Oberbergkliniken therapieren suchtkranke Ärztinnen und Ärzte Behandlung von Kollegen ist eine Herausforderung

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Sie arbeiten bis zum Umfallen, stellen höchste Anforderungen an sich selbst, vernachlässigen nicht selten Familie und Privatleben. Sie sind krank und akzeptieren die Anzeichen dafür bei sich selbst nicht: suchtkranke Ärztinnen und Ärzte. Sieben bis acht Prozent dieser Berufsgruppe leiden unter der Suchtkrankheit. Im Vergleich dazu: In der Normalbevölkerung sind nur etwa drei Prozent betroffen. ¤P sprach darüber mit PD Dr. med. Friedhelm Stetter, Chefarzt der Oberbergklinik Extertal.

ÄP: Die Oberbergkliniken sind, das ist in Medizinerkreisen nicht unbekannt, ein Ort, an dem nicht zuletzt Ärztinnen und Ärzte behandelt werden, wenn sie aus verschiedenen Gründen süchtig geworden sind. Sind dies, im Vergleich zu anderen, besonders schwierige Patienten?
PD Dr. Stetter: Zu Beginn einer Therapie neigen Alkoholkranke generell dazu, ihren Alkoholkonsum zu verharmlosen oder scheinbar überzeugende Gründe für den Konsum anzugeben. Auch sind sie häufig nicht unmittelbar behand-lungsbereit. All diese Akzeptanz-probleme gelten für alkoholkranke Ärztinnen und Ärzte natürlich auch. Darüber hinaus aber sind weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Viele dieser Patienten prägt eine lange und zumeist intensive Abwehr, selbst an Grenzen gestoßen oder sogar krank zu sein. Dies steht im Widerspruch zu dem hohen Selbstideal des Arztes. Es bestehen daher fast immer Probleme, sich als Patient zu fühlen. Dies macht besonders die Initialphase einer Therapie vielfach zu einer Herausforderung für das behandelnde Team. Gerade weil es sich bei dem Patienten um eine Person mit hoher Sachkompetenz handelt, sind an die Information und fachliche Aufklärung bei diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen hohe Anforderungen zu stellen, ohne in ein Kollegengespräch zu verfallen. Von der zum Teil hohen Sachkompetenz des alkoholabhängigen Arztes darf keinesfalls auf die emotionale Kompetenz geschlossen werden. Vielfach besteht gerade hier ein besonders hohes Maß an emotionaler Bedürftigkeit und eine besonders große Angst, sich jetzt als Patient anderen anzuvertrauen. Auch Ärzte sind bei uns in erster Linie Patienten, sind also nicht als Kollegen anzusprechen. In der Klinik sind sie, weil sie Hilfe brauchen, und nicht, weil sie sich unter Kollegen mal über ihre Krankheit reden wollen.

ÄP: Was sind die Spezifika der Therapie in den Oberbergkliniken,, welche Phase der Behandlung ist aus Ihrer Sicht die komplizierteste?
PD Dr. Stetter: Zunächst ist zu erwähnen, dass Professor Matthias Gottschaldt, der Begründer der Oberbergkliniken, ein Rehabilitationsprogramm für suchtkranke Ärzte entwickelt hat, das wir nach seinem Tod in unseren drei Häusern fortführen. Neben der initialen Kontaktaufnahme (oft lange vor einer Therapie) und dann auch der Initialphase der stationären Therapie ist es wichtig, dass die Patienten sich in ihrer jeweiligen Individualität wahr- und ernstgenommen fühlen. Wird den Patienten ein festes und starres Therapieschema übergestülpt, löst dies häufig zusätzliche und unnötige Abwehr aus. Wir bemühen uns daher, die Therapie soweit als irgend möglich auf die individuellen Besonderheiten und Bedürfnisse eines jeden einzelnen Patienten zuzuschneiden. In den Oberbergkliniken wird die Therapiedichte und -intensität nach den Fähigkeiten des Patienten ausgerichtet . Bei vier bis sechs Therapiestunden pro Tag, darunter Einzel- wie auch Gruppentherapie, kann die Behandlungszeit von bisher üblichen vier Monaten oder mehr auf sechs bis acht Wochen reduziert werden.

ÄP: Welche Trends in der Suchttherapie zeichnen sich ab?
PD Dr. Stetter: Gegenwärtig ist ein Trend zu kürzeren stationären Therapien und auch hin zu ambulanter Behandlung zu beobachten. Aus meiner Erfahrung ist jedoch eine beliebige Zeitverküzung von Entwöhnungstherapien nicht möglich, wenn man die bisher erzielten Erfolge beibehalten will. In den USA werden z. B. in der Regel nur noch sehr kurze stationäre und niederfrequente ambulante Therapien angeboten. Wenn man den Studien glauben kann, leben inzwischen allenfalls nur halb so viel Patienten mittel- und langfristig abstinent, wie dies gegenwärtig bei uns der Fall ist. Es wächst darüber hinaus die Bedeutung der ambulanten Therapie. Dies gilt insbesondere für initiale Kontakt- und Motivationsschritte, die in der hausärztlichen, psychiatrischen oder psychotherapeutischen Praxis sowie auch in Kliniken der Inneren Medizin oder Chirurgie umgesetzt werden können. Die Mehrzahl der Alkoholabhängigen wird jedoch früher oder später eine stationäre Entwöhnungsbehandlung benötigen. Danach setzt die ambulante Nachsorge ein.

ÄP: Welche Prognose haben Sie für das Suchtverhalten in unserem Land sowohl bei der Bevölkerung im allgemeinen wie auch innerhalb der Ärzteschaft?
PD Dr. Stetter: Verfolgt man die Medien, so könnte man glauben, das größte Suchtproblem in Deutschland seien die Heroin-Abhängigen. Dies ist jedoch eine Minderheit. Weitaus problematischer ist eindeutig die Alkoholabhängigkeit, gefolgt von der Medikamenten-Abhängigkeit. Innerhalb der Ärzteschaft ist es schwer abschätzbar, ob sich tatsächlich eine größere Offenheit für Suchterkrankungen entwickeln wird. Erfreulich ist, dass vereinzelt an den Universitäten inzwischen eine bessere Ausbildung der Medizinstudenten im Hinblick auf Suchterkrankungen gewährleistet wird. In den meisten Landesärztekammern hat sich die suchtmedizinische Grundversorgung als Weiterbildungsangebot etabliert. Inwieweit davon Gebrauch gemacht wird, bleibt abzuwarten, zumal die Honorierung entsprechender Leistungen bislang zu wünschen übrig lässt. Im Hinblick auf selbst von einer Suchtkrankheit betroffene Ärztinnen und Ärzte tut sich ebenfalls einiges: Es gibt Hilfsangebote von Ärztekammern und Aufsichtsbehörden. Die Betroffenen und ihre Angehörigen können sich natürlich auch direkt an uns wenden.
(Das Gespräch für die Ärztliche Praxis führte Annegret Hofmann.)

Weitere Informationen: Telefonischer Beratungsdienst der Oberbergkliniken: 0180 – 5 25 74 05