Facharztausbildung, dann evtl. die eigene Praxis, die erst ins Laufen gebracht werden musste. Lief sie dann, wurde der Arzt zum Gefangenen der eigenen Tüchtigkeit. Was blieb den Partnern? Wut, stille Anpassung, Resignation, Leere, Kompensation über Status und finanzielle Sicherheit? Dem Baseler Professor Kielholz wird in diesem Zusammenhang die Äußerung zugeschrieben “Frauen von Ärzten sind Witwen mit Mann.”

Die Folgen der o. g. Belastungen sind für die Ärzte und die Partner teilweise recht verschieden. Eine innere und oft auch äußere Entfremdung betrifft meist beide, wird aber von der Frau oft als schwer wiegender erlebt. Die Ärzte kompensieren meist mit längerer und härterer Arbeit, als könnten sie mit grenzenloser Hingabe an den Beruf alle Vorwürfe a priori entkräften. Wenn dann die Frauen beginnen, sich mehr um die eigene Entwicklung zu kümmern, vergrößert sich oft die Distanz.

Der Mangel an Gespräch und emotionaler Öffnung verschärft das Problem. Als Gründe führen Ärzte oft chronischen Zeitmangel, Müdigkeit oder innerliches Ausgebranntsein an. Wünsche der Ehefrau nach Kommunikation empfinden manche als Zumutung. Ohne diesen Austausch wird aber die Beziehung als flach und unbefriedigend erlebt.

Viele Ärzte spüren den Mangel an emotionaler Geborgenheit in ihrer Ehe. Sie fühlen sich in einem Konflikt, den sie nicht lösen können: Die Hingabe an den Beruf einerseits und die Hingabe von Kraft und Zeit für Partnerschaft und Familie andererseits. Mehr und mehr Energie wird psychisch blockiert, Schuldgefühle, schleichende Depression und Resignation entstehen. Am Ende kann es zur Trennung kommen oder zu einer Außenbeziehung, die letztlich auf das Gleiche hinausläuft.

Diese Entfremdung setzt sieh auch fort in den Bereich der Sexualität. Aus klinischer Sicht habe ich selten von so vielen “Josefs-Ehen” in einem Berufsstand gehört wie von Ärzten. Da ist ein asexuelles Nebeneinander über mehrere Jahre offenbar Ausdruck der Entfremdung. In Paargesprächen äußern dann Arztehepaare, der Mann kommt nach Hause und will erst Sex, die Frau will erst reden und dann (vielleicht) Sex.

Wenn Ärzte beim Sex einschlafen…

  • Wenn wir mal ein Familienfest oder eine Einladung haben, bin ich nie sicher, ob nicht ein Notruf kommt und alles unterbricht.
  • Wie kann ich meinen Ärger auf meinen Mann los werden, wenn er zu spät kommt, weil er sich um ein sterbendes Kind kümmern musste? Da kann ich doch gar nichts sagen. Ich fühle dann Ärger und weiß nicht wohin damit.
  • Abends schläft mein Mann so oft ein, nach dem Essen, im Bett, bevor wir uns nahe kommen können, manchmal auch im sexuellen Akt.
  • Befriedigende sexuelle Begegnungen habe ich mit meinem Mann nur in den Ferien. In der normalen Quartalswoche ist er “für so etwas zu müde”.
  • Das Gefühl, dass ich mit meinen Bedürfnissen viel weniger zähle als die Sorgen meines Partners um die Patienten, ist auf Dauer sehr schwer auszuhalten.
  • Wenn andere Frauen sich abends um ihr Kind und ihren Mann kümmern, sitzt meine Frau über medizinischen Fachartikeln. Ich kann dann sehen, wie ich unser Kind ins Bett bringe.
  • Wir waren zusammen im Bett und streichelten uns zärtlich, da fragte meine Frau mich plötzlich: ,,Hast Du auf der Karteikarte von Patient X die AU eingetragen?”
  • Viele Jahre habe ich gehofft, dass sich in unserer Ehe etwas ändert. Mittlerweile habe ich resigniert. Dafür ist mir alles aber auch gleichgültig geworden.
  • Weil mein Mann weiß, wie wenig Zeit er für mich hat, überhäuft er mich ab und zu mit übertriebener Aufmerksamkeit. Das ist dann viel zu viel. Ich sehne mich nach entspannter lockerer Zeit mit ihm, nicht nach riesigen Geschenken.
  • Mein Vater war so mit seiner Praxis beschäftigt, dass er in meiner Jugend praktisch keine Zeit für mich hatte. Später hat er versucht einiges gutzumachen, aber das Verlorene konnte er nicht nachholen.

Zerstört Gesundheitsreform viele Arztehen?

Lange Zeit konnten Ärzte mit einem überdurchschnittlichen Einkommen einen gewissen Ausgleich durch Verwöhnung und materielle Sicherheit bieten. Dies hat vielleicht zu einer insgesamt unterdurchschnittlichen Scheidungsrate beigetragen, wie amerikanische Autoren vermuten. Nach den drastischen Einschnitten der Gesundheitsreform dürfte diese Kompensation weitgehend ausgedient haben.

Um mehr Gemeinsamkeit zu haben, jedoch auch aus wirtschaftlichen Gründen, arbeiten ca. 15 bis 30% der Ehefrauen in der Praxis des Mannes mit. In der Regel haben diese Frauen mehr Verständnis für den täglichen Praxisstress. Die Identifikation mit der Praxis ist größer, und es gibt eine gemeinsame Verbundenheit und Verantwortung. Die Ehefrau hat einen besonderen Vertrauensstatus (mehr als die anderen Angestellten), es gibt ökonomische Vorteile, ein klareres Wissen um die finanzielle Situation, oft auch die Beruhigung für den Arzt, dass “sie die Finanzen in Ordnung hält” Meist hat die mitarbeitende Ehefrau auch mehr Nähe zu den Mitarbeiterrinnen. Und: Sie erweist sich als kompetente Gesprächspartnerin, wenn es um den Beruf geht.

Andererseits stehen beide Partner durch die Arbeit in der Praxis im Stress. Es kann z.T. massive Dominanzkonflikte geben. Häufig bereitet die Abgrenzung zur persönlichen Ebene der Partnerschaft Schwierigkeiten: Wann wird über die Praxis gesprochen, vor der Fernseher, im Bett? Die Mitarbeiterinnen werden versuchen, den Arzt über die Ehefrau zu beeinflussen. Andererseits erlebt sie gelegentlich quälende Eifersucht, etwa wenn sich der Arzt mit einer hübschen Helferin arbeitsmäßig besser versteht.

Um die Zusammenarbeit in der Praxis und die Harmonie der Ehe auszubalancieren, haben sich folgende Vorgehensweisen bewährt:

  • Für den Einsatz in der Praxis sollte berufliches Können bereits vorhanden sein. Es geht manchmal auch mit ,on the job training”; doch dabei kann es Schwierigkeiten mit dem Respekt der qualifizierten Mitarbeiterinnen geben.
  • Damit Zuhause und Praxis nicht eins werden, sollten Barrieren errichtet werden, die beide Lebensbereiche getrennt halten: Z. B. keine Karteikarten oder Diktatarbeit mit in die Wohnung nehmen oder Kleidungswechsel zwischen Praxis und Wohnung.
  • Immer zusammen zu sein, tut selten gut. Paare sollten Abmachungen treffen, damit jede/r genug Zeit für sich hat.
  • Eine angemessene Bezahlung der Ehefrau ist wichtig. Sie sollte nicht primär unter steuerlichen Gesichtspunkten bezahlt werden!

Schwieriger als für die männlichen Kollegen stellt sich die Partnerschaft für Ärztinnen dar. “Männer, die Karriere machen werden von ihren Frauen unterstützt umgekehrt ist das meist nicht so.”, so Frau Priv.-Doz. U. Maronna, Frankfurt. Diese Erfahrung erleben viele Ärztinnen in ihrer Ehe. Sie verlangen von sich selber oft viel zu viel, nämlich volle Leistung im Beruf und erhebliche Leistung im Haushalt, und oft gibt es ähnliche Erwartungen auch von ihren Partnern.

Auch die Partnerwahl gestaltet sich für Ärztinnen meist etwas schwerer. Nicht allzu viele Männer verfügen über die innere Sicherheit, eine gleich starke oder sogar status – un einkommensmäßig überlegene Frau dauerhaft zu lieben. Für manche Ärztin bedeutet das, auf einen Ehepartner zu verzichten. Viele Ärztinnen lösen dieses Problem, indem sie einen Kollegen heiraten. Sind beide Partner Mediziner, so ist die Koordination der Facharztweiterbildung oft eine erhebliche Herausforderung.

Mancher Partner einer Ärztin sieht nur die starke, beherrschte Seite der Persönlichkeit, die in der Medizin trainiert und erwartet wird. Er ist überfordert, wenn die Ärztin zu Hause eher ihre emotionalen Bedürfnisse zeigt und damit aufgefangen werden will.

Das Nebeneinander von Karriere und Beruf ist in vielen Erwerbszweigen für Frauen leichter geworden. In der Medizin steht diese Erleichterung noch aus. Durch Dienste und Überstunden ist eine verlässliche Kinderbetreuung oft nur schwer möglich. Schwierige Kompromisse und oft ein chronisch schlechtes Gewissen sind für Kolleginnen die Folge.

Wie Frauen insgesamt, neigen auch Ärztinnen statistisch deutlich häufiger zu Depressionen als die männlichen Kollegen. Oft stehen sie sieh selbst aber im Wege, adäquate ärztlich-therapeutische Hilfe zu suchen. Hintergrund könnten Ängste, Schuldgefühle (,,Als Ärztin sollte mir so etwas nicht passieren”) u. a. sein. Ist die dépressive Arztin mit einem Arzt verheiratet, übernimmt nicht selten dieser eine medikamentöse Behandlung. Eine um konsequente Therapie durch einen neutralen Dritten wird vermieden. Angesichts der im Vergleich zu den Ärzten höheren Suizidrate der Ärztinnen sollte aber unbedingt eine fachärztliche Diagnose und Therapie angestrebt werden.

Der Schlüssel zum Arzteheglück

Was zeichnet gute Arztehen aus? In Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen sowie in der Literatur werden immer wieder die gleichen Faktoren genannt:

  • Effektives Zeitmanagement beider Partner. Es wird nicht dem Zufall überlassen, ob und wann sieh das Paar/die Familie trifft; vielmehr werden Dienst und Stundenpläne, Pausen sowie das Arbeitsende festgelegt. Beide Partner berücksichtigen, dass gemeinsame Zeit für die Ehe von entscheidender Bedeutung ist. Das bedeutet auch, an einigen Stellen konsequent ,Nein” zu sagen (Ehrenämter, Vereine etc).
  • In regelmäßigen Abständen ,raus aus allem”. Nicht unbedingt aufwendige Kurzreisen, sondern einfach räumlicher Abstand, Distanz zu Telefax und möglichst auch Handy. Störungsfreie gemeinsame Zeit, sei es auf einer Wanderung, beim Sport oder Ähnliches.
  • Regelmäßig miteinander über die Beziehung sprechen. Sieh persönlich öffnen und mitteilen. Ca. eine Stunde pro Woche sprechen Paare in einer guten Beziehung über Probleme und darüber, wie sie die Beziehung erleben.
  • Pflegen Sie Intimität und Sexualität. Bedürfnisse nach Nähe immer wieder zu wecken und zu befriedigen, stärkt die Paarbeziehung enorm.
  • Finden Sie als Paar und auch jede(r) für sich ihren Standpunkt zur Medizin. Ziehen Sie dann Ihre Grenzlinien klar und verteidigen Sie diese. Zum Beispiel: Keine Fachzeitschriften im Schlafzimmer; keine Dauerbereitschaft (es sei denn Sie sind der einzige Arzt weit und breit).
  • Beseitigen Sie die drei schlimmsten Übel, über die Sie sieh in Ihrer Ehe immer wieder aufregen: Jeder Partner schreibt diese für sieh auf, anschließend beratschlagen beide Veränderungen.
  • Loben und bestätigen Sie einander für das, was gut läuft. In einer guten Ehe gibt es ca. fünfmal so viel Lob/Anerkennung/Bestätigung wie Kritik.
  • Achten Sie auf Warnzeichen in Ihrer Ehe – innerer Rückzug, weniger Freude an gemeinsamer Aktivität, Verlust sexueller Nähe, häufige Streitigkeiten, Trennungsgedanken. Falls Sie diese feststellen, reichen kleine Alltagsverbesserungen oft nicht aus. Suchen Sie konsequent Hilfe, möglichst als Paar.
  • Nehmen Sie problematisches Gesundheitsverhalten (Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch) Ihres Ehepartners nicht schweigend hin, bevor schlimme Schäden eintreten.
  • Suchen Sie mit Ihrem Ehepartner nach Chancen des gemeinsamen Wachsens, z. B. Kursen, Seminaren, Paarschulungen.
  • Tun Sie möglichst viele Dinge gemeinsam, die Spaß machen.
  • Pflegen Sie als Paar auch die Spiritualität durch Zeiten der Stille, Gebet, Meditation oder was immer die Ihnen gemäße Form hierzu ist. Gemeinsamer Glaube ist eines der stärksten Fundamente für eine Ehe.

 

MMW – Fortschritte der Medizin, Nr. 5, 3. Februar 2000, S. 4-8