Abhängigkeit bei Ärzten

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Einleitung

Nach Berichten aus anderen Ländern ist das erhöhte Risiko für Abhängigkeitserkrankung bei Ärzten bekannt. Aufgrund der exponierten Stellung, dem abhangigkeitsimmanenten Abwehr- und Verdrängungsprozess sowie aufgrund befürchteter finanzieller oder berufsständiger Sanktionen vollziehen sich gerade bei Ärzten viele Abhängigkeitserkrankungen außerordentlich versteckt. Dies führt zu prolongierten Krankheitsverläufen, die nicht selten mit Suizidversuchen oder Suiziden enden. Die üblichen, in Deutschland verfügbaren Therapieangebote greifen gerade für den Berufskreis der Ärzte schlecht. Hierzu tragen viele Faktoren bei, insbesondere aber auch die in Deutschland – im Unterschied zu anderen Ländern – inaugurierte Behandlungsdauer von vier bis sechs Monaten, die für Freiberufler und Führungskräfte nicht zu verkraften ist. Andere, akzeptable Hilfsangebote sind in der Regel nicht bekannt. So wird für die Betroffenen eine oft ausweglos erscheinende Situation vorgegeben.

Um hier Abhilfe zu schaffen und auf funktionierende Hilfsangebote hinzuweisen, werden nachfolgend die Daten der – soweit bekannt ersten klinischen Studie aber Abhängigkeits- und Behandlungsverläufe von Ärzten vorgestellt. Die Zahlen fußen auf einer Erhebung über die ersten 90 abhängigen Ärzte (April 1984 – Juni 1990), die in der Oberberg-Klinik behandelt wurden.

Therapiemotivation und Wünsche

Wegen der meist prolongierten Suchtkarrieren und der damit entstandenen familiären und sozialen Probleme bestand bei fast allen Patienten der Wunsch nach schneller Aufnahme und effektiver Therapie. Wesentliche Bedürfnisse waren darüber hinaus nahtloser Übergang von Entgiftung in Entwöhnung und Nachbetreuung, kurze Therapiedauer und absolute Vertraulichkeit. Die meisten abhängigen Ärzte und Ärztinnen hatten gleichzeitig erhebliche Ängste vor dem Therapiebeginn, viele scheuten sich, finanzielle Hilfen der Ärzteversorgungen und Versicherung in Anspruch zu nehmen und benötigten Flexibilität, um Organisation und Vertretungen, z. B. in ihrer Praxis, regeln zu können. Andererseits waren die meisten Behandelten bereit, ein intensives, belastendes und direktes Therapieprogramm zu akzeptieren. Da den genannten Erwartungen und Bedingungen von uns entsprochen wird, kam es zu einer Häufung abhängigkeitserkrankter Arzte und Ärztinnen in dieser Klinik. Dies ist nach unserem Wissen in keiner anderen deutschen Klinik der Fall.

Ergebnisse

Von den behandelten 90 abhängigen Ärzten waren insgesamt 74, das entspricht 82,2 %, männlich und 16 (17,8 %) weiblich. Ein Drittel war altersmäßig in der Gruppe der 20- bis 40jährigen, 50% in der Gruppe der 41- bis 60jährigen sowie 16,7% über 60 Jahre alt.

Altersverteilung

20 – 40 Jahre 30 (33,3%)
40 – 60 Jahre 45 (50,0%)
über 60 Jahre 15 (16,7%)

Gut die Hälfte (55,5%) waren verheiratet, 15% geschieden und 8,9% lebten getrennt vom Ehepartner. 16,8 % der Untersuchten waren unverheiratet.

Interessant ist auch die Aufgliederung bezüglich des Aus- bzw. Weiterbildungsstandes. Es waren 9% der von uns untersuchten Ärzte in der Weiterbildung, die Majorität, nämlich 78,8%, waren Gebietsärzte und nur 12,2% ohne Gebietsbezeichnung.

Diese Zahlen reflektieren, dass eben viele Ärzte altersbedingt ihre Ausbildungszeit abgeschlossen hatten. So waren entsprechend 18,8% als Assistenzärzte, 13,2% als Chef- oder Oberärzte sowie 51,1% der von uns Untersuchten niedergelassen tätig.

Bezüglich der Fachgebiete fanden sich die Chirurgen mit 20% am häufigsten. Allgemeinmediziner waren mit 13,3% vertreten, gefolgt von Zahnärzten mit 12,2%. Gynäkologen stellten einen Anteil von 8,9% und Anästhesisten einen von 7,8%. Insgesamt konnten wir ein deutliches Obergewicht der operativen Fächer sowie der Allgemeinmedizin feststellen.

Aus- bzw. Weiterbildung

in Weiterbildung 8 (9,0%)
Gebietsärzte 71 (78,8%)
ohne Gebietsbezeichnung 11 (12,2%)

von den Gebietsärzten

Chirurgen 1
Allgemeinmediziner 12
Gynäkologen 8
Internisten 8
Anästhesisten 7
Zahnärzte 11

Entsprechend den internationalen Erfahrungen waren auch unsere Ärztepatienten bis zur stationären Aufnahme relativ gering in ihrer beruflichen Tätigkeit tangiert.

Frühere Tätigkeit seit med. Staatsexamen

Ärztliche Tatigkeit ohne längere Unterbrechung (kürzer 6 Mon.) 72 (80,0%)
mit längerer Unterbrechung (länger 6 Mon.) 8 ( 8,9%)
berufsfremd 1 (1,1%)
im Ruhestand 9 (10,0%)

Ärztliche Tätigkeit in den letzten 3 Monaten vor Klinikaufnahme

ohne ärztliche Tätigkeit 6
angestellt in nicht leitender Position 17
angestellt in leitender Position 12
selbständig 46
in Ruhestand 9

Nur 7,8% waren länger als 3 Monate arbeitsunfähig, 43,3% lediglich weniger als 3 Monate krankgeschrieben und immerhin 38,9% arbeiteten voll bis zur stationären Aufnahme

Arbeitsfähigkeit bis zur Aufnahme in die Klinik

arbeitsfähig 35 (38,9%)
arbeitsunfähig kürzer 3 Monate 39 (43,3%)
arbeitsunfähig länger 3 Monate 7 ( 7,8 %)
in Ruhestand 9 (10,0%)

Es überrascht nicht, dass berufliche Schwierigkeiten von den abhängigen Ärzten nur in geringem Umfang angegeben wurden. Lediglich bei 3,9% der abhängigkeitserkrankten Kollegen/innen war die Approbation entzogen worden oder ruhte, 7,8% hatten eine Kündigung erhalten und bei weiteren 6,7% war eine solche angedroht. Auflagen oder Abmahnungen durch die Ärztekammer gaben 3,3% an. Immerhin 1/3 unserer Patienten hatten keine beruflichen Schwierigkeiten bemerkt.

Hinsichtlich der Substanzen, von denen Abhängigkeit bestand, zeigte sich eine Prävalenz (44,4%) der Alkoholkranken. Mit 36,7% war am zweithäufigsten die Kombination von Alkohol- und Medikamentenmissbrauch/-abhängigkeit. Isolierte Abhängigkeit von Medikamenten gaben 7,8% der Patienten an. Entsprechend den allgemeinen Missbrauchsmustern in der Bevölkerung überwogen auch bei unseren Patienten bei weitem Benzodiazepine und Barbiturate. Bei immerhin 6,7% der Untersuchten lag ein Betäubungsmittelmissbrauch vor. Zwei Drittel hatten bereits früher Entgiftungen gemacht. Von diesen hatten wiederum zwei Drittel keine Entwöhnungsbehandlung angeschlossen. Bezogen auf die Gesamtbehandlung der Abhängigkeitserkrankung bedeutet dies: Ein erheblicher Anteil hatte nur sehr unvollständige Therapien gemacht.

Die Gesamtzeit der stationären Behandlung betrug bei knapp der Hälfte der Untersuchten bis zu sechs Wochen, ein weiterer Anteil von 24,4% brauchte zwischen sechs und acht Wochen, 30,1% länger. In diese Zeiten ist der Entzug bzw. die Entgiftung einbezogen.

Es kam zu einem erheblichen Anteil von Abbrüchen: 22,2% der Patienten beendeten die Therapie durch Selbstentlassung und in 5,6% erfolgte ein Therapieende unsererseits. Dieser hohe Anteil erklärt sich einerseits durch die kurzfristige, oft notfallmäßige Aufnahme, die weder Motivationstestung noch Vorbereitung durch die Patienten ermöglichte. Weiter spielt der Umstand, dass Entgiftung und Entwöhnung zusammengefasst sind, eine erhebliche Rolle. Reine Entgiftungsstationen kennen das Phänomen vorzeitiger Abbrüche, Entwöhnungskliniken erleben dies wegen stärkerer Vorauswahl seltener.

Diskussion

Die Ergebnisse stimmen weitgehend mit den Studien aus Gro8britannien und Amerika überein. Insbesondere in den USA gibt es mittlerweile breit abgesicherte und auch statistisch validierte Untersuchungen über abhängige Ärzte, deren Behandlungsverläufe und Therapieerfolge. In der größten dieser Untersuchungen, der multizentrischen Studie von Talbott, wurden insgesamt 1000 Behandlungen abhängiger Ärzte und Ärztinnen untersucht. Allein diese Zahl weist auf die Größenordnung des bei uns noch viel zu wenig rezipierten Problems hin.

Dass bei unseren Patienten und Patientinnen die männlichen Kollegen deutlich überwiegen, deckt sich mit den internationalen Beobachtungen. Möglicherweise aufgrund zeitlicher Unterschiede in der Entwicklung der Emanzipation lässt sich die in Amerika schon festzustellende Zunahme abhängiger Ärztinnen – jedenfalls an unseren Patienten und Patientinnen – nicht bestätigen. Wohl aber beobachten wir, ebenso wie die amerikanischen Untersuchungen, die Prävalenz der Altersgruppe der 41- bis 60jährigen. Ob die besondere Betroffenheit dieser Altersgruppe eher aus privaten oder beruflichen Gründen resultiert, muss offen bleiben. Keine wesentlichen Unterschiede zu den internationalen Beobachtungen gibt es hinsichtlich des Familienstandes, denn auch in den anderen Studien kommen Verheiratete am häufigsten vor. Die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit wird, insgesamt gesehen, zu häufig unterstellt. Weder in unserer noch in den internationalen Studien fanden sich Hinweise darauf, dass (auch fortgeschrittene) Alkohol- oder Abhängigkeitserkrankungen früh zur Berufsunfähigkeit führen. Es gelingt einem erheblichen Anteil der Betroffenen trotz und mit ihrer Abhängigkeit weiterhin beruflich tätig zu sein. Das erklärt die Diskrepanz zwischen bekanntgewordenen Abhängigkeiten bei Ärzten und Ärztinnen und der statistischen Erwartung dieser Anzahl (nach der Betroffenheit der Gesamtbevölkerung).

Das Überwiegen der niedergelassenen Ärzte im Vergleich zur Gesamtärzteschaft zeigt sich auch in Amerika und anderen Ländern. Genaue Gründe hierfür sind nicht bekannt, Es wird vermutet, dass Parameter wie ungeregelte Arbeitszeit, hohe Patientenzahl, Alleinverantwortung sowie finanzielle Drucksituationen zu einem hohen Berufsstress führen.

Deutliche Unterschiede im Verhältnis zu den USA zeigten sich bei den abhängigkeitsbedingten beruflichen Schwierigkeiten deutscher Ärzte. Insgesamt betrafen die härtesten Maßnahmen (Ruhen oder Entzug der Approbation) nur einen verschwindend kleinen Anteil. Von Kündigung war mit 7,8% der angestellten Ärzte zwar eine relativ größere, aber immer noch recht geringe Zahl betroffen. Es sei dahingestellt, ob es an der Dunkelziffer, der geringeren Sensibilität der Patienten, der Öffentlichkeit, der Kollegen oder der ärztlichen Organisationen liegt, dass hier berufliche Restriktionen für abhängige Ärzte weniger greifen. Wir vermuten, dass der Mangel an klaren Hilfsangeboten und klar definierter Vorgehensweisen zur Behandlung und beruflichen Re-Integration abhängiger Ärzte und Ärztinnen in Deutschland die Haltung des “Augen zu und durch” befördert.

Die Verteilung der missbräuchlich eingenommenen Substanzen zeigt ein deutliches Überwiegen des Alkohols. Dies spiegelt die Verhältnisse in der Normalbevölkerung und entspricht den Erkenntnissen von Talbott bei amerikanischen Ärzten. Häufiger als in der Gesamtbevölkerung ist bei Ärzten die Kombination von Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit. Viele Autoren haben vermutet, dass aufgrund der “Griffnähe” und möglicherweise auch schichtspezifischer Probleme die Prävalenz von Alkohol und Medikamentenmissbrauch bei Ärzten höher als bei anderen ist.

Innerhalb der Medikamente führen die Tranquilizer, es folgen Barbiturate und Amphetamine. Hier haben wir Unterschiede zu den USA, wo ein Opioid das am häufigsten missbrauchte Medikament ist. Die erhebliche Zahl von kokainabhängigen Ärzten in den USA lässt sich hier nicht finden. Dies reflektiert vermutlich gesellschaftsbedingte Einnahme- und Verbrauchsmuster, die gewissen Modeströmungen und auch vielleicht aggressiveren Rekrutierungen entsprechen.

Vorsichtig interpretiert werden sollten die Zahlen bezüglich der Überrepräsentanz bestimmter Gebietsärzte. Hier weist die Literatur ein sehr divergentes Bild auf, bei dem mal chirurgisch tätige, mal Haus- und Allgemeinärzte, mal Psychiater oder Anästhesisten als besonders gefährdet dargestellt werden. Offenbar spielen hier Unterschiede spezieller Klinikklientel, standesbedingte, strenge Maßnahmen – wie etwa bei den amerikanischen Anästhesisten -, Auswahlverfahren der entsprechenden Vergleichskollektive (pauschal oder alters- und geschlechtsspezifisch differenziert) eine wesentliche Rolle.

Die guten Erfolgsraten der stationären Aufenthalte bei unseren Patienten stimmen weitgehend mit der amerikanischen Literatur überein. Bei überdurchschnittlichen Anteilen können bleibende Abstinenz und Wiederaufnahme der Berufstätigkeit festgestellt werden. Diese Rehabilitationsresultate der USA sind möglich durch ein beaufsichtigtes, engmaschiges Programm, das mit einer intensiven Nachsorge gekoppelt ist. Vielfach folgen dort auf die stationäre Behandlung längere Aufenthalte in sogenannten “Übergangsheimen”. Außerdem erfolgen engmaschige Begleitungen und auch Blut-/Urinkontrollen durch die zuständigen Organe der Standesorganisationen. Für viele Kollegen in den USA wird die Approbation eingeschränkt und die volle Wiederzulassung an Bedingungen, wie z. B. regelmäßige Teilnahme an Selbsthilfegruppen, geknüpft. Vor diesem Hintergrund erklären sich die entsprechend hohen Zahlen, die auch von anderen Rehabilitationsprogrammen, etwa denen für abhängige Piloten, erreicht werden.

Ein praktikables Modell zur Hilfe bei suchtkranken deutschen Ärzten/innen

Ausgehend von den Erfahrungen bei der Behandlung suchtkranker Ärzte und Ärztinnen schlagen die Autoren folgendes konkrete Modell zur Hilfe vor:

Der erste Schritt ist die Erfassung der Betroffenen entweder über die Vorsitzenden der Ortsvereine oder, im klinischen Bereich, durch Chef- und Oberärzte. Weil häufig persönliche Beziehungen innerhalb der örtlichen Ärzteschaft bzw. innerhalb der Kliniken bestehen, kann dieser Personenkreis die Angehörigen (also nicht den Betroffenen und nicht die gefürchtete Kammer!), welche ja ebenfalls stark leiden, dazu anregen, eine besondere Hilfe zu veranlassen: das Interventionsprogramm.

Hierbei trainiert ein erfahrener Therapeut aus der Klinik vor Ort alle Hilfswilligen in ca. drei Sitzungen für eine vierte Gesprächsrunde mit den Betroffenen. In dieser vierten Sitzung (Intervention) stellen dann die Mitbetroffenen ihre eigene emotionale Betroffenheit und zwar ohne jede Schuldzuweisung dar. Ziel dieser Maßnahme ist die Oberwindung des Verleugnungs- und Verdrängungsmechanismus, der es dem Erkrankten verwehrt, seine Situation zu erkennen. Ein Abgleiten in Vorwürfe und Schuldzuweisungen würde die Abwehr nur noch festigen und das gewünschte Ziel – nämlich die Annahme von Hilfe zu ermöglichen – verhindern. Bei guter Vorbereitung erzielen wir mit dieser Intervention in drei Viertel aller Fälle Erfolg. Es kommt außerdem ein direkter Kontakt des Abhängigen mit der behandelnden Institution zustande.

Im zweiten parallelen Schritt wird die Ärzteversorgung, die Kassenärztliche Vereinigung und die Ärztekammer inoffiziell informiert. Alle Institutionen “beschützen” ihr Mitglied nach einer zu institutionalisierenden Vereinbarung während der Therapie. Die Kosten der Intervention trägt die Ärzteversorgung als Präventivmassnahme. Sie kann dadurch vermeiden, dass die betroffenen Mitglieder (unbehandelt) zu Frührentnern werden. Die eigentlichen Therapiekosten werden – wie es auch jetzt schon gut funktioniert – als Reha-Maßnahme teilweise von der Ärzteversorgung getragen. Hier ergibt sich keine Veränderung zu bestehenden Modalitäten. Die restlichen Teilkosten werden von der (so gut wie immer bestehenden) jeweiligen Privaten Krankenversicherung übernommen. (Die größte Ärzteversicherung in der BRD hat eine großzügige Unterstützung für dieses Programm zugesagt.) Eine Abstimmung zwischen der Ärzteversorgung und Privaten Versicherern ist im Einzelfall immer möglich und notwendig. Auch das wird schon praktiziert.

Wenn ein solches Vorgehen allseits koordiniert und institutionalisiert ist, lassen sich folgende Ziele für die Betroffenen und die Ärzteschaft erreichen:

  • Den betroffenen abhängigen Ärzten/innen würde die Annahme von Hilfe ermöglicht.
  • Bei einer solchen Institutionalisierung liebe sich die subjektiv empfundene Makelhaftigkeit einer Suchterkrankung wesentlich vermindern. Die Furcht “entdeckt” zu werden, würde geringer, der “Schutz” der Standesorganisation verminderte die Ängste. Die stationären Therapiezeiten ließen sich auf durchschnittlich sechs bis acht Wochen vermindern, was dem internationalen Standard eher entspricht als eine 4- bis 6-Monate-Therapie. Damit würde sie auch für niedergelassene Ärzte/innen akzeptabel.

Aus der Sicht der Ärztekammern und -versorgungen wäre erreicht, dass

  1. dem betroffenen Mitglied schnell, früh und effizient geholfen wird;
  2. die Ärztekammer ihrer Fürsorgepflicht genügt;
  3. die Ärztekammer bzw. ihre Leitenden sich nicht mehr persönlich in die Konfrontation mit Abhängigen begeben müssen, was in der Vergangenheit häufig zu erheblichen Schwierigkeiten führte;
  4. die Ärzteversorgung in vielen Fällen eine Frühinvalidität ihrer Mitglieder verhindern könnte.

Unsere Erfahrungen zeigen, daß eine kurze (ca. acht Tage) Wiederaufnahme der Betroffenen auch ohne Rückfall nach vier bis sechs Monaten in die ursprünglich behandelnde Einrichtung sinnvoll und hilfreich ist. Hier können im Sinne einer “Intervalltherapie” zwischenzeitlich auftretende Schwierigkeiten, Veränderungen in den familiären und sonstigen Bezügen, aber auch die Fortschritte im Sinne der persönlichen und beruflichen Lebensgestaltung therapeutisch begleitet und aufgearbeitet werden.

Literatur

  1. Mäulen, B., Gottschaldt, M., Feuerlein, W., Bonitz, G.: Abhängigkeit bei Ärzten – eine klinische Studie zu Betroffenen in der Bundesrepublik Deutschland. MMW 133 (1991) 28/29, 446 – 449
  2. GottschaIdt, M.: Gesucht: Praktikables Therapieangebot für Suchtkranke. MMW 133 (1991) 3 8, 12 – 14
  3. Gottschaldt, M.: Therapie des Managers. Suchtreport 3 (1987) 12 – 15
  4. Mäulen, B.: Suchttherapie in einer Managerklinik. Suchtgefahren 34 (1988), 55 – 57
  5. Talbott, G. D., Galegos, K. V., Wilson, P. O.: The Medical Association of Georgias impaired Physicans Programm. Review of the first 1 000 Physicans. J. A. M. A. 257 (1987 2927 – 2930

Matthias Gottschaldt Bernhard Mäulen

Medikamentenabhängigkeit
Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Hrsg.) ISBN 3-7841-0622-6