Burn out bei Medizinern

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Warum wollten Sie Arzt werden?
Das Burnout-Syndrom ist in der Mediziner-Persönlichkeit angelegt

Kaum ein Kollege spricht darüber, dennoch trifft es Ärzte besonders häufig: das Burnout-Syndrom. Was macht diesen Berufsstand so anfällig dafür? Prof. Peter Gathmann stellt die These auf, dass eine tiefgreifende Verletzung der eigenen Persönlichkeit den Wunsch zu heilen erzeugt. Eine Ausblendung der eigenen Person führt dann leicht in einen Circulus vitiosus. Therapiebemühungen müssten deshalb hier ansetzen

  • Meine Beobachtungen zum Ausbrennen bei Heilberuflern machte ich in drei Bereichen:
  • In den Fortbildungsseminaren für Intensive-care-units der Wiener Universität und Gemeindespitäler;
  • In Liaison-Arbeit innerhalb der Universitätskliniken des Wiener AKH, insbesondere bei der längeren Supervision der Psychoonkologischen Gynäkologischen Station;
  • In der eigenen Klinik, der Psychiatrischen Universitätsklinik Wien, in Zusammenhang mit der Fortbildung, spezifisch zum Thema Burnout.

Unter dem Mantel des Schweigens

Es fing damit an, dass mich innerhalb einer Woche gleich zwei Kolleginnen und ein Kollege aus verschiedenen Anästhesie-Abteilungen aus aktuellem Anlass zur Suizidalität innerhalb dieses Faches befragten. Ich konsultierte den Suizidologen Sonneck dazu, der mir bestätigte, dass ein “Mantel des Schweigens” um diese Problematik gehüllt würde. Freilich wäre der Suizid der Endschritt nach einer längeren Reise der allmählichen und dann akut werdenden imminenten psychosomatischen Dekompensation (Gathmann, 1986).

Beachten Sie die ersten Symptorne

Bei den Fortbildungsseminaren der Teams von Intensive-care-units bestätigte sich mir die Regelhaftigkeit dieser Verläufe, und die leider von den Betroffenen als unausweichlich erlebten Einengungssituationen. Lassen sich wiederkehrende pathogene Momente für Ärzte erfassen? Festzustellen ist:

  • eine durch Selbstanspruch und Fremderwartung genährte hohe berufliche Anforderung;
  • eine leichte Verfügbarkeit von Medikamenten und Drogen sowie eine bagatellisierende Einstellung zu deren Konsum;
  • ein durch hohe Verantwortung in der Konfrontation mit ,life and death situations” erzeugter, längerdauernder Distress in Extremsituationen.

Dazu kommen lange Aus- und Weiterbildungszeiten mit Desillusionierungskarrieren (Karazman et al., 1994/95) sowie eine spezifische heilberuflerische, biographisch verfolgbare Vormorbidität (Gathmann, 1996). Auch ist es wenig verwunderlich, dass ich einem Ausbrennen bei intensiv-medizinischen Einheiten begegnete, wurden sie ja dort auch zuerst beobachtet (Meerwein, 1984). Dabei hat das Burnout-Syndrom zunächst als Überlastungssyndrom vieler therapeutischer Berufe zu gelten, mit Symptomen im körperlichen und psychischen, aber auch im geistigen Bereich (siehe ,Häufige Symptome”). Die ersten Zeichen sind diskret: Müdigkeit, Schlafstörungen, Reizbarkeit und Nervosität. Die allabendliche Nachtruhe ist beeinträchtigt, der gesteigerte und nicht abgebaute Sympathikotonus verhindert die Regeneration. Auch besitzen die meisten Heilberufler mit Extrembelastung keine ritualisierten Methoden zum Distressabbau (z.B. Bewegungs- und Relaxations-Routine).

Wie versuchen Sie sich zu entspannen?

Tagsüber macht sich die versäumte Regeneration häufig im Bewegungsapparat bemerkbar: Muskel-Verspannungen als Zeichen einer versuchten Anpassung an Anforderungssituationen mittels inadäquater ,fight- and flightpatterns”, wie sie Cannon beschrieb und danach Zerviko-Dorsalgien. Innerhalb dieser distresshaften psychophysiologischen Automatismen ist meist das Vegetativum irritierend beteiligt – dysfunktionelle, kardiovaskuläre oder gastrointestinale Beschwerden sind die Folge. Die naheliegende Reaktion auf Schmerz, Spannung und Müdigkeit ist für den Heilberufler – nach Nikotin, Koffein und Alkohol der Griff nach der allgegenwärtigen Tablette. Vom Analgetikum und Spasmolytikum über Tranquilizer zum Hypnotikum ist die Pharmalade verführerisch und dienstbar offen. Aus dem gelegentlichen Einsatz kann bei Fortbestand der Belastung die Gewohnheit werden, und ans dieser dann die suchtnahe Abhängigkeit. Die bagatellisierende Einstellung zum Medikamentenkonsum bei Heilberuflern ist ja schon oben angeführt worden, aber: Ist das Burnout generell ein Heilberufler-, oder enger, ein ärztespezifisches Syndrom?

Die Verwundbarkeit hat frühe Wurzeln

In der Kindheit von zukünftigen Heilberuflern findet sich häufig ein existenzprägendes Erlebnis von Hilflosigkeit in Bezug auf Krankheit und/oder Tod. In der Folge wird dieses schmerzhafte Gefühl der Ohnmacht und Unzulänglichkeit, ganz im Sinne eines A. Adlerschen Life Scripts, überkompensiert. Die sich anbietende Möglichkeit der Überwindung ist natürlich der Heilberuf. Dabei gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Formen der Entwicklung: Die biographische Traumatisierung bleibt bewusst, oder sie wird verdrängt. Bei der Integration nützt der Heilberufler die ans der “Verwundung” genährte Sensibilität heilbringend in seinem Beruf lm Falle der Verdrängung dieses “Patientenanteiles” wird auch die eigene Erkrankbarkeit, Schwäche und Fehlbarkeit ersetzt durch eine magische Illusion der Unverletzbarkeit, eine Art “Göttlichkeit”. Die “Götter in Weiß” sind die Summe der Projektionen der Patientenwünsche plus dem eigenen, unverarbeiteten Größenselbst (Gathmann, 1996). Doch zurück zum Burnout-Syndrom: je nachdem, wo sich der Heilberufler in der Sequenz zwischen beginnendem Ausbrennen bis zum dekompensierten Ausgebranntsein befindet, wird auch die Einschränkung in seiner Kompetenz als medizinischer Helfer offenbar. Dieses hat die American Medical Association (AAIA) schon vor längerer Zeit problematisiert: Ein solcher Arzt ist ,… aufgrund körperlicher und geistiger Krankheit (z.B. Alterung, Abnahme von motorischem Geschick oder Gedächtnis, Substanzabusus wie Alkohol, Psychopharmaka) nicht in der Lage, mit ausreichender Befähigung und Sicherheit den Patienten zu behandeln.” (AMA, 1972). Dann leidet auch der Patient unter dem Burnout seines Arztes.

Univ. Prof. Dr. Peter Gathmann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Ltd. OA der Psychiatrischen Universititsklinik Wien

 

Wie äußert sich das Burnout-Syndrom?

Somatisch

  • Müdigkeit, Zerviko-Dorsalgie, Muskel-Verspannungen
  • Gelenkschmerz, Magenbeschwerden, Verdauungsstörungen

Vegetativ

  • Inadäquate Parasvmphatiko-/Symphatikotonie
  • Dysfunktionelle Syndrome (v.a. muskulär, gastrointestinal, kardiovaskulär)

Psychisch oder psychophysisch

  • Reizbarkeit, Erschöpfung, Schlafstörungen
  • Nervosität, Depressivität, Sexuelle Unlust

 

Sequenz des Ausbrennens

Prädisponierende Prämorbidität für das Burnout (biographische Traumatisierung)

Chronischer Distress

Erste psychosomatische Abwehrlinie: somatische, vegetative und psychophysische Symptome (Beginn des Ausbrennens)

Genussgifte, Medikamente

Zweite psychosomatische Abwehrlinie: behandlungsresistentere somatisch (z.B. Hypertonus) oder psychisch (z.B. Depression) imponierende Symptome

weitere Überlastung

Imminente psychosomatische Dekompensation

Ausgebranntsein (Burnt-out)

Literatur

  1. Gathmann, P.: Depressivitit und Angstumkehr. Gegenüberstellung des Präsuizidalen Syndroms und der imminenten psychosomatischen Dekompensation (IPD). Hogrefe, Toronto G@ttingen Bern 1986
  2. Gathmann, P; Semrau-Lininger, C.: Der verwundete Arzt. Ein Psychogramm des Heilberufs. Käsel, München 1996
  3. Karazman, R.; Geiszler, H.; Karazman-Morawetz, I. et al.: Lebensqualität und Belastungen von Hausärztinnen und Hausärzten in Niederösterreich, Tirol, Wien. Studien und Untersuchungen (1994/95)
  4. Meerwein, F: Probleme und Konflikte des Onkologen und seiner Mitarbeiter. MMW 126, S. 219-222 1984

ÄP NeurologiePsychatrie, Nr. 2/1999, S. 32-33