Aushalten um jeden Preis – Resilienz bei Helfern

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AUSHALTEN UM JEDEN PREIS ?
Vor- und Nachteile einer erhöhten Resilienz bei Helfern
von Dr. Bernhard Mäulen

Wer es sich zur Aufgabe macht, das Leben von Menschen
zu retten, fängt am besten mit dem eigenen Leben an.

Zitat aus dem Film “Playing God”


I Einleitung

Die bisherigen Erkenntnisse über Salutogenese könnten ja müssten auch von den angewandt werden, die diese am meisten auf den Lippen führen – sprich den professionellen Helfern. Gerade sie weisen doch täglich ihre Patienten bzw. Klienten/innen auf die Wichtigkeit einer angemessenen Gesundheits- und Lebensführung hin. Leider ist diese Anwendung als richtig erkannter Prinzipien der Prävention, Gesundheitsfürsorge und Psychohygiene auf sie selbst bei Ärzten/innen, Psychologen/innen etc. in der Praxis wenig festzustellen. Zwar wird die Überwindung des aus dem 18. Jahrhundert stammenden einseitigen biomedizinischen Modells zugunsten eines bio-psycho-sozialen Modells in vielen Fachdisziplinen angemahnt. Vielerorts wird theoretisch eine Abkehr vom primär auf Störung d.h. krankheitsbezogenen Denkens zugunsten eines umfassenderen Gesundheitsverständnisses und der salutogenetischer Konzepte vollzogen. Schaut man aber auf die Praxis, hier insbesondere auf das Verhalten der Helfer in bezug auf die eigene Salutogenese so gilt nach wie vor die Beschreibung von Schüffel “Alle sprechen von Paradigmenwechsel – keiner wechselt”. (1)

Bezüglich der Resilienz, also der Widerstandskraft gegen Belastung im Helferberuf, gibt es derzeit wenige Studien. Wenn überhaupt, dann werden in Arbeiten über Burn-out (2), Lebensqualität (3), Sucht im Helferberuf (4) direkte oder indirekte Hinweise gegeben. So bleiben die nachfolgenden Ausführungen notwendigerweise eher subjektiv. Sie entstanden auf meinem Erfahrungshintergrund insbesondere mehrjähriger Zusammenarbeit mit Frau Dr. Kübler-Ross ( Begleitung Sterbender und Trauernder), vielen Einsätzen als Notarzt in Rettungsteams, Führung einer psychosomatischen Klinik mit vielen “Helfer-Patienten” als Chefarzt sowie der einzeltherapeutischen Arbeit mit zahlreichen Patienten aus den helfenden Berufen ( Ärzte-Krankenpfleger- Priester- Polizeibeamte etc. ) in Villingen Schwenningen.
Auch wenn ich täglich mit Helfern um Lösungen ringe bleiben mir oft mehr Fragen als Antworten z.B. ab wann schlägt Belastungsfähigkeit um in Verhärtung, nicht mehr fühlen, ja glatte Selbstschädigung für Helfer?

II Ausbildung zum Durchhalten

Bekanntermaßen ist die Hürde zur Einschreibung in einem medizinischen oder psychologischen Studiengang in der BRD sehr hoch. Lange Jahre wollten zu viele Frauen und Männer diese Berufe erlernen, so dass es zu einer Selektion vorwiegend nach intellektueller Leistung kam. Auch wenn ein Arzt oder Psychologe nicht dumm sein sollte, neben einer brillianten Intelligenz sind andere Persönlichkeitsfaktoren wie Empathie, Kontaktvermögen, emotionaler IQ etc. noch wichtiger Nur wenige medizinische Hochschulen allerdings berücksichtigen dieses umfassende Anforderungsprofil z.B. die medizinische Fakultät der Privatuniversität Witten Herdecke. Die Konsequenz ist eine sehr eindeutige Selektion zugunsten Rationalität, Belastungsfähigkeit möglichst ohne Limit nach oben. Nichts anderes vermitteln leider auch viele akademische Aus- und Vorbilder, die ja auch 60-80h wöchentliche Arbeitszeit vorleben und damit bewusst oder unbewusst falsche weil ungesunde Maßstäbe vermitteln. Für Außenstehende ist kaum nachvollziehbar wie viel an -meist unterdrückter- Wut angehende Ärzte/innen schlußendlich am Ende der Ausbildung in sich aufgestaut haben. Hier vollzieht sich die Sozialisation angehender Mediziner nicht in einem Feld von Hilfe sondern eher in einem schädigenden “Feld des Ärgers” (1). Es ist nicht erstaunlich, dass nicht wenige Studenten/innen in diesem Umfeld selber krank werden, körperlich oder psychisch, und zweifeln, ob sie den Beruf überhaupt erreichen, geschweige denn durchstehen können. (5) In einzelnen Fällen führt dies immer wieder zu tragischen Schicksalen. So suizidierte sich einer meiner engsten Kommilitonen an der RWTH Aachen. Was war geschehen? Jochen, so hieß er, war Sohn eines Mediziners, sollte und wollte später die väterliche Praxis übernehmen. Nach einem hervorragenden Examen bekam er ein heiß begehrtes Stipendium für 1 Jahr Ausbildung an einem berühmten amerikanischen Krankenhaus. Als er nach Deutschland zurück kam, wurde ihm eine der wenigen Assistentenstelle an der Universität angeboten. Dann traten nahezu zeitgleich zwei Ereignisse auf, die er einzeln vielleicht ertragen hätte, die aber in der Kombination vielleicht Auslöser für seinen Suizid waren. Jochen hatte eine akute Netzhautablösung, mit drohender Erblindung, und er konnte als Anfänger im Beruf Scheitern, Fehlschläge und z.T. vielleicht zu schwer empfundene Hinweise von Vorgesetzten nicht verhindern. Vermutlich auf dem Hintergrund dieser Doppelereignisse ging er zum höchsten Hochhaus und sprang in suizidaler Absicht. Das traurige daran- er hätte sich Hilfe holen können, war aber aus welchen Gründen auch immer nicht so ausgebildet worden, daß er diese auch wirklich in Anspruch nahm.
Zu wenig hinterfragt wird auch die häufigste geäußerte Motivation zum Medizin- oder Psychologiestudium nämlich “der Wunsch zu helfen”. Oft verbergen sich darunter schwere eigene Enttäuschungen in der Kindheit, die man dadurch wettzumachen hofft, dass man sich verstärkt um andere kümmert. Die früh erlebte Ohnmacht soll überwunden werden durch verstärkte Hinwendung zu anderen, die nicht das gleiche erleben sollen wie man selbst. Nun hat dies auch gesunde Anteile, führt aber – wie die Biografie vieler Helfer zeigt- durchaus nicht immer zu dem gewünschten Ergebnis besserer eigener Gesundheit. Im Gegenteil- es entstehen so viele Fälle von Burn-out d.h. müde werden in dem Beruf, den man einmal mit größtem Elan ergriffen hat, für den man viele Opfer gebracht hat.
Manche davon wären vermeidbar: unter anderem durch Hinweise in der Berufsausbildung zum Helfer – und dies gilt auch für Polizeibeamte – auf den Umgang mit eigener Verwundung, Stressverarbeitung, Ohnmacht und auch konkreter Erkrankung wie Sucht bzw. Depression. Innerhalb der Universitäten geschieht dies zum Teil, etwa in Spezialseminaren an der Universität Freiburg und Gießen (6, 7). Auch die Tagungen der Koordinierungsstelle Konflikthandhabung / Krisenintervention an der Hochschule der Polizei in Villingen Schwenningen vermitteln seit Jahren wichtige Impulse für Polizeibeamte zur besseren Salutogenese (vgl. die anderen Beiträge in diesem Band).
Nachfolgend sind die wesentlichen Fehlentwicklungen im Medizinstudium (stellvertretend für andere Ausbildungsgänge für helfende Berufe, in denen es ähnlich aussieht) zusammen gefasst:

Tabelle I Fehlentwicklungen im Medizinstudium

” Zu einseitige Selektion vor und im Medizinstudium
” Überleben des Rationalsten und Tüchtigsten
” Kaum Hinweise auf eigene Psychohygiene
” Keine Hinterfragung der Berufsmotivation
- Oft ein Zwang zu helfen, der nie bearbeitet wird
” Einstellungswandel im Studium vom Helfen wollen zum Zynismus
” Akademische Ausbilder als Negativ Vorbilder
” Kaum Hinweise auf gesundheitliche Gefahren des Arztberufes
und Möglichkeiten der Salutogenese

 

III Was ist Resilienz bei Helfern?

Begriff und Konzept der Resilienz gehen zurück auf den Soziologen Antonovsky (8). Er entwickelte seine Erkenntnisse an der Untersuchung von Überlebenden der Konzentrationslager, die es trotz eines sehr schweren, ja traumatisierenden Schicksals vermochten, sinnvoll weiterzuleben. Bei allem an Unmenschlichkeit, Terror und Grausamkeit, was diese Menschen miterleben mussten, vermochten sie doch als Überlebende ihrem Leben Sinnhaftigkeit zu geben und einen Sinn für Selbstvertrauen zu bewahren. Leider sind die Untersuchungen von Antonovsky innerhalb der klinischen Medizin etwa im Fachbereich Psychiatrie wenig aufgenommen worden. So finden sich die Begriffe Resilienz oder Salutogenese derzeit nur in wenigen psychiatrischen Fachbüchern respektive Lexika. Dies ist um so erstaunlicher, als gerade das Fachgebiet der Psychiatrie und Psychotherapie einem Helfer viel verdankt, der die Resilienz hatte, das KZ zu überleben und als Arzt weiterzuarbeiten. Es ist dies der österreichische Arzt Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie. In seinem berühmten Buch ” Ein Psychologe überlebt das KZ” beschrieb Frankl, wie es ihm mit mentalen Prozessen gelang, an eine Zukunft zu glauben, ja sich gegen alle Wahrscheinlichkeit eine Zukunft vorzustellen, die er mit gestaltet und die Sinn macht. (9) Tatsächlich hat die Suche nach Sinn im Schicksal und im Leid dann die Schlüsselrolle in vielen Therapien des Wiener Psychotherapeuten gespielt.
Aus der Perspektive eines Arztes, der selber zahlreiche andere Helfer behandelt und in beruflichen wie privaten Krisen unterstützt stehen für mich eher andere Dimensionen der Resilienz zur Verfügung. Und doch erscheint mit, dass Hausärzte/innen, die über ein ganzes Berufsleben kranke Menschen behandeln, sich mit vielerlei Ärger nicht davon abhalten lassen, morgens aufzustehen, zur Praxis zu gehen, Menschen zu helfen, die viele ihrer Krankheiten selbst verschuldet haben, zugleich zu wissen, dass zahlreiche Patienten die verschriebenen Medikamente nicht korrekt oder überhaupt nicht nehmen, manch andere ihn /sie als Behandler unter Umständen verklagen werden – für mich ist solch ein Mensch, der dies Tag für Tag in Praxis oder Klinik aushält und mitmacht ( und daneben ja auch noch die möglichen privaten Schwierigkeiten erträgt) ein hoch resilientes Wesen! Wir wissen heute aus Längsschnittuntersuchungen von Ärzten, dass eine beträchtliche Zahl diesen Beruf nicht unbeschadet übersteht, ja unter anderem durch und in diesem Beruf selber krank werden wird. Von daher könnte man sehr salopp formulieren: Wer diesen Beruf ein ganzes Leben lang durchsteht ist resilient und verdient wirkliche Anerkennung. Eines der besten Beispiele einer hausärztlichen Biografie in diesem Zusammenhang ist die Geschichte der Familie Huber, die 7 Mediziner in 4 Generationen hervorbrachte (9).
Resilienz ist nicht Normopathie um jeden Preis. Normopathie, also das normal erscheinen wollen um jeden Preis, kann vielmehr auch gefährlich werden, wenn alles Störende verdrängt, unterdrückt wird, wenn Grundbedürfnisse des Helfers und seine Gefühle dauerhaft missachtet oder mittels Suchtmitteln, Überessen, zu viel Fernsehen, Überarbeitung u.a. immer wieder zugeschüttet werden. Auf diese Fehlhaltung hat der frühere Chefarzt der psychosomatischen Klinik Bad Herrenalb, W. Lechler, hingewiesen mit seinem bekannten Ausspruch
“Gesund ist, wer noch krank werden kann.”

Weitere Aspekte der Resilienz bei Helfern werden nachstehend in Tabelle II aufgeführt:

Tabelle II Aspekte der Resilienz bei Helfern

” am Leid anderer nicht zerbrechen
” im beruflichen Handeln noch zu fühlen
” Sinn für Humor bewahren auch im Leid
” Weinen können, ohne auf Dauer handlungsunfähig zu sein
” Merken, wenn man als Helfer an eine Grenze kommt
” In Krisen selbst um Hilfe bitten und Hilfe annehmen können
” sich nicht für alles verantwortlich fühlen
IV Wenn das Gesundheitssystem Helfer krank macht

Die Entwicklung des Gesundheitswesens in den letzten Jahren ist gekennzeichnet von zunehmender medizintechnischer Machbarkeit, Verlängerung der Lebenserwartung, enormer Kostensteigerung und einer Vielzahl von Reformen. Aus der Sicht der im Gesundheitswesen Beschäftigten führte dies zu einer enormen Arbeitsverdichtung etwa durch die kürzeren Liegezeiten und höheren Aufnahmezahlen in Krankenhäusern. Gleichzeitig wurden die personellen Ressourcen jedoch nicht gesteigert sondern im Gegenteil immer mehr gestrafft. Dies hatte enorme Auswirkungen auf Pflegekräfte und Ärzte. Im Bereich der niedergelassenen Ärzte in den Einzelpraxen sieht die Entwicklung nicht viel anders aus. Durch die Realisierung von Wirtschaftlichkeitsreserven wurde schlichtweg eine starke Kontrolle eingeführt, wurden indirekt Behandlungskontingente eingeführt, die den für einen Patienten zur Verfügung stehenden Behandlungs- und Verschreibungsspielraum begrenzten. Dies bedeutet, dass viele Ärzte sich außerordentlich fremdbestimmt in ihrem therapeutischen Handeln erleben.. Zudem befürchten sie mit einer gewissen Ohnmacht, daß sich die Situation in der Zukunft möglicherweise noch weiter verschlechtert. Ohnmacht, negative Zukunftserwartung, Verlust an Sinngefühl- all diese von vielen Helfern derzeit gemachten Erfahrungen wirken sich negativ auf die Resilienz aus. Fast täglich höre ich in der Praxis, dass Krankenschwestern, Ärzte, Psychologen etc. an diesen Entwicklungen Schaden nehmen. Unter dem Aspekt der Salutogenese bei Helfern muß man feststellen- viele Helfer verlieren unter den gegenwärtigen Bedingungen den “Sense of Coherence” nach Antonovsky; sie erleben eine Abnahme von Erfassbarkeit (comprehensibility), Gegenseitigkeit (manageability) und Sinnhaftigkeit (meaningfulness). Dies ist mit vielem an persönlichem Leid verbunden, etwa wenn eine leitende Krankenschwester mir sagt, sie wisse nicht weiter, da sie täglich eine Pflege anordnen muß, die ihren eigenen Masstäben entgegenläuft. Auch in Supervisionen von Klinikteams begegnet mir die Frage vielfältigst- soll man unter den gegebenen Umständen den Beruf wechseln, sich von seinem ursprünglichen Traum verabschieden, weil er unter den gegenwärtigen strukturellen Bedingungen kaum noch durchzuhalten ist?
Letztlich muß jeder Helfer gegenwärtig genau abwägen, wieweit er in diesem Wandel noch mitarbeiten kann und will und wann er / sie droht persönlich Schaden zu nehmen.
Sicher fließen hier auch immer sehr individuelle Faktoren und biografische Themen mit ein. Auch in meiner eigenen Arzt Laufbahn bin ich mehrfach an diese Entscheidungspunkte gekommen und habe u.a. nach einigem an inneren Kämpfen eine ansonsten ungefährdete Chefarztstelle aufgegeben. Selbstverständlich

Tabelle III Gestiegene Belastung von Helfern

” in der BRD läuft über die verschiedenen Reformen eine Art kollektiver Test:
Wie viel an Belastung darf man zulegen und wie viel an Bonuspunkten wegnehmen, bis das Gesundheitssystem und die Beschäftigten zusammen brechen?
” Belastungsfaktoren
- Arbeitsverdichtung ( mehr Arbeit, weniger Personal)
- Defensivmedizin (unnötige Untersuchungen)
- Bürokratie
- Mittel- und Stellenabbau
- von der Ethik zum Profitdenken (Gewissenskonflikte)
” Folgen
‘ Ohnmacht, subjektive negative Kontrollüberzeugung
Verlust der Freude am Beruf und des Sinnerlebens

V Wenn Resilienz für Helfer gefährlich wird

Normalerweise ist Resilienz ein protektiver Faktor und sie wird in den Veröffentlichungen meist auch ausschließlich so gesehen. Insofern die nachfolgenden Ausführungen den -bisher neuen- Standpunkt einnehmen, dass Resilienz auch gefährlich werden kann, wagen wir uns auf ein neues Gebiet. Manches der nachfolgenden Gedanken wurde angestoßen durch Gespräche des Autors mit Prof. Eike Buchmann, Villingen. Für etwaige Irrtümer ist jedoch ausschließlich der Autor dieses Beitrages verantwortlich.
Widerstandskraft, mehr noch erhöhte Widerstandkraft gilt in unser Gesellschaft als gut, ja als Voraussetzung für Erfolg und Anerkennung. Um ein Beispiel abseits der Helferberufe zu wählen sei das des zunehmend beliebten Marathon Laufens gewählt. Keine Frage, Marathon Läufer genießen ein hohes Ansehen. Wir bewundern ihre Ausdauer, ihre Trainingsdisziplin, ihre Entschlossenheit auch dann weiter zu machen, wenn es ungemütlich, schmerzhaft oder punktuell aussichtslos erscheint die 42. km zu schaffen. Was aber , wenn die erhöhte Belastbarkeit und Resilienz umschlägt? Wohl jeder weiß, daß in einigen Prozent der Fällen, Marathon Läufer ohnmächtig geworden oder auch am akuten Infarkt verstorben sind. Diese sind dann ein Beispiel für das, was wir bei Helfern im nachfolgenden darstellen wollen: Resilienz kann auch gefährlich werden! Dann nämlich wenn es für Helfer zu einem unbedingten Durchhalten zur Resilienz um jeden Preis kommt.
Dieser Preis kann sein

Eigengefährdung,
psychischer Zusammenbruch,
Sucht,
Verhaltensweisen jenseits von Moral und Legalität.

Erhöhte Resilienz in der Polizeiarbeit kann z.B. bedeuten, daß ein junger Beamter es wagt, als Verdeckter Ermittler (VE) im Bereich der organisierten Kriminalität zu arbeiten. Dies bedingt oft lange Abwesenheit von der Familie, aushalten realer und imaginierter Gefahr insbesondere der, daß die eigene Legende auffliegt und ein Entkommen nicht gelingt. Daneben gibt es die – zunächst unterschätzte- Gefahr, Gefallen an dem Lebensstil im Milieu zu finden, der Halbwelt, der Macht, dem Geld und nicht zuletzt der Sexualität mehr oder minder stark zu “verfallen”. Während Betroffene dann glauben sich und ihre Verhaltensweisen kontrollieren zu können, sind sie in Wahrheit Gefangene eigener Abgründe, Triebe, ja vielleicht auch Persönlichkeitsdefizite geworden, die die meisten Menschen ja unbewältigt mit sich herumtragen. Selbst bei stabiler und belastbarer Grundpersönlichkeit können durch extreme oder ungewöhnliche Belastungen Verformungen und Brüche auftreten, die sich letztendlich in Fehlverhaltensweisen äußern wie Diebstahl, Erpressung, Drogenhandel, Machtmißbrauch.
Zu Recht weist Buchmann hin auf die Notwendigkeit einer besonderen Begleitung und beratung von Polizeibeamten in diesem Bereich und er fragt. “Wie erträgt eine Mensch auf Dauer diese Spannung der doppelten Identität , die Last der Geheimhaltung und des gleichzeitigen Lebens in zwei Wertsystemen? Wie kann dafür Sorge getragen werden, daß diese Menschen nicht ihr Leben lang Schaden an ihrer Seele nehmen? (10)

Nicht nur Polizeibeamte sondern auch andere Helferberufe kommen in Situationen, viele wiederholter maßen, in denen die Chance besteht, in Schein Rollen zu schlüpfen, Macht und Vertrauen zu mißbrauchen. Was passiert, wenn sich die Schein Rollen immer mehr verselbständigen? Wenn darunter Triebe, Süchte, Wünsche entstehen und ausgelebt werden, die das Individuum verstecken muß oder die es auf die “dunkle” Seite ziehen ? Als ein Beispiel, das in der öffentlichen Diskussion immer wieder heftige Emotionen auslöst, oft auch unzulässig in den Medien hochgespielt wird, sei der sexuelle Mißbrauch im Helferberuf genannt. Hier hat es lange und zähe Bemühungen gebraucht, um diese Art von Machtmißbrauch als gegeben zu erkennen und wirksame Gegenstrategien zu erarbeiten. (11)
Sehr viel häufiger als der sexuelle Mißbrauch ist für Helfer, der Versuch, durch Suchtmittel eine nachlassende Resilienz zu stärken. In Einzelfällen kann dies zu schweren und chronischen Verläufen führen. Vor einigen Jahren wurde ein überregional bekannter Chefarzt der Neurologie plötzlich entlassen. Was war geschehen? Dieser Arzt hatte eine außergewöhnlich schnelle Universitätskarriere gemacht, tagsüber auf der Station und nachts an den Experimenten für seine Habilitation gearbeitet. So wurde er der jüngste Professor in seinem Fachgebiet. Unmittelbar nach der Professur erhielt er eine Chefarztstelle verbunden mit dem Auftrag,, eine eigene neurologische Schwerpunktabteilung aus dem Boden zu stampfen. All dies leistete er mit enormem Einsatz. Unbemerkt von anderen nahm unterdessen jedoch der Alkoholkonsum in einem Maße zu, daß am Ende eine massive Alkoholkrankheit vorlag und dieser Kollege über den Tag verteilt zwischen Patientenuntersuchungen, Visiten, Klinikbesprechungen, Forschungskolloquien Gutachten etc. eine ganze Flasche Wodka trank. Dies tat er über mehrere Jahre, bis letztlich alle Bescheid wußten und er trotz hoher fachlicher Qualifikation entlassen wurde.
Viele erwachsene Menschen leben sexuelle Impulse aus, die sie vor der Allgemeinheit geheimhalten wollen und müssen. Nicht wenige davon begegnen der Polizei, als Verdächtige, als Straftäter oder auch als Opfer anderer. Manchmal führt dies dazu, daß es zu einer regelrechten Spaltung in eine Tag- und eine Nachtseite kommt. Sicherlich darf man in Frage stellen, ob man es eine erhöhte Resilienz nennen kann, wenn hier einzelne Helfer über Jahre ein ausgeprägtes Doppelleben führen. Immerhin weiß ich aus verschiedenen Therapien solcher Menschen, wie sehr sie über Jahre in einem ungeheuren inneren Kampf um die Kontrolle dieser oft als süchtig erlebten sexuellen Impulse stehen. Da diese meist auch imageschädlich, wenn nicht von vornherein auch durch das Gesetz verboten sind, befinden sie sich in einer ähnlichen Situation, wie die oben erwähnte VE Männer. Nur haben sie keinerlei Führung, Unterstützung oder Hilfe, im Gegenteil: bei den beruflichen oder disziplinarischen Vorgesetzten verleugnen sie alles, so lange bis es nicht mehr geht. Wieviel Kraft, Ausflüchte, Scham, Selbstdestruktivität, Lügen, nackter Verzweiflung diese Menschen aushalten ist für Außenstehende nicht vorstellbar, und geht auch für mich als Arzt und Therapeuten an die Grenze des Erträglichen. Auch hier ein Beispiel. Es handelt sich um einen Geistlichen, der über Jahrzehnte eine hohe Zahl wechselnder sexueller homosexueller Kontakte lebte. Er war im Stricher Milieu bald als gute Einnahmequelle bekannt, rutschte immer tiefer in seine sexuelle Sucht, so daß auch strafgesetzliche Bestimmungen (Altersgrenze) nicht mehr von ihm beachtet wurden. Täglich rechnete er mit einer anonymen Anzeige beim Landesbischof oder einem Enthüllungsartikel in der Boulevardpresse. Schon mehrfach war er brutal mißhandelt worden, es bestanden erhebliche Schulden und doch ließ sich das sexuelle Verhalten nicht unter Kontrolle bringen. Scham,. Schuld und Gewissensbisse steigerten sich in beängstigendem, das Selbst zerstörenden Maße. Schließlich fand er den Weg in eine längere Therapie.

VI Fazit
Ich habe aus persönlicher Sicht und mit einigen Beispielen aufgezeigt, wie sehr Helfer auch bei guter Resilienz in ihrem Helferberuf gefährdet sein können. Oft erwischt es gerade die, die sich lange Zeit be- ja überbelastet haben und nichts für die eigene körperliche oder seelische Gesundheit getan haben.
Aus meiner Sicht als Arzt und Psychotherapeut umfasst Resilienz im Helferberuf heute
konkret:
-die Fähigkeit zu fühlen angesichts von Not und Leid;
-sich vor der Erstarrung zu retten
-um Hilfe zu bitten, statt sehend in die Katastrophe zu gehen
-besonders bei häufigen Helfer Erkrankungen
wie burn out, Depression, Suizidalität oder Sucht
rechtzeitig professionelle Hilfe anzunehmen.
Vielleicht haben Sie beim Lesen bei sich die eine oder andere Resonanz bezüglich Gefährdung im Helferberuf entdeckt. Kümmern Sie sich darum, passen Sie gut auf sich auf!

Nachfolgend in Tabelle IV habe ich noch einige Tips für die Psychohygiene von Helfern, ob im Arzt oder anderen Helferberuf aufgelistet.

Tabelle III VORSCHLÄGE ZUR PSYCHOHYGIENE

nicht alle Patienten annehmen,
Grenzen erkennen (zeitliche, kräftemäßige, finanzielle),
sich Rat und Unterstützung holen (Supervision, kollegiales Gespräch),
sich den Luxus regelmäßiger Weiterbildung nicht versagen,
Hobby Freizeitverhalten pflegen,
Inventar seiner momentan Lebensqualität aufnehmen,
“Unerledigte Geschäfte” erledigen – gerade in den mittleren Jahren,
Sich Inspiration holen
Sich den eigenen Verwundung, Ohnmacht und Begrenztheit stellen,
Machen wir/Sie einen Plan der persönlichen Psychohygiene, Was brauche ich?
Informieren, Konfrontieren und vor allen Dingen unterstützen Sie Kollegen/innen, in einem besseren Umgang mit sich und miteinander.
Was wollen und können Sie verändern, schreiben Sie es jetzt auf.
Nehmen Sie sich konsequent Zeit für Privates, Freizeit, Beziehung und Familie.
Erkennen Sie die Warnzeichen: chronische Müdigkeit, Zynismus
dauernde Unzufriedenheit, chronischen Ärger, Einschränkung sexuellen Interesses
Zunahme von Alkohol/Medikamentenkonsum.
Tun sie so oft wie möglich Dinge, die Spaß machen.
Gerade den Ärzten/Therapeuten muß man sagen Leben ist nicht nur zum Tun, auch zum Sein,
Pflegen Sie Freundschaften!
Experimentieren Sie mit veränderten Gewohnheiten z.B. 4 Wochen ohne Fernsehen
Wenn Ihre Frau/Ihr Mann das nächste Mal sagt “Du wir müssen miteinander reden” verschieben Sie’s nicht.

Literatur:

1. Schüffel, W.; H.G. Pauli: Die Ausbildung zum Arzt. In Uexküll (Hrsg.) Psychosomatische Medizin. Urban und Schwarzenberg, 5. Auflage. 1996
2. Reimer, C.; Jurkat, H.: Zur Problematik der Lebensqualität und Suchtgefährdung von Ärzten und Ärztinnen. In F. Stetter (Hrsg.): Wege aus der Sucht, Neuland Verlag, 2000
3. Rottenfußer, R.: Burnout deutscher Vertragsärzte. In G. Heiß (Hrsg.): Wie krank ist
unser Gesundheitswesen? Merz Verlag, Mainz 2000
4. Mäulen, B. (2000). Wenn Kollegen trinken- Nicht die Augen verschließen. MMW-Fortschr. Med. , 142, 4-10
5. Mäulen, B.: Die Leiden des Cand. med. – Krisenreicher Weg zum fertigen Arzt ?
MMW-Fortschr. Med. 144, Nr. 44 (2001) 4-10
6. Stößel, U.: Universität Freiburg, Abteilung Medizinsoziologie, persönliche Mitteilung.
7. Jurkat, H.; Reimer Chr.: Universität Gießen, Abt. Psychosomatik und Psychotherapie persönliche Mitteilung.
8. Huber, Hans: Bloß a Stupferle. Wegra Verlag 1999
9. Frankl. Viktor: trotzdem Ja zum Leben sagen- Ein Psychologe erlebt das KZ. Kösel,1982
10. Buchmann, Eike: Persönlichkeitsveränderungen durch schwierigste Lebenssituationen im Rahmen polizeilicher Einsätze. Fachvortrag Rom, 2002
11. Tschan, Werner: Mißbrauchtes Vertrauen. Grenzverletzungen in professionellen Beziehungen. Karger Verlag, Freiburg 2001
Anschrift des Autors:

Dr. med. Bernhard Mäulen
Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Leiter des Instituts für Ärztegesundheit
78048 Villingen Schwenningen
e-mail: DocMaeulen@t-online.de