Stress für jung niedergelassene Ärzte
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So jung und schon kaputt | ||||
Burn-out bei (frisch) Niedergelassenen
Eine Praxiseröffnung ist der Aufbruch zu einer Reise ins Unbekannte. Die Selbständigkeit, gepaart mit dem Wunsch noch mehr Lebensqualität, verleitet dazu, Wesentliches außer acht zu lassen: den Umgang mit (noch) weniger Geld und Zeit, chronischem Streß etc. Wer sich hier nicht um die eigene Gesundheit kümmert, geht schnell kaputt oder pleite, behauptet B. Mäulen. Der Psychotherapeut gibt in einer MMW-Serie Hinweise zum Leben und Überleben in der Praxis. Folge 1 hilft Anfängern, aber auch alten Hasen, Fallstricken auf dem Weg zur und in der eigenen Praxis auszuweichen. Junge Ärztinnen und Ärzte, die heute vor der Niederlassung stehen, sehen sich einer ungleich größeren Unternehmung gegenüber als die Generation vor ihnen. Eine Praxiseröffnung ist komplexer, konkurrenzbeladener und risikoreicher geworden. Trotzdem wird immer noch das gleiche alte ,Handwerkszeug” an die jungen Kollegen weitergegeben und wesentliche Faktoren außer acht gelassen. Zwar fehlt es nicht an Hinweisen zur Finanzplanung oder der Bewältigung steuerlicher Aspekte, aber die menschliche Seite, der Umgang mit eigenen Einstellungen, voraussehbaren Konflikten, mit Stressoren und Gefährdungen der eigenen Gesundheit wird kaum vermittelt.
Gründe für die Niederlassung. Warum verläßt ein Arzt oder eine Ärztin die halbwegs anständig bezahlte Klinikstelle mit gesichertem Gehalt, geregeltem Urlaub, Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall etc. und beginnt eine unsichere Existenz als Kassenarzt? Die Gründe dafür sind natürlich vielfältig (s. Kasten). Solange alles zufriedenstellend läuft, spielt die Motivation auch eine untergeordnete Rolle. Sollte aber und das ist wahrscheinlich – später eine Problemsituation in der Praxis auftreten, so sind diejenigen, die sich mit der Niederlassung einen Lebenstraum erfüllen, in der Regel eher bereit, auch längere Durst-Strecken durchzustehen. Für alle, die an die Eröffnung einer Praxis denken, empfiehlt sich daher:
Tägliche Stolpersteine in der Praxis. Während viel Energie auf die Planung der Praxis-Einrichtung, von Art und Umfang der Geräteausstattung oder Kommunikationseinrichtungen verwandt wird, kümmert sich kaum jemand um die voraussehbaren Stolpersteine, die den Alltag oft so frustrierend und mühsam machen. Der Praxisneuling nimmt diesen täglichen Ärger vielleicht hin, denkt ,Damit werde ich auch noch fertig”, aber auf die Dauer zermürben die psychischen Belastungen eben doch enorm, und es lohnt sich, immer wieder nach Antworten zu suchen.
Psychostreß durch Praxis, Aus der Vielzahl psychischer Belastungen in der Praxis werden nur einige hier vorgestellt und Lösungsansätze gesucht. Die sogenannten ,Blau-Macher”. Gerade am Montag morgen tauchen Patienten/innen mit wenig faßbaren Beschwerden und mehr oder minder direkt geäußertem Wunsch nach der AU-Bescheinigung bei Ihnen auf – ohne Termin. Sollte man als Doktor nicht gleich ,spuren”, wird oft der Hinweis ,,Ich kann ja auch zu einem anderen Arzt gehen” angebracht. In meiner Behandlung vieler Ärzte ist dies ein Dauerthema von enormer emotionaler Brisanz. Mancher Kollege läßt sich damit den Wochenanfang vergällen – Woche für Woche für Woche – und glaubt, es sich nicht leisten zu können, einen Krankenschein zu verlieren. Trotzdem: So viele Patienten sind es gar nicht, die eindeutig mit diesem Anliegen kommen. –
Gebunden durch Kostengründe. Am anderen Ende steht der häufiger werdende Konflikt, aus Kostengründen keine optimale medizinische Versorgung geben zu können. In der Klinik hat man Einsparungen zwar bemerkt, aber die Verantwortung lag bei der Leitung und ließ sich auf Distanz kritisieren. In der eigenen Praxis sitzt man selber einem leidenden Menschen gegenüber, muß Nein sagen. Hier stellt sich der Konflikt ungleich schwerer, manchen vergällt dies jede Arbeitsfreude. Nicht alle Ärzte/innen haben sich vorher genau vorgestellt, wie sie sich hier verhalten können. Wer an seinen Helferidealen zu stark festhängt, leidet, muß sich später mit Regressen auseinandersetzen, und kann es gewiß doch nicht allen recht machen. Deshalb:
Klarkommen ohne Chef. Völlig anders als in der Klinik ist auch die Verantwortungs- und Hierarchiestruktur. Viele wollen ja gerade deshalb in die Praxis, weil sie dort ihr eigener Herr sind. Nichtsdestotrotz bedeutet dies auch ständiges Gefordertsein, Führungsherausforderung (fast) ohne Delegationsmöglichkeit. Wenn es um Krankenhauseinweisung oder nächtliche Hausbesuche etc. geht, bewegt man sich oft in einer Grauzone, wo schnell folgenschwere Fehler gemacht werden. Wie sehr man dann den Team-Rückhalt vermißt, das beruhigende Gefühl einen erfahrenen Arzt im Hintergrund zu haben, kann man sich aus der Klinik heraus oft nur schwer vorstellen. Auch das kurze kollegiale Gespräch auf der Visite oder ,,zwischendurch” fehlt einem – insbesondere in den ersten Praxisjahren. Überlegen Sie vor der Niederlassung:
Praxispersonal. Ihre Mitarbeiter/innen sind unverzichtbar, helfen, das enorme Arbeitspensum zu bewältigen, stützen und ermuntern Sie, wenn Sie mal durchhängen – kurz: sind hoch zu schätzen. Zugleich ist es zwangsläufig, daß Arbeitnehmerinteressen (wie z.B. pünktliches Aufhören oder jede Menge Urlaub) nicht immer nachgegeben werden kann. Wer hier versucht, immer nett zu sein und zu nachgiebig ist, tut dies auf seine Kosten und oft auch auf die der Patienten/innen.
Zu wenig Zeit. Sicherlich haben wir alle in der klinischen Ausbildung Zeitmangel erlebt; in noch gesteigerter Form packt es uns in der selbständigen Praxis. Im Extrem: Wer seine Zeit schlecht plant, bekommt früher ein burn-out oder geht pleite. In der Klinik bekam man Zeitvorgaben, sinnige und unsinnige, aber weder hing das wirtschaftliche noch das gesundheitliche Überleben daran. In der Praxis können und müssen Sie die Zeit planen und festlegen: Gesamtarbeitszeit, Sprechstunden, Bestell- oder Wartepraxis usw. Weder das Studium noch die klinische Ausbildung vermitteln hier die nötige Kompetenz. Deshalb:
Finanzen Wer hier nicht aufpaßt, kann sich viel von seiner Lebensfreude verdrießen. Wer angemessene Erwartungen hat, kann mit mehr Frieden praktizieren. Finanzen – aus psychologischer Sicht. Die meisten Schwierigkeiten bei der Niederlassung scheinen mit Geld zusammenzuhängen: Budgetierung, Punktwertverfall, Kostendämpfung bei Heilmitteln, reduzierte steuerliche Abschreibungen etc. Die meisten Ängste: Bekomme ich genug Patienten/Scheine? Wie hoch wird mein Anteil an Privatpatienten? Kann ich auf Dauer von meinem Beruf leben? Droht mir evtl. der Bankrott?
Zwischen Anspruch und Bescheidenheit. Bis ein Arzt / eine Ärztin zum Punkt der Niederlassung kommt, hat er / sie lange oft auch finanziell mäßig ausgestattete Jahre hinter sich. Manche Wünsche wurden hintenangestellt, auf später verschoben. Mit der Niederlassung kommt auch die Versuchung, jetzt einige davon zu erfüllen. Selbstverständlich verspricht sich nicht jeder Jungmediziner mit der Niederlassung auch den Erwerb eines teuren Autos o.ä., aber so mancher denkt doch, jetzt müsse es schnell besser werden. Meist ist aber das Gegenteil der Fall: Für mehr Arbeit, deutlich mehr Risiko und viel persönlichen Einsatz kommt in manchen Fachgruppen anfangs gerade einmal ein Assistenzarztgehalt heraus. Das kann einen erheblich frustrieren.
Finanzielle Entlohnung und Arbeitszufriedenheit. Auch für alte ,Hasen” besteht eine Tendenz, die Arbeitszufriedenheit überwiegend mit der finanziellen Entlohnung zu koppeln. Im gegenwärtigen politischen Umfeld programmiert das Dauerfrust für viele Quartale. Machen Sie sich klar:
Leben/Überleben in der Praxis Also: Sie haben Ihre Niederlassungsmotivation überprüft. Sie trauen sich auch zu, die psychischen Belastungen als Kassenarzt zu tragen, und mit Ihren Grundeinstellungen betreffs Finanzen haben Sie sich ebenso auseinandergesetzt. Ihre Entscheidung steht fest: Sie riskieren die selbständige Tätigkeit. Was bleibt noch zu tun, damit Sie auf Dauer im Beruf und privat Lebensqualität haben und erhalten? Das Schwierigste: Für sich sorgen; Grenzen ziehen und halten – gegen alle falsche Sozialisation an der Uni und in der Facharztausbildung; für Entspannung sorgen; sich nicht übernehmen d.h. auch Nein sagen.
Schlußfolgerungen Vor und bei der Niederlassung sollten neben gesetzlichen und wirtschaftlichen Faktoren auch psychische stärker berücksichtigt werden: die Gründe für die Niederlassung, der Umgang mit Streß, die Grundeinstellung zu Finanzen, ethische Konflikte, Wunsch nach Teamrückhalt, die Fähigkeit, sich selber kräftemäßige und finanzielle Grenzen zu setzen und diese einzuhalten, sowie regelmäßige Psychohygiene. Jede Kollegin und jeder Kollege sollte sich hier Zeit zu einer Selbstüberprüfung nehmen. Die Ärztekammern sollten in ihren obligatorischen Einführungslehrgängen in die vertragsärztliche Tätigkeit zumindest auch Grundfragen des psychischen Oberlebens im Beruf des Kassenarztes anschneiden. Literatur beim Verfasser: MMW – Fortschritte der Medizin, Nr. 7, 19. Februar 2000, S. 14-16 |