Arbeitsstörungen bei Ärzten

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Von Bernhard Mäulen

I    Einleitung

Arbeitsstörung im ärztlichen Beruf – Jeder kennt sie vom Hören Sagen, so mancher Kollege hat sie selbst. Bei ansonsten ordnungsgemäßer beruflicher Leistung bleiben einige wichtige Punkte “chronisch unerledigt”: dringende Berichte werden nicht geschrieben, Patienten werden unvollständig untersucht, die Praxisorganisation bleibt trotz aller Anstrengungen chaotisch, die Post wird nicht geöffnet, Termine werden immer wieder verschoben und Patienten verärgert, finanzielle Dinge wie Steuererklärungen, Kreditgespräche, Erstellen von Privatrechnungen gelingen nicht oder werden einfach “vergessen”. Charakteristisch für die Arbeitsstörungen ist, dass die betroffenen Ärzte obwohl weder faul, noch dumm, mit einigen Aspekten der ärztlichen Tätigkeit nicht zurecht kommen und darunter persönlich deutlich leiden oder dass ein ansonsten tüchtiger Arzt für eine gewisse Zeitspanne in seiner Leistung / seinem Verhalten weit unter seinem üblichen Standard liegt..
Im Laufe der letzten Jahre habe ich in meiner Schwerpunktpraxis manche der oben genannten Arbeitsstörungen vernommen. Zuständig dafür fühlt sich niemand, Hinweise auf einen Managementkurs oder ein Seminar in Praxisorganisation bzw. Zeitmanagement greifen als ausschließliche Maßnahme in der Regel zu kurz. Die den Arbeitsstörungen zugrunde liegenden Muster sind bei den Kollegen vielfältig, sie umfassen genuine Krankheiten, gelerntes Vermeidungs-Verhalten, psychische Blockaden allgemeiner und spezifischer Art und reichen z.T. auch in den Bereich der Persönlichkeitsstörungen (MMW). In milderen Ausprägungen kennt fast jeder etwas davon in seinem eigenen beruflichen Handeln, die schweren Störungsmuster können sich zu einem gravierenden Handicap entwickeln: so wie bei einem Assistenzarztkollegen, der es fertig brachte in 6 Monaten als Arzt auf der Aufnahmestation keinen einzigen Arztbrief zu schreiben (und der dann entlassen wurde) oder wie bei einem niedergelassenen Kollegen, der 1 Jahr lang keine Bankpost aufmachte – und dadurch fast in die Insolvenz geriet.
Die betroffenen Kollegen wissen um die Arbeitsstörung, schämen sich aber dafür und verschweigen sie lange, statt sich Hilfe zu holen. Ziel dieses Beitrages ist es, über verschiedene Arbeitsstörungen und zu Grunde liegende Muster zu berichten sowie Hilfsmöglichkeiten aufzuzeigen.

II Formen von Arbeitsstörungen

Nachfolgend werden einige der in der Praxis häufiger anzutreffenden Formen von Arbeitsstörungen beschrieben.
Zunächst aber ein persönliches Geständnis: Bevor ich einen Beitrag wie den vorliegenden schreibe, erlebe ich fast immer eine milde Form der Arbeitsstörung; obwohl alles Material gesichtet, der Schreibtisch frei und der Kopf bereit ist, geht erst mal gar nichts- für einige Stunden, häufiger einige Tage bin ich blockiert, ich fülle die Zeit mit anderen Tätigkeiten, die absolut nicht dringend sind. Erst, wenn die ersten paar Zeilen geschrieben sind, geht es vorwärts. Immerhin – der Leidensdruck hält sich in Grenzen und die Manuskripte werden i.d.R. fristgerecht fertig
” Eine im Ausbildungsgang frühe Form der Arbeitsstörung, die mit heftigem Leiden, nicht selten großer Scham verbunden ist, stellt die nie beendete Dissertation dar. Genau weiß es niemand, aber Fachleute schätzen, dass ein Drittel aller begonnenen Doktorarbeiten bei Medizinern nie abgeschlossen werden. Fängt die Assistenzarzt Zeit an, hat mann/frau meist so viel zu tun, dass dann die Arbeit von Jahr zu Jahr verschoben wird. Immer wieder wird ein Anlauf versucht, werden die Anfragen der Eltern und Verwandten auf unbestimmte zeit vertröstet, statt – und das wäre psychisch gesünder- Oft wird noch eine zweite angefangen, die dann aber auch nicht beendet wird. Der Druck, die innere Ohnmacht etwas erzwingen zu wollen, was dann doch nicht geht- das sich geschlagen geben, die Scham- die abgebrochene Dissertation stellt ein Paradebeispiel für Arbeitsstörungen da. Oft noch nach Jahren oder Jahrzehnten erfahre ich in der Anamnese meiner Arztpatienten/innen, das diese Wunde in der professionellen Biografie schlecht verheilt ist und ein erhebliches Kränkungserlebnis in der eigenen Medizinerlaufbahn verbleibt. Deutlich seltener, aber beruflich mit gravierenderen Auswirkungen ist die Nicht Vollendung einer Habilitation.
” Auch in der akademischen Laufbahn gibt es spezifische Arbeitsstörungen. In seinen Erinnerungen berichtet etwa C.G. Jung, der einer der produktivsten ärztlichen Forscher überhaupt war, “es war mir nach der Beendigung meines Buches drei Jahre lang unmöglich, auch nur ein wissenschaftliches Buch zu lesen. So entstand das Gefühl, ich könne in der Welt des Intellekts nicht mehr mitmachen”(Lit Jung Erinnerungen).
” Zeitlich umschriebene Phasen in denen man (fast) nicht arbeiten kann und die Patientenversorgung nur sehr reduziert bewältigt. Ein Oberarzt wurde von seiner Frau verlassen- für Wochen kam er in die Klinik, saß aber überwiegend herum, war so stark beeinträchtigt, dass die Schwestern ihn mit Kuchen versorgten und die Assistenten weitgehendst seine Arbeit abdeckten. Eine depressive Kollegin befestigte – wenn die Depression zu schlimm wurde- tage- oder gar wochenlang an ihrer Sprechzimmertür ein Schild mit der Aufschrift “Bitte nicht stören” (LIT Redfield)
” Umschriebene Bereiche der Arzttätigkeit, in denen eine Blockade vorliegt, während die sonstigen Anforderungen gelingen. Die scheint mir mit die häufigste Form der Arbeitsstörung zu sein. Alle Bereiche der Tätigkeiten können betroffen sein, patientennahe ebenso wie patientenferne: Untersuchung, Befund, Therapie, Dokumentation, Abrechnung, Patientenorganisation und Verwaltung, Kommunikation mit Mitarbeitern. Die Störungen können leicht sein, persönliche Varianten oder Eigentümlichkeiten, die man mit Toleranz hinnehmen kann, sie können den Arzt Patient Kontakt sehr erschweren, oder die interne Kollegialität auf`s Äußerste strapazieren, z.B. wenn ein Assistenzarzt zwar Patienten aufnimmt und untersucht, aber auf jegliche Dokumentation verzichtet, so dass der Stationsarzt am nächsten Morgen bei Null anfängt (gar nicht so selten). Manchmal können Arbeitsstörungen auch kriminell sein, etwa wenn Patienten nicht untersucht und Befunde getürkt werden.
1. Von den in jüngster Zeit gehörten Schilderungen eine Auswahl:
In einer Gemeinschaftspraxis, “verzichtet” ein Arzt auf eine ordnungsgemäße schriftlich dokumentierte Patientenaufklärung vor dem operativen Eingriff. Die Kollegen bemerken erst im nach herein, dass viele Einverständniserklärungen fehlen oder nie ausgefüllt wurden.
2. Ein Kollege hat eine Blockade, Pat. rektal zu untersuchen und erdichtet jeweils diesen Befund. Das ganze fliegt auf, als er den großen blutenden! Rektum Tumor einer Patientin “übersieht” (Lit Brugh Joy, Avalanche).
Einen älteren Fall, bei dem es teils um eine Arbeitsstörung, teils um eine Vertuschung geht, schildert Bürger-Prinz: Ein junger Assistenzarzt sollte eine Sterilisation durchführen, fand dann aber den zweiten Eileiter nicht. Er schämte sich, dies einzugestehen, nähte die Wunde einfach zu. Die vermeintlich Sterilisierte wurde dann schwanger. (Lit Bürger-Prinz)
3. Ein niedergelassener Kollege, zögert stets, wenn er zu einem Notfall gerufen wurde, erst mit geraumer Verzögerung und nach langem Studieren von Lehrbüchern tritt er den Hausbesuch an (Lit Stupferle). Bis heute sind einzelne Assistenzärzte im Dienst wiederholt unauffindbar.
4. Ein leitender Arzt im öffentlichen Gesundheitswesen, mit einem ausgezeichneten Ruf, kommt und sucht Hilfe, weil er “nichts mehr findet und den Überblick verliert” (auch über seine Finanzen). Wichtige Akten, Befunde oder Nachweise seien unvollständig. Ebenfalls den Überblick verloren hatte ein Essener Pathologe, bei dem Material verloren ging, falsch befundet und zugeordnet wurde, was schließlich auch den Staatsanwalt beschäftigte (LIT Möntmann).
5. Ein vom Druck der Arztbriefe überforderte Kollege, ging vor einigen Jahren so weit, Dutzende von Krankenakten komplett im Brennofen der Klinik einzuäschern. Das Ganze fiel erst dadurch auf, dass der Hausmeister seltsame Metallstäbe (von den Hängeregistraturen) in der Asche fand.
6. Eine Kollegin war mit dem Schreiben von Privatrechnungen – psychisch und technisch so überfordert, dass sie einfach keine ausstellte, mit entsprechend negativen finanziellen Folgen für die Praxis.
7. Ein anderer Arzt hatte so starke Berührungsängste vor Zahlen, dass er Jahre keine Steuerklärung abgab, dann natürlich vom Finanzamt in seinen Einnahmen zwangsgeschätzt wurde, und sich gegen die zu hohe Besteuerung nie wehrte.

” Häufig vom betroffenen Arzt/ Ärztin unerkannt, dafür aber um so mehr von der Umgebung “gehasst” ist die Arbeitssucht bei Ärzten. Es gibt kaum einen Beruf, in dem die “vollständige Hingabe an den Beruf” so hoch gehalten werden kann. Im Einzelfall ist es u.U. schwierig, hoch engagiertes von arbeitssüchtigem Verhalten zu unterscheiden. Hinweise auf “workoholism” sind dabei: subjektiver Zwang zur Arbeit, Unfähigkeit zur Muße / zum Genuß, gehäufte interpersonelle Konflikte. (Lit Berger). In meiner Praxis habe ich immer wieder Beispiele von Kollegen, die 12-14h pro Tag arbeiten, dadurch ihr Familienleben massiv schädigen und sich selbst in den Urlaub regelmäßig Akten und Gutachten mitnehmen (müssen). Oft kommen die betroffenen Kollegen auch gar nicht erst, sondern die völlig verzweifelten Partner/innen, etwa der Ehemann einer Zahnärztin, die täglich bis 1:00 Nachts am Computer saß und dort Zifferneingabe und Verwaltungstätigkeiten ausübte.
” Die Kommunikation mit Praxis- oder Klinikmitarbeitern ist ein Grenzbereich, kann aber noch unter die Arbeitsstörungen subsummiert werden. Arbeitsstörungen zeigen sich hier in arrogant selbstherrlichem Auftreten, das immer wieder zu massiven Reibereien und für Patienten schädlichen hausinternen Kämpfen führt. (Lit MMW Arztpersönlichkeit). Andererseits kann angstbetonte kommunikative Hemmung jüngerer Ärzte dazu führen, dass sie nichts sagen, Patienten und Pflegepersonal “raten lassen” was der Doktor denn meint. Auch mangelndes Verständnis für die Verantwortung kann zu Arbeitsstörungen führen. So hatte ein von mir betreuter Kollege nach dem 24 h Dienst kurzerhand seinen Pieper weggesteckt, keine Übergabe gemacht – und vor allem vergessen sich davon zu überzeugen, dass der nächste Diensttuende schon im Hause war. Die dann aufgetretene längere Nicht-Besetzung des NAW, brachte den Kollegen bis an die fristlose Kündigung.
” Manchmal betreffen Arbeitsstörungen auch mehrere Kollegen oder ein ganzes Team. So erfuhr ich in einer Intervision von der weitgehenden Blockade eines Teams, dessen Klinik vor dem Konkurs stand. Weitgehend exogen verursacht – Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes- führte diese Arbeitsstörung neben hohen Krankenständen auch dazu, dass die Ärzte sich wie gelähmt fühlten. Die Behandlungsintensität und Qualität sank auf ein Rekordtief.
Tabelle 1 Formen der Arbeitsstörung bei Ärzten

- Probleme in der Bearbeitung von Schriftsachen
( Dissertation, Gutachten, Arztbriefe, Anträge)
- zeitlich umschriebene Leistungsabfälle
- Teilleistungsstörungen in Diagnostik oder Therapie
(i.d.R. bestens kaschiert und verleugnet)
- Schwächen Zeitpläne, Ordnung, Strukturen einzuhalten
(Chaos Typen, die unpünktlich sind, Akten verlieren,
Befunde und Patienten verwechseln)
- Arbeitssucht ( weit verbreitet!)
- Probleme im Umgang mit Finanzen und Zahlen
( keine oder verspätete Privatrechnungsstellung,
kein finanzieller Überblick, Vermeidung von Kontakt
zur Bank)

III Ursachen von Arbeitsstörungen bei Ärzten
Die Palette der Ursachen ist sehr heterogen, sie reicht von umschriebenen Teilleistungsstörungen bis hin zu Auswirkungen schwerer somatischer Krankheiten. Jede Krankheit von der Grippe bis zum Krebs wirkt sich ja auch auf unsere Arbeitsfähigkeit aus, ebenso psychische Krisen, Traumata, Süchte und anderes. In der vorausgegangenen Beiträgen in der MMW wurden diese Aspekte der Ärztegesundheit dargestellt (LIT MMW). Nachfolgend werden primär die beobachtbaren Arbeitsstörungen und weniger die einzelnen Krankheiten von Kollegen beschrieben.

” Gehäufte Fehlzeiten – oft in Verbindung mit dem Wochenende, kurzfristiges Nicht auffindbar sein, massive Stimmungsschwankungen können Störungen der Arbeit bei suchtkranken Ärzten und Ärztinnen sein. Zumindest in der Endphase einer Sucht wird das professionelle Arbeiten in irgendeiner Weise beeinträchtigt sein.

” Ein phasenweises Absinken der ärztlichen Leistung mit vermehrter Müdigkeit, nachlassender Leistung, reduzierter Kommunikation kann auf eine depressive Episode, burn out oder partnerschaftliche Krise hinweisen.

” Störungen von Teilaufgaben des Arztberufes wie Schriftverkehr, Ordnung, Pünktlichkeit können auf ein Aufmerkamkeits Defizit Syndrom (ADS) hinweisen. Diese besteht in der Regel schon viele Jahre, kann aber durch das Studium hindurch kaschiert oder durch enorme Gedächtnisleistung kompensiert werden. Je höher die Verantwortung, je mehr koordiniert und delegiert werden muß um so deutlicher wird die Unfähigkeit zur geordneten Aufmerksamkeit (LIT Zwanghaft zerstreut) , Schreibhemmungen können auch auf Autoritätsängste aber auch auf ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung zurückzuführen sein. Zudem finden sich isolierte Verhaltensstörungen im Sinne eines stabilen Vermeidungsverhaltens nach vorausgegangener Kränkung, Bloßstellung und Beschämung bei den Teilleistungsstörungen.

” Generell schlechte Arbeitsmoral, schlampiges Arbeiten, verspätete Berichterstellung niedriger Grad an Patientenorientierung kann Ausdruck einer Persönlichkeitsstörung des Arztes sein; zumindest ebenso häufig verbergen sich dahinter gravierende Ausbildungsmängel, unzureichendes Führungsverhalten der ärztlichen Direktion, die junge Ärzte ohne eigentliche Anleitung und Korrektur ” vor sich hin wursteln lässt”

” Pingelig genaues, überkompliziertes, Arbeiten mit einem überhöhten Aufwand an Dokumentation sowie massiven Ängsten des Arztes findet sich nicht selten bei einer Kunstfehler Klage. Bis zu einem Drittel aller beklagten Ärzte und Ärztinnen berichten, dass sie während einer beruflichen Klage nicht mehr wie gewohnt effektiv arbeiten können und viel zu viel absichernd und defensiv arbeiten (LIT WU).

” Deutliche Einschränkungen der ärztlichen Leistungsfähigeit, defensive Dokumentation, Teamauseinandersetzungen, irreguläre Fehlzeiten ereignen sich bei realer oder subjektiv empfundenem Mobbing von Ärzten. Aus dem Bemühen heraus nur keinen Fehler zu machen, sich keine Blöße für einen weiteren Angriff des Chefs zu geben, ergibt sich eine erhebliche Arbeitsstörung. (LIT Flintrop) In einem mir bekannten Fall rief ein völlig verunsicherter Kollege pro Tag bis zu zehn mal aus der Klinik seine Frau an, um sich jeweils Rat zu holen

” Massive Fehlzeiten, erhöhtes Schutzbedürfnis, Unfähigkeit als Arzt/Ärztin auf bestimmten Stationen oder zu bestimmten Zeiten (insbesondere Nachts) zu arbeiten ergeben sich nicht selten nach Bedrohungs- oder Gewalterfahrungen im Beruf. Die auf ein Trauma zurückführende Arbeitsstörung ist um so ausgeprägter, je tiefer der Kollege, die Kollegin innerlich erschüttert ist. Im schlimmsten Falle wird aus der vorübergehenden Arbeitsstörung eine permanente Arbeitsunfähigkeit.

Tabelle 2 Ursachen der Arbeitsstörung bei Ärzten

- schwere Krankheit (somatisch, psychisch)
- persönliche Krise (Trennung, Tod, sonstige)
- burn Out, Depression
- Sucht ( Alkohol, Medikamenten, Drogen, Sex)
- ADS -Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom
- Persönlichkeitsstörungen (z.B. ängstlich vermeindende P.)
- Mobbing in der Klinik
- traumatische Erfahrungen, insbesondere berufsbezogene
Gewalterfahrung
- Klage wegen Kunstfehlerverfahren
- schlechte oder lückenhafte eigene Ausbildung
- Mängel im Führungsverhalten der Vorgesetzten
- Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz
( Überschuldung d. Praxis, drohende Schließung d. Klinik)
- nachhaltige Störung der Arbeitsmotivation durch immer
schlechtere Arbeitsbedingungen im Gesundheitssystem

 

IV Behandlung von Arbeitsstörungen bei Ärzten

Da die Arbeitsstörungen von Ärzten meist verschwiegen, oft übersehen und nur selten konfrontiert werden, gibt es nur wenige Berichte über entsprechende Behandlungen. Das Hauptproblem besteht also zunächst einmal darin, die Arbeitsstörung anzusprechen, die Kollegen darauf hinzuweisen und Änderung zu verlangen. Kurzum hier geht es um Aufgaben, die von Ober- und Chefärzten als Ausbilder des Nachwuchses zu verlangen wären. Aber- weder werden die Kollegen in Leitungsfunktionen dafür ausgebildet, noch lässt die gegenwärtige Überbeanspruchung und Ressourcenüberfrachtung leitender Ärzte ihnen auf absehbare Zeit genug Kapazität für diese Aufgabe. Was dann übrig bleibt sind knappe Hinweise während oder nach der Visite, im Falle fehlender Arztbriefe disziplinarische Maßnahmen von der Urlaubssperre bis zur Abmahnung. Was aber wäre zu fordern? Regelmäßige Besprechungen mit den ärztlichen Mitarbeitern, Rückkoppelungen über Fehler oder Auffälligkeiten, Auflagen sich Hilfe zu holen, gezielte Weiterbildungskurse oder auch begleitende Psychotherapie bzw. Coaching.
Gute Hinweise, wie sich ein solche Führung bewährt und welche Grundsätze zu beachten sind, finden sich in den Aufzeichnungen erfahrener Chefärzte z.B. Trede (LIT Trede)
Niedergelassene Ärzte weist keiner auf ihre Fehler oder Störungen hin. Manchmal gibt es Protest von der in der Praxis mitarbeitenden Ehefrau, so wie bei einem Internisten, der sich mit jedem Patienten endlos “verquatschte” und die für die Termine zuständige Ehefrau beinahe zur Verzweiflung trieb. Meist kommen niedergelassene wie angestellte Ärzte erst dann, wenn die Störungen der Arbeit massiv bis extrem sind.
Wichtig ist für alle, die einen Kollegen behandeln, stets auch gezielt nachzufragen, wie sich seine Beschwerden auf die Praxis, die klinische Arbeit auswirken!
Oft wird danach auch klarer, ob überhaupt und wenn ja wie die Arbeitsstörung behandelt werden muß. Im Vordergrund steht die Behandlung der Grundkrankheit. Bei den suchtkranken Ärzten z.B. geht es primär um die Eindämmung der Sucht, also um Entgiftung, Entwöhnung und dauerhafte Abstinenz; dann normalisieren sich Anwesenheitszeiten, Arbeitsqualität und Zuverlässigkeit. Bei burn out und Depression bringen antidepressive Medikation und engmaschige Psychotherapie die besten Resultate. Hier ist aber besonders auf die reduzierte Belastbarkeit auch nach der ersten Antriebsnormalisierung zu achten, also ein nur reduziertes Arbeitspensum zu verordnen, und auf genügend Urlaub zu achten.
Was kann man tun bei Teilleistungsstörungen – wie fehlenden Arztbriefen? Allgemeine Hinweise “das müssen sie schaffen” oder ” das lernen Sie auch noch” nutzen wenig; Druck vom Chef einerseits und Unterstützung durch einen erfahrenden älteren Assistenten (buddy system) weisen einen besseren Weg. Training sowie engmaschige Rückkoppelung, die verhindert dass sich Dutzende von Arztbriefen anhäufen sind für 6-12 Monate erforderlich, dann ist zumindest ein Mindeststandard erreicht. Neben der Kritik sollte aber die Motivation durch Lob nicht vergessen werden. Bis heute erinnere ich die Anerkennung meines erster Chef im Ärzteteam einige Wochen nach Stellenantritt ” Heute hat Herr Mäulen erstmals einen Arztbrief verfasst, an dem nichts auszusetzen war.”
Sowohl bei Teilleistungsstörungen wie auch bei Kommunikationsproblemen bewährt sich neuerdings auch die Übernahme von Coaching und Managementtraining für Ärzte. Neben der altbekannten Supervision oder Balintgruppenarbeit ist durch Coaching eine dritte Möglichkeit professioneller Unterstützung und Weiterentwicklung entstanden. Berufliches Coaching ist eine Mischung von berufsbegleitender Verbesserung professioneller Fähigkeiten, Zielorientierung, Arbeit an spezifischen Blockaden etwa im persönlichen Auftreten oder Führungsverhalten, in der Ansprache von und der Kommunikation mit Patienten aber z.T. auch in der verbesserten Selbstdarstellung und Außenwirkung wie etwa Werbungsverhalten als Dienstleister/in im Gesundheitssystem.
Nicht durch Coach, ärztliche Ausbilder und schon gar nicht durch Angehörige kann die tiefere Störung beim ADS (Aufmerksamkeits Defizit Syndrom) behandelt werden. Hier liegt eine neurobiologische Störung vor, die insbesondere die zentrale Informations- Verarbeitung im Cortex betrifft. Betroffene leiden nicht nur als Kinder sondern auch im Studium und im Erwachsenenalter. Für Mediziner heißt das z.B. ein Studium zu bewältigen ohne j e m a l s ein Buch ganz zu Ende lesen zu können! Leider hören auch mit der Approbation, ja der Niederlassung die Probleme mit Ordnung, Aufmerksamkeit gegenüber Reizen, erhöhter Ablenkbarkeit, überzogener Impulsivität nicht auf. Auch in akademischen Kreisen gibt es ADS, hier handelt es sich dann buchstäblich um “zerstreute Professoren!” Leider ist die ADS Erkrankung als solche nicht sehr bekannt. Noch immer gibt es Kollegen, die sich ein halbes Leben alleine damit herumgeschlagen haben. Immer wieder schämen sie sich oder machen Erfahrungen , die das eigene Selbstvertrauen massiv untermauern. Auch bei dieser Störung sind die Familien und Partnerschaften massiv mitbetroffen und oft gefährlich nah am Zerbrechen. In der Behandlung sollte unbedingt ein Fachmann / eine Fachfrau involviert sein. Zur ersten Information empfehle ich Bücher mit Berichten Betroffener, wie den Selbstbericht des US- Kollegen E. Hallowell (Lit Hallowell, Claus).
In persönlichen Krisensituationen, insbesondere bei Partnerschafts- Konflikten, bei Persönlichkeitsstörungen, Kommunikationsproblemen sind kürzere oder längere Psychotherapien geeignet Abhilfe oder Linderung zu verschaffen. Wenn Helfer sich ihre eigene Verwundung, Bedürftigkeit, und tiefere Wünsche anschauen, zugestehen und in ihr berufliches und privates Leben integrieren, kommt meist etwas Gutes dabei heraus (LIT. Gathmann). Dies gilt übrigens auch für die Gilde der Therapeuten (LIT Jaeggi).
Sollten Arbeitsstörungen im Gefolge eines Behandlungsfehlerverfahrens bei einem Arzt auftreten, so zeigen Beobachtungen, dass sich diese im Laufe von Monaten bis Jahren wieder spontan zurück bilden. Bei schwierigen Fällen und längerer Prozessdauer ist eine supportive Begleitung und Behandlung durch einen Spezialisten aber sinnvoll, auch zur Thematisierung von fremdaggressiven sowie autoaggressiven Komponenten und etwaige Schuldgefühlen.
Arbeitsstörungen nach Traumaerfahrungen sollten dagegen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt Anlaß geben, zu einem in der Traumabehandlung erfahrenen ( das ist heutzutage nur eine Minderheit !!) Therapeuten / in zu gehen. Es stehen hier nebeneinander die verhaltenstherapeutische Kurzzeit Behandlung mit nur wenigen (5-10) Gesprächen und die längeren tiefenpsychologischen bzw. interpersonellen Therapien (10 bis 50 Gesprächseinheiten).

V Schlussbemerkung

Alle obigen Arbeitsstörungen zusammen sind nicht annähernd so schädlich für die Ärzte selbst oder für ihre Patienten, wie die übergeordneten Bedingungen unseres gegenwärtigen Gesundheitssystems. Die Kombination von ausufernder Bürokratie (bisher letztes Beispiel die Patientenquittung zum Nulltarif), Stellenabbau, Rationierung und Punktwertverfall sind ernstzunehmende exogene Arbeitsstörungen! Für die meisten Ärzte zerstören sie viel an Motivation, Effizienz und Behandlungsqualität. Insofern es dem einzelnen Arzt /Ärztin unmöglich ist, dieses System zu verändern, habe ich mich auf die mehr endogenen, also in der persönlichen gesundheitlichen Situation des Arztes liegenden Formen und Ursachen von Arbeitsstörung konzentriert. Im individuellen Bereich könnte mancher Kollege / manche Kollegin von einer gezielten Problemlösung und Unterstützung massiv profitieren.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Bernhard Mäulen
Leiter Institut für Ärztegesundheit
Vöhrenbacher Str. 4
78050 Villingen-Schwenningen
docmaeulen@googlemail.com
LITERATUR

1. Berger, Peter (2000) Psychotherapie von Arbeitssucht. In Poppelreueter-Gross
(Hrsg.) Nicht nur Drogen machen süchtig). Beltz Verlag, Weinheim
2. Bürger-Prinz, Hans (1973) Ein Psychiater berichtet. Droemer Verlag, München
3. Claus, Dieter und Elsiabeth (2002) ADS -Das Erwachsenen Buch.
Oberstebrink Verlag, Ratingen.
4. Flintrop, Jens (2001) Mobbing im Krankenhaus, Deutsches Ärzteblatt.98,742-744
5. Gathmann, Peter (1996) Der verwundete Arzt. Kösel Verlag, München
6. Häffner, Steffen (2004) Psychosozialer Versorgungsbedarf bei Arbeitnehmern.
Psychotherapeut 49: 7-14
7. Hallowell, Edward (2000) Zwanghaft zerstreut. Rororo Verlag, Hamburg
8. Huber, Hans (1999) Bloß a Stupferle. Wegra Verlag, Tamm
9. Jaeggi, Eva (2001) Und wer therapiert die Therapeuten? Klett-Cotta, Stuttgart
10. Joy, Brugh (1990) Avalanche. Random House, New York
11. Jung, Carl (1962) Erinnerungen, Träume, Gedanken. Rascher Verlag, Zürich
12. Mäulen, Bernhard (2000) Arzt am Pranger- Behandlungsfehler und die Folgen.
Münchener Medizinische Wochenschrift, 142, Nr. 22 4-10
13. Mäulen, Bernhard (2003) Person und Persönlichkeitsstörung bei Ärzten
Münchener Medizinische Wochenschrift, 1442, Nr. 5-80.
14. Möntmann, Hans (2000) Achtung Arzt. Droemer Verlag, München
15. Redfield, Kay (1999) Meine ruhelose Seele. Goldmann Verlag, München
16. Trede, Michael (2001) Der Rückkehrer. Ecomed Verlag Landsberg