Erfahrungen mit dem Hilfsangebot der Ärztekammer Hamburg an suchtkranke Ärzte

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Vor gut 8 Jahren wandte sich die Ärztekammer Hamburg zum Thema “Sucht und Abhängigkeitsprobleme bei Ärtzinnen und Ärzten” erstmals mit einem Informationsblatt an ihre Kammermitglieder.Die Botschaft lautete:
Suchtprobleme in der Ärzteschaft sind Untersuchungen zufolge im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung überrepräsentiert. Die Gründe hierfür liegen allem Anschein nach in der erheblichen beruflichen Belastung, die ein entscheidender suchtfördernder Faktor sein kann. Gefährdet sind besonders Ärztinnen und Ärzte im fortgeschrittenen Lebensalter, die in freier Praxis tätig sind. Alkohol ist dabei das bei weitem am häufigsten gebrauchte Suchtmittel.
Interventionsprogramme für suchtkranke Angestellte in der Industrie haben gezeigt, dass der Therapieerfolg am größten ist, wenn die Behandlung im frühen Stadium der Erkrankung beginnt. Hierbei wurde deutlich, dass Betroffenen in einer hohen sozialen Stellung für Interventions- und Hilfsprogramme schwerer erreichbar sind, so dass bei diesen am Ende der Suchtkrankheit erschreckend häufig ein Suizid steht.
In dieser Mitteilung steckt die unbequeme Wahrheit und Erkenntnis: Auch Ärzte werden suchtkrank, und sie benötigen rechtzeitig professionelle Hilfe wie jeder andere Betroffene.

 

Unbequem ist diese Einsicht, weil “Schnapsdrossel” und “Schluckspecht” so gar nicht in das Arztbild der Gesellschaft passen und natürlich auch dem Selbstverständnis des Arztes in keiner Weise entsprechen. Kein Wunder also, dass die Mechanismen der Verdrängung im beruflichen und privaten Umfeld eines suchtkranken Arztes mit besonders großer Perfektion funktionieren; dabei macht es keinen Unterschied, ob der Arzt im Krankenhaus oder in der Praxis arbeitet. Noch ein anderer wichtiger Aspekt ist von kausaler Bedeutung: Dem suchtkranken Arzt drohen früher oder später apporbationsrechtliche Konsequenzen, d.h. seine berufliche Existenz steht auf dem Spiel, da die Sucht zu den Krankheiten zählt, die mit einer Ausübung der ärztlichen Tätigkeit nicht vereinbar sind. Kein Wunder also, dass die verantwortlichen Stellen, wie Behörde, Kassenärztliche Vereinigung und Kammer, von den Suchtkarrieren ihrer Kammermitglieder erst sehr spät und nur in einem sehr geringen Prozentsatz der vorkommenden Fälle erfahren. Ich schätze diese Zahl auf nicht mehr als 1%.
Die Folgen für den Betroffenen sind prolongierte Krankheitsverläufe, die zu katastrophalen Verhältnissen im persönlichen wie beruflichen Umfeld sowie zu schlimmsten körperlichen Schäden führen. Leidtragende sind selbstverständlich auch die Patienten, die nicht selten, trotz offenkundiger Alkoholprobleme, lange Zeit ihrem Arzt die Treue halten.
Ich erinnere mich an einen Fall eines etwas 40jährigen Allgemeinartzes, dessen Patienten über Wochen und Monate oft einen ganzen Vormittag geduldig auf sein verspätetes Eintreffen – nicht selten im alkoholisierten Zustand – in der Praxis warteten.
Es muß nicht besonders betont werden, dass der suchtkranke Arzt durch erhöhte Behandlungsfehler-Anfälligkeit für seine Patienten zu einem unkalkulierbaren Gesundheitsrisiko wird.



Dies alles sind Gründe genug für die Ärztekammer als berufsaufsichtsführende Körperschaft, sich diesen unangenehmen Wahrheiten zu stellen und im eigenen Verantwortungsbereich den Handlungsspielraum auszuloten. Dies gilt umsomehr, als nach meinen Erfahrungen im Krankenhausbereich Interventionsmöglichkeiten bei Sucht- und Abhängigkeitsproblemen von Ärzten nicht, zumindest nicht mit dem nötigen Maß an Entschiedenheit, genutzt werden.
Die Ärztekammer hat bislang bei Suchtproblemen ihrer Kammermitglieder ihre Aufgaben ausschließlich im ordnungspolitischen Bereich gesehen. Mit anderen Worten: Die Instrumente der Berufsordnung und Berufsgerichtbarkeit wurden von der Kammer als Ermittlungsbehörde gegenüber süchtigen Kammermitgliedern eingesetzt mit dem einzigen Ziel, über die zuständige Behörde den Widerruf oder das Rügen der Approbation zu erreichen.
Der zweifellos richtige Leitgedanke hierbei ist, die Öffentlichkeit, sprich die Patienten, vor der Gefahr zu schützen, die sicherlich von einem suchtkranken Kammermitglied ausgeht, wenn es ärztlich tätig ist. Ganz außer Acht bleibt dagegen, das Sucht und Abhängigkeit Krankheiten sind und folglich Kammermitglieder, die an dieser Krankheit leiden, nicht der Strafe, sondern der Hilfe, auch der Hilfe ihrer Ärztekammer bedürfen. Das Prinzip, Hilfe geht vor Strafe, gilt es also auch hier zu beachten.

 

Welche Hilfsmöglichkeiten sind es, die den suchtgefährdeten und suchtkranken Kammermitgliedern angeboten werden können?

Die Ärztekammer kann und muß zunächst deutlich machen, dass es ihr im Rahmen der Fürsorgepflicht gegenüber den Mitgliedern ein hohes Anliegen ist, Betroffenen mit Rat und Tat so schnell wie möglich zu helfen. Die Kammer kann das dadurch, dass sie beim Auffinden des Weges zu einer qualifizierten Entzugs- und Entwöhnungsbehandlung im stationären oder ambulanten Bereich behilflich ist. Sie muß hierbei dem therapiebereiten suchtkranken Arzt signalisieren, dass sie sich als Verbündete versteht, und bereit ist, alles zu tun, damit die berufliche Existenzgefährdung als Folge der Suchterkrankung abgewendet werden kann.
Es gilt auch, Betroffene darüber aufzuklären, dass die nicht geringen Behandlungskosten einer stationären Therapie meistens als Reha-Maßnahme von dem Ärztlichen Versorgungswerk und/oder der privaten Krankenversicherung gegebenenfalls auf dem Kulanzweg übernommen werden können. Der Betroffene soll außerdem wissen, dass es einige Klinken gibt, die sich speziell auf die Behandlung süchtiger Ärzte und Angehöriger vergleichbarer Berufsgruppen spezialisiert haben. In solchen Einrichtungen ist deshalb mit einer vergleichbar hohen Therapieerfolgsquote und einer relativ kurzen stationären Beha
ndlungszeit zu rechnen. Das sind Informationen, die insbesondere dem niedergelassen Arzt den Entschluß zu stationären Therapie erleichtern.
Schließlich geht es auch darum, Vorsorge zu treffen für die Zeit nach Entlassung aus der stationären Behandlung, um den Therapieerfolg durch eine qualifiziert ambulante Nachbetreuung zu sichern.



Speziell in dieser Phase der Behandlung ist die Ärztekammer bereit, sich auch aktiv handelnd einzubringen, d.h., sie will Bindeglied in einem effizienten Sicherungssystem für den Betroffenen sein, damit rechtzeitig ein Rückfall oder die Gefahr eines Rückfalls in die Suchterkrankung erkannt werden kann.
Bei Rückfällen ist es besonders wichtig, betroffenen Mitgliedern zu vermitteln, dass der eingetretene Rückfall keine Katastrophe ist, sondern vielmehr ein oft unvermeidlicher Teil der Sucht ist, dass eine qualifizierte Therapie auch nach einem Rückfall wieder erfolgreich sein wird. Die Kammer bleibt also auch bei eingetretenem Rückfall Verbündete im Bemühen um eine langfristig erfolgreiche Behandlung der Krankheit zur Sicherung der beruflichen Existenz des Betroffenen.
Dies sind die Prinzipen unseres Interventionskonzeptes. Daran knüpft sich die Frage: Wie erreicht die Ärztekammer im Bedarfsfall den oder die Betroffenen und wie sieht das konkrete Handeln der Kammer im Einzelfall aus?
Die Erreichbarkeit suchtkranker oder suchtgefährdeter Kammermitglieder ist und bleibt ein nicht gelöstes Problem. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass Aufklärung, Information und Appelle eher im persönlichen Umfeld als bei den Süchtigen selbst kritische Reflektion und gegebenenfalls Nachfragen bei der Ärztekammer bewirken. Es ist die große Ausnahme, dass Betroffenen von sich aus sich hilfesuchend an die Kammer wenden. Die Regel ist dagegen, dass die Ärztekammer über Familienangehörige, Praxismitarbeiter oder den Apotheker um die Ecke erste Informationen über Suchtprobleme eines Kammermitgliedes erhält.
Demgegenüber ist es bisher niemals vorgekommen, dass wir aus dem Kreis der Kollegen auf nicht übersehbare Alkoholprobleme eines Kammermitgliedes aufmerksam gemacht worden sind. Die Übermittlung dieser Information erfolgt selten schriftlich, sondern meistens telefonisch oder im persönlichen Gespräch, wobei Informanten stets bemüht sind, das Problem zunächst in abstrakter und anonymisierter Form zu schildern. Erst die Erläuterungen zu unserem Interventionsprogramm schaffen die Bereitschaft uns den Namen des betroffenen Kammermitgliedes zu nennen. Meist wird dies verbunden mit der dringenden Bitte, keinesfalls als Informant genannt zu werden.



Wir haben es uns zum Prinzip gemacht, dieser Bitte stets im vollen Umfang zu entsprechen, wohlwissend, dass in einem Erstgespräch mit dem Betroffenen uns sofort die Frage gestellt wird, von wem die Information über “angebliche Suchtprobleme” ihre Person betreffend stammen. Krankheitsbedingt steht diese Frage meist ausschließlich im Zentrum seines Interesses.
Wir führen ein solches Gespräch in der Regel unverzüglich nachdem uns die Information über die Suchterkrankung erreicht hat, indem wir unser Kammermitglied entweder in der Praxis aufsuchen oder zu einem Gespräch in die Ärztekammer bitten. Hierbei ist es nicht unser Ziel, durch einen großen Überraschungseffekt zu Gesprächsbeginn, den oder die Betroffene quasi zu überrumpeln. Wir bemühen uns vielmehr, in einem freundlich zugewandten und verständnisvollen Gespräch deutlich zu machen, dass die Kammer über die Suchtproblematik in allen Einzelheiten informiert und bereits ist, bei der Behandlung der Suchtkrankheit helfend zu Seite zu stehen. So sichern wir dem Kammermitglied zu , dass wir in dem Falle, dass unverzüglich eine qualifizierte Entzugs- und Entwöhnungsbehandlung begonnen wird, weder Behörde noch KV, noch sonstige Dritten irgendwelche Informationen weitergeben, obgleich dies eigentlich unsere Pflicht wäre. Es soll damit quasi ein schützender Raum geschaffen werden, in dem unser Kammermitglied ohne die Sorge der Existenzbedrohung eine qualifizierte Suchbehandlung beginnen und durchführen kann.
Falls gewünscht, sind wir behilflich, einen geeigneten Praxisvertreter zu finden. Ebenso bieten wir unsere Vermittlung zur Klärung der Frage an, ob und wie die Behandlungskosten durch das Versorgungswerk und/oder die private Krankenversicherung erstattet werden können.



Es liegt auf der Hand, dass der suchtkranke Arzt in einem solchen Gespräch trotz unseres deutlichen Hilfsangebotes zunächst voller Abwehr reagiert. Die der Kammer zugegangene Information über die Suchtprobleme wird als bösartige Verleumdung, Diffamierung und unverschämte Unterstellung abgetan. Nicht selten gipfelt dies in handfesten Beschimpfungen der Kammervertreter und Drohungen mit Anwalt, Gericht und Dienstaufsichtsbeschwerde. Solche Reaktionen voraussehend, wehren wir gleichwohl jeden Versuch unseres Kammermitgliedes ab, uns in Rechtfertigungszwang hinsichtlich der Kenntniserlangung über die Suchterkrankung zu bringen. Stattdessen übergeben wir dem Betroffenen ein Konvolut an Informationsmaterial zum Thema “Suchtprobleme des Arztes”, einschließlich spezieller Therapieangebote. Wir empfehlen, sich diese Unterlagen anzuschauen und gegebenenfalls in den nächsten Tagen wieder mit uns in Verbindung zu setzen, um mitzuteilen, ob der oder die Betroffene bereit ist, das Hilfsangebot der Kammer anzunehmen.
Unsere jetzt achtjährige Erfahrungen haben gezeigt, dass alle Betroffenen spätestens am nächsten Tag uns ihre Zustimmung signalisiert haben, so dass innerhalb weniger Tage danach eine stationäre Entzugsbehandlung in einer geeigneten Threapieeinrichtung begonnen werden kann. Dies zeigt, das Motivierung zur Entzugs- und Entwöhnungbehandlung ist bei Intervention der Kammer im Einzelfall stets problemlos möglich.
Das eigentliche Problem ist vielmehr, suchbetroffene und suchtgefährdete Kammermitglieder rechtzeitig zu erreichen. In Hamburg gelingt dies alles in allem derzeit nur in 5 bis 10 Fällen pro Jahr, eine sehr niedrige Zahl, bezogen auf geschätzte 500 Ärztinnen und Ärzte, die in unserem Kammerbereich suchtkrank sein dürften. Die Schätzung beruht auf der Annahme einer Prävalenzrate von etwa 5% bei ca. 10.500 gemeldeten Mitgliedern.
Ein anderer Weg, suchtgefährdete Kammermitglieder anzusprechen, bietet sich über das geregelte Verfahren staatsanwaltlicher Mitteilungen in Strafsachen an die Ärztekammer an.



Wir haben es uns zur Regel gemacht, in allen Fällen, in denen diesen Strafsachen ein Alkoholdelikt zugrunde liegt, betroffene Kammermitglieder zu einem persönlichen Gespräch in die Ärztekammer zu landen. Hier wird ohne Umschweife die Frage einer möglichen Alkoholabhängigkeit als Ursache für das Alkoholdelikt im Straßenverkehr, um das es in den meisten Fällen geht, offen und kollegial angesprochen. So schwierig solche Gespräche im Einzelfall sind, so sinnvoll sind sie im Hinblick auf ihren Erkenntniswert für die Kammer und Chance einer rechtzeitigen Intervention für das suchtkranke Mitglied. Es hat sich als zweckmäßig erwiesen, solche Gespräche zu zweit zu führen, um beobachtete Anzeichen die für eine Suchterkrankung sprechen, besser beurteilen und neutraler bewerten zu können. Führen solche Gespräche zu keinem klaren Ergebnis, wird von seiten der Kammer auf eine ärztliche Untersuchung durch einen sachverständigen Gutachter gedrängt. Insgesamt ist der Anteil an Suchtkranken, die durch Alkoholdelikte auffallen, eher gering und dürfte bei kaum mehr als 10% liegen.
In der weiteren Betreuung suchtkranker Kammermitglieder, die sich auf Intervention der Kammer in stationärer Behandlung befinden, hat sich eine enge Zusammenarbeit zwischen Suchtklinik und Kammer sehr bewährt. Grundlage dieser Zusammenarbeit ist ein sogenanntes Curriculum, eine Vereinbarung zwischen Klinik und Patient, die im Wesentlichen folgendes vorsieht:
Der Patient stimmt zu, dass die Kammer ein Kopie des Klinikentlassungsberichtes zur Kenntnis erhält. Der Patient verpflichtet sich, nach abgeschlossener stationärer Behandlung in etwa im monatlichen Rhythmus sich ambulant in der Klinik vorzustellen, um durch körperliche und psychologisch-psychatirsche Untersuchungen sowie Labortests sein Abstinezverhalten zu bestätigen.

Bei positivem Verlauf wird nach insgesamt einem Jahr die ambulante Nachbetreuung durch die Klinik abgeschlossen und gegenüber der Kammer entsprechend bescheinigt. Im Verlauf desselben Jahres soll der Betroffene außerdem regelmäßig eine Selbsthilfegruppe wohnortnah besuchen. Darüber hinaus vereinbart die Kammer auf freiwilliger Basis mit dem betroffenen Kammermitglied, unangekündigt und in unregelmäßigen Abständen die Einhaltung der Abstinenz durch geeignete Maßnahmen selbst zu überprüfen. Hierbei kann es sich um Telefongespräche mit dem Kammermitglied, unangemeldetes Erscheinen in seiner Praxis oder kurzfristig terminierte persönliche Gespräche in der Kammer handeln.
Beinhaltet das Suchtproblem eine Polytoxikomanie, werden von der Kammer entsprechende Urin- und Blutuntersuchungen durchgeführt bzw. veranlaßt. Diese Überprüfungen werden mindestens über ein Jahr in sehr unregelmäßigen Abständen vorgenommen. Sie sind bei Opiat- und Medikamentenabhängigkeit nach unseren Erfahrungen ein conditio sine qua non. Bei der Abgabe von Urinproben hat es sich bewährt, sie im Zweifelsfall unter den Augen eines Kammermitarbeiters zu gewinnen. Für unsere Handlungsdevise, Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, haben wir auch in solchen Situationen stets das Verständnis des Betroffenen gefunden. Nicht selten vereinbaren wir deshalb mit ausdrücklicher Zustimmung des Betroffenen die Einbindung von Personen aus dem persönlichen oder beruflichen näheren Umfeld, gegebenenfalls auch den behandelnden Hausarzt, in das Netzwerk, um frühzeitig die Gefahr eines Rückfalles erkennen zu können.
An dieser Stelle sei noch einmal betont, dass alle diese Maßnahmen mit ausdrücklichem Einverständnis des Mitgliedes zuvor auf freiwilliger Basis vereinbart werden.


Besonders erfreulich ist, dass nach all unseren Erfahrungen die von uns in dieser Weise betreuten Mitglieder dies keineswegs als Zumutung und Gängelung, sondern für sich selbst als Hilfe bei Einhaltung der Abstinenz empfinden. Es ist klar, dass dies alle für uns als Kammer eine erhebliche und teilweise zeitaufwendige Mehrarbeit bedeutet. Dies nehmen wir im Hinblick auf einen langfristigen Therapieerfolg, zu dem die Kammer aktiv in der beschriebenen Weise beitragen kann, gerne in Kauf.
Fakt ist, dass die Kammer nur in einem einzigen Fall einen schweren Rückfall in die Sucht nicht verhindern konnte. In allen anderen Fällen haben unsere Kammermitglieder nach Beendigung der ambulanten Nachbetreuungsphase die Suchttherapie erfolgreich beendet und die ärztliche Tätigkeit in vollem Umfang wieder aufgenommen.
Diese erfreuliche Bilanz ist per se sicher ein eindeutiger Beweis dafür, dass die Interventionsstrategie der Kammer bei Suchtproblemen ihrer Mitglieder in Konzept und Umsetzung richtig, wünschenswert und notwendig ist.
Nicht nur aus der Sicht des Betroffenen ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei den beschriebenen Bemühungen der Kammer positiv zu sehen. Gleichwohl sind einige Dinge noch keineswegs zufriedenstellend geregelt.
So könnte nach unserer Erfahrung die Sicherung des Therapieerfolges in der ambulanten Nachhbehandlungsphase durch Einrichtung einer Selbsthilfegruppe speziell nur für Ärzte oder Angehörige aller Heilberufe verbessert werden. In den meisten Fällen fühlen sich unsere Kammermitglieder in den wohnortnahen Selbsthilfegruppen, deren Mitglieder aus allen sozialen Schichten kommen, meistens nicht gut aufgehoben. Hinzu kommt die Angst, dass sie unter Umständen in der Selbsthilfegruppe ihre eigenen Patienten wiederfinden könnten. Wir würden die Räume der Ärztekammer jederzeit gerne einer Selbsthilfegruppe für süchtige Ärzte/Ärztinnen zur Verfügung stellen.



Keinesfalls zufrieden sind wir mit der schlechten Erreichbarkeit betroffener Kammermitglieder für unser Hilfs- und Interventionsangebot. Nicht nur bessere und gezielter Informationen hierüber sind notwendig, sonder es bedarf auch der Unterstützung der professionellen Helfer, um mehr suchtgefährdete und suchtkranke Kammermitglieder erreichen zu können. Ich meine damit die Mitarbeiter von Suchtberatungsstellen und die fachkompetenten behandelnden Ärzte, die ihre Patienten, sowie sie Ärzte bzw. Kollegen sind , gezielt auf das Hilfsangebot der Kammer hinweisen sollten. Meines Wissens geschieht das bislang nur in wenigen Ausnahmefällen.
Beiträge in den verschiedenen Medien zum Thema Suchtkrankheit bei Ärzten bewirken nach unseren Erfahrungen immer nur kurzfristig eine Erhöhung der Nachfrage nach unseren Hilfsangeboten Dabei ist es auch vorgekommen, dass Mitglieder anderer Heilberufskammern, die kein vergleichbares Angebot vorhalten, die Hilfe der der Ärtzekammer Hamburg erbeten und selbstverständlich auch erhalten haben.
Mein Fazit aus alledem ist: Die Devise “Hilfe statt Strafe” ist ein absolut richtiges Handlungsprinzip für die Ärztekammer im Verhalten gegenüber suchtkranken Mitgliedern. Der Aufwand hierfür lohnt sich mit Sicherheit. Unser Interventionsprogramm können wir mit voller Überzeugung anderen Kammern zur Nachahmung empfehlen.

Klaus Heinrich Damm

Quelle: Zerdick, Joachim (Herausgeber), Suchtmedizin im Dialog, 9. Suchtmedizinischer Kongress der DGS, Schriftenreihe der DGS e.V. Band 5, Verlag für Wissenschaft und Bildung, Berlin 2001, S. 251-258

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