Ärzte und Sucht (kurze Übersicht mit Beispielen)

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Wenn der Doktor eine Fahne hat
Es geht Ihnen immer noch im Kopf herum: Ein neuer Patient ist heute in der Praxis gewesen, und beim Abschied hat er so nebenbei erwähnt: “Also, bei Ihnen fühle ich mich ja wieder gut aufgehoben, aber der letzte Doktor, der hatte immer eine ziemliche Fahne…” Vom Alkoholproblem des Kollegen hören Sie nicht zum ersten Mal. Wie sollen Sie sich nun verhalten? Stillschweigend drüber weggehen? Kammer oder KV informieren? MMW-Autor Dr. Bernhard Mäulen, Arzt und Psychologe, beleuchtet die diversen Aspekte der Sucht bei Ärzten.

Jeder kennt einen Arzt mit Suchtproblemen, viele sprechen über ihn, die Betroffenen selbst halten sich bedeckt. Sie arbeiten täglich in ihrer Praxis, fahren auf Hausbesuche, und das alles unter dem Einfluss von Alkohol und/oder Medikamenten. Die süchtigen Ärzte sind stark bemüht nicht aufzufallen, sie erkennen das Ausmaß des Problems nicht, und die Kollegen, die es mitbekommen, wissen oft nicht, was sie tun sollen.

Dabei ist das Thema “Arzt und Sucht” längst kein Tabu mehr. Es gibt solide Erkenntnisse über arztspezifische Behandlungsprogramme, die auch in deutsche Lehrbücher Eingang gefunden haben. Zugleich ist die Wachsamkeit der Gesellschaft, der Verwaltungen in Krankenhäusern und auch die der Verkehrs- und Approbationsbehörden gegenüber süchtigen Ärzten gröber geworden. Das bedeutendste Hindernis für effektive Hilfe sind die – unbegründeten – Ängste der Betroffenen, durch ein Zugeben des Suchtproblems beruflich Schaden zu nehmen, und mangelnde Konfrontationsbereitschaft der indirekt Mitbetroffenen (Partner in der Praxis, befreundete Kollegen, Ehegatten etc.).

Suchtstoff Nummer eins ist der Alkohol Bei einer Prävalenz von 7% für alle Suchtstoffe und ausgehend von knapp 300 000 Ärzten und Ärztinnen sind vermutlich über 20.000 Ärzte in Deutschland irgendwann im Leben suchtmittelabhängig oder gefährdet. Suchtstoff Nummer eins ist der Alkohol – und das obwohl man annehmen könnte, dass Ärzte mit ihrem direkten Kontakt zu Patienten und Personal eher ein Suchtmittel wählen, das keine “Fahne” macht und sich leichter verbergen lässt. Obwohl Medikamente für Ärzte überdies sehr leicht verfügbar und oft kostenfrei sind, sind sie erst Suchtmittel zweiter Wahl. Eigene Untersuchungen bei einer größeren Gruppe (n=400) stationär in der Oberbergklinik behandelter Ärzte und Ärztinnen ergaben folgende Suchtmittelverteilung:

  • Missbrauch/Abhängigkeit von Alkohol 50,3%
  • Missbrauch/Abhängigkeit von Medikamenten 6%
  • Missbrauch/Abhängigkeit von BTM-Substanzen 5%
  • Missbrauch/Abhängigkeit von Alkohol + Medikamenten 30,7%
  • Missbrauch/Abhängigkeit von Alkohol + Medikamenten + BTM 3,5%
  • Missbrauch/Abhängigkeit von BTM + Medikamenten 2,8%

Alkohol allein sowie in Verbindung mit Medikamenten war für mehr als 8o% der abhängigen Ärzte Mittel der Wahl.

So tarnen sich trinkende Kollegen

Sei es durch die persönliche Routine, durch die Qualität der Ausbildung, durch die Korrekturfunktionen von Kollegen oder Praxispersonal – über längere Strecken scheinen viele suchtkranke Ärzte nach außen wenig auffällig. Sie selbst merken sicherlich, wie dünn das Eis ist, die Angehörigen erkennen oft als Erste die sich abzeichnende Veränderung, aber am Arbeitsplatz hält die Maske. Oft gelingt es auch etwa einem alkoholkranken Arzt in fortgeschrittenem Krankheitsstadium, durch eine vierwöchige Abstinenz allen “Gegnern” zu beweisen, er könne nicht alkoholkrank sein. Viele wissen nicht, dass diese “Gegenbeweise” eine markante Alkoholkrankheit keineswegs ausschließen. Wenn also die üblichen Kennzeichen eines Abhängigen bei suchtkranken Ärzten kaum oder gar nicht anzutreffen sind, wie können wir abhängige Kollegen erkennen und ihnen helfen? Es gibt eine Reihe von Zeichen, die in Tabelle 1 aufgeführt sind. Generell sind folgende Auffälligkeiten wegweisend:

  • Vereinsamung, Rückzug,
  • nachlassende Korrektheit (Unpünktlichkeit, häufige Fehlzeiten, nachlässige Dokumentation),
  • Zunahme familiärer Probleme,
  • Gerüchte über Suchtprobleme.

Alle oben genannten Zeichen sind keineswegs spezifisch, es können auch andere Gründe dahinter stehen (Trennung, Scheidung, Finanzprobleme etc.). Wenn ich aber im Rückblick auf viele Hundert Krankengeschichten abhängiger Ärzte die sich ergebenden Auffälligkeiten zusammenfasse, so überwiegt keineswegs der “asymptomatische” Verlauf, der nur von Personen mit akribischem Spürsinn hätte erkannt werden können! Nein, häufig gab es auch – zumindest punktuell – klare und eindeutige Hinweise, die für jeden Nichtmediziner ausgereicht hätten, in der Realität aber von Standeskollegen nicht beachtet oder aktiv vertuscht wurden.

Wie reagieren die Kollegen, wie sollten sie reagieren?

Bevor Sie weiterlesen, schlage ich ein kurzes Gedankenexperiment vor. Vergegenwärtigen Sie sich eine der folgenden Situationen, die Sie vielleicht erlebt haben:

  • Ein Patient kommt in Ihre Praxis und berichtet Ihnen, zu seinem bisherigen Hausarzt gehe er nicht mehr, der räche so oft nach Alkohol.
  • In Ihrem engeren beruflichen Umfeld taucht immer wieder der Name von Kollege X auf, meist im Zusammenhang von Suchtmittelmissbrauch.
  • Ein sichtlich betrunkener Arzt wird Ihnen von der Polizei zur Blutabnahme gebracht.

Falls Sie solche oder ähnliche Situationen erlebt haben, erinnern Sie sich bitte: Wie haben Sie sich gefühlt? Was haben Sie unternommen? Haben Sie den betroffenen Kollegen direkt angesprochen?

Blutprobe verschwinden lassen?

Meist reagieren Kollegen mit:

  • Weghören, Ausweichen (“Das muss Herr Kollege X mit sich abmachen”),
  • Ungläubigkeit (“Da müssen Sie sich täuschen”),
  • Beschwichtigung (,,Im Moment hat er viel um die Ohren, das kann jedem passieren”),
  • allgemeinen Andeutungen (,,Du siehst schlecht aus”), die die Betroffenen schnell abtun können,
  • Vertuschung (inkriminierende Blutproben verschwinden, Fehler werden kollegial ausgebügelt).

Viele Verhaltensweisen ähneln denen von Koabhängigen. Gefühlsmäßig stehen dahinter Angst, ungeschriebene Gesetze von Kollegialität zu verletzen, für den gut gemeinten Hinweis attackiert zu werden sowie eine emotionale Lähmung durch die Unsicherheit, ob der Kollege wirklich abhängig ist. Diese Reaktionen sind jedoch wenig hilfreich und verlängern die Suchtkarriere der Betroffenen.

Fallbeispiel 1

Nach der Scheidung der Griff zur Flasche

Ein 47-jähriger Internist mit gut gehender Praxis wird von seiner Frau verlassen; er verkraftet die Scheidung sehr schlecht, trinkt immer mehr, die Praxis kommt herunter. Nach und nach wissen alle Kollegen am Ort Bescheid, einige decken ihn, andere sprechen ihn an – nichts hilft. Bei einer Verkehrskontrolle wird ein hoher Wert (BAK 1,9 %.) festgestellt. Dies wird über das Landratsamt an das örtliche Gesundheitsamt weitergeleitet. Nach einer Untersuchung beim Amtsarzt wird die Empfehlung einer stationären Therapie ausgesprochen, andernfalls ruhe die Approbation. Nach sieben Wochen stationärer Behandlung in einer Fachklinik kann der Internist seine Praxis wieder führen, unter engmaschiger Nachsorge bleibt die Abstinenz stabil.

Fallbeispiel 2

Tranquilizer gegen Doppelbelastung

Eine 39-jährige Ärztin für Allgemeinmedizin hat sich sehr jung niedergelassen, war lange stolz darauf, Familie und Praxis glänzend zu bewältigen; nach und nach empfand sie die Doppelbelastung jedoch immer stärker; sie reagierte mit noch mehr Einsatz, konnte aber immer weniger abschalten; zur Bekämpfung der Nervosität und der Schlafstörungen nahm sie (anfangs phasenweise) Tranquilizer. Die Wirkung nahm bald ab, so erhöhte sie die Dosis. Sie selbst und das Praxisteam bemerkten deutliche Unkonzentriertheit; mehrfach vergaß sie wichtige Patienteninformationen. In den letzten Ouartalen hatte sich die Scheinzahl nachhaltig vermindert, zu Hause hatten Mann und Kinder immer weniger Kontakt mit ihr. Als sie erfuhr, dass ihr Mann eine Geliebte hat, brach sie zusammen. Sehr schnell musste eine geeignete Klinik gefunden werden; dort machte sie einen schweren Entzug durch. In der Therapie erkannte sie, wie stark sie sich überfordert hatte. Der Weg in die Abstinenz blieb steinig: Trotz Paartherapie und dem Versuch beider Partner, noch mal neu zu beginnen, brach die Ehe letztlich auseinander. Im Zusammenhang mit der Ehescheidung kam es zu einem kurzen Rückfall, der durch eine kurze stationäre Behandlung aufgefangen werden konnte. Mittlerweile arbeitet die Allgemeinärztin ohne Medikamente und lebt in einer neuen Partnerschaft.

Wie sollten Sie reagieren?

Die eigene Einstellung verändern: Erkennen Sie Suchtprobleme als ernste gesundheitliche Bedrohung für die Kollegen, als potentielle Gefahr für ihre Patienten und für das Ansehen der Ärzte.

  • Hinweise auf Suchterkrankungen von Kollegen ernst nehmen: Gehen Sie jedem diesbezüglichen Vorwurf nach.
  • Wenn Sie Betroffene ansprechen, dann nennen Sie konkret auffällige Situationen, Gerüchte, Beschwerden. Sie sind nicht in der Beweispflicht, Sie nennen die Gründe für Ihre Besorgnis.
  • Weisen Sie hin auf Ansprechpartner in der Ärzteschaft, Kammer etc.
  • Weisen Sie auf Behandlungsmöglichkeiten hin.
  • Geben Sie die Verantwortung für das Handeln den Betroffenen, es sei denn, Sie sind der Vorgesetzte, dann können Sie die Durchführung geeigneter Maßnahmen verlangen.
  • Lassen Sie sich nicht von Versprechungen oder auch Drohungen zur Vertuschung und zum Stillhalten verführen.

Soll man Kollegen bei der Kammer melden?

Wenn alle oben aufgeführten Schritte nichts nutzen, werden Sie sich fragen müssen, ob Sie aus der ärztlichen Verantwortung heraus und im Interesse des Kollegen und seiner Patienten eine Meldung an die Kammer abgeben. Dies ist sicher ein schwerer Schritt, der gut zu überlegen ist. Nicht wenige Kollegen halten die Meldung bei der Ärztekammer für sittenwidrig, für einen Verrat an der Kollegialität. Dagegen meine ich, dass die amerikanischen Kollegen (American Medical Association) recht haben, die es als ethische Pflicht sehen, suchtkranke Kollegen nicht ohne Intervention weiterarbeiten zu lassen, da es hier eine Gesamtverantwortung aller Ärzte gibt. Gegenwärtig ist in Deutschland jeder Arzt auf die persönliche Gewissensentscheidung zurückgeworfen. In einigen Kammerbereichen, etwa der LÄK Hamburg, erhalten Sie insofern Unterstützung, als die zuständige Kammer eine offizielle Stellungnahme abgibt, dass sie Kollegen, von denen sie erfährt, primär kompetente Hilfe anbietet und die Tätigkeit in der Praxis sowie die KV-Zulassung beschützt. Ich wünschte, dass alle Ärztekammern solche Hilfsprogramme starten und konkret sagen, an wen man sich wenden kann und wie die Schritte zur Hilfe aussehen.

Kollegen brauchen eine Sonderbehandlung

Die Standardverfahren (Entgiftung und Entwöhnung) können einzelnen Kollegen gewiss helfen, sind aber auf die Berufsgruppe bezogen nicht ausreichend spezifisch. Im normalen Behandlungssetting kommen abhängige Ärzte häufig in eine Sonderstellung zwischen Patient und Experte. Dies begünstigt ein Ausweichen, ein sich Einbilden “Meine Abhängigkeit ist weniger schlimm als die der anderen”, Gefährliche Rückfälle können die Konsequenz sein. Grundsätzlich sollte die Behandlung ausreichend lange und überwiegend stationär erfolgen. Die meisten Arztexperten plädieren für einen sechs- bis achtwöchigen stationären Aufenthalt, in dem Entgiftung und Entwöhnung stattfinden sollten. Die ambulante Arbeit ist in der Nachsorge sehr wichtig, kann aber die ausschließliche Beschäftigung mit sich und der Krankheit im stationären Rahmen nicht ersetzen. Ärzte sollten immer möglichst mit anderen Ärzten oder vergleichbaren Berufen zusammen behandelt werden. Dadurch wird ein Sonderstatus vermieden bzw. abgeschwächt. Ganz entscheidend ist die Möglichkeit einer schnellen Aufnahme, ansonsten besteht die Gefahr, dass der Abstinenzvorsatz nicht umgesetzt wird. In der Therapie sollte professionell vorgegangen werden, keine Erleichterungen, keine Befreiung von Screenings und anderen Kontrollen. Dies verlangt hohes Stehvermögen vom Behandlungsteam; die Erfahrung zeigt, dass Selbstmedikation, Täuschungsmanöver sowie das Einschmuggeln von Suchstoffen in die Klinik bei Ärzten genauso vorkommen wie bei anderen Abhängigen. Frühzeitig sollten die Schwierigkeiten der Doppelrolle Arzt und Patient angesprochen werden. Bei allen Ärzten sollte man die Therapie, die Krankheit Sucht und ihre Auswirkungen erklären. Wenn wir selbst betroffen sind, können wir das gelernte Wissen oft nicht auf uns anwenden, nicht selten verstärkt es eher die Uneinsichtigkeit im Sinne einer intellektuellen Abwehr. Besonders im niedergelassenen Bereich arbeiten viele Angehörige mit in der Praxis. Die Einbindung dieser Mitbetroffenen in die Therapie mittels Paargesprächen/Familiengesprächen gibt oft wichtige Anhaltspunkte und Hilfestellungen für die Nachsorge.

Auffälligkeiten bei abhängigen Ärzten:

der Praxis:

  • Verspätung oder Absage von Terminen
  • abgekapseltes, unerklärlich reizbares Verhalten
  • Beschwerden von Patienten über das Verhalten des Arztes
  • hohe Anforderungen von Praxisbedarf (Medikamente), oft mit Wunsch nach sofortiger Lieferung
  • Häufung von Abwesenheit und Fehlzeiten ohne klare Begründung

Im Krankenhaus:

  • Unpünktlichkeit, Verspätung bei Visiten
  • gereizte Kommunikation mit Patienten/Mitarbeitern
  • Gedächtnisprobleme (Kurzzeitgedächtnis) unvollständige Kurvenführung
  • Verschreibung falscher/falsch dosierter Medikamente
  • Im Dienst nicht oder nur verzögert erreichbar
  • Verhaltensauffälligkeiten, die bei Personalgesprächen weitergetragen werden (Gerüchteküche)

Familie:

  • Mehr Distanz zwischen den Partnern
  • Reizbarkeit, die häufigen Streit auslöst
  • Rückzug vom Familienleben,
  • sexuelle Probleme, Impotenz, Affären
  • finanzielle Probleme (Verlust des Überblicks)
  • Trennung/Scheidung

Gesundheit:

  • multiple, oft vage Beschwerden
  • müdes, erschöpftes Aussehen
  • kleinere Unfälle, Stürze
  • häufigere Krankenhausaufenthalte
  • häufigere Arztbesuche
  • häufigere emotionale Krisen, u. U. mit Suizidgefährdung
  • manchmal Nachlassen der persönlichen Hygiene
Hilfen für abhängige Ärzte:

  • Rudolf Gehring: Suchtrezept, ISBN3-89175-021 8 Dr. Gehring, mehrfach abhängiger niedergelassener Kollege, berichtet offen über sein persönliches Schicksal und seine Suchtkarriere bis zur Abstinenz
  • Selbsthilfegruppen für Ärzte, Kontakt über E-Mail: Marita@cmc.de
  • Kliniken der Standard-Suchtbehandlung, wenn spezielle Erfahrungen mit Ärzten vorliegen (Einzelanfrage), wenn möglich Entgiftung und Entwöhnung in einer Hand
  • Kliniken mit Spezialprogrammen für Ärzte:
    • Oberbergklinken, Tel. 0180/5257405 oder www.oberbergkliniken.de
    • Talbott-Marsh Center, Atlanta, USA, www.talbott.org
    • Menninger Clinic, Topeka, Kansas, USA www.menninger.edu

70% werden trocken

Die erzielbaren Abstinenzraten für abhängige Ärzte sind hervorragend. Sowohl national wie auch international haben arztspezifische Behandlungsprogramme eine überdurchschnittliche Erfolgsquote von ca. 70% Abstinenz in den ersten Jahren nach stationärer Behandlung. Mit der wichtigste Faktor für eine längere Abstinenz ist die ambulante Nachsorge, möglichst bei einem Arzt bzw. Therapeuten, der die Besonderheiten der Sucht bei Ärzten kennt. Die meisten Kollegen gehen nach der Therapie zurück in eine sehr anstrengende Tätigkeit, sie haben enorme Ängste, wegen ihrer Sucht Nachteile zu erleiden oder weniger angesehen zu sein. Das familiäre Zusammenspiel ist oft zunächst schwierig. Die Aufrechterhaltung der Abstinenz erfordert Zeit und Anstrengung, die zusätzlich aufgebracht werden müssen. In den ersten sechs bis zwölf Monaten besteht daher eine erhöhte Rückfallgefährdung, weshalb in dieser Zeit unbedingt eine ambulante Begleitung gewährleistet sein muss.

Notfalls wird die Approbation entzogen

Dr. med. Klaus Baier, Präsident der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg: Abhängigkeit von Ärzten ist für die Kammer immer ein sehr ernstes Problem. Bei einem niedergelassenen Vertragsarzt wird die Kammer in der Regel den Vorrang der KV überlassen, allerdings in Absprache. Bei einem niedergelassenen privaten Arzt obliegt die Entscheidung allein der Kammer. Wenn wir vom Suchtverhalten eines Kollegen erfahren, wird er in die Kammer oder KV bestellt. Dort muss man sich dann im persönlichen Gespräch ein Bild von Situation und Person machen. Trifft das Suchtverhalten zu, unternehmen wir sehr schnell etwas. Ist der Betreffende mit einer Akuttherapie einverstanden, wird er in einer Klinik stationär behandelt bzw. entgiftet. Daran schließt sich eine Kurzzeitentziehungsbehandlung an. Aufgrund der sich dort ergebenden Prognose wird entschieden, ob er weiter ärztlich tätig sein darf. Das Ganze ist natürlich mit strengen Auflagen verbunden. Werden in den nächsten zwei bis drei Jahren keine Auffälligkeiten festgestellt, darf der Kollege weiterarbeiten. Ist der betroffene Arzt nicht mit der Sofortmaßnahme einverstanden, wird ihm über den Zulassungsausschuss seine Zulassung entzogen. Das Gleiche passiert ihm, wenn er in der Nachkontrollphase auffällig wird. Dann darf er fünf Jahre nicht als Vertragsarzt tätig sein. Beim Nicht-Vertragsarzt verfahren wir analog, müssen aber beim Regierungspräsidium das Ruhen der Approbation erwirken.

Ines Engelmohr, Pressereferentin der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz: Wenn wir Kenntnis über auffällige Ärzte erhalten, werden sie zu einem Gespräch in die jeweilige Bezirksärztekammer eingeladen. Dort wird ihnen das Angebot unterbreitet, einen Entzug zu machen. Kliniken dazu werden von der Kammer genannt. Diese Reha zahlt die Ärzteversorgung. Sollte ein Arzt mit der Reha nicht einverstanden sein, kann man auch mit dem äußersten Mittel drohen, nämlich dem Entzug der Approbation. Das ist allerdings noch nicht vorgekommen. Meistens sind die Kollegen einsichtig. Letztlich dient alles dem Schutz der Patienten.

Kosten und Ängste

Die größte Angst vieler abhängiger Kollegen vor einer Behandlung ist die, berufliche Nachteile zu erlangen. Diese Angst ist unbegründet! Ohne eine spezifische Suchtbehandlung ist die Wahrscheinlichkeit, durch den fortgesetzten Konsum solche Nachteile zu erleiden, sehr viel höher. Eine Therapie hat gute Erfolgsaussichten und senkt das Risiko beruflicher Komplikationen eindeutig und nachweisbar. Die arztspezifischen Behandlungen sind i. d. R. nicht billig, häufig werden die Kosten zu einem hohen Teil von Krankenkassen, Ärzteversorgung, Beihilfe oder ähnlichen übernommen. Einschnitte gibt es jedoch beim Tagegeld, das meist nicht oder nicht in voller Höhe ausbezahlt wird, so dass es für die Niedergelassenen durchaus finanzielle Belastungen gibt. Mit der schrittweisen Umsetzung der Empfehlungen der Bundesärztekammer durch die einzelnen Landesärztekammern werden in der Zukunft besser informierte Ansprechpartner bei den LÄK sitzen und erkrankten Kolleginnen und Kollegen helfen. Behandlungsangebote für suchtkranke Ärzte gibt es in Deutschland mittlerweile ausreichend. Es lässt sich mit Worten kaum ausdrücken, wie viel an ärztilchem Können und Lebensqualität für die Betroffenen, ihre Familien und Patienten durch die Suchtmittelfreiheit erhalten werden kann.

Dr. Bernhard Mäulen

Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie

MMW.Fortschr.Med. Nr-33-34/2000(142.Jg.)

 

Literaturliste

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  2. DBV-Winterthur, Fortbildungen über Arzthaftung und Risikomanagement, pers. Mitteilung , München 2000
  3. Ehlers A: Immer neu Strafverfahren gegen Ärzte- Gefängnis für Honorarbetrug. Extracta psych.1999; 13: 14
  4. Hilfiker D: Facing our mistakes. N Engl J Med 1984; 310: 118-122
  5. KS: Plausibilitätskontrolle- der kleine Bruder des Strafverfahrens. MMW-Fortschr..Med. 1999; 141: 64-65
  6. Mäulen B: Strenges Vorgehen gegen sexuelle Übergriffe. Dt. Ärztebl 1997; 94: A 2806-2807.
  7. Mäulen B: Ärzte und Ärztinnen – Besondere Lebensumstände. In Gölz (HRSG) Moderne Suchtmedizin. Thieme Verlag 1998
  8. Mäulen B: Ärzte unter Anlage- Jeder kann betroffen sein. Dt. Ärztebl 1999; 96: A 3091-3092
  9. Marx H: Behandlungsfehler- worauf Ärzte achten müssen. Dt Ärztebl 1999; 96: A1825 -1826
  10. Mehl B: Patienten werden selbstbewußter. Schwäbische Zeitung Do. 13. 5. 1999
  11. Neumann N: Behandlungsfehlervorwurf- Fachgebiet und Risiko. Ärztebl. Bad. Würt. 1999; 5: 178-179
  12. Schnabel, Hanne: Wünsche von Patienten und Angehörigen nach einem Kunstfehler, persönliche Mitteilung, 2000
  13. Shapiro R, Simpson D et al.: A survey of sued and nonsued Physicians. Arch Intern Med 1989; 149:2190-6.
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