Besonderer Stress für Ärztinnen?

Was ist Ärztegesundheit? | Sucht | Stress | Ehen | Depression-Suizid | Behandlung | Start | Arztpersönlichkeit und Arztideal | Sexuelle Übergriffe | Der kranke Arzt | Lebensqualität | Alter | Tod und Sterben | Ärzte unter Anklage | Ärztinnen | Trauma und Gewalt | Finanzen | Selbstversuche | Fitness |

Haben Ärztinnen es schwerer?
Frau Doktor und der Burnout

Hygieias Töchter müssen mit besonderen Belastungen fertig werden, wollen sie es in ihrem Beruf weiterbringen und zugleich nicht selbst auf der Strecke bleiben. Obwohl immer mehr Frauen Medizin studieren, ist die spezifische psychophysische Situation von Ärztinnen bislang in Deutschland – im Gegensatz zum angelsächsischen Raum – kaum untersucht worden – eine Lücke, die unser Report füllen möchte.

Für angehende Ärztinnen beginnt die spezifische Belastung bereits im Studium. So zeigt eine Untersuchung der Universität von Kalifornien in Los Angeles, dass bereits Medizinstudentinnen überproportional häufig wegen affektiver Störungen, Ängsten und Partnerschaftsproblemen psychologische Hilfe in Anspruch nehmen.

Sexuelle Belästigung ist auch für Ärztinnen keineswegs unbekannt, auch wenn männliche Kollegen dies oft nicht glauben können. Anzüglichkeiten durch Worte, Gestik, Grenzübergriffe von der unerlaubten Berührung bis hin zum geheimgehaltenen Verhältnis zum leitenden Arzt sind nicht so selten. Ich erinnere mich an den Schock vor einigen Jahren, als eine befreundete Assistenzärztin mir sagte, ihr Chef habe ihr beim Abschied von einer Klinikfeier ungefragt einen Zungenkuss gegeben. Eine Befragung an einer dänischen Universitätsklinik ergab, dass 16,8% der Ärztinnen von Patienten sexuell belästigt wurden, gegenüber 5,9% bei den Ärzten. Weitere 9,5% der Ärztinnen gaben an, auch vom Klinikpersonal belästigt worden zu sein.

Verbale und körperliche Attacken

Auch der Stress durch mündliche oder tätliche Attacken gehört für Ärztinnen zum Alltag. Besonders betroffen sind die Notaufnahmebereiche der diversen Fachgebiete, die Psychiatrie und die Forensik. Die Auswirkungen von Bedrohung oder körperlichem Angriff sind individuell sehr verschieden. Treffen sie auf eine Person, die biographisch vorbelastet ist und über geringe Abwehrmöglichkeiten verfügt, kann es zur Krise kommen. Oft verschlimmert mangelndes Verständnis bzw. nicht ausreichende Unterstützung von Kollegen und Vorgesetzten die Situation. Die angegriffenen Kolleginnen fühlen sich alleine gelassen. Eine Ärztin in der Psychiatrie erzählte, dass sie in einer solchen Situation keinen anderen Ausweg ais die Kündigung sah. In einem anderen Fall, bei dem allerdings auch partnerschaftliche Verwicklungen beteiligt waren, wurde eine Chefärztin aus dem Kölner Raum von einem drogensüchtigen Expatienten umgebracht. Auch das Thema Gewalt innerhalb von Paarbeziehungen macht vor Arztehen nicht Halt.

Überfordert durch Rollenkonflikte

Das Nebeneinander verschiedener Rollen ergibt oft sehr widersprüchliche Aufträge: kompetente Ärztin, fortbildungsorientiert und wissenshungrig; geduldig zuhörende, stets zugewandte Helferin; falls in eigener Praxis tätig: fähige Organisatorin und clevere Finanzmanagerin; privat meist alleinverantwortlich für Haushalt, oft auch Hauptverantwortliche für emotionale Nähe in der Partnerschaft, bestimmend in Erziehungsfragen. Allzuhäufig ergeben sieh hier Konflikte, kann eine Ärztin schlichtweg überfordert sein, dies alles zu leisten.

Abhängig von der Grundpersönlichkeit gelingt es manchen, klare Prioritäten zu setzen, “Nein” zu sagen und überwiegend gut zurechtzukommen, während andere mit chronischen Schuldgefühlen, mangelndem Selbstwertgefühl und völliger Selbstüberforderung reagieren. Wichtig ist hier die Auseinandersetzung mit den persönlichen Zielen, das Einüben der Fähigkeit “Nein” zu sagen, der Abbau überhöhter Eigenansprüche.

Wohl am unausweichlichsten ist für Ärztinnen der Stress, zwischen beruflicher Karriere und Verwirklichung in Ehe und Familie einen stimmigen Kompromiss zu finden. Trotz der Möglichkeit von Teilzeittätigkeiten gibt es einfach keine Lösung für alle. Oft wandeln sich auch die Bedürfnisse im Laufe der Jahre. Vielleicht ist es entlastend, zu wissen, dass nur Ärztin zu sein und auf Partnerschaft/Kinder zu verzichten auch öfters bereut wird. Manche Kollegin, die den beruflichen Erfolg und die Leistung über lange Jahre als ihr eigentliches Lebensziel empfand, fühlt sich im Alter zunehmend vereinsamt. Auf der anderen Seite gibt es auch Ärztinnen, die Beruf plus Partnerschaft plus Kinder planen und bewältigen – oft aber unter wesentlicher Hintansetzung persönlicher Freizeit.


Lebensqualität von Ärztinnen gar nicht so schlecht?

Sieh rundherum wohl fühlen, mit Leben und Beruf zufrieden sein – damit wir dies können, muss es in einigen wesentlichen Bereichen stimmen. In Deutschland hat speziell die Arbeitsgruppe um Reimer und Jurkat, Gießen, die Lebensqualität von Ärzten und Ärztinnen untersucht. Am aussagekräftigsten erwiesen sich dabei die Bereiche Arbeitszufriedenheit, Berufswahl, Lebenszufriedenheit und Gesundheit. Durch die Befragung von 440 niedergelassenen ÄrztInnen stellte sich überraschend heraus, dass die vielfach geäußerte Vermutung, Frauen seien durch ihren Beruf stärker psychisch gefährdet, so nicht (mehr?) stimmt. Die Untersuchungen der Gießener deuten eher in die Gegenrichtung einer geringeren Belastung und besseren Lebensqualität. So waren negative Auswirkungen auf die Gesundheit bei Ärztinnen geringer; sie gaben für sich häufiger das Gefühl “Wohlbefinden” an als die männlichen Kollegen. Auch betrug die durchschnittliche Arbeitszeit der befragten Ärztinnen 40,8 Stunden gegenüber 60,5 Stunden Wochenarbeitszeit bei den Ärzten. Eine bedeutend geringere Lebensqualität wurde allerdings von abhängigen Ärztinnen angegeben, die sich in einer klinischen Behandlung in der Oberbergklinik befanden.

Größere psychosoziale Kompetenz

Bessere psychosoziale Fähigkeiten von Ärztinnen sieht Ruth Chambers in ihrer Studie von 620 englischen Hausärztlnnen als Grund für höhere Arbeitszufriedenheit. Sie erlaube Ärztinnen einen besseren und näheren Kontakt zum Patienten. Überdies hatten die englischen Kolleginnen auch weniger wöchentliche Arbeitsstunden und geringere Häufigkeit an Bereitschaftsdiensten.

In Norwegen ermittelte von Falkum bei einer Befragung von 1077 Ärztlnnen eine höhere Arbeitszufriedenheit der Ärztinnen. Auch hier zeigte sich die Fähigkeit, einen emotionellen Rapport zum Patienten herzustellen und aufrechtzuerhalten, als die entscheidende Komponente für die höhere Arbeitszufriedenheit der Ärztinnen. Sie wirkte zugleich als Schutz vor frühem Burnout.

Die meisten Wünsche von Ärztinnen bezüglich verbesserter Lebensqualität betreffen den privaten Lebensbereich. Ein hoher Anteil wünscht sich mehr Zeit für die Partnerschaft und die Elternschaft.

Raubbau an der Gesundheit

Das Gesundheitsverhalten von Ärztinnen ist über weite Strecken problematisch: zu lange Arbeitszeiten, zu wenig Pausen, zu wenig körperliche Aktivität; Nachlässigkeit beim eigenen Impfschutz, Nachlässigkeit in bezug auf regelmäßige gynäkologische Vorsorge, Verschweigen/verspätetes Angeben eigener Schwangerschaft u.a. wegen Angst vor Ausbildungsnachteilen; bei niedergelassenen Kolleginnen: Nichteinhaltung üblicher Mutterschutzfristen mit resultierend erhöhter Komplikationsrate bei der Geburt; keine regelmäßige Behandlung durch eine/n Hausarzt/ärztin im Krankheitsfall, statt dessen weitestgehend Selbstmedikation oft mit unguten Folgen. Zahlreiche Studien belegen, dass Ärztinnen oft nicht das tun, was sie ihren Patienten empfehlen. Die Tatsache, dass sich die männlichen Kollegen nicht besser verhalten, macht die Vernachlässigung eigener Gesundheitspflege auch nicht besser.

lm psychischen/psychotherapeutischen Kontext sieht es ähnlich aus: In einer Studie der Universität von Wisconsin (USA) mit 6100 ÄrztInnen hatten die Ärztinnen ein 1,5faches Risiko eines Burnouts im Vergleich zu den Ärzten. Allgemein hat das weibliche Geschlecht eine höhere Rate an Depressionen – Ärztinnen machen da keine Ausnahme. Auch die Suizidgefährdung verdient besondere Beachtung. Bämayr fand 1978 für Mediziner ein 1,6fach, für Medizinerinnen ein dreifach höheres Risiko für Suizid als im entsprechenden Bevölkerungsdurchschnitt.

Bezüglich der Prävalenz von Alkohol- und Medikamentenmissbrauch liegen die Ärztinnen zwar hoch, vermutlich aber unter den männlichen Kollegen. In einer groben deutschen Gruppe stationär behandelter Ärzte und Ärztinnen waren die Frauen gemessen an ihrem Anteil in der Ärzteschaft (1/3) deutlich unterrepräsentiert. Auffällig ist jedoch, dass trotz aller Griffnähe und der eigentlich für Frauen allgemein weit überwiegenden Abhängigkeit von Medikamenten bei der von uns behandelten Gruppe in mehr als 50% Alkohol die Substanz der Wahl abhängiger Ärztinnen war.

Begegnung suchen im Verband

lm manchmal hektischen Alltag von Ärztinnen ist die Versuchung grob, sich nur auf Praxis/Klinik sowie die Familie zu konzentrieren, quasi als Einzelkämpferin. Für alles andere scheint Zeit und Kraft zu fehlen. Meist führt dieses Verhalten auf Dauer in die Isolation, erhöht das Risiko, sich frühzeitig zu erschöpfen. Gerade in Zeiten hoher Belastung ist die Unterstützung von anderen eine wichtige Balance individuell und auch für die Ärztinnen insgesamt. Es können regelmäßige Treffen mit Kolleginnen sein, es kann der Besuch eines Fortbildungswochenendes/einer Fortbildungswoche sein, die enormen Auftrieb geben. Sehr gut sollten Sie hierbei jedoch überlegen, ob sie dazu den Partner/Kinder mitnehmen. Oft habe ich in der Einzelpsychotherapie von Ärztinnen gehört, dass dieser Versuch, Fortbildung und Familienausflug zu kombinieren, letztlich für alle Beteiligten enttäuschend ausging.

Als Verband ist in erster Linie der Deutsche Ärztinnenbund zu nennen. Auch wenn nicht jede Ärztin sich zu einer Verbandstätigkeit berufen fühlt – allein die Treffen zu besuchen, entlastet, stärkt und verbindet Sie mit anderen Kolleginnen. Es ist nützlich, über die tägliche Mühsal, die Vorteile und die Herausforderungen des Berufs Ärztin zu sprechen.

Ärztinnen unter Druck

Die Streßbelastung des Medizinberufs ist sowohl für Männer als auch für Frauen sehr hoch, allerdings gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Belastungsmomente von Ärztinnen sind:

  • Zunehmend schwierige Ausbildungs-/Arbeitsplatzbedingungen
  • Weniger Vorbilder erfolgreicher Ärztinnen in der akademischen Medizin bzw. in Leitungsfunktionen
  • Persönliche Rollenkonflikte
  • Erfahrung von Gewalt
  • Erfahrung sexueller Belästigung
  • Probleme bei der Integration von Beruf und Famille. Psychohygiene für Ärztinnen 1. Lassen Sie nicht zu, dass der Doppelstress von Beruf und Familie

Psychohygiene für Ärztinnen

  1. Lassen Sie nicht zu, daß der Doppelstress von Beruf und Familie Sie kaputtmacht! Vermeiden Sie es, sich auf beiden Seiten so zu fordern, wie diejenigen, die jeweils nur im Beruf oder nur in der Mutterrolle stehen. Geben Sie sich realistische Zeit und Leistungsvorgaben, und lassen Sie Platz für Unvorhergesehenes.
  2. Auch wenn die Medizin oft eine männerdominierte Sparte ist, suchen Sie sich Ihren weiblichen Weg, Medizin zu praktizieren. Viele Studien zeigen, dass dies für Sie protektive Wirkungen gegenüber Burnout hat; es ist befriedigender für die Ärztin und die Patienten. Orientieren Sie sich dabei bewusst an weiblichen Vorbildern.
  3. Holen Sie sich rechtzeitig Hilfe, wenn es Schwierigkeiten gibt, z.B. in Form von Supervision, Balintgruppenarbeit oder persönlicher Selbsterfahrung, vielleicht besonders mit der Frage “Warum bin ich Ärztin geworden?”; bei Paarproblemen mittels einer Paartherapie, um Ihren Wunsch auf mehr Nähe in der Partnerschaft konstruktiv umzusetzen, statt sich mit der emotionalen Distanz, wie sie leider in zu vielen Arztehen herrscht, abzufinden.

Internet-Adresse des Deutschen Ärztinnenbunds e.V.: www.aerztinnenbund.de

Dr. med. Bernhard Mäulen

MMW – Fortschritte der Medizin, Nr. 28-29, 22. Juli 1999, S. 4-7