Süchtiges sexuelles Verhalten ( langer Beitrag)
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Süchtiges sexuelles Verhalten Schriftenreihe der DGDS e.V. Band 3 Suchtmedizin – aktuell ISBN 3-86135-112-9 |
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I. Vorbemerkung
Nicht selten, wem ich einen Vortrag über Sexsucht halte, bekomme ich Aussprüche zu hören wie “Wenn das eine Sucht sein soll, dann habe ich sie auch” oder “wenn ich schon von etwas abhängig sein soll, dann gewiss von Sex”. Manche Zuhörer assoziieren also primär eigene unerfüllte Wünsche im Bereich der Sexualität – und wer hätte die- nicht? – oder glauben, Sexsucht habe überwiegend etwas mit Lust und sexueller Erfüllung zu tun. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall, genauso könnte man den fortgeschrittenen Alkoholiker um seinen “Genuß” diverser edler Tropfen beneiden. Für Sexsüchtige ist ihre Sucht Quelle großen Leids, massiver Selbstabwertung, Ursache gravierender Partnerschaftsstörungen und oft auch der Weg in die gesundheitliche (AIDS), berufliche oder finanzielle Selbsterstörung. Viele Aspekte der Sexsucht vollziehen sich im privaten Lebensbereich und erreichen nicht die öffentliche Aufmerksamkeit. Kommt es aber im Zusammenhang mit sexuellen Akten doch zu einer öffentlichen Bloßstellung wie bei Präsident Clinton, bei Hollywood Schauspielern oder bei Kollegen mit sexuellen Übergriffen hier in Deutschland, dann sind die Auswirkungen – wie wir alle wissen – enorm.
II. Einleitung Zunächst folgt ein kurzer Überblick über die Sexsucht, dann wird die Bedeutung des Themas für Suchtmediziner erklärt. Überblick Sexsucht ist eine wenig bekannte Form der nicht stoffgebundenen Süchte (vgl. Spielsucht, Kaufsucht, etc.). Auch wenn genaue Angeben zur Prävalenz nicht vorliegen, muß man auch in Deutschland von einer größeren Gruppe betroffener Männer und Frauen ausgehen. Die Krankheitsentwicklung verläuft in der für Suchtprozesse üblichen Entwicklung: Gesteigertes Interesse, hohe persönliche Aufmerksamkeit und Energie für das süchtige Verhalten, Toleranzentwicklung, Dosissteigerung, Entzugssymptome (psychisch), zunehmendes Kreisen um Sexualität und Lust, drohender oder tatsächlicher Zusammenbruch. Wie bei anderen Süchten auch sind die Angehörigen mit in das Suchtgeschehen eingebunden, ja wirken z.T. daran mit, um den Partner/in nicht zu verlieren. Es gibt eine weltweite Verbindung von Selbsthilfegruppen für Sexsüchtige bzw. Sex- und Liebessüchtige. In der therapeutischen Behandlung sind oft ein Nebeneinander von Alkohol- und /oder Medikamentenabhängigkeit mit Sexsucht zu beobachten. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein sexsüchtiger Mensch ohne Behandlung und Selbsthilfegruppe das süchtige Verhalten steuern kann und Zugang zu einer gesunden Sexualität findet, ist gering. Bei adäquater Therapie bestehen gute Aussichten auf Erfolg. Warum ist Wissen über Sexsucht für Mediziner insbesondere für Suchtmediziner von Bedeutung?
III. Woran kann man Sexsucht erkennen? Die sexuelle Abhängigkeit wird in Analogie zu anderen Süchten definiert mit den Leitsymptomen:
In der ärztlichen Praxis als Niedergelassener werden Sie Sexsüchtige vermutlich selten als solche diagnostizieren. Mehr Entdeckungschancen haben wohl klinisch tätige Kollegen, insbesondere im Bereich der Suchttherapie. Wann sollten Sie als Kliniker besonders auf Hinweise auf Sexsucht achten? Bei alkohol- oder medikamentenabhängigen Menschen und bei sexuellem Missbrauch; bei Durchbrechen der Hausordnung einer Klinik im Zusammenhang mit Sex und abgebrochenen stationären Therapien (Rausschmiss!),; bei einer Sexualisierung jeglichen Kontaktes, akute Partnerschaftskrisen, AIDS, Hinweise von Angehörigen. Sexsucht per se ist gegenwärtig weder im DSM IV noch im ICD 10 als eigene Krankheit verschlüsselt. Als diagnostische Kategorien kommen daher verschiedene Möglichkeiten in Betracht:
Angaben zur Häufigkeit schwanken, eine umfassende Studie zur Prävalenz steht derzeit noch aus. Schwierig ist die genaue Definition des Begriffs. Nennen wir nur diejenigen sexsüchtig, die wegen süchtigen sexuellen Verhaltens in extremer Not sind (ähnlich wie etwa ein alkoholkranker Obdachloser) bekommen wir ganz andere Zahlen, als wenn wir auch die im Alltag integrierten Menschen mit hinzunehmen, die sexuell süchtiges Verhalten zeigen. Während P. Carnes in den USA viele verschiedene Bereiche darunter subsummiert und auf 3-6% Prävalenz in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung kommt, sind europäische Autoren sehr viel zurückhaltender. So vermutet der Züricher Psychiatrie Professor C. Buddeberg eine Prävalenz von Sexsucht lediglich im Promillebereich. Männer und Frauen sind betroffen, jedoch sind wohl deutlich mehr Männer wie Frauen sexsüchtig. Die wenigen zugänglichen Zahlen deuten auf einen ca. 70-80% Männer ~ respektive 20-30% Frauenanteil. Tatsache ist: Eine Vielzahl von Betroffenen bekamen insbesondere durch die Bücher von Pat Carnes und sein Auftreten in den Massenmedien Mut, haben sich geoutet und viele Selbsthilfegruppen gegründet. Derzeit gibt es etwa 5 vollstationäre und 50 Tagesklinikeinrichtungen spezifisch für Sexsüchtige in den USA. Für den Behandler/in ist neben der Diagnose aber von entscheidender Bedeutung, die genaue Art und vor allem auch das Ausmaß der sexuellen Abhängigkeit zu erkennen. Dies ist zeitaufwendig. Bewährt bat sich aus klinischer Sicht eine Einteilung in drei Stufen: Stufe I
Stufe II
Stufe III
Wichtig für die diagnostische Erfassung ist auch festzustellen, ob es schon zu einer Anzeige/Verurteilung wegen einer sexuellen Straftat gekommen ist. Jeder Arzt sollte vor einer Überweisung an oder Aufnahme in eine Klinik sorgfältig erfragen, wieweit aggressive Äußerungen und Handlungen Teil(e) der sexuellen Erregungsschleife sind. Sonstige psychopathologische Besonderheiten (Psychose, organische Hirnkrankheit, aktiver Suchtnittelgebrauch z.B. Drogen wie Kokain) sollten erfasst und dokumentiert werden. Als orientierende Testuntersuchung kann auch der Screeningtest nach Carnes herangezogen werden, der als positiv gilt, wenn mehr als 13 Fragen mit ja beantwortet werden. Screening Test für sexuelle Abhängigkeit/Sucht Nach Carnes
IV. Was sind die Grundzüge der Therapie der Sexsucht? Die erste Entscheidung vor Therapiebeginn ist oft, welche der nebeneinander vorkommenden Abhängigkeiten zuerst zu behandeln ist. Aus der klinischen Erfahrung heraus sollte dies in der Regel die stoffgebundene Suchtform sein. Erst danach macht die Behandlung der süchtigen sexuellen Verhaltensweisen Sinn. Der häufigste Fehler, den leider auch Suchtfachleute begehen, ist die Annahme, mit einer gründlichen Suchtbehandlung alle Formen der Sucht therapiert zu haben. Die Praxis zeigt aber das Gegenteil: Viele Abhängige intensivieren nach einer Alkoholentwöhnungstherapie das süchtige sexuelle Verhalten. Dies führt oft, aber nicht immer, zu einem Rückfall auch in die ,,nasse Phase” des Trinkens. Viele Sex-Süchtige erkennen ihre sexuelle Verwundung auch erst in einer Suchttherapie z.B. wegen Alkohol oder Medikamenten. Ob eine Behandlung nun ambulant oder stationär stattfindet, entscheidet sich an den Behandlungsmöglichkeiten. Jedenfalls ist derzeit das Netz ausgebildeter und erfahrener Ärzte/Therapeuten für Sex-Süchtige noch recht dünn. Vollstationäre Behandlung ist erforderlich, wenn der/die Betroffene selbstdestruktiv ist, Therapiekontrakte im ambulanten Setting nicht einhalten kann, wenn eine ambulante Behandlung fehlgeschlagen ist oder auch wenn sonstige psychische Krankheiten vorliegen. Alle Behandler von Sexabhängigen stimmen überein, dass die erfolgreiche Behandlung Sexabhängiger mehrjährig sein soll und intensive Psychotherapie beinhaltet. In Deutschland haben wir in der Regel längere stationäre Behandlungsmöglichkeiten im stationären psychosomatischen Bereich, hier scheint eine stationäre Psychotherapie von Anfang an sinnvoll. Themen sind die allgemeine und spezielle sexuelle Lebensgeschichte und Familiengeschichte, das sich Herantasten an den evtl. eigenen Missbrauch, die Erarbeitung der Funktionalität des Suchtmittels Sex, das Aushalten und Annehmen von Gefühlen, das Gewinnen positiver Selbsterfahrung und Selbstwertgefühle. Es geht also darum wieder eine Beziehung zu sich zu finden und aus dieser gesünderen Beziehung zum eigenen Ich dann auch ein bessere, gesündere Beziehung zu anderen leben zu können. Emotional offene therapeutische Gemeinschaften und Gruppen begünstigen solch eine Entwicklung.
Schwierig und nur individuell zu lösen ist die Frage, wie sexuell abhängige Patienten/innen mit anderen zusammen zu behandeln sind, wo dies eventuell auch an den Reaktionen der Mitpatienten/innen scheitert. Wenn die sexuelle Aktivität zu ausgefallen oder angstauslösend ist, kann dies Thema ausreichend in Einzeltherapie bearbeitet werden, vorausgesetzt, diese ist genügend frequent vorhanden. Bezüglich der Mitarbeiter/innen wird man als Leitende/r sehr genau schauen müssen, wer einem solchen Patienten gewachsen ist. Der Referent hat in Deutschland mehr als einmal erlebt, dass insbesondere jüngere Therapeutinnen vor den nach und nach beim Patienten auftauchenden Aggressionen solche Angst bekamen, dass die Einzeltherapie gewechselt werden musste. Auch das persönliche Einbezogen-Werden in eine Atmosphäre der Verführung kenne ich aus eigener Erfahrung und empfehle dringend eine engmaschige Supervision. In den USA folgen die meisten stationären Programme einem kognitiv-behavioralen Ansatz. Psychotherapie im engeren Sinne einer längeren Gesprächstherapie ist weniger verbreitet. Einzelne Behandlungsbausteine sind: Viel Information über die Krankheit, u.a. auch mit Filmen, Besprechung familiärer Hintergründe, Selbsteinstufung auf diversen sexuellen Fragebögen, detaillierte Beschreibung des Ablaufes der sexuellen problematischer Verhaltensweisen, Männergruppe, Frauengruppe, intensive Einbindung in die diversen Selbsthilfegruppen, Vorbereitung von Familiengesprächen, Abgrenzung gesunder versus auf Scham basierender Sexualität, Entspannungsverfahren. Vieles davon ist SuchttherapeutInnen bekannt.
Was ist nun spezifisch für die Therapie der Sexsucht? Zunächst steht bei allen mir bekannten Programmen die vollständige Abstinenz aller sexuellen Handlungen mit sich oder anderen für 90 Tage. Dies ist für die Betroffenen außerordentlich stressreich, massive psychische Entzugserscheinungen sind zu erwarten. Durch das Fasten von jeglichem Sex wird das aktive sexuelle Ausagieren gestoppt, eine Chance gewonnen, Intimität ohne Sexualität zu erleben, jede Menge unterdrückter Gefühle an die Oberfläche gebracht und insbesondere das Erleben von Schmerz und Schuld für den Sexabhängigen ermöglicht. Durch die Zusammenfassung gleichsinnig Betroffener in einer Gruppe wird ein schnelleres Öffnen, Verminderung der Scham, schnellere Überwindung der Verleugnung erreicht. Für die meisten Patienten entsteht initial hoher Druck durch das Zölibat (keine sexuellen Handlungen mit anderen oder mit sich). In der ersten Woche ist man fast nie allein, die Türen bleiben stets offen, Unterbringung häufig in Mehrbettzimmer, Männer und Frauen in getrennten Zimmern, man hat vor dem Duschen Bescheid zu sagen; Auftauchende sexuelle Gedanken und Impulse sollen spontan und mehrfach täglich gegenüber Mitpatienten/innen, Pflegeteam, Therapeut/in mitgeteilt werden. Spezifische Kontrakte bezüglich Kleidung, Parfüm, Utensilien, Telefonerlaubnis etc. werden individuell geschlossen. Immer wieder gibt es Ermutigung, mit dem Lügen aufzuhören und die Wahrheit schneller zu sagen. Breiten Raum nimmt das Wieder-Erlernen von Nähe, von Vertrautheit ohne Sexualität ein. Dies ist für die Betroffenen häufig zunächst kaum vorstellbar, weil sie es in der Vergangenheit selten oder nie erlebten. Als Grundsatz gilt hier, erst brauche ich eine gesunde Beziehung zu mir selbst, dann zum Du und erst danach wird die Schwelle zur Sexualität überschritten. Sehr kontrovers diskutiert wird, wie weit die ehrliche Offenlegung der Vergangenheit gegenüber dem Partner/in gehen soll. Die meisten Betroffenen und viele Therapeuten empfehlen hier (anders als etwa beim Alkoholiker) zunächst abzuwarten und nichts zu sagen! Keine Beichte über Verhältnisse, Clubs, Sauna, Massagen, Prostituierte etc. Hintergrund ist, dass ansonsten wohl die extrem belasteten Partnerschaften auseinandergehen. Sehr genau wird die sexuelle Entwicklung und die diversen Botschaften positiver wie negativer Vorbilder im Elternhaus angeschaut. Spezifisch und wiederholt werden alle möglichen Formen eigener Missbrauchserfahrungen angesprochen (Vernachlässigung, Art und Ausmaß von Bestrafung, körperliche Gewalt, verbale Gewalt/Drohungen und sexuelle Missbrauchserfahrung). Während Missbrauchserlebnisse insbesondere bei Männern extrem verleugnet werden, können Sexabhängige das erste sexuelle Erlebnis als Jugendliche genau erinnern. Es ist oft sehr früh mit 9, 10 oder 11 Jahren und von einer überwältigenden Intensität. Ähnlich positive Ersterfahrungen haben mir in Deutschland sonst am ehesten Drogenabhängige von ihrem ersten ,,Kick” berichtet. Wichtiges Merkmal für die Entstehung sexueller Abhängigkeit ist auch, wie diese Ersterfahrung dann immer wieder gesucht wird um Stress, unangenehme Gefühle verschiedenster Art, Angst, Einsamkeit, Depression zu betäuben, vergessen zu machen. In der Rückschau wird ferner festgestellt, ab wann eine Gewöhnung einsetzte, die Dosis gesteigert wurde oder der Nervenkitzel z.B. durch multiple Partner, Sex in der Öffentlichkeit oder Aufsuchen des Rot-Licht Milieus erhöht wurde.
Grob kann die stationäre Behandlung unterteilt werden in vier Phasen:
Die medikamentöse Behandlung hat einen klaren Platz in der Behandlung der Sex-Sucht. Einige Abhängige geben an, dass die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Fluoxetin oder Paroxetin die Intensität ihrer sexuellen Obsession positiv beeinflußt, so dass sie besser am Therapieprogramm teilnehmen können. Für andere ist die orgasmusverzögernde Nebenwirkung der SSRI von Nutzen. Außerdem helfen diese Substanzen in der Therapie einer oft vorliegenden (primären oder sekundären) Depression. Auch Antiandrogene wie z.B. Cyproteron (Androcur) werden insbesondere bei sexuellen Straftätern eingesetzt. In der Vorbereitung der Entlassung haben sich individuelle Verträge bestens bewährt. Durch zunehmendes Erkennen der ritualisierten, stufenweise verlaufenden inneren und äußeren Prozesse (Auslöser- und Verhaltensketten) wird es den Sex-Süchtigen möglich, bestimmte gefährliche “Kreuzungen” erst gar nicht anzusteuern, d.h. bestimmte Situationen, Verhaltensweisen aus ihrem Leben fernzuhalten. Dies geschieht u.a. in Form eines Vertrages, der spezifisch und im Einzelnen diese rückfallbahnenden Situationen/Verhaltensweisen benennt und die künftige Vermeidung festlegt. Tritt dann dieses Verhalten später auf, wird es je nach Situation als einmaliger Ausrutscher, Rückfall oder fortgesetzter Rückfall aufgefasst mit entsprechenden Konsequenzen für die Therapie. Utilisiert werden auch weitere Techniken der Verhaltensmodifikation z.B. die drei Sekunden Regel, eine Begrenzung der Zeit, die auf einen Reiz oder ein Objekt focussiert wird, das sexuell stimulierend ist.
V. Angehörigenarbeit Süchte, das wissen Sie, sind Familienkrankheiten, sie betreffen oft mehrere Generationen, sie prägen nachhaltig alle Beteiligten. Grundsätzlich ist es bei der Sexsucht nicht anders, jedoch ist die Intimität ein so zentraler Bereich des menschlichen Erlebens und der Partnerschaft, dass die Verstrickung der Partner/in besondere Ausmaße annimmt. Wut, Hass, Eifersucht, gesundheitliche Gefährdung durch übertragbare Krankheiten, Selbstherabwürdigung durch Mitmachen eigentlich unangenehmer sexueller Praktiken, damit er/sie keinen Vorwand hat sich woanders das Gewünschte zu suchen. Intensivste Gefühle, Scham, Ängste enormer Selbsthass kennzeichnen die Angehörigen vieler Sexabhängigen. Sehr offen darüber berichtet hat die amerikanische Ärztin Jennifer Schneider in ihrem Buch Back from Betrayal. Interessant ist, dass die persönlichen Grundüberzeugungen (s.o) von Angehörigen genau denen der sexsüchtigen Partner/in entsprechen. Außerdem scheint das Ausmass der frühkindlichen emotionalen, körperlichen und sexuellen Missbrauchserfahrungen, nach den Untersuchungen von Pat Carnes, denen der Sexsüchtigen wenig nachzustehen. Konkret könnten die Co-SA also auch SA sein und in der Tat gibt es Übergänge. Wie auch beim Alkohol sind die Lern- und Gesundungsschritte der Angehörigen nicht weniger mühsam, als die der “identifizierten Patienten/innen”. Die meisten Behandlungsprogramme haben deswegen Familien Programme, arbeiten dort zunächst nur mit den Angehörigen und bereiten dann ein Paar/Familiengespräch vor.
VI. Ärzte und Geistliche mit Sexsucht Aufgrund der besonderen öffentlichen Aufmerksamkeit, wegen der massiven ethischen Pflichtverletzung sowie der hohen Entschädigungssummen sind zwei Berufsgruppen zahlenmäßig vor anderen in den amerikanischen Behandlungseinrichtungen: Ärzte und Geistliche. Die berufsgruppenspezifische Betroffenheit hat in den USA große Ausmaße erreicht, so wurden in Kalifornien 1993 ein Viertel aller eingezogenen Approbationen wegen sexual transgression ausgesprochen, die Schadenersatzsummen aller katholischen Diözesen wegen sexueller Verfehlungen von Priestern nähert sich 1 Milliarde Dollar, schon manche Gemeinde ist dadurch finanziell ruiniert worden. Nun haben wir bisher in Deutschland ein geringes Problem-Bewußtsein an diesem Punkt, sieht man von den Berichten von Fischer & Fischer (Deutsches Institut für Psychotraumatologie) ab. Manchmal gibt es einen groß aufgemachten Bericht in der Presse, wie z.B. über den Psychologieprofessor aus Konstanz, der jahrelang Studentinnen mißbrauchte, aber von einer größer angelegten Stellungnahme der Ärztekammern, des Psychologenverbandes o.ä. ist mir nichts bekannt. Nichtsdestotrotz existiert das Problem hierzulande genauso. Der Verständnisschlüssel für die meisten Szenarien beruflicher sexueller Ausbeutung ist: Es geht nicht primär um Sexualität sondern um Machtmissbrauch! Insofern die Aufmerksamkeit sich aus einer anfänglich einseitig feministischen Perspektive zu mehr neutraler Betrachtung erweitert, finden sich zunehmend auch Frauen, die beruflichen sexuellen Mißbrauch betreiben. Auf jeden Fall muss jede/r, der sich mit sexuell Abhängigen beschäftigt, hierzu seine eigene Position erarbeiten, sich klar machen, ob und wie er Opfern sexueller Übergriffe von Ärzten/Therapeuten oder Priestern rät, den Täter/in zu konfrontieren. Auch eine Erforschung eigener Anteile, die zum Täter neigen ist sehr ratsam. In den USA besteht mittlerweile eine gesetzliche Pflicht, alle Kollegen anzuzeigen, deren Namen im Zusammenhang mit einer unerlaubten sexuellen Handlung von Patientinnen genannt wird. Ich persönlich bezweifele, ob damit wirklich ein Schutz des Opfers erreicht wird. Wichtig ist aber für Sie zu wissen, dass solche Handlungen in den meisten Fällen Wiederholungstaten sind. Zunehmend werden angezeigte Kollegen begutachtet. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen möchte ich die Erfahrungen von RICHARD IRONS, Menninger Clinic in Topeka, Kansas, mit über 200 Kollegen/innen aufnehmen. Für sexuell übergriffige Ärzte hat er eine Einteilung vorgeschlagen, die auch in der individuellen Psychotherapie Berücksichtigung finden könnte:
VII. Selbsthilfegruppen für Sexabhängige und Angehörige Wie bei den anderen Abhängigkeiten auch, sind nach dem Vorbild der AA spezielle 12-Schritte Gruppen für Sexabhängige entstanden. Wir haben diese Gruppen auch in Deutschland. Anders als bei den AA-Gruppen ist es sehr schwer, als Therapeut hier eine offene Gruppe mitzuerleben. Anonyme Sexsüchtige, S-ANON Angehörigen Gruppe, Sex und Liebessüchtige und ihre Angehörigen, in den USA zusätzlich recovering couples Anonymous, Sexual compulsives Anonymous (für Homosexuelle) sowie Sexaholics Anonymous. Alle diese Gruppen sind offen für Menschen mit sexuellen Problemen. Unterschiede gibt es in der Definition von Abstinenz. Anders als beim Alkohol kann totale Abstinenz nicht das Ziel sein, aber was ist gesunde Sexualität, welche Maßstäbe für sexuell abstinente Lebensführung werden angelegt? In den einzelnen Gruppen liegt der Schwerpunkt zum Teil anders z.B. bei den SA gilt als einzig akzeptiertes sexuelles Verhalten Sex mit dem Ehepartner/in, was für Homosexuelle wenig Lösungsmöglichkeiten bietet. Bei den SLAA kann jede/r innerhalb gewisser Grenzen seine sexuelle Abstinenz selber festlegen äußerer – mittlerer – innerer Kreis von Verhaltensweisen. Als Fachmann/frau wird man sich sinnvoller Weise mit den nächstgelegenen Gruppen in Verbindung setzen, gegebenenfalls eigene Informationsdefizite ausgleichen und Anlaufadressen und Telefonnummern für Betroffene bereit halten können.
VIII. Zusammenfassung sexuelle Abhängigkeit
Selbsthilfegruppen für Sexsüchtige und Angehörige:
Literatur
Schriftenreihe der DGDS e.V. Band 3 |